Das Naturforscherschiff (Mit Illustrationen) (eBook)
455 Seiten
Musaicum Books (Verlag)
9788027221509 (ISBN)
Zweites Kapitel.
Nichts vergißt sich schneller als Mühe und Gefahr, nachdem beide glücklich überstanden sind. Kaum waren die mitgebrachten Insekten und Pflanzen in die verschiedenen Sammlungen gehörig eingereiht und Geist und Körper durch etwas Ruhe neu gestärkt, als sich die Knaben auch schon nach weiteren Abenteuern umsahen. Zehn Tage lang mußte das Schiff noch vor dem Hafen von Lagos liegen, um dort seine Ladung Palmöl einzunehmen. Diese ganze kostbare Zeit konnte man unmöglich an Bord verbringen und eben so wenig in der Umgebung von Lagos, die nur aus Busch und Flachland besteht und außer dem Krokodil kein jagdbares Wild mehr aufweist.
„Wir wollen das Schleppnetz auswerfen,“ entschied Holm. „Heute abend nach Eintritt der Dunkelheit sollt ihr ein nie gesehenes Schauspiel erleben, den Fischfang vermittelst einer großen Laterne, die das Meer in einer Tiefe von etwa fünfzehn Metern weit umher erhellt und von allen Seiten die neugierigen Bewohner desselben herbeilockt. Morgen machen wir dann vielleicht bei günstigem Wetter mit dem kleinen Bugsierdampfer „Hansa“, der uns des Sonntags wegen von seinen Eigentümern zur Benutzung überlassen werden kann, eine Fahrt stromauf in das Innere hinein. Ich möchte ein paar Flußpferde schießen oder harpunieren.“
„Wenn wir ein Junges fangen und nach Hamburg bringen könnten!“ rief Franz.
„Das wird uns nicht so leicht gelingen,“ antwortete Holm, „denn die Flußpferde sind äußerst scheu und dabei im gereizten Zustande sehr gefährlich. Außerdem macht der Transport des lebenden Tieres große Schwierigkeiten.“
„Einerlei,“ riefen die Knaben. „Auf dem Dampfer befinden wir uns überdies auch in voller Sicherheit. Ist es gewiß, daß wir ihn benutzen dürfen?“
„Ganz gewiß, ich habe heute morgen mit dem Kapitän gesprochen. Nun aber laßt uns das Schleppnetz herrichten.“
Die Kiste wurde geöffnet und das aus Hamburg mitgebrachte Netz hervorgeholt. Im bedeutenden Umkreis mehrere eiserne Ketten, die den Mittelpunkt bildeten, einrahmend, war es ein großes, starkes Fischernetz aus Flechtwerk, das flach auf das Wasser gelegt wurde, und von dessen Zentrum die Lampe herabhing, natürlich vom Bord des Schiffes mittels eines starken hölzernen Hebebaumes in ihrer richtigen Stellung erhalten. Über den bethörten, durch eigene Neugier verlockten Fischen mußte sich das Netz sehr leicht zusammenziehen und oben an den Ketten befestigen lassen. Die Lampe selbst war ganz aus Schiffsglas, sehr groß und für vier starke Wachslichter bestimmt; sie hatte am oberen Ende einen wasserdichten Schraubenverschluß, während ihr durch Schläuche Luft zugeführt wurde. Ohne die Lampe folgt ein solches Schleppnetz dem Laufe des Schiffes und wird von Zeit zu Zeit seiner Gefangenen entledigt, mit derselben kann es natürlich nur gebraucht werden, wenn das Fahrzeug völlig still liegt.
Als bei hellem Mondschein und durchaus ruhigem Wetter die Lichter entzündet waren, sammelte sich die ganze Besatzung auf dem Verdeck, und alles sah gespannten Blickes hinab in die Tiefe. Müde von der schweren Arbeit des Tages, nachdem die Ölspuren einigermaßen beseitigt und die Rationen verteilt waren, pflegten jetzt diese lebensfrohen, an Leib und Seele gesunden jungen Leute der Ruhe, indem sie ihren Gedanken nachhingen und müßig die kühlere Nachtluft einatmeten. Einer von ihnen spielte Harmonika, deutsche Weisen klangen über das Wasser hin, und deutsches, gemütliches Beieinander verwischte den Unterschied von Stand und Rang. Wo Hunderte von Meilen zwischen dem Menschen und seiner Heimat liegen, da schließt er sich fester an die Nächsten, da bildet er in weiter Ferne mit dem Genossen der unsicheren Fahrt nur mehr eine einzige, große Familie. Weitab schimmerten die Lichter der Stadt, zuweilen klang von anderen Schiffen her Gesang und Rufen, sonst war alles still, alles dunkel, — nur da unten regte sich mehr und mehr das geheimnisvolle Leben der Tiefe.
Im Umkreis von zehn Schritten hell beleuchtet, bildete das Wasser den Tummelplatz ungezählter Fische und anderer Geschöpfe. Was nie an der Oberfläche erschien, sich nie dem Menschenauge am hellen Tage preisgab, das schwamm jetzt vorsichtig herbei, um den ungewohnten Anblick des Lichtes aus der Nähe zu genießen. Rundlich und platt, größer und kleiner, bald zierlich schlank, bald von außerordentlicher Häßlichkeit, so scharte sich’s um den kleinen, hellbeleuchteten Glaspalast da unten in der Tiefe. Zitternde Strahlen umgaben den Mittelpunkt, halbverwischt spiegelten sich Mond und Sterne, und lautlos glitt und krabbelte es in dem beweglichen Element. Zwischen Felsspitzen, deren höchste Ausläufer vielleicht bis zu sechs Metern unter dem Schiffskiel heraufragten, öffnete sich eine Art von Thal, das unzählige lebende Geschöpfe und Organismen bewohnten. Große Einsiedlerkrebse, die sich im heftigsten Kampfe befanden, kleine mit dem Schneckenhause, in dem sie leben, Ringelwürmer, Wasserspinnen, dazwischen die zierlichen Seesterne, Muscheln und Schnecken ohne Zahl — so bevölkerte es, sich mit tausend Gliedern regend, aufgeschreckt durch die plötzliche ungewohnte Helle, den Grund, während weiter oben in den Strahlen der Lampe die verschiedensten Fische herbeieilten.
„Sieh diesen!“ rief Franz, „er will das Licht verschlingen!“
Ein lautes Gelächter aller Zuschauer begleitete das komische Gebaren des Fisches. In Kugelform, scheinbar ohne Kopf, häßlich und plump schoß er heran und ebenso schnell wieder zurück, wenn sich die Nase an der Glaswand stieß. Seine Sprünge im Wasser, sein halb keckes, halb furchtsames Vorgehen erregten immer aufs neue die Heiterkeit der Versammelten, dennoch aber konnten sie ihre Aufmerksamkeit nicht diesem, dem Kofferfisch allein zuwenden. Der anderthalb Meter lange und dabei nur daumsdicke fliegende Drache mit Fledermausflügeln, der Drachenkopf mit seinem häßlichen Gesicht und hahnenkammartigen Flossen, der Flughahn mit förmlichen Flügeln, der Seeskorpion mit Hörnern auf dem Kopfe, der Seehase mit breitem Maul und großen Kuhaugen, alle drängten sie sich herbei, um zu staunen.
„Wollen wir nicht jetzt das Netz heraufziehen?“ fragte Hans.
„Noch nicht,“ wehrte Holm. „Es müssen ein paar Größere mit hinein.“
„Rochen, nicht wahr, Doktor? Ich habe gerade die längste Art hier zahlreich vertreten gefunden.“
„Ah! — da ist schon einer und zwar ein stattlicher Kerl, ein Hairoche von drei Meter Länge! — Und dort noch einer. Nun gibt es Krieg.“
Fischfang mit Schleppnetz und Licht.
„Rundlich und platt, größer und kleiner, bald zierlich schlank, bald von außerordentlicher Häßlichkeit, so scharte sich’s um den kleinen hellbeleuchteten Glaspalast da unten in der Tiefe.“
Von zwei Seiten näherten sich die ungeschlachten Tiere mit scheibenförmigem Körper und kaum erkennbarem Kopfe, an dem sich Mund und Kiemenspalten unten, und Augen und Spritzlöcher oben befinden. Die stachlichten Schwänze peitschten das Wasser, die Augen funkelten raublustig; so viel Beute auf einen Schlag, das mochten sie nie erlebt haben.
„Der kleine mit dem kreisrunden Körper ist ein Zitterroche!“ rief Holm. „Nun gebt acht, was folgen wird!“
Wirklich schossen auch die beiden großen Fische auf einander zu und begannen sogleich einen erbitterten Kampf. Sich von der Seite her begegnend, versetzten sie einer dem andern die kräftigsten Schwanzschläge, bis endlich der Zitterroche Gelegenheit fand, seinem Gegner einen elektrischen Schlag beizubringen und dadurch den Streit zu entscheiden. Völlig betäubt fiel der Hairoche auf den Grund des Netzes zurück. Die kleineren Fische hatten unterdessen versucht, nach allen Richtungen zu entfliehen; einigen gelang dies auch, die meisten wurden freilich durch das zur rechten Zeit emporgehobene Netz erfolgreich am Entweichen verhindert, und als endlich mit Hilfe mehrerer Matrosen das ganze schwere Netz an Bord geholt war, da zappelte in den Maschen desselben noch eine hübsche Anzahl von Flossenträgern; der kecke Kofferfisch, der arme Geselle, sogar im Maule des Zitterrochens, halbzerquetscht und ängstlich schwanzschlagend wie sein Besieger selbst.
„Das war ein reicher Fang!“ rief Holm. „Besonders die Rochen sind ihres Fleisches wegen viel wert, ebenso die meisten kleineren Fische um ihrer Seltenheit willen. Wenn wir sie aus der Nähe besehen haben, mögen sie weiterschwimmen.“
Und so geschah es. Verschiedene gewöhnliche Arten wanderten in die Schiffsküche, während man jene ungenießbaren Fremdlinge der Tiefe barmherzig verschonte und nur einige besonders wertvolle Exemplare zum Ausstopfen vorbereitete.
Der Zitterrochen wurde geschlachtet, um morgen den Mittagstisch in der Kajütte auszustatten. Den gänzlich betäubten Hairochen legte man in die große Deckwaschbalje, um zu beobachten, wann das Leben zurückkehren werde, und nachdem nun in dieser Weise der Fang besorgt war, sprach Holm noch über das Fischgeschlecht im allgemeinen einige belehrende Worte, daß es nämlich nicht weniger als achttausend lebende Arten gibt, daß die meisten davon eßbar sind, und daß nur wenige giftige Gattungen bekannt sind. „Wir werden Schleppnetz und Lampe im großen Ozean erst eigentlich zur Verwendung bringen,“ schloß er, „und dort jene interessanten Geschöpfe kennen lernen, die zwischen dem Pflanzen- und Tierreich gleichsam einen Übergang bilden, die Quallen in unzähligen Formen, die Korallen und Schwämme, — das alles hat da seine wahre Heimat. Ebenso habe ich für seichte und vor den Haien geschützte Buchten auch einen Taucherapparat mitgenommen. Gewiß sind mehrere unter Ihnen, die sich auf die Anwendung...
| Erscheint lt. Verlag | 6.10.2017 |
|---|---|
| Illustrationen | Heinrich Merté |
| Verlagsort | Prague |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Regional- / Landesgeschichte |
| Kinder- / Jugendbuch ► Spielen / Lernen ► Abenteuer / Spielgeschichten | |
| Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
| Schlagworte | Abenteuerroman • Das Rätsel Salomons • Die Insel der besonderen Kinder • Die Schatzinsel • Europäische Exploration • Exotische Tiere • Harry Potter • Historischer Roman • Illustrationen • Jack London • James Fenimore Cooper • Jugendbuch • Jules Verne • Karl May • Ken Follett • Kinderbuch • Kolonialpolitik • Mark Twain • Naturforscher • Ozeanreise |
| ISBN-13 | 9788027221509 / 9788027221509 |
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