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Das Hotel von Aleppo (eBook)

Die Geschichte eines Landes und einer Familie
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
320 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-22060-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Hotel von Aleppo -  Flavia Amabile,  Marco Tosatti
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Aleppo - heute Kriegsschauplatz - ehemals kulturelles Zentrum Syriens und eine der ältesten Städte des Nahen Ostens. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in Aleppo das Hotel Baron (Anredeform für Männer auf Armenisch) erbaut, das bis heute in der Hand einer Familie blieb. Das Gebäude ist nicht nur eines der prächtigsten der Stadt, in dem an marmornen Tischen lange Zeit die Politik Syriens verhandelt wurde, es lieferte - mit Gästen wie Lawrence von Arabien und Agatha Christie - auch Stoff für viele geheimnisumwobene Geschichten.

Eine literarische Zeitreise in ein Land, das im Moment im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht und eine spannende Familiengeschichte eingebettet in die Atmosphäre des Orients.

Flavia Amabile arbeitet als Journalistin für die italienische Tageszeitung 'La Stampa'. Sie hat verschiedene Bücher, darunter Reiseberichte und Sachbücher, veröffentlicht. Für 'Das Hotel von Aleppo' besuchte sie den letzten Nachkommen der Familie Mazloumian in Aleppo.

Marco Tosatti, widmet sich als Autor und Journalist vor allem historischen Stoffen. Zusammen mit Flavia Amabile hat er bereits zwei Bücher veröffentlicht.

4

»Genug, wir wollen europäische Musik«, protestierte jemand, der offenbar ein Glas Champagner zu viel getrunken hatte, vom Ende des Saals her. Die türkische Militärkapelle beendete das melancholische osmanische Stück und stimmte Deutschland, Deutschland über alles an. Im Saal hallte das Klappern von Stiefelabsätzen wider. Die deutschen Offiziere standen stramm. So verharrten sie: kerzengerade, feierlich und ein wenig fehl am Platz in dieser Menge aus Arabern, Armeniern, Türken und weiteren Fremden. Die Hymne – eine Huldigung an das große und gefürchtete Deutschland, das entschlossen war, die Macht Englands und Frankreichs im Nahen Osten zu schwächen – erfüllte den gesamten mit Lampen, Kerzenhaltern und goldbemaltem Stuck geschmückten Saal.

Als der letzte Ton verklungen war und die Trompeten Eine feste Burg anstimmten, gaben die kaiserlichen Offiziere ihre hölzern steife Haltung, zu der sie die Vaterlandsliebe und die Gegenwart all der zum Fest der Mazloumians erschienenen Fremden genötigt hatten, endlich auf.

Es war im November 1911. Man feierte die Eröffnung des größten, modernsten und wohl bekanntesten Hotels in der im nördlichen Syrien gelegenen Metropole: ein mondänes Ereignis ersten Ranges für das damalige Aleppo. Für die Gestaltung des musikalischen Rahmens hatte das türkische Kommando eine Kapelle nach preußischem Vorbild entsandt: Trommeln, Holz- und Blechbläser und dazu Uniformen mit Schnurbesatz von martialischer Pracht.

Etwa 20 Jahre waren seit dem Nachmittag vergangen, an dem Krikor, Turvanda und ihre Kinder niedergekniet waren, um Gott für das neue Leben zu ihren Füßen zu danken. Ein neues Jahrhundert war angebrochen, die Armenier hatten diese Schwelle unter Leiden, Trauer und Verfolgung überschritten. Argwohn, Misstrauen und aufkeimender Rassenhass, der in unverhohlene Grausamkeit und Brutalität münden sollte, waren das gängige Verhalten, das man den Nachkommen eines der ältesten Völker der Welt entgegenbrachte. Gezwungen, ein Leben als Christen unter Muslimen, als Armenier unter Türken zu führen, wurden ihre Aussichten auf Gleichstellung seitens der osmanischen Regierung ebenso enttäuscht wie die feierlichen Schutzversprechen der mit ihren Grabenkämpfen an der Schwelle zur Hohen Pforte anderweitig beschäftigten europäischen Mächte.

Doch Aleppo war anders und die Familie Mazloumian ebenfalls. Krikor hatte recht daran getan, sich zur Auswanderung zu entschließen. Und ebenso, sein Vermögen in ein Hotel zu investieren. Die Geschäfte florierten derart, dass auch die beiden Söhne Onnig und Armen in seine Fußstapfen traten. Sie eröffneten zwei kleine Hotels, jeder auf eigene Faust. 1904 beschlossen sie, sich zusammenzutun, und gründeten mit dem Segen des Vaters das Hotel du Parc, eine Perle an Eleganz und Fortschrittlichkeit, mit der ein erster Schritt zu internationaler Berühmtheit vollzogen war. Vor allem aber bot dieses Hotel eine willkommene Abwechslung für Abenteuerlustige und Reisende. Türkische Paschas und sächsische Fürsten, Gertrude Bell und der Schah von Persien waren zu Gast bei den beiden Brüdern, und niemand betrachtete die Mazloumians länger als Flüchtlinge oder Leute vom Land, die es zu meiden galt. Zum Zeichen des Respekts sprach man sie mit Baron an, was auf Armenisch so viel wie »Herr« bedeutet.

Einige Jahre später begann in den Augen der beiden Barone von Aleppo auch diese neue Perle ihren Glanz zu verlieren. In jener Zeit wurde die Idee eines großen, komplett neuen und modernen Hotels, wie es die Stadt noch nie gesehen hatte, geboren. Ab 1908 hatten Onnig und Armen für nichts anderes mehr Zeit und Geld als für dieses Projekt. Etwas außerhalb von Aleppo, in der Nähe des Bahnhofs, hatten sie Land erworben. Sie ließen – eigens aus Paris! – den armenischen Modearchitekten der französischen Belle Époque, Kaspar Nafilyan, kommen und arbeiteten gemeinsam mit ihm die Entwürfe aus. Aus dem avantgardistischen Ägypten kam der Zement, ein für Aleppo höchst ungewöhnliches Material. In dieser orientalischen Stadt war man gewohnt, mit dem weißen Gestein aus dem nahen Gebirge zu bauen. Ebenfalls aus Ägypten stammten die Keramikfliesen, die Maurer und Zimmerleute. Aleppo seinerseits steuerte Neugierde bei. Geschwätz und Staunen waren die täglichen Begleiter der Arbeiten. In den Cafés und den großen Suks wurde das Hotel zum Pflichtthema eines jeden Gesprächs, so wie man sich über das Wetter oder Politik unterhielt. Und bereits damals war es das Hotel Baron, das Hotel der Barone.

Endlich brach der große Tag der Eröffnung an, das weltliche Ereignis des Jahres: eine schwere Niederlage für das Ansehen derer, die nicht geladen waren. Nach Sonnenuntergang setzte sich ein Zug aus Kutschen in Bewegung. Alle waren dabei: die Deutschen, denen die Fertigstellung der Bagdadbahn oblag, jener Eisenbahnstrecke, mit der die Expansionspläne der Junker bis zum Persischen Golf ausgedehnt wurden. Da waren der Wali von Aleppo, die Offiziere der Jungtürken, die ausländischen Konsuln und die Brüder der Kustodie des Heiligen Landes, an deren Schule Onnig und Armen Französisch und Italienisch gelernt hatten. Und dann all die ausländischen Familien, die seit Jahrhunderten in Aleppo lebten und für immer aus dem Handel mit den ihnen inzwischen fremd gewordenen Herkunftsländern ausgeschlossen blieben: die Marcopolis, Gerardis, Draghis und Levantis und ihre griechischen, französischen oder englischen Pendants.

Das neue Hotel erhob sich einige Hundert Meter entfernt von der Stadtmauer und dem Suk einsam inmitten einer unbewohnten Gegend, ganz in der Nähe des Flussufers. Wie nicht anders zu erwarten, überkam die edelsteingeschmückten Damen ein Schaudern, als sie diesen verlassenen Landstrich mit der Kutsche durchquerten, und sie wurden nicht müde, immer wieder die längst bekannte Leier anzustimmen: »Die Mazloumians sind wirklich verrückt, an so einem Ort zu bauen! Wer wird schon hier draußen, der Willkür von Banditen ausgeliefert, nach einer Unterkunft suchen.«

Am Eingangstor kam es zur nächsten Überraschung und zu Kritik. Der für Aleppo so ungewöhnliche graue Zement verlieh dem massiven Gebäude eine düstere Aura. »Das entspricht nicht dem Stil unserer Stadt«, kommentierten die Honoratioren. Vor allem den Türken entging nicht, dass das Schild über dem Eingangstor mit der Aufschrift Hotel Baron auf Arabisch, Armenisch und Englisch, nicht jedoch in ihrer Sprache gedruckt war. Und ihre pomadisierten Schnurrbärte verzogen sich zu einer missbilligenden Grimasse.

Doch diese verwandelte sich sogleich in ein Lächeln: Im Eingangstor standen Baron Armen und Baron Onnig, beide schmal und zum Zeichen erlangter Reife mit gestutzten Oberlippenbärten, um jeden mit ausgestreckter Hand zu empfangen. Abwechselnd führten sie die Gäste durch die weitläufige, mit der wohl eindrucksvollsten Freitreppe der Stadt versehene Vorhalle bis in den Festsaal, um gleich darauf zum Eingang zurückzukehren.

Dutzende Petroleumlampen und hundertarmige Kerzenleuchter tauchten den Saal in taghelles Licht. Auf den Blechblasinstrumenten der türkischen Kapelle im Hintergrund reflektierten funkelnde Lichtschimmer. An der Wand gegenüber bog sich eine gigantische Tafel unter der Last von Tabletts, Tellern, Speisen und Champagner. Alles stand derart dichtgedrängt, dass selbst die Türken die auf das schneeweiße Tischtuch gestickten armenischen Monogramme nicht bemerkten. Hier und dort hielten, zu kleinen Grüppchen versammelt, die internationalen Akteure Konversation. Engländer, Franzosen, Araber und Deutsche diskutierten lebhaft das Thema des Tages: die neue Eisenbahnlinie und ihre militärische Nutzung. Seit Kurzem reichte sie bis nach Aleppo und würde das Leben und die Perspektiven dieser zweitwichtigsten Stadt des Reiches verändern.

Stolze Protagonisten des ganzen Unterfangens waren die Deutschen mit ihren Ingenieuren und Offizieren. Hellhäutig und mit kurzgeschorenem Blondhaar, die Mützen unterm Arm und die Handschuhe in der Hand, erläuterten sie allen Interessierten die Wunder der zukünftigen Eisenbahn und deren strategische Vorteile, um im Wettlauf um Mesopotamien den Zaren und die britische Krone zu schlagen. »Wir werden nach Bagdad gelangen, so wie man zwei Punkte durch eine Linie verbindet«, erklärten sie, »während die englische Flotte einen ganzen Kontinent umschiffen muss, um dasselbe Ziel zu erreichen.«

Genau in diesem Augenblick geschah es, dass ein türkischer Offizier, der ein Glas Champagner zu viel getrunken hatte, wie bereits erwähnt, nach europäischer Musik verlangte. Die Wahl von Deutschland, Deutschland über alles war keine Glanzleistung der Diplomatie. Um das verärgerte Murren aus der französisch-britischen Ecke zu beschwichtigen, hob jemand eilig sein Glas und rief in entschiedenem Ton: »Meine Herrschaften, stoßen wir auf das Hotel Baron an!« Ein vielstimmiger Chor aus Glückwunschbekundungen erfüllte den Saal. Die gefüllten erhobenen Gläser schillerten im Licht der Kerzenleuchter, der drohende Eklat war abgewendet. »Lasst uns auch auf unsere Stadt anstoßen!«, schlug jemand anderes vor. Während sich die Gläser erneut hoben, sank auf dem spiegelblanken Holzparkett eine helle Gestalt in sich zusammen.

Es war Armens Frau Ieranik. Neun Jahre zuvor hatte sie ihrem Mann einen Sohn, Antranik, geschenkt. Danach war ein Mädchen zur Welt gekommen. Nun war sie seit dem Frühjahr erneut schwanger und ihre Zeit war fast gekommen. Doch an diesem Abend hatte sie hartnäckig jeden Rat, sich zu schonen und sich bloß nicht anzustrengen, zurückgewiesen: »Ich bin nicht krank, sondern erwarte ein Kind.« Sie hatte sich mit der für...

Erscheint lt. Verlag 23.4.2018
Übersetzer Franziska Kristen
Zusatzinfo div. Abb. in Farbe
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel I baroni di Aleppo
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte 20. Jahrhundert • Agatha Christie • eBooks • Geschichte • Italien • Lawrence von Arabien • Orient • Syrien
ISBN-10 3-641-22060-2 / 3641220602
ISBN-13 978-3-641-22060-0 / 9783641220600
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