Ohne Euch wäre ich aufgesessen (eBook)
464 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1508-6 (ISBN)
Rudolf Ditzen alias HANS FALLADA (1893 Greifswald - 1947 Berlin), zwischen 1915 und 1925 Rendant auf Rittergütern, Hofinspektor, Buchhalter, zwischen 1928 und 1931 Adressenschreiber, Annoncensammler, Verlagsangestellter, 1920 Roman-Debüt mit 'Der junge Goedeschal'. Der vielfach übersetzte Roman 'Kleiner Mann - was nun?' (1932) macht Fallada weltbekannt. Sein letztes Buch, 'Jeder stirbt für sich allein' (1947), avancierte rund sechzig Jahre nach Erscheinen zum internationalen Bestseller. Weitere Werke u. a.: 'Bauern, Bonzen und Bomben' (1931), 'Wer einmal aus dem Blechnapf frißt' (1934), 'Wolf unter Wölfen' (1937), 'Der eiserne Gustav' (1938).
Rudolf Ditzen – Neumünster-Holstein – Schützenstr, 29 II
Am 20.12.1928.
Liebe Ibeth, lieber Heinz,
ich bitte Euch zu diesem Weihnachtsfeste, wenn auch noch nicht zu vergeben und zu vergessen, mir doch noch ein letztes Mal eine Möglichkeit zu geben. Ich habe mich in den letzten Jahren geändert, und ich wäre Euch so sehr dankbar, wenn Ihr es noch einmal mit mir versuchen wolltet. Ich werde Euch mit nichts lästig fallen. Aber wenn ich Euch wenigstens dann und wann einmal von meinem Ergehen schreiben darf und das Gefühl haben könnte, dass Ihr meine Briefe nicht ganz ablehnend, wenn auch vorläufig nur abwartend aufnehmt, so bin ich Euch schon dankbar.
Ich denke, dass Ihr von Mutti gehört haben werdet, dass mein Geschick endlich eine gute Wendung genommen hat, dass die qualvollen Monate mit ihrem Suchen und Warten vorüber sind und dass ich endlich eine feste Stellung gefunden habe. Dass sie grade in einem Zeitungsbetriebe ist oder doch wenigstens sehr eng mit ihm zusammenhängt, sehen sowohl die Eltern wie auch meine hiesigen Freunde für besonders günstig an. Von mir zu schweigen. Wie glücklich ich bin, das kann ich niemandem sagen. Und wie dankbar den Eltern, die mir dies ermöglichten.
Natürlich ist noch vieles sehr neu für mich, auch muss ich mich selbstverständlich von der Pike aufarbeiten. Aber ich werde mich schon durchbeißen, und mein neuer Chef sieht die Sache auch nur als ein Sprungbrett für mich an und hat viel mehr mit mir im Sinne. Aber selbstverständlich kommt das Mehr nicht schon heute oder morgen, ich werde wohl erst ein paar Jahre hier arbeiten müssen. Aber ich bin ja so glücklich, dass ich endlich eine vernünftige Arbeit gefunden habe.
Heute habe ich den Brief von Mutti bekommen, durch den auch die letzten Formalitäten erledigt sind. In dieser Stunde will ich Euch schreiben. Und ich möchte Euch wünschen, dass Ihr ein ebenso glückliches und innerlich ruhiges Fest verleben möchtet wie ich.
Mit den herzlichsten Wünschen und Grüßen bin ich
Euer
Rudolf Ditzen – Neumünster-Holstein – Schützenstr, 29 II
Am 20.12.1928.
Liebe Dete, lieber Fritz,
erlaubt mir, dass ich Euch zum Weihnachtsfeste meine Grüße sende und dass ich Euch auch in Zukunft dann und wann einmal über mein Ergehen schreiben darf und nach dem Euern fragen. Ich habe ja auch in den letzten Jahren einige Male mit Euch korrespondieren dürfen, aber da handelte es sich ja stets um Anliegen von meiner Seite. Mit diesen Anliegen soll es nun vorbei sein. Wenn ich Euch jetzt schreibe, so darum, Euch zu bitten, die Verbindung mit mir nicht ganz aufzugeben und mir noch einmal eine Chance zu geben. […]
Wenn Ihr nun noch so freundlich seid, mir das Gefühl zu geben, dass ich die Verbindung mit der Familie nicht ganz verloren habe, werde ich ganz glücklich sein. Ich wünsche Euch von Herzen, dass Ihr ein ebenso glückliches und innerlich befriedigtes Weihnachtsfest feiern möget wie ich. Noch einmal herzlichen Dank für die Schreibmaschine, sie ist mein wertvollstes Besitztum.
Herzlichst grüßt Euch
Euer
Elisabeth Hörig – Braunschweig – Hamburgerstr. 249
Braunschweig, den 1.1.1929.
Lieber Rudolf,
das Erste im neuen Jahr soll sein, dass wir Dir von Herzen dazu Glück wünschen. Ich hätte dies schon eher getan, wenn ich nicht die üblichen Grippeerscheinungen zu überwinden gehabt hätte. [...]
Ich freue mich sehr, sowohl um Deinetwillen als um der Eltern willen, dass Du jetzt einen Beruf und eine Stellung gefunden hast, die Dir zusagen und Aussichten bieten. Ich will gerne Optimist sein und Dir den Daumen halten. Wir wollen doch lieber nur an die Zukunft denken; die Vergangenheit ist Deine Sache, und offen gestanden, wir meinen, dass zwischen uns von »Vergeben« nicht die Rede sein sollte. So sehr fühlen wir uns nicht als Vertreter des Staates und der Gesellschaft, dass wir uns persönlich getroffen fühlten. Wenn wir auf einem ganz neuen Blatte anfangen, so ist damit natürlich nicht gemeint, dass man nicht mehr wüsste, was auf dem vorigen gestanden hat. Aber man braucht ja nicht dauernd zurückzublättern, sondern kann sich lieber darüber freuen, dass auf dem neuen was Schönes steht. Also: 1929 soll leben!
Wir wünschen uns auch allerlei von ihm; wir haben auch so unsere Sorgen. Der Klavierindustrie geht es schlecht, weil jedermann sich Radio und Grammophon kauft und eher die Anschaffung einer Eismaschine als eines Flügels in Betracht zieht. Die kleinen neuen Wohnungen erlauben kaum die Unterbringung eine Klavierchens … Dabei ist Heinz persönlich sehr interessiert an seiner Arbeit; die Physik des Flügels ist ungeheuer interessant, aber auch höchst schwer und erfordert eigentlich mehr Kräfte als die eines einzelnen Menschen. Wenn er dazu noch sein eigener Mechaniker sein muss, so kann er nicht so schnell vorwärtskommen, wie er wünscht. Ich arbeite mit ihm, zeichne viel technisch, besonders Rechentafeln sind augenblicklich meine Spezialität. Dann habe ich Literatur zusammenzustellen. Für den Haushalt bleibt nicht viel Zeit übrig. Unsere Tochter ist nun schon schrecklich groß geworden; Ostern kommt sie, durch ihre Krankheit verspätet, ins Lyzeum. […]
Immer Deine
Ibeth
Rudolf Ditzen – Neumünster-Holstein – Johannisstr. 4 I
Am 8.II.29.
Liebe Ibeth,
ich habe es ein bissel lang anstehen lassen mit meiner Antwort auf Deinen Neujahrsbrief. Aber ich bin jetzt sozusagen aus dem tiefsten Schlaf heraus ein viel geplagter Mann geworden, und ich denke, Du wirst mir für die Verzögerung Pardon geben. […]
Du willst wissen, wie es auf einer Zeitung aussieht. Ach, liebe Ibeth, wir sind ja nur ein Käseblättchen mit Normalauflage von 4500 Stück, und ich bin der allerjüngste und, dass ich es sage, laufendste Käse im Betriebe. Im Grunde liegt die Sache sehr einfach und wird für alle Blätter bis zu 20000 Auflage ähnlich liegen, alles, was nicht Lokales ist, wird fertig von Korrespondenzbüros bezogen, die einen geradezu mit Stoff überschwemmen. Dazu werden noch ein paar gute Tageszeitungen gehalten und aus denen, was gefällt, mit der Schere zusammengestohlen, und nun ist die Zeitung bis auf den lokalen Teil fertig. Der ist natürlich das Wichtigste – nein, das Wichtigste sind natürlich die Annoncen – also das Zweitwichtigste, und der wird so von einem Manne, dem Lokalredakteur, zusammengeschustert, aus der Konkurrenz abgeschrieben und von den Interessierten als Lokalnotiz ins Haus getragen.
Wenn Du nun nach meiner Tätigkeit bei alledem fragst, so bin ich als der Laufende vor allen Dingen Inseratenwerber, und das ist ein sehr bitteres Brot, kann ich Dir nur verraten, vor allem, da ich nicht die geringste Eignung besitze, jemand, der seine Ladenhüter absolut nicht loswerden kann, davon zu überzeugen, durch ein Inserat bei uns fliegen sie nur so.
Dann habe ich als den allgemeineren Teil meiner Tätigkeit und sehr viel lieberen die Berichterstattung über die wissenschaftlichen und politischen Vorträge. Jetzt sitze ich beinahe jeden Abend, den Gott werden lässt, irgendeinem Redner zu Füßen und höre bald von Blutgruppen, bald von Weltwirtschaft, bald von dem unbekannten Amerika. Schlimm wird der Fall erst, wenn ich mal wegen Fehlens anderer Klavierkonzerte oder gar, wie schon geschehen, Orgelkonzerte von Bach rezensieren muss – ich mache Schlangenwindungen, um mich da ohne Blamage herauszuwickeln.
Nebenbei bin ich noch Kassierer und Schriftführer der Reichswirtschaftspartei, Kassierer der Leipziger Fürsorge (einer Krankenkasse), Korrespondenzler und Tarifler der Gastwirtsinnung, Sekretär des Wirtschafts- und Verkehrsvereins, Mitherausgeber der Schleswig-Holsteinischen Verkehrszeitung und der Nachrichten des Städt. Kraftwerks Neumünster und z.Z. Mitglied des Großen Rats der Großen Karnevalgesellschaft (auch dienstlich und sehr gegen meinen Geschmack).
Wenn Du nur jeder meiner Tätigkeiten täglich eine kurze Spanne zumisst, und manche Spannen sind gar nicht kurz, so wirst du mir’s glauben, dass ich meistens wie ein Hirsch durch die Stadt jage und dass ich eine ständig unbefriedigte Neigung für Schlaf habe. […]
Euer
Rudolf
Rudolf Ditzen – Neumünster-Holstein – Johannisstr. 4 I
Am 10. Februar 1929.
Liebe Dete,
Du weißt gar nicht, eine wie große Freude Du mir durch die Übersendung der Sachen gemacht hast. Seit ich nun wieder in ein wenig geregelten Verhältnissen und in Ruhe und Ordnung lebe, ist die Freude am Eigentum, am eigenen Besitz wieder in mir erwacht, und nirgends fühle ich mich so wohl wie in meinen eigenen vier Wänden, zwischen meinen Büchern und Bildern.
Schmerzlich lag mir noch immer auf der Seele einiges, was mir aus Neuhaus fehlte, so z.B. die fehlenden 5 Bände meiner 10-bändigen Casanovaausgabe, ein neuer oder fast neuer Anzug, ein Föhnapparat. Bis auf den Letzteren ist nun alles wieder bei mir, und ich habe mich gefreut wie ein Stint, als ich am vergangenen Montag diese Herrlichkeiten auspackte. Der Anzug ist schon beim Schneider, die Oberhemden bereits von der Wäscherin zurück, die Bücher prangen in Reih und Glied auf dem schönen großen Bücherbrett, das ich hier in meiner neuen Wohnung – einer wesentlichen Verbesserung meines alten Zustandes – habe, und nun bleibt mir nur, Dir zu danken. […]
Euer
Rudolf
[Ibeth]
Braunschweig, den 4.5.1929.
...| Erscheint lt. Verlag | 15.6.2018 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
| Literatur ► Briefe / Tagebücher | |
| Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► 1918 bis 1945 | |
| Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
| Schlagworte | 20. Jahrhundert • Briefe • Fallada • Familie • Gefängnistagebuch • Geschwister • Geschwisterbriefe • Hans Fallada • Jeder stirbt für sich allein • Kleiner Mann – was nun? • Schriftsteller • Zweiter Weltkrieg |
| ISBN-10 | 3-8412-1508-4 / 3841215084 |
| ISBN-13 | 978-3-8412-1508-6 / 9783841215086 |
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