August Pieper und das Dritte Reich (eBook)
292 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7543-7067-4 (ISBN)
Werner Neuhaus
August Pieper und
der Nationalsozialismus
Über die Anfälligkeit des
Rechtskatholizismus für
völkisch-nationalistisches Denken
1. ZUM BILD AUGUST PIEPERS
IN DER GESCHICHTSSCHREIBUNG
Wenn sich heute überhaupt noch jemand unter dem Namen August Pieper etwas vorstellen kann, dann ist diese Erinnerung mit großer Wahrscheinlichkeit entlang der Linien geprägt, wie sie Hermann Kersting in seinem Beitrag für die Zeitschrift Sauerland im Jahre 2006 nachgezeichnet hat.13
Danach war Pieper im Kaiserreich jahrzehntelang als Geschäftsführer und Generaldirektor des Volksvereins für das katholische Deutschland organisatorisch und publizistisch tätig. Er schärfte den Blick des Zentrums, für das er viele Jahre im preußischen Abgeordnetenhaus und im Reichstag saß, für die sozialen Belange der Industriearbeiterschaft sowie für interkonfessionelle Gewerkschaften und kämpfte für die Demokratisierung des Reiches sowie gegen das reaktionäre preußische Dreiklassenwahlrecht. In seinen zahlreichen Veröffentlichungen in der Weimarer Republik rief er zur Schaffung eines Volksstaates auf, wobei er jedoch „eine andere Volksgemeinschaft meinte als die Nationalsozialisten“. Erst nach 1933 habe er „die braune Diktatur als Strafe Gottes“ betrachtet und sich daher „in das vermeintliche Schicksal“ gefügt. Dennoch verboten ihm die Nazis 1937 die Mitarbeit am erzbischöflichen Paderborner Wochenblatt ‚Leo‘. Er starb nach längerer Krankheit 1942 in Paderborn und wurde in seiner Heimatstadt beigesetzt, wo dem „berühmtesten Sohn“ der „Bergstadt Eversberg“ noch heute ein ehrendes Andenken „als Vordenker sozialer, christlicher Gewerkschaftler“ bewahrt wird.
Wenn man die neuere historische Forschung zu Rate zieht, ist das hier von August Pieper skizzierte Bild als einem der führenden katholischen Sozialpolitiker des Kaiserreichs weitestgehend richtig. Pieper trat seit den 1890er Jahren für eine christliche Arbeiter- und Sozialpolitik ein,14 forderte gegen den Widerstand konservativer Bischöfe konfessionsübergreifende Gewerkschaften,15 kämpfte gegen das preußische Dreiklassenwahlrecht16 und für eine Demokratisierung des Kaiserreichs.17 Er erfüllte damit fast alle Kriterien, um als ausgesprochener Vertreter des Linkskatholizismus im wilhelminischen Deutschland zu gelten, was ihn allerdings nicht davon abhielt, im Krieg betont nationale Positionen zu beziehen, etwa wenn er den Vorwurf prominenter französischer Katholiken, auch der deutsche Katholizismus habe sich vor 1914 der Kriegstreiberei schuldig gemacht, empört zurückwies.18
Deutlich weniger übersichtlich wird die Situation, wenn man Piepers publizistische Tätigkeit in der Weimarer Republik untersucht. Alle Historiker, die sich in den letzten Jahrzehnten mit seinen Schriften aus den 1920er Jahren befasst haben, konstatieren bei Pieper nach dem Ende des Ersten Weltkrieges eine „sozialethische Neuorientierung“.19 A. Pieper und sein Freund Anton Heinen betonten nun den Gegensatz zwischen der von ihnen befürworteten organisch gewachsenen ‚Volksgemeinschaft‘ und der für sie in der Weimarer Republik sichtbaren antagonistischen und ‚mammonistischen Gesellschaft‘.20 Pointiert fasst Gotthard Klein die damals weit verbreitete Sicht einer Dichotomie von Gemeinschaft und Gesellschaft im soziologischen, politischen und philosophischen Diskurs der 1920er Jahre zusammen:
„Während ein Gegensatzglied jeweils als ursprünglich, lebendig, wirklich und sakral gedacht wird, wird das andere als abstrakt, bloß seiend, ja tot abgewertet. Gemeinschaft sei demnach irrational, organisch, universalistisch, gottgewollt, heilig und unveränderlich, Gesellschaft dagegen rational, mechanisch, individualistisch, von Menschen geplant, profan und vorübergehend.“21
Natürlich entzogen sich solche von Pieper in zahlreichen Vorträgen, Aufsätzen und Büchern in sich immer wiederholenden wolkigen Wortkaskaden formulierten abstrakten Gedanken22 weitgehend dem Verständnis der Zuhörer bzw. Leser, die durch diese Terminologie und Thematik keinerlei Hilfe bei der praktischen Bewältigung sozialer, pädagogischer und pastoraler Probleme der damaligen Zeit erfuhren.23 Am schärfsten urteilte Paul Jostock in den 1950er Jahren über die Arbeit von August Pieper und seinem Mitstreiter Anton Heinen24: Diese „zwei Hauptsäulen der Gladbacher Zentrale“ seien mit ihren irrationalen Formulierungen und unrealistischen Forderungen „wider Willen selbst zu Totengräbern des Volksvereins geworden“25.
Hand in Hand mit diesem teilweise nur schwer verständlichen Wortgeklingel, das um Begriffe wie die „Seele der Volksgemeinschaft“ kreiste, gingen andere Vorstellungen, die sich ebenfalls aus voraufklärerische Einstellungen herleiteten und auch in antidemokratischen Zirkeln gepflegt wurden. Dies ist der Hintergrund von Piepers verbaler Abqualifizierung der Weimarer Republik als „Formdemokratie“, der er den anzustrebenden „deutschen Volksstaat“ gegenüberstellte.26 Komplementär hierzu forderte er für die Bildungsarbeit die „Schulung von Führern aus dem Volk“ – so der Untertitel einer seiner Schriften.27 Solche Männer sollten aus „Führer und Volk die Volksgemeinschaft“ schmieden, denn erst so würde „die individualistische Masse entmasst, wieder zum gewachsenen, gegliederten Volke“28.
Natürlich ist es richtig, dass die Befürwortung von ‚Volksgemeinschaft‘ und ‚Führertum‘ sowie die Überwindung der ‚Formdemokratie‘ in der Weimarer Republik zum ideologischen Standardrepertoire der antidemokratischen völkischen Rechten bis hin zum Nationalsozialismus gehörte.29 Aber dennoch wäre es voreilig und nachweisbar falsch, August Pieper zu dieser Zeit wegen der Benutzung von heute als politisch kontaminiert geltenden Begriffen in die braune Ecke zu stellen. So enthält allein die von ihm für katholische Geistliche herausgegebene „Führer-Korrespondenz“ des Jahres 1931 eine Reihe von Aufsätzen, in denen auch er selbst – unter der Verfasserangabe „A.P.“ oder anonym – heftig gegen den Nationalsozialismus polemisierte, auch wenn diese Texte nicht alle Seiten des sich immer deutlicher zeigenden NS ablehnten.30
In einem dieser Texte formulierte Pieper seine scharf ablehnende Haltung gegenüber einigen politischen Zielen des „deutschen Faschismus“: Dieser sei „die Staatsform der Analphabeten [und] geistig Unmündigen“. Andererseits lobte er aber in dem gleichen Text den „vom Erlebnis des Frontsoldaten beseelten nationalistischen Freiheitskampf“ der Hitlerpartei und begrüßte die scharfe Kritik des NS an der „knechtende[n] Selbstherrschaft der Plutokratie, des Finanzkapitalismus“, eine Formulierung, die auch dem Parteiprogramm der NSDAP oder Hitlers Mein Kampf hätte entnommen werden können.31
Die sich hier andeutenden Affinitäten zu Elementen der NS-Ideologie sind dann ab 1933 deutlicher greifbar. In der historischen Forschung gibt es seit den 1980er Jahren einige verstreute Hinweise, dass Pieper nach der ‚Machtergreifung‘ Aspekte der nationalsozialistischen Programmatik attraktiv fand. Neben den ohne genaue Quellenangabe zitierten Bemerkungen bei Horstwalter Heitzer aus dem Jahre 198032 finden sich einige knappe Bemerkungen bei Franz Pöggeler, Rudolf Padberg, Thomas Dahmen und Reinhard Richter.33 Dagegen nahm Detlef Grothmann Pieper ausdrücklich als scharfsichtigen Kritiker des NS vor dem 30. Januar 1933 in Schutz und lobte dessen vermeintlich klarsichtige Analyse des immer stärker werdenden Nationalsozialismus.34 Erst in der im Jahre 2007 erschienenen Dissertation von Martin Dust35 wird zum ersten Mal unter Hinweis auf Exzerpte von unveröffentlichten Aufsätzen Piepers aus den 1930er Jahren im Nachlass von Emil Ritter, einem publizistischen Mitstreiter Piepers aus den 1920er Jahren, durch längere Zitate belegt, dass sich der frühere Linkskatholik „nach 1934 […] dem Nazismus in erstaunlicher Weise“ annäherte.36 Noch schärfer ist jüngst Peter Bürger mit Pieper ins Gericht gegangen, indem er ihm, gestützt auf die Titel der Pieperschen Manuskripte in dessen Nachlass, entschiedene Anhängerschaft zum NS ab 1933 vorwarf und für eine Revision des derzeit gültigen positiven Bildes von August Pieper plädierte.37
Der wohl wichtigste Grund für diese späte und selbst bis heute nur ganz bruchstückhafte Aufarbeitung der Hinwendung Piepers zu Elementen der NS-Ideologie liegt wahrscheinlich in den Besonderheiten der Bestimmungen zur Nutzung seines Nachlasses, in dem sich nicht nur die...
| Erscheint lt. Verlag | 28.9.2021 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Geschichte |
| ISBN-10 | 3-7543-7067-7 / 3754370677 |
| ISBN-13 | 978-3-7543-7067-4 / 9783754370674 |
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