Effektiver Altruismus (eBook)
250 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-74513-7 (ISBN)
Wer so viel Gutes wie möglich tun will, sollte besser auf seinen Verstand hören als auf seinen Bauch. Diese simple Idee ist Ausgangspunkt einer neuen sozialen Bewegung - des effektiven Altruismus. Peter Singer, einer ihrer Gründerväter, zeigt, wie effektives Spenden möglich und warum es richtig ist. Sein Buch ist ein Aufruf zu einem in doppelter Hinsicht gelungenen Leben: Indem man für andere das Bestmögliche tut, gibt man dem eigenen Leben Sinn.
<p>Peter Singer, geboren 1946, ist Ira W. DeCamp Professor of Bioethics am University Center for Human Values der Princeton University sowie Laureate Professor an der School of Historical and Philosophical Studies der University of Melbourne. Er ist einer der zentralen Vordenker der internationalen Tierrechtsbewegung und gilt als der bekannteste und umstrittenste Moralphilosoph der Welt.</p>
1. Was ist der effektive Altruismus?
Ich lernte Matt Wage im Jahr 2009 kennen, als er mein Seminar »Praktische Ethik« an der Princeton University besuchte. In der Seminarlektüre ging es um die weltweite Armut und was wir dagegen unternehmen sollten. Matt fand eine Schätzung, die angab, wie viel es kostet, das Leben eines der Millionen von Kindern zu retten, die jedes Jahr an Krankheiten sterben, die wir eigentlich verhüten oder heilen können. Dies brachte ihn darauf, auszurechnen, wie viele Menschen er im Lauf seines Lebens retten könnte. Dazu setzte Matt ein Durchschnittseinkommen an, von dem er 10% an eine hocheffektive Organisation spenden wollte, also eine, die beispielsweise Moskitonetze zur Prävention von Malaria – eine der Hauptursachen der Kindersterblichkeit – an Familien verteilt. Als er herausfand, dass er so etwa 100 Menschenleben würde retten können, sagte er sich: »Angenommen, du siehst ein in Flammen stehendes Haus, kämpfst dich durch das Feuer, trittst eine Tür ein und befreist 100 dahinter eingesperrte Menschen. Das wäre der beste Tag deines Lebens. Und ich könnte genauso viel Gutes tun!«[1]
Zwei Jahre später war Matt mit dem Studium fertig. Seine Abschlussarbeit wurde von der philosophischen Fakultät als beste des Jahres ausgezeichnet, und die University of Oxford ließ ihn zur Promotion zu. Viele Philosophiestudenten träumen von so einer Gelegenheit – ich jedenfalls tat das –, doch Matt hatte in der Zwischenzeit viel darüber nachgedacht und mit anderen diskutiert, welche berufliche Laufbahn es ihm erlauben würde, am meisten Gutes zu tun. Daraufhin traf er eine ganz andere Entscheidung: Er ging an die Wall Street, um für ein Unternehmen zu arbeiten, das im Arbitragehandel tätig ist. Ein höheres Einkommen ermöglicht es ihm, sowohl prozentual als auch absolut gesehen viel mehr zu geben als 10% eines Professorengehalts. Schon ein Jahr nach seinem Abschluss spendete Matt einen sechsstelligen Betrag – rund die Hälfte seines Jahresverdiensts – an hochgradig effektive Wohltätigkeitsorganisationen. So rettete er 100 Menschen das Leben, und zwar nicht im Lauf seiner ganzen Karriere, sondern innerhalb der ersten ein bis zwei Jahre seines Berufslebens – und ebenso in jedem weiteren, seitdem vergangenen Jahr.
Matt handelt effektiv altruistisch. Seine Berufswahl ist allerdings nur eine von mehreren Möglichkeiten, die effektiven Altruisten zur Verfügung stehen. Diese tun unter anderem Folgendes:
| • | bescheiden leben und einen großen Teil ihres Einkommens – oft viel mehr als den traditionellen Zehnten – an effektive Hilfsorganisationen spenden; |
| • | recherchieren und mit anderen darüber diskutieren, welche Wohltätigkeitsorganisationen am effektivsten sind, oder sich dabei auf Resultate anderer unabhängiger Gutachter stützen; |
| • | diejenige Karriere einschlagen, in der sie am meisten verdienen können – nicht, um in Saus und Braus zu leben, sondern, um mehr Gutes zu tun; |
| • | persönlich oder online mit anderen über das Spenden sprechen, damit die Ideen des effektiven Altruismus sich verbreiten; |
| • | einem Fremden einen Teil ihres Körpers spenden – Blut, Knochenmark oder sogar eine Niere. |
In den folgenden Kapiteln wird es um Menschen gehen, die diese Dinge getan haben.
Was vereint die gerade aufgezählten Handlungen unter dem Banner des effektiven Altruismus? Die Definition, die sich für diesen gerade einbürgert, lautet: »Eine Philosophie und soziale Bewegung, die Informationen und Verstand darauf verwendet herauszufinden, wie sich die Welt möglichst effektiv verbessern lässt.«[2] Die Definition schweigt sich sowohl über die Motive eines effektiven Altruisten als auch über die ihm entstehenden Kosten aus, was seltsam erscheinen mag, wo der Altruismus doch schon im Namen der Bewegung vorkommt. Üblicherweise wird diesem der Egoismus, also der Eigennutz, gegenübergestellt, aber dennoch sollten wir nicht glauben, der effektive Altruismus erfordere die Selbstaufopferung im Sinne von etwas, das den eigenen Interessen notwendig zuwiderläuft: Am besten für alle ist es, wenn man möglichst viel für andere tut und davon auch noch selbst profitiert. Wie ich in Kapitel 9 zeige, bestreiten viele effektive Altruisten, dass ihnen überhaupt etwas abverlangt wird – und dennoch handeln sie altruistisch, da sie in erster Linie darum bemüht sind, möglichst viel Gutes zu tun. Die Tatsache, dass sie selbst Erfüllung und Glück darin finden, schmälert ihren Altruismus nicht.
Psychologen, die sich mit dem Spendenverhalten beschäftigen, ist aufgefallen, dass manche Menschen erhebliche Summen an nur ein oder zwei Hilfsorganisationen spenden, während andere Menschen oft, aber wenig geben. Erstere informieren sich darüber, was diese Organisationen tun und ob sie wirklich einen positiven Einfluss haben. Sprechen die Indizien dafür, dann geben sie ihnen einen großen Betrag. Wer häufig kleine Summen spendet, ist dagegen nicht besonders daran interessiert, ob er anderen hilft. Psychologen nennen solche Menschen warm glow givers – Leute, die sich durch den Akt des Spendens ein gutes Gefühl verschaffen möchten und denen es nicht darauf ankommt, ob sie damit auch etwas bewirken. In vielen Fällen ist ihre Spende so gering (10 Dollar oder weniger), dass sie mit ein wenig Überlegung einsehen könnten, dass schon die Bearbeitungsgebühren deren Nutzen für die Hilfsorganisation wahrscheinlich übersteigen.[3]
Im Jahr 2013 versammelten sich zu Beginn der mit einer stark erhöhten Spendenbereitschaft verbundenen Weihnachtssaison 20 000 Menschen, um einen fünfjährigen, als »Batkid« verkleideten Jungen zu bestaunen, der in einem Batmobil und mit einem als Batman verkleideten Schauspieler an seiner Seite durch die Straßen San Franciscos fuhr. Die beiden retteten eine Jungfrau in Nöten und fassten den »Riddler« – heroische Akte der Verbrechensbekämpfung, für die sie vom Bürgermeister (nicht etwa von einem Schauspieler, es war wirklich der echte Bürgermeister San Franciscos) den Stadtschlüssel von »Gotham City« erhielten. Der Junge, Miles Scott, hatte aufgrund von Leukämie drei Jahre Chemotherapie über sich ergehen lassen müssen, und als er nach seinem größten Wunsch gefragt wurde, antwortete er: »Batkid sein«. Die Make-A-Wish-Foundation machte es möglich.
Verschafft Ihnen diese Geschichte ein wohliges Gefühl? Mir schon, allerdings weiß ich auch, dass sie noch eine andere Seite hat. Die Make-A-Wish Foundation wollte nicht preisgeben, wie viel Geld ihr Miles' Anliegen wert war, sie verriet jedoch, dass ein erfüllter Herzenswunsch durchschnittlich 7500 Dollar kostet.[4] Effektive Altruisten haben wie jedermann das emotionale Bedürfnis, die Wünsche kranker Kinder zu erfüllen, aber sie wissen auch, dass man mit 7500 Dollar ausreichend Malariavorsorge betreiben kann, um das Leben von mindestens drei und vielleicht noch deutlich mehr Kindern zu retten. Bereits ein Kinderleben ist mehr wert als der Wunsch eines Kindes, Batkid zu sein, und vor die Wahl gestellt, ihrem Sohn den Wunsch zu erfüllen oder seine Leukämie zu heilen, hätten Miles' Eltern fraglos das Heilmittel genommen. Die richtige Entscheidung ist noch offensichtlicher, wenn gleich mehrere Kinder auf einmal gerettet werden könnten. Warum unterstützen dann so viele Menschen die Make-A-Wish Foundation anstelle der höchst effektiv arbeitenden Against Malaria Foundation, die Moskitonetze an Familien in betroffenen Regionen verteilt? Zum Teil liegt das an dem emotionalen Sog des Wissens, dass man gerade diesem Kind hilft. Sein Gesicht ist im Fernsehen zu sehen, dasjenige der anonymen Kinder, die ohne den Schutz der Moskitonetze an Malaria sterben, jedoch nicht. Zum Teil liegt es auch an der Tatsache, dass Make-A-Wish sich an Amerikaner wendet und Miles ein amerikanisches Kind ist.
Auch effektive Altruisten werden den Drang verspüren, einem bestimmten Kind ihres Heimatlandes, ihrer Region oder ihrer Ethnie zu Hilfe zu kommen – aber dann fragen sie sich, ob das wirklich das Beste ist. Ihnen ist klar, dass man lieber ein Leben retten sollte, als einen Wunsch zu erfüllen, und dass drei Leben mehr wert sind als eines. Daher lassen sie sich nicht von ihren Gefühlen leiten, sondern setzen sich für diejenige gute Sache ein, bei der ihre Fähigkeiten sowie ihre Zeit- und Geldressourcen das Beste bewirken.
Das Beste oder so viel Gutes wie möglich zu tun ist eine vage Idee, die viele Fragen aufwirft. Hier sind ein paar der offensichtlicheren sowie einige vorläufige Antworten:
Was zählt als »das Beste«?
Auch wenn nicht alle effektiven Altruisten die gleiche Antwort auf diese Frage geben, teilen sie doch einige Werte: Sie alle sind sich einig, dass eine Welt, in der es weniger Leid und mehr Glück gibt, ceteris paribus besser ist als eine, in der es sich umgekehrt verhält; die meisten würden auch sagen, dass eine Welt, in der die Menschen länger leben, ceteris paribus besser ist als eine, in der sie ein kürzeres Leben führen. Diese Werte erklären, warum viele effektive Altruisten vordringlich extrem armen Menschen helfen. In Kapitel 10 wird sich zeigen, dass unser Geld wesentlich mehr Leid lindern und Leben retten kann, wenn...
| Erscheint lt. Verlag | 11.4.2016 |
|---|---|
| Übersetzer | Jan-Erik Strasser |
| Verlagsort | Berlin |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | The Most Good You Can Do. How Effective Altruism Is Changing Ideas About Living Ethically |
| Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Ethik |
| Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Philosophie der Neuzeit | |
| Schlagworte | Altruismus • Altruisten • Effizienz • Leben • Moral • Sinn • Spende • Spenden • STW 2348 • STW2348 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2348 • The Most Good You Can Do. How Effective Altruism Is Changing Ideas About Living Ethically deutsch |
| ISBN-10 | 3-518-74513-1 / 3518745131 |
| ISBN-13 | 978-3-518-74513-7 / 9783518745137 |
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