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Totalitarismus und Kalter Krieg (1920-1970) -  Guido Thiemeyer

Totalitarismus und Kalter Krieg (1920-1970) (eBook)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
162 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-034428-0 (ISBN)
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Ausgelöst durch den Ersten Weltkrieg veränderte sich Europa zwischen 1920 und 1970 in grundlegender Weise. Die erste Welle der Demokratie nach 1918 endete im Totalitarismus der 1930er Jahre und im Zweiten Weltkrieg. Auch die Versuche, mit dem Völkerbund ein System kollektiver Sicherheit in Europa zu schaffen, waren erst mit der UNO und der Europäischen Integration nach 1945 erfolgreich. Zugleich entwickelten sich Gesellschaft, Technik und Recht in rasanter Weise. Diese komplexen Entwicklungen ordnet Guido Thiemeyer nach Kategorien wie Staat, Recht, Wirtschaft, Technik oder Gesellschaft. Auf diese Weise gelingt es dem Autor, die vielen unübersichtlichen Entwicklungsstränge knapp und anschaulich zu erschließen.

Professor Dr. Guido Thiemeyer ist Lehrstuhlinhaber für Neuere Geschichte an der Universität Düsseldorf.

Professor Dr. Guido Thiemeyer ist Lehrstuhlinhaber für Neuere Geschichte an der Universität Düsseldorf.

 

2          Staat


 

 

 

2.1       Vorbemerkungen


Das Ende des Ersten Weltkriegs und die durch die Pariser Vorortverträge geschaffene neue internationale Ordnung in Europa markieren einen wichtigen Wendepunkt für die Geschichte des europäischen Nationalstaates im Innern wie für die Außenpolitik. Auch wenn nicht alle Kontinuitätslinien abbrachen, war nach dem Krieg eine Rückkehr zu den Vorstellungen von Staatlichkeit des 19. Jahrhunderts unmöglich geworden. Das betraf zunächst das europäische Staatensystem. Dieses war im 19. Jahrhundert durch die Dominanz der fünf europäischen Großmächte und ihre Politik geprägt worden. Es verändert sich nach 1918 in mehrfacher Weise: Erstens weitete sich das Staatensystem endgültig ins Globale aus, die USA, Japan und China wurden nun Akteure im System, deren Bedeutung von den europäischen Regierungen berücksichtigt werden mussten. Zweitens veränderten die bolschewistische Revolution in Russland und die starke Dominanz der USA in Europa die Bedeutung der Ideologien für die europäische Politik bis 1990. Der Völkerbund als erster Versuch einer kollektiven Sicherheitspolitik hatte unter diesen Bedingungen von Beginn an einen schweren Stand. Schließlich beschleunigten der Weltkrieg und die durch ihn ausgelöste Krise in Europa den bereits vor 1914 begonnenen Prozess der Auflösung der Kolonialreiche. Nach 1945 wurde die europäische Staatenordnung sehr stark vom Bipolarismus des Ost-West-Konfliktes geprägt.

Auch die innere Struktur der europäischen Staaten veränderte sich nach dem Krieg. Die Vielvölkerreiche Russland und die Donaumonarchie lösten sich auf und eine Welle der Demokratisierung führte in vielen Staaten zu republikanischen Systemen. Gleichzeitig entstand in Italien (ab 1922/24) der erste totalitäre Staat, der eine Vorbildfunktion für viele europäische Rechtsparteien erlangte. Dagegen wurde die Sowjetunion zum Referenzpunkt für die europäischen kommunistischen Parteien. Durch die Veränderungen in der Weltwirtschaft entwickelte sich zudem auch der Interventionsstaat, der regulierend in die Märkte eingriff. Wichtig war zudem, dass die Mobilisierung der Menschen durch den Nationalismus v. a. zwischen 1920 und 1945 einen neuen Höhepunkt erreichte. Auch nach 1945 blieb der Nationalstaat als Ordnungsprinzip dominant, auch wenn sich in stärkerem Maße als je zuvor Regierungsformen jenseits des Nationalstaates entwickelten.

Insgesamt lassen sich zwei generelle Tendenzen in der Geschichte der Staatlichkeit zwischen 1920 und 1970 festhalten: Zum einen führte die zunehmende technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Verflechtung dazu, dass die Autonomie des Nationalstaates in Frage gestellt wurde. Die Souveränität des Nationalstaates in Europa wurde zwar immer wieder als politisches Ziel betont, gleichzeitig aber verloren nationale Regierungen angesichts der grenzüberschreitenden technischen und wirtschaftlichen Vernetzung in vielen Sektoren ihre Autonomie. Diese Entwicklung war kein gradliniger Prozess, aber eine langfristige Tendenz. Zum anderen gab es einen Trend zur Demokratisierung der europäischen Staaten. 1918 setzte eine erste Welle der Demokratisierung ein, nach 1945 ein zweite, sodass sich dieses Modell bis Mitte der 1970er Jahre (Demokratisierung von Spanien und Portugal) in ganz Westeuropa als Standard durchgesetzt hatte. Nach 1990 weitete sich das Prinzip auch auf Osteuropa aus. Auch für diese Tendenz gilt, dass sie nicht gradlinig verlief, sondern, je nach Nationalstaat, durch Seiten- und Umwege charakterisiert war.

2.2       Veränderung staatlicher Strukturen im globalen Umfeld


Der Erste Weltkrieg hatte, gemessen an den Kriegszielen der beteiligten Hauptmächte, nicht zu einem eindeutigen Ergebnis geführt. Von den beiden gegenüberstehenden Mächtegruppen, der Entente und den Mittelmächten, hatte keine die ursprünglich angestrebten Ziele im Sinne eines Siegfriedens erreicht. Wäre es dazu gekommen, hätte es entweder ein von Großbritannien toleriertes deutsch-dominiertes Kontinentaleuropa gegeben oder, im Falle eines vollständigen Sieges der Entente, wäre das Deutsche Reich als eigenständiger Akteur aus der europäischen Politik ausgeschieden und aufgeteilt worden. Vor diesem Hintergrund hatten die Pariser Friedensverhandlungen das Ziel, erstens den Krieg zu beenden und zweitens unter der Bedingung der Weiterexistenz beider Mächtegruppen eine stabile Staatenordnung zur Vermeidung eines weiteren Konfliktes zu schaffen. Daher strebten die Regierungen der Entente (v. a. Frankreich, Großbritannien und die USA) danach, Sicherheit vor Deutschland zu garantieren. Dies geschah durch territoriale Abtretungen des Reiches (v. a. Elsass-Lothringen im Westen und großer Gebiete im Osten), durch Rüstungsbeschränkungen sowie durch wirtschaftliche Beschränkungen (Reparationen).

Zudem wurde der Völkerbund als neue internationale Organisation gegründet. Mit ihm verband sich die Idee, Frieden und Sicherheit im internationalen System der Staaten durch Schiedsgerichte und Abrüstung zu garantieren. Neu war der Gedanke eines Systems der kollektiven Sicherheit. Das bedeutete, dass ein militärischer Angriff auf einen Mitgliedstaat als Angriff auf alle Mitgliedstaaten interpretiert wird. Diese werden daher automatisch zu Bundesgenossen des angegriffenen Staates. Auf diese Weise sollten kriegerische Auseinandersetzungen verhindert werden. Zugleich sollten im Rahmen des Völkerbundes Konflikte durch Verhandlungen gelöst werden. Die zentralen Institutionen des Völkerbundes waren der Völkerbundrat, in dem die Großmächte einen permanenten Sitz hatten. Die Völkerbundversammlung aller Mitglieder tagte einmal pro Jahr und konnte wie der Rat nur einstimmig entscheiden.

Abb. 1: Völkerbund.

Der Völkerbund konnte die in ihn gesetzten Erwartungen jedoch kaum erfüllen. Zwei Hauptgründe waren hier relevant: Zum einen zogen sich die USA, deren Präsident Woodrow Wilson das Projekt angestoßen hatte, aus innenpolitischen Gründen schnell zurück und wurden nicht Mitglied im Völkerbund. Hierdurch wurden die Idee und das Konzept der kollektiven Sicherheit massiv beschädigt. Zum anderen waren auch die europäischen Staaten nicht immer bereit, die durch die Kooperation notwendige Einschränkung nationaler Souveränität zu akzeptieren, nahezu alle Regierungen folgten dem Leitbild des möglichst unabhängigen Nationalstaates und lehnten internationale Verpflichtungen, in welchem Feld auch immer, nach Möglichkeit ab. Trotz dieser Widerstände setzte sich das System kollektiver Sicherheit im Laufe des 20. Jahrhunderts durch. Das Vertragssystem von Locarno vom 1. Dezember 1925, mit dem der Konflikt um die Westgrenze des Deutschen Reiches beigelegt wurde, war hier ein Zwischenschritt. Auch bei der Neuordnung des internationalen Staatensystems nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Konzept der kollektiven Sicherheit durch internationale Organisationen leitend. Die Vereinten Nationen, die am 26. Juni 1945 in San Francisco formal gegründet wurden, beruhten auf diesem Prinzip. Gleiches gilt für die Vielzahl an internationalen Organisationen, die in Europa, aber auch in anderen Teilen der Welt seit den 1950er Jahren entstanden. Die Bedeutung der internationalen Organisationen kollektiver Sicherheit ist ambivalent: Einerseits ist es – entgegen der idealistischen Erwartungen nach den Weltkriegen – nicht gelungen, militärische Konflikte zu verhindern. Oft standen die internationalen Organisationen ohnmächtig vor der Entschlossenheit von Konfliktparteien zu den Waffen zu greifen. Andererseits gibt es durchaus auch Beispiele dafür, wie Kriege durch die Intervention internationaler Organisationen vermieden werden konnten. Trotz dieser ambivalenten Bilanz sollte aber nicht vergessen werden, dass die internationalen Organisationen, v. a. der Völkerbund, die UNO und auch die Europäischen Gemeinschaften ab 1958 wichtige Funktionen bei der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Kooperation zwischen Staaten leisteten. Das betraf beispielsweise Verkehrsinfrastrukturen (Eisenbahn, Luftfahrt) oder Kommunikationsinfrastrukturen (Telefon, Post), die ohne intensive transnationale Kooperation gar nicht funktionieren können. Gleiches gilt für die Organisation internationaler Wirtschafts- und Währungsbeziehungen, aber auch rechtlicher Standards (Patente, Urheberrechte etc.). Der Wunsch nach Frieden zwischen den Staaten unter den Bedingungen moderner Rüstung und die Veränderung der Verkehrs- und Kommunikationstechnik waren daher wichtige Antriebskräfte bei der Internationalisierung von Staatlichkeit.

Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Europäischen Integration zu. Bereits im frühen 19. Jahrhundert,...

Erscheint lt. Verlag 30.10.2019
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Guido Thiemeyer, Christian Henrich-Franke
Zusatzinfo 13 Abb.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Zeitgeschichte
Schlagworte Globalisierung • Kalter Krieg • Wiedervereinigung • Wirtschaft
ISBN-10 3-17-034428-5 / 3170344285
ISBN-13 978-3-17-034428-0 / 9783170344280
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