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Schreiben (eBook)

Eine Soziologie literarischer Arbeit
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
800 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
9783518770276 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schreiben -  Carolin Amlinger
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Das Ende der Buchkultur ist nicht zu befürchten - wie Bücher gemacht werden, wandelt sich indessen. Mit dem Augenmerk auf die jüngere Geschichte des Buchmarktes leistet Carolin Amlinger eine umfassende Bestandsaufnahme ästhetischer Ökonomien, die auch einen Blick in die Zukunft des Buchgeschäfts erlaubt. Gleichzeitig verdichtet die Studie die vielfältigen Arbeits- und Lebenswelten von zeitgenössischen Autorinnen und Autoren zu einer fesselnden soziologischen Analyse, die nahezu alle Facetten der Arbeit mit dem geschriebenen Wort beleuchtet. Ein Buch, das uns die Welt des Büchermachens erschließt.



Carolin Amlinger, geboren 1984, ist Literatursoziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Departement Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Basel.

7Einleitung


Ich hab eigentlich immer schon geschrieben. Das war das Einzige, was ich kann. […] Ich hab dann irgendwie mit zwölf meinen ersten Romanversuch geschrieben, der dann […] 120 Seiten lang war, also wirklich lang für das Alter. Natürlich schrecklich [lacht]. Aber geschrieben hab ich. Und das ging eigentlich immer so weiter. Und ich hab mich dann, meine Eltern würden sagen: unsozial entwickelt, also das war das, was ich machen wollte, und das war das, wie ich, wie ich auf einmal mit allem, was mich umgab, umgehen konnte. […] Das war dann irgendwie meine Art, das klingt immer so abgedroschen, mit Welt umzugehen, mit dem, was mich umgibt. Dann gab es einen Schreibwettbewerb, bei dem ich angefangen habe, daran teilzunehmen. […] Dann hab ich irgendwann den Mann, der das organisierte, voller Zorn dann [lacht] mit 17 oder so angeschrieben, dass das nie klappt und warum eigentlich nicht? Ich weiß gar nicht, woher ich den Mut genommen habe … [lacht]. Und der hat dann zurückgeschrieben und wollte sich mit mir zusammensetzen. Und hat dann wirklich angefangen, mit mir zu arbeiten. Mich Leuten vorgestellt im Literaturbetrieb, mich dahin gebracht, zu Lesungen und hat mich quasi, damals wusste ich das noch nicht, aber heute würde ich sagen, angefangen zu professionalisieren. Ganz klar, gezielt Anregungen zu geben. Dann war für mich eigentlich immer klar, dass ich schreiben wollte. Ich hätte das aber nie so formuliert, dass ich Schriftstellerin werden wollte. (KR)[1] 

Literarisches Arbeiten ist für Personen, die nicht schreiben, eine opake Tätigkeit. Die leidenschaftliche Hingabe, der grenzenlose Drang zum Schreiben, den die Autorin Karin Rose schon als Kind empfunden hat, ist wohl den meisten fremd. Jedenfalls wenn sie von ihrer Erwerbstätigkeit sprechen. Bei der Schriftstellerin ist das anders. Sie fühlt sich fremd, wenn sie nicht arbeiten, nicht schreiben kann. Blickt man auf den Anfang von Karin Roses beruflicher Laufbahn, dann scheint es, als hätte sie gar keine andere Beschäftigung ergreifen können – auch wenn sie es so nicht formulieren würde. Ihre Berufung – das Schreiben – wurde zum Beruf.

8Ich möchte in diesem Buch einen soziologischen Einblick in die Arbeit von Autor:innen geben – es ist, kurz gesagt, ein Buch über das Bücherschreiben. Literarisches Arbeiten wird hier als eine soziale Tätigkeit interpretiert, die sich nicht losgelöst von den gesellschaftlichen Beziehungen und Strukturen, in die sie eingebettet ist, erschließen lässt. Die zitierte Schriftstellerin beschreibt, ihr sei eigentlich immer klar gewesen, dass sie schreiben wolle. Sie habe auch schon immer geschrieben, sagt sie. Dieser ureigene und individuelle Wunsch zu schreiben hat soziale Voraussetzungen und wird durch die soziale Welt des literarischen Lebens geformt. Es ist der Autorin selbst nicht bewusst; erst rückblickend wird ihr klar, dass es die von ihr geknüpften sozialen Beziehungen waren, die sie dazu veranlassten, Schreiben als Arbeit zu betreiben. Wenn man sich mit literarischem Schreiben aus soziologischer Perspektive beschäftigt, stößt man schnell auf eine autonome Welt der sozialen Produktion, in der nicht nur Bücher, sondern gleichsam auch Autor:innen »gemacht« werden.[2]  Die Rede vom Schreiben als literarischer Arbeit soll im Folgenden dazu dienen, das literarische Tun in einem umfassenden Sinn als einen Produktionsprozess von sozialer Realität und Subjektivität zu verstehen. Autor:innen formulieren nicht nur fiktionale Wirklichkeiten, die dazu einladen, sich in erzählten Welten zu verlieren, sondern sie schreiben sich bei ihrem Tun immer schon in eine vorstrukturierte soziale Realität ein. Die verschlungenen sozialen Wege nachzuzeichnen, auf denen Autor:innen wurden, was sie sind, ist das Ziel dieses Buches.

Das Anfertigen sozialer Landkarten, in denen literarische Werke in ihren vielgestaltigen Beziehungsgeflechten der Produktion, Distribution und Rezeption abgebildet werden, ist seit jeher die Aufgabe der Literatursoziologie.[3]  Jedoch gilt ihre ureigene Aufgabe in der Theoriegeschichte zugleich als ihr größter Makel, und bis heute konnte sie sich nicht von dem Vorwurf des sozialen Determinismus befreien, der das Verhältnis von Literatur und Sozialität als Abhän9gigkeitsbeziehung missdeutet.[4]  Denkt man aber nur an die Literaturtheorien Theodor W. Adornos, Pierre Bourdieus, Lucien Goldmanns, Leo Löwenthals, Georg Lukács’, Niklas Luhmanns, Hans Sanders’ oder Alphons Silbermanns, wird einem der Reichtum der literatursoziologischen Denktradition gewahr, der nicht auf eine einzige Sichtweise zu reduzieren ist. Meine Studie ist darum ebenso sehr von dem Versuch getragen, an das ursprüngliche Vorhaben der Literatursoziologie anzuknüpfen und es für die Gegenwart zur Debatte zu stellen. Denn einen unverstellten Blick auf die Vielfalt literarischer Produktionsweisen zu gewinnen heißt gleichermaßen, sie in ihrer Historizität abzubilden.

Bevor die soziale Wirklichkeit des literarischen Lebens in theoretische Begriffe verdichtet wird, soll zuallererst für die vielgestaltigen sozialen Verwicklungen sensibilisiert werden, die literarische Laufbahnen von Autor:innen strukturieren, indem der berufliche Werdegang der Autorin Karin Rose geschildert wird. An ihrer Geschichte wird nicht nur die symbolische Wirkkraft deutlich, die von den Stimmen der Autor:innen ausgeht und dem soziologischen Begriffsapparat allererst ein empirisches Fundament verleiht, sondern in ihr manifestiert sich ebenfalls eine übergreifende Semantik des Sozialen, die uns im Folgenden noch länger beschäftigen soll.

Karin Rose ist Ende der 1970er-Jahre in einer westdeutschen Großstadt geboren. Sie spricht gewählt, fast formvollendet, ist sich ziemlich sicher bei dem, was sie sagt und wie sie es sagt. Sie komponiert die Wörter, baut mit ihnen Spannung auf, sie erzählt mir ihre Geschichte. Ursprünglich stammt sie aus einer Familie, »die sich hochgearbeitet hat«. Die Mutter hat lange Zeit in »sehr armen, bescheidenen Verhältnissen« gelebt, auch die Familie des Vaters musste »sehr hart arbeiten«, damit der Sohn studieren konnte. Eine Familie, denkt man sich, in der ein Weg zum Schriftstellerberuf nicht gerade vorgezeichnet ist. Doch Karin Roses Eltern konnten sich als soziale Aufsteiger einen relativen Wohlstand aufbauen, nicht untypisch für die Nachkriegsgeneration der BRD. Sie förderten ihre Kinder, Bildung war ihnen wichtig. Auf der einen Seite war ihnen das Schreibbedürfnis der Tochter »unverständlich«. Sie sollte reiten, fechten oder ein Instrument lernen wie ihre Brüder. Probiert 10hat sie es zwar, aber ein »Mannschaftsmensch« sei sie noch nie gewesen. Auf der anderen Seite waren ihre Eltern »nicht uninteressiert der Kunst gegenüber«. Ganz nebenbei bemerkt sie, ihr Vater habe »auch immer mal geschrieben« und der Großvater sei »in der Gruppe 47 gewesen«. Also doch eine Schriftstellerfamilie, aus der sie stammt? Ja, »so Sachen gab es«, sagt sie, aber man musste sich dann eben doch »gezwungenermaßen für einen Broterwerb entscheiden«.

Nicht so die Tochter. Die wurde, trotz exzellenten Abiturs, das ihr aus der Sicht der Eltern so viele »wirtschaftliche Möglichkeiten« geboten hätte, freie Autorin. Auch wenn der Vater »sehr besorgt« war, hatte sie, die Tochter, aus ihrer Sicht keine andere Wahl: »Man hat die Wahl nicht. Mein Kopf würde verstopfen.« Schon die junge Karin Rose drängt es an die Schreibmaschine in das Arbeitszimmer des Vaters. Laut ihrer Erzählung ist die literarische Laufbahn ihr Schicksal. Mit Schreiben verbindet sie Sinnhaftigkeit. Dabei ist ihr egal, was sie schreibt, wichtig ist ihr, dass sie schreibt. Mit der zeitweiligen Trennung vom Schreibtisch stellt sich bei ihr eine gewisse »Traurigkeit, Niedergeschlagenheit« ein. Angesichts der existenziellen Notwendigkeit, die Karin Rose mit dem Schreiben assoziiert, mussten auch die Eltern einsehen, »dass man es nicht aufhalten kann«.

Mitte der 1990er-Jahre macht sie das Abitur. Eine Ausbildung zur Autorin gab es nicht. Dass Schreiben irgendwie kein Beruf und doch einer ist, wird sie im Gespräch häufiger betonen. Sie hört auf den Rat ihrer Lehrer und beginnt ein Studium der Rechtswissenschaft. Sie konnte sich eine Wohnung ganz für sich...

Erscheint lt. Verlag 10.10.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
Schlagworte Geschwister-Scholl-Preis 2025 • Literaturwissenschaft • Schriftsteller • Soziologie • STW 2363 • STW2363 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2363
ISBN-13 9783518770276 / 9783518770276
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