Pandemie (eBook)
240 Seiten
mvg Verlag
978-3-96121-609-3 (ISBN)
Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, geboren 1958, leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen. Er ist Autor zahlreicher Bücher, darunter der Bestseller Digitale Demenz. Er ist einer der bedeutendsten Gehirnforscher Deutschlands und versteht es wie niemand sonst, wissenschaftliche Erkenntnisse anschaulich und fundiert zu vermitteln.
Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, geboren 1958, leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen. Er ist Autor zahlreicher Bücher, darunter der Bestseller Digitale Demenz. Er ist einer der bedeutendsten Gehirnforscher Deutschlands und versteht es wie niemand sonst, wissenschaftliche Erkenntnisse anschaulich und fundiert zu vermitteln.
1.
IN DER KRISE – DER NEUE NORMALZUSTAND?
Das Leben mit Corona sei die neue Normalität, lernte man in der Tagesschau vom 7. Mai 2020. Das augenfälligste Zeichen dieser neuen Normalität sind wohl die Masken, die wir jetzt alle tragen: Ob aus Kaffeefiltern gebastelt, aus Stoff genäht, als OP- oder vielleicht sogar als Sicherheitsmaske der Klasse FFP2 oder FFP3 gekauft: Masken sind das neue normale Bekleidungsstück. Aber helfen sie auch? Ein Blick ins Deutsche Ärzteblatt könnte weiterhelfen: Dort wurde am 6. April online publiziert, dass auch die einfachsten medizinischen (chirurgischen) Gesichtsmasken das Coronavirus zurückhalten können. Man bezog sich dabei auf eine im Fachblatt Nature Medicine drei Tage zuvor publizierte Studie3, in der dies experimentell gezeigt worden war.
Nur einen Tag später las man – erneut im Deutschen Ärzteblatt online – das genaue Gegenteil, denn eine Arbeitsgruppe aus Südkorea hatte am 6. April im Fachblatt Annals of Internal Medicine eine Studie publiziert, bei der vier Patienten mit Masken husten sollten, während vor ihnen eine Schale stand, die danach auf Viren untersucht wurde.4 Die Masken hatten in diesem Experiment nicht nur keinen abhaltenden Effekt, man fand an ihnen außen sogar mehr Viren als innen! Das Ergebnis war also nicht nur enttäuschend, sondern sogar erschreckend!
Die Experten halfen in dieser Situation wenig. Die WHO empfahl Gesichtsmasken zunächst nicht, das Robert Koch-Institut auch nicht. Erst mit der Zeit bröckelte die Abwehr, und immer mehr sprachen sich für Gesichtsmasken aus. Wie kam das?
To mask or not to mask?
Frei nach Shakespeare formuliert5, wird die Frage nach dem Gebrauch von Masken gegenwärtig heftig diskutiert. »Unnötiger Aufwand« und »gefährliches In-Sicherheit-Wiegen« sagen die einen, »sinnvoller Schutz« sagen die anderen. Glücklicherweise gibt es zu dieser Frage mittlerweile nicht nur Meinungen (und die oben genannten nicht besonders aussagekräftigen Studien), sondern durchaus auch wissenschaftliche Erkenntnisse, die diesen Namen verdienen.
Wissenschaftler aus den USA haben am 21. April 2020 ein mathematisches Modell entworfen und damit Daten aus zwei US-Bundesstaaten (New York und Washington) zur Dynamik der Übertragung der Krankheit COVID-19 durchgerechnet. Dabei kam heraus, dass Gesichtsmasken deutlich mehr bringen, als man zunächst vermuten könnte. Ihr Nutzen für die Gesamtbevölkerung ist umso größer, je früher die Masken im Verlauf einer Epidemie oder Pandemie eingesetzt werden. Weiterhin wurde deutlich: Der Effekt von Gesichtsmasken lässt sich recht gut als Produkt aus Maskenwirksamkeit einerseits und dem Prozentsatz der Bevölkerung, der die Masken nutzt, andererseits abbilden. Zudem gilt: Auch wenn sie als alleinige Maßnahme unter bestimmten Umständen nur einen geringen Einfluss auf die Epidemie haben, verringern sie dennoch die effektive Übertragungsrate. Masken können also mit anderen Maßnahmen, einschließlich hygienischer Maßnahmen (Händewaschen) und sozialer Distanzierung (Abstandhalten, Ausgangsbeschränkungen, Schließungen von Cafés, Restaurants, Kindergärten und Schulen etc.), kombiniert werden, um letztlich zu einem Rückgang der Infektionsraten und damit der Belastung des Gesundheitssystems beizutragen. Gesichtsmasken sind gewiss kein Allheilmittel und sollen auch nicht anstelle anderer Maßnahmen eingesetzt werden. Zusammen mit anderen Maßnahmen sind sie jedoch wirksamer, als man denken könnte. Betrachten wir einige Ergebnisse der Studie etwas genauer.
Unter der Annahme einer festen Übertragungsrate vermindern Gesichtsmasken, die von 80% der Bevölkerung getragen werden und zu 50% effektiv sind (also 50% der Viren abfangen), im US-Bundesstaat New York 15–47% der Todesfälle innerhalb von zwei Monaten. Hierbei würden vor allem die Spitzen abgefangen, die um 34–58% reduziert werden. Damit sind Gesichtsmasken ein wirksames Mittel, Intensivstationen vor Überlastung zu bewahren (siehe Kapitel 6, Abschnitt »Flattening the curve«). Sogar Masken mit einer Effektivität von nur 20% sind noch nachweislich wirksam und können die Zahl der Todesfälle vermindern.6
Es überrascht nicht, dass dieser Nutzen von Gesichtsmasken größer ist, wenn ein größerer Anteil der Infizierten asymptomatisch ist, das heißt keine Infektionssymptome zeigt. Denn die Masken verhindern, dass jemand, ohne es zu wissen, einen anderen ansteckt. Aber Masken sind keineswegs nur in diesen Fällen hilfreich, wie die Wissenschaftler herausfanden. Sie bieten vielmehr auch dann einen Nutzen, wenn sie von (wirklich) gesunden Menschen zur Prävention einer Infektion getragen werden. »Zusammenfassend legen unsere Ergebnisse nahe, dass der Gebrauch von Gesichtsmasken durch einen möglichst großen Teil der Bevölkerung (das heißt landesweit) erfolgen und unverzüglich umgesetzt werden sollte, selbst wenn die meisten Masken hausgemacht und von relativ geringer Qualität sind. Die Maßnahme kann zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie beitragen, wobei der Nutzen in Verbindung mit anderen nicht pharmazeutischen Interventionen, die die Übertragung in der Gemeinschaft reduzieren, am größten ist«, betonen die Autoren am Ende ihrer Arbeit.7
Trotz der Ungewissheit über den Effekt von Masken ist deren Nutzen also zumindest der Möglichkeit nach groß und der Schaden durch sie vergleichsweise klein. Dies wird auch von anderen Autoren so gesehen.8 In Hongkong trugen etwa 96% der Bevölkerung Gesichtsmasken, und die Krankheit COVID-19 war mit 129 Fällen pro einer Million Einwohner sehr gering. In anderen Ländern ohne Gesichtsmaskenpflicht lag diese Zahl bei 2983 Fällen pro einer Million Einwohner (Spanien), bei 2251 Fällen (Italien) oder bei 1242 Fällen (Deutschland). Diese Unterschiede sind allesamt nicht nur statistisch, sondern auch klinisch sehr bedeutsam, wie Vincent Cheng und Mitarbeiter am 30. April 2020 publizierten.
Die Nebenwirkungen von Gesichtsmasken sind vor allem Kopfschmerzen, die jedoch in der Allgemeinbevölkerung kaum auftreten, sondern vor allem beim medizinischen Fachpersonal, wie im Rahmen einer Querschnittsstudie an Gesundheitspersonal, das während der COVID-19-Pandemie in Hochrisiko-Krankenhausbereichen tätig war, gezeigt werden konnte. Insgesamt 158 Beschäftigte nahmen an der Studie, die im Mai 2020 publiziert wurde, teil und füllten einen Fragebogen aus. Die Mehrheit (126, das heißt 77,8%) war zwischen 21 und 35 Jahre alt. Zu den Teilnehmern gehörten Krankenschwestern (102, das heißt 64,6%), Ärzte (51, das heißt 32,3%) und »paramedizinisches« Personal wie Rettungssanitäter oder Therapeuten (5, das heißt 3,2%). Bei etwa einem Drittel (46, das heißt 29,1%) der Befragten lag eine vorbestehende primäre Kopfschmerzdiagnose vor. Und diejenigen, die in der Notaufnahme arbeiteten, hatten eine höhere durchschnittliche tägliche Dauer des Maskengebrauchs im Vergleich zu denjenigen, die auf Isolierstationen oder auf der medizinischen Intensivstation arbeiteten. Von den 158 Befragten entwickelten 128 (81,0%) neue, das heißt zuvor nicht vorhandene Kopfschmerzen durch das Tragen von persönlicher Schutzausrüstung wie N95-Gesichtsmaske und Schutzbrillen. Eine vorbestehende primäre Kopfschmerzdiagnose oder ein Gebrauch der Schutzmasken und -brillen über mehr als vier Stunden pro Tag waren unabhängig voneinander mit einem etwa vierfach erhöhten Risiko des Auftretens neuer Kopfschmerzen assoziiert. Seit Ausbruch von COVID-19 äußerten sich 42 der 46 (91,3%) Befragten mit bereits bestehenden Kopfschmerzen zur Frage, ob die verstärkte Benutzung von Schutzmasken und -brillen zu einer Verschlechterung ihrer Kopfschmerzen geführt hatte, entweder mit »stimme zu« oder mit »stimme sehr zu«. Diese Kopfschmerzen hatten auch Auswirkungen auf ihre Arbeitsleistung.9
Halten wir fest: Das Tragen von Gesichtsmasken ist hierzulande im Gegensatz zu manchen asiatischen Ländern kulturell noch nicht eingeübt. Dabei tragen sie sowohl zum Schutz der anderen als auch zum Eigenschutz bei. Sie wirken am besten, wenn sie von allen getragen werden.
Ein instruktives, lehrreiches Beispiel hierfür lieferte die Stadt Jena. Dort waren Mitte März die Infektionszahlen steil nach oben gegangen und lagen höher als in allen anderen thüringischen Städten und Landkreisen. In dieser Situation rauften sich die Stadt und die Universitätsklinik zusammen und sprachen für Jena als erste deutsche Großstadt eine allgemeine Verpflichtung zum Tragen einer Gesichtsmaske aus. Nach dem Motto »Keine Maske ist schlechter als irgendeine Maske« waren auch Schals und selbst gebastelte oder genähte Masken erlaubt. Und so kam es, dass seit Anfang April die Menschen in Jena im öffentlichen Nahverkehr, in allen Verkaufsstellen und in Gebäuden mit Publikumsverkehr einen Mund-Nasen-Schutz tragen müssen. Vierzehn Tage später...
| Erscheint lt. Verlag | 7.6.2020 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
| Schlagworte | Alkohol • Alleinsein • Altersheim • Angst Corona • Ansteckungsgefahr • Ärzte • Atemschutz • Ausbruch • Ausgangsbeschränkung • Ausgangssperre • Auslöser • Auswärtiges Amt • Auswirkungen Corona • Chance • Christian Drosten • Corona • Corona Angela Merkel • corona ansteckung • Corona Atemschutz • Corona Auswirkungen • Corona Buch • Corona Desinfektion • #coronadeutschland • corona deutschland • coronadeutschland • Corona Entstehung • corona erreger • Corona Fakten • Corona faq • Corona Folgen • Corona Hilfe • Corona Krankheitsverlauf • Corona Maske • #coronamemes • Corona News • Corona psychische Folgen • Corona Schnelltest • Corona Schutzmakse • Corona Schutzmaßnahmen • Coronasymptome • Corona Symptome • Corona Test • Corona Trump • Corona virus • Coronavirus • Corona-Virus • #coronavírus • Coronavirus aktuell • Coronavirus Atemschutzmaske • coronavirus deutschland • Coronavirus erkennen • Coronavirus Foto • Coronavirus Grippe • Coronavirus Mundschutz • Coronavirus Wiki • Corona Welle • Covid • COVID-19 Krankheit • Covid-19 Schutz • Demo Corona • Demokratie • Demonstration Corona • Depression Corona • Desinfektionsmittel • Dunkelziffer • Einsamkeit • Epidemie • Erste Hilfe • Expertenwissen • Fake News • Folgen Corona • Folgen Coronakrise • Freiheit • Gehalt Ausfall • Gesellschaft • Gesundheitsamt • gewaltfrei kommunizieren • Häusliche Gewalt • Heilmittel • Hilfe Einsam • Höhepunkt • Homeoffice • Hygieneregeln • Impfstoff • Isolation • Isolation schädlich • Jens Spahn • Katastrophe • Kindergarten • Klopapier • Kontaktbeschränkung • Kontaktübertragung • Krise • krise 2020 • Krise als Chance • krisenfest • Krisenintervention • Krisenkommunikation • Krisenmanagement • Krisenvorsorge • Kurzarbeit • Lunge • Lungenentzündung • Markt • Maske • Maskenpflicht • Medikamente • Mundschutzmaske • Pandemie • psychische Folgen Corona • Reisen • Resilient • Resilienz • Rezession • Rücksicht • SARS • Social Distancing • soziale Distanzierung • Soziales Ungleichgewicht • Soziale Ungerechtigkeit • Stillstand • Tröpfcheninfektion • Urlaub • Vereinsamung • Verschwörungstheorie • Virologe • Virus • Wirtschaftliche Folgen Corona • Wirtschaftskrise Corona • Zweiklassengesellschaft |
| ISBN-10 | 3-96121-609-6 / 3961216096 |
| ISBN-13 | 978-3-96121-609-3 / 9783961216093 |
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