Alexander in Babylon: Historischer Roman (eBook)
220 Seiten
Musaicum Books (Verlag)
978-80-272-0858-6 (ISBN)
Am andern Tag fand die den Makedoniern versprochene Schuldenzahlung statt. An vielen Stellen des Lagers wurden große Tische aufgestellt und Hunderte von Sklaven schleppten aus dem Palast goldgefüllte Säcke herüber. Zuerst kamen die Makedonier nicht; sie fürchteten, Alexander wolle nur die Verschwender kennen lernen, um sie nachher ihren Leichtsinn doppelt entgelten zu lassen. Da verkündeten die Herolde, daß keiner seinen Namen nennen oder aufschreiben müsse, es genüge, wenn sie den Schatzmeistern die Höhe der Summe und den Gläubiger angäben. Dies stolze Vertrauen schmeichelte den Soldaten, und die meisten verschmähten es, Vorteile zu erlangen, wo die Gelegenheit zu List und Betrug allzuleicht war. Doch eine vibrierende Mißstimmung verschwand nur bei jenen, die sich sogleich wieder zum Trinken lagerten oder ihren Ausschweifungen ergaben. Die andern liehen den herumschwirrenden, kaum zu fassenden Gerüchten das Ohr. Ein grauer Regenhimmel hatte sich über Stadt und Lager verwoben, und sie betrachteten das Verschwinden der Sonne als ein böses Zeichen. Daß sie von den drückenden Schuldenlasten erlöst waren, erleichterte oder befriedigte sie nicht im geringsten; nur die Wünsche hatten noch Reiz für sie, jede Erfüllung war zugleich eine Enttäuschung. In nüchternen Stunden waren sie die unglücklichsten aller Menschen; der Freund fürchtete im Freund einen Verleumder und Verräter, sie wagten nicht mehr, ihre Gedanken in Worte umzusetzen, an die guten Götter glaubten sie nicht mehr, und die Mächte des Bösen fürchteten sie bis zum Wahnwitz; zu jeder Minute fühlten sie sich preisgegeben; da sie einem fremden Leben niemals den geringsten Wert beigemessen, sahen sie auch das eigene beständig vor dem Abgrund des Todes taumeln. Durch das lange Fernsein von der Heimat waren auch diejenigen entwurzelt, die einst aus dem mütterlichen Boden Kraft und Beständigkeit gesogen hatten; in ihnen war kein Glauben, kein Vertrauen, keine Hoffnung, keine Freude, keine Festigkeit, kein wahrer Ernst. Die Schlacht entflammte sie zum Blutdurst, wie der Wein zur Trunkenheit, und ohne Schlacht und ohne Trunkenheit waren diese Abertausende von erwachsenen Männern wie traurige Bestien, müde an sich selbst, müde an der Welt, aufgeregt durch schwere Träume, gepeinigt von maßlosen, aber leeren Begierden, willenlose Werkzeuge für jeden fremden Willen.
So geschah es auch, daß unter den Edelknaben plötzlich eine Verschwörung gegen das Leben Alexanders ausbrach. Eigentlich um nichts, – die Sonne brütet Maden aus, der Sumpf treibt Blasen, die der leichteste Luftzug zerplatzen läßt. Aus einem trägen Knabengehirn war ein träges Gelüst aufgestiegen, empfangen im übersättigten Behagen, geboren und gehegt in der stachelnden Langeweile einer dumpfen Seele. Der eine fand einen zweiten, und auf dem Bett unnatürlicher Liebe reifte der Entschluß. Wenn die Verwegenheit von Männern nach dem Höchsten greift, wird ihre Tat im Feuer der Leidenschaft geglüht, aber diese vorzeitig ins wilde Leben gerissenen Knaben erlagen ihrem tückischen Trieb wie einer Krankheit. Ein rauhes Wort Alexanders gab den letzten Anstoß. In der Nacht der Hochzeiten sollte der Plan ausgeführt werden, am Morgen vorher wurde Hephästion durch einen Sklaven benachrichtigt, der ein verdächtiges Wort während des Bades der Edelknaben aufgeschnappt hatte. Hephästions erste Sorge war, alle Kunde von Alexander fernzuhalten und das giftige Gewebe in der Stille zu zerreißen. Wenn er davon erfuhr, dann war es aus mit den festlichen Tagen, noch ehe sie begonnen, dann geschah es wie damals in Baktra, daß mit drei Schuldigen dreihundert Unschuldige fielen, daß wochenlang das Gespenst des Verrates alle Lippen verschloß, daß Alexander, rasend gegen Freund und Feind, das Beispiel eines entfesselten Dämons gab. Deshalb pries Hephästion den Glückszufall, der ihm das Geheimnis entschleiert hatte, und ohne eine Minute zu säumen, entfaltete er eine fieberhafte Tätigkeit. Den Sklaven, dessen Mitwissen unbequem war, schickte er mit Aufträgen nach Babylon. Die beiden Edelknaben ließ er gefangen setzen und befahl, sie zu foltern, denn er brauchte Geständnisse, um die Ausdehnung des verbrecherischen Anschlags kennen zu lernen. In seiner Gegenwart wurden die Knaben entkleidet und noch einmal in Milde befragt. Sie schwiegen. Nun wurden sie an Pfähle gebunden und ihre Haut wurde mit glühenden Eisenspitzen durchbohrt. Es waren halbe Kinder, ihre Sündhaftigkeit war keiner Probe gewachsen, sie versprachen, alles zu gestehen, und Hephästion blieb mit ihnen allein.
Sie erzählten. Ihre Beichte trug den Stempel der Wahrheit, jedes Wort war in Tränen gebadet. Wie es gekommen, warum es gekommen, wußten sie nicht zu sagen. Hephästion schauderte bis ins Mark hinein, als sie anfingen, Namen zu nennen; er schauderte und staunte über den Umkreis, den der finstere Plan in der Kürze der Zeit gezogen hatte. Manche hatten sich herzugedrängt, die nicht einmal wußten, was im Werke war, sie rochen es in der Luft, kamen nur aus dem dumpfen Trieb zur dunklen Tat, aus verruchter Neugier, aus Veränderungssucht. Da waren Leute, denen Alexander nur Gutes erwiesen, Männer von scheinbar erprobter Treue, die man sonst als Freunde, als Kameraden hochschätzen durfte, und nun!
Warum? warum?
In Hephästions Innern verging alles Licht. Er wurde an sich selbst irre. Er haßte den Boden, den sein Fuß betrat, die Luft, die sein Mund atmete. Doch er durfte sich den gefährlichen Regungen nicht hingeben; klar und rasch im Urteil, begann er zu handeln. Er ließ die zwei Knaben auf der Stelle erdrosseln, ihre Leiber in einer Sänfte außerhalb des Lagers schaffen und in seinem Beisein verscharren. Zurückgekommen, schickte er Boten herum und beschied die andern Verschwörer, es waren neun an der Zahl, zu sich in den Palast. Als sie kamen, ertönte im Lager schon die Hochzeitsfanfare. Er begab sich mit ihnen in einen abgelegenen Raum und redete sie an. Er machte ihnen weder Vorwürfe noch zeigte er ihnen seine innere Betrübnis, noch erinnerte er sie an die Wohltaten, die sie von Alexander empfangen hatten, sondern er erzählte ihnen eine kleine Parabel.
Einer der persischen Großen trachtete einst seinem König nach dem Leben und zettelte eine Verschwörung an. Da kam ein Einsiedler aus Syrien zu diesem Mann und brachte ihm einen Schädel, einen ganz gewöhnlichen Schädel von einem Totengerippe. Was soll ich damit? fragte der Mann. Wäge ihn und bewahre ihn, erwiderte der Einsiedler. Der Perser ließ eine Wage kommen und legte den Schädel auf die eine und Gewichte auf die andere Schale. Aber sonderbar, der Schädel war schwerer als alle Gewichte, die man auftreiben konnte, es wurde nichts gefunden, was ihn aufgewogen hätte. Als man darüber ganz ratlos geworden war, nahm der Einsiedler eine Handvoll Staub und verstopfte damit die Augenhöhlen des Schädels. Und da erhob sich plötzlich der Schädel, obwohl nur ein kleiner Stein auf der andern Schale lag. Der Perser wurde darüber sehr nachdenklich, und von der Stunde an ließ er ab von seinem schwarzen Vorhaben.
Die Wirkung der simplen Geschichte war erschütternd. Vielleicht war Hephästions Ruhe schuld, seine Vernunft, seine Klarheit, seine Einfachheit. Die neun Männer gerieten ganz außer sich, sie wehklagten, rauften ihre Haare, weinten, warfen sich auf den Boden und überließen sich ohne Ausnahme dem Schmerz ihrer Scham und Reue. Als sie sich ein wenig beruhigt hatten, da gebot Hephästion, jeder solle den Oberarm entblößen und mit dem Schwert ein blutiges Mal in die Haut ritzen, und jeder solle das gleiche Zeichen eingraben zum Andenken an diese Stunde, damit sie bei künftigen Versuchungen durch einen Talisman gefeit seien. Das geschah, und darauf entließ er die Männer zum Feste.
Er selbst eilte ins Bad, ließ sich abreiben und salben und mit dem reichen Perserkleid schmücken. Es war spät. Der Zug der Bräute war schon aufgebrochen. Sein Fernbleiben konnte nicht unbemerkt geblieben sein. Mit überstürzter Hast, so daß seine Sklaven weit zurückblieben, verließ er den Palast. In der Hauptgasse des Lagers geriet er in ein so dichtes Menschengewühl, daß er eine Zeitlang weder vor-noch rückwärts konnte. Einige Griechen, die ihn erkannten, halfen ihm heraus. Doch auch die Seitenwege zwischen den Zelten waren voll von Menschen, die freien Plätze voll von Kaufleuten, Sängern, Tänzerinnen und Komödianten. Wie Orkanbrausen war das Getöse der Stimmen, die vielfachen Rufe, das Weibergeschrei, das schmeichlerische Girren der Perser, die düstere Sprache Babylons, die dumpfen Laute Thessaliens. Da war der Libyer im Lederwams, der dunkelfarbige Sohn Gedrosiens, der zierlich-würdevolle Araber, der ernste Meder, der Inselbewohner vom Roten Meer mit Goldstaub in den Haaren, der bewegliche Parther, der wilde Hyrkanier, der bäurisch plumpe Paphlagonier, der Arkader mit der Ledermütze, und wie sehr auch alle in Bildung und Gehaben verschieden waren, ein Zug war ihnen gemein: jedwedes Gesicht zeigte den Ausdruck der zügellosen Lüsternheit, des Rausches um seiner selbst willen, einer seelenlosen Ekstase. Fast alle Augen hatten einen unheimlich starrenden Ausdruck; es war bei all dem frechen Überschwang etwas angstvoll und angespannt Horchendes in den Gesichtern; ihre Rauheit war nicht kriegerisch, sondern glich der von Helfershelfern bei einer Schandtat.
Hephästion hatte es längst gewußt, aber seine Beobachtung war nie von solcher Furcht begleitet gewesen. Mit heftiger Anstrengung schüttelte er das Nachdenken von sich ab. Seine Sklaven hatten ihn eingeholt, liefen...
| Erscheint lt. Verlag | 17.8.2017 |
|---|---|
| Verlagsort | Prague |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Vor- und Frühgeschichte / Antike | |
| Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Vor- und Frühgeschichte | |
| Schlagworte | Alexander der Große • Alexandre Dumas • Antike • Aristoteles • Babylon • Charakterstudien • Deutsch-jüdischer Schriftsteller • Ehe von Alexander und Stateira • Epoche des Hellenismus • Historischer Roman • intrigen am hof • Johann Gustav Droysen • Krieg • Makedonische Armee • Napoleon • persischer Feldzug • Theodor Birt |
| ISBN-10 | 80-272-0858-0 / 8027208580 |
| ISBN-13 | 978-80-272-0858-6 / 9788027208586 |
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