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Ein Glückskind (eBook)

Wie ich als kleiner Junge Auschwitz überlebte und ein neues Leben fand
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
304 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403358-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Glückskind -  Thomas Buergenthal
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+++ Wie ein kleiner Junge zwei Ghettos, Auschwitz und den Todesmarsch überlebte und ein neues Leben fand +++ Eine glückliche Kindheit hätte es werden können, doch dann kamen die Deutschen: Die Familie wird verhaftet und ins Ghetto gesperrt. Es folgen die Deportation nach Auschwitz, der berüchtigte »Todesmarsch« 1944 und das KZ Sachsenhausen. Nach einer wahren Odyssee wurde Buergenthal später Richter am Internationalen Gerichtshof von Den Haag. Lange nachdem er 2007 seine Erinnerungen veröffentlichte, bekam er Einsicht in neue Dokumente, die es ihm nun ermöglichen, die Geschichte seiner Familie endlich zu vervollständigen. »Das Überleben war irgendwann für mich ein Spiel geworden, das ich gegen Hitler, die SS und die Krematorien spielte. Ich wollte gewinnen.« Thomas Buergenthal Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe

Thomas Buergenthal (1934-2023) verbrachte seine Kindheit in polnischen Ghettos und den Konzentrationslagern Auschwitz und Sachsenhausen. Nach dem Krieg studierte er Jura in den USA und spezialisierte sich auf Internationales Recht und Menschenrechte. Er war u.a. Richter am Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte, Mitglied der UN Wahrheitskommission für El Salvador und des UN Menschenrechtsausschusses. Von 2000 bis 2010 diente er als amerikanischer Richter am Internationalen Gerichtshof, Den Haag. Seit 2010 hat Thomas Buergenthal die Lobingier Professur an der George Washington University Law School in Washington, D.C., inne. Er ist vielfach ausgezeichnet worden, u.a. mit der Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg.

Thomas Buergenthal (1934-2023) verbrachte seine Kindheit in polnischen Ghettos und den Konzentrationslagern Auschwitz und Sachsenhausen. Nach dem Krieg studierte er Jura in den USA und spezialisierte sich auf Internationales Recht und Menschenrechte. Er war u.a. Richter am Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte, Mitglied der UN Wahrheitskommission für El Salvador und des UN Menschenrechtsausschusses. Von 2000 bis 2010 diente er als amerikanischer Richter am Internationalen Gerichtshof, Den Haag. Seit 2010 hat Thomas Buergenthal die Lobingier Professur an der George Washington University Law School in Washington, D.C., inne. Er ist vielfach ausgezeichnet worden, u.a. mit der Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg.

Von Lubochna nach Polen


Januar 1945. In den offenen Waggons gab es wenig Schutz gegen Kälte, Wind und Schnee, den charakteristischen Erscheinungsformen eines harten osteuropäischen Winters. Auf dem Weg von Auschwitz in Polen zum Konzentrationslager Sachsenhausen in Deutschland durchquerten wir die Tschechoslowakei. Als unser Zug sich einer Brücke näherte, sah ich Leute, die uns von oben zuwinkten, und plötzlich regneten Brotlaibe auf uns herab. Als wir eine weitere Brücke passierten, kamen wieder Brote von oben. Außer Schnee hatte ich nichts gegessen, seit wir, den heranrückenden sowjetischen Truppen nur um wenige Tage voraus, Auschwitz verlassen und nach einem dreitägigen Gewaltmarsch den Zug bestiegen hatten. Das Brot rettete wahrscheinlich nicht nur mir, sondern auch vielen anderen das Leben, die sich mit mir auf diesem Transport befanden. Als Todestransport von Auschwitz sollte er in die Geschichte eingehen.

Es kam mir damals nicht in den Sinn, zwischen den von der Brücke regnenden Broten und der Tschechoslowakei, dem Land meiner Geburt, eine Verbindung herzustellen. Das geschah erst Jahre nach dem Krieg, immer dann, wenn ich eine Geburtsurkunde vorlegen musste. Da ich keine besaß, verlangte man eine eidesstattliche Versicherung von mir, die »auf Treu und Glauben« bestätigte, dass ich am 11. Mai 1934 in Lubochna, Tschechoslowakei, geboren wurde. Wenn ich eines dieser Dokumente unterschrieb, kehrte unweigerlich die Erinnerung an jene Brücken zurück.

Erst nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei gelang es mir endlich, meine Geburtsurkunde zu bekommen. Sie war die Bestätigung meiner vielen eidesstattlichen Versicherungen, und sie weckte in mir und meiner Frau Peggy den Wunsch, Lubochna zu besuchen; Peggy war neugierig auf meinen Geburtsort, und ich wollte mich jenem Stück Erde auch innerlich wieder nähern, wo ich zum ersten Mal die Augen geöffnet hatte.

Lubochna ist ein kleiner Ferienort in den Bergen der Niederen Tatra in der heutigen Slowakei. Von Bratislava, der Hauptstadt, aus ging die Fahrt kurvenreich einige Stunden an zahlreichen Bächen und Flüssen entlang. Ohne es geplant zu haben, erreichten wir Lubochna im Mai 1991 fast auf den Tag genau siebenundfünfzig Jahre nach dem Tag meiner Geburt. Ein herrlicher, sonniger Tag begrüßte uns, als wir in den kleinen Ort hineinfuhren, der von freundlichen, sanft ansteigenden Bergen umschlossen wird, wie sie für die Niedere Tatra charakteristisch sind, im Gegensatz zu den schrofferen Hängen der Hohen Tatra.

Jetzt verstand ich, warum mein Vater davon geträumt hatte, eines Tages nach Lubochna zurückkehren zu können, und warum auch meine Mutter so gern hier gelebt hatte. Es schien ein so idyllischer Flecken zu sein. Als Peggy und ich den Ort durchwanderten, in der Hoffnung, das Gebäude zu finden, das einst das Hotel meiner Eltern gewesen war, wurde mir bewusst, dass mich bis auf jenes amtliche Stück Papier, in dem der Name Lubochna neben meinem Namen stand, nichts mehr mit dem kleinen Städtchen verband. Das Hotel haben wir nicht gefunden – später erfuhr ich, dass es irgendwann in den sechziger Jahren abgerissen worden war. Wenn mein Besuch mir auch bestätigte, dass Lubochna tatsächlich so schön war, wie meine Eltern erzählt hatten, so musste ich mir nun doch mit großer Traurigkeit eingestehen, dass dieser Ort für meine Familie und mich nicht mehr darstellte als eine historische Fußnote in einer Geschichte, die hier mit der Freude über die Geburt eines Kindes begonnen hatte, bald aber eine ganz andere Wendung nahm.

Kurz vor dem Machtantritt Hitlers im Jahr 1933 war mein Vater, Mundek Buergenthal, aus Deutschland nach Lubochna übergesiedelt. Zusammen mit seinem Freund Erich Godal, einem Karikaturisten und Gegner der Nationalsozialisten, der für eine große Berliner Tageszeitung arbeitete, hatte er beschlossen, ein kleines Hotel in Lubochna zu eröffnen, da Godal dort ein Haus besaß. Die politische Situation in Deutschland wurde für Juden und für Leute, die gegen Hitler und die Ideologie der Nazis waren, von Tag zu Tag gefährlicher. Mein Vater und Godal glaubten aber offenbar, dass die Begeisterung der Deutschen für Hitler in ein paar Jahren abflauen würde und sie dann wieder nach Berlin zurückkehren könnten. Bis dahin, so stellten sie sich vor, wären sie nicht allzu weit von Deutschland weg, könnten dadurch aus nächster Nähe die Ereignisse verfolgen und anderen Freunden, die womöglich gezwungen wären, das Land schnell zu verlassen, für einige Zeit Zuflucht gewähren.

Mein Vater war 1901 in Galizien geboren worden, einem Gebiet in Polen, das vor dem Ersten Weltkrieg zum habsburgischen Österreich-Ungarn gehört hatte. Deutsch und Polnisch waren die Sprachen, die in der Grundschule und auch größtenteils in den weiterführenden Schulen gesprochen wurden. Die Eltern meines Vaters lebten in einem Dorf, das einem reichen polnischen Großgrundbesitzer gehörte. Dessen ausgedehnte Besitzungen wurden von meinem Großvater väterlicherseits verwaltet – für einen Juden in dieser Zeit und in diesem Teil der Welt eine durchaus ungewöhnliche Beschäftigung. Der polnische Grundbesitzer war in der österreichischen Armee der Kommandeur meines Großvaters gewesen, und nach dem Ende des aktiven Militärdienstes, als beide wieder ins Privatleben zurückkehrten, hatte er ihn in seine Dienste genommen. Nach und nach wurde mein Großvater der Verwalter all seiner vielen Höfe und Ländereien.

»Villa Godal«, das Hotel der Familie Buergenthal in Lubochna  (Abbildungen aus dem Hotelprospekt).

Die nächste höhere Schule, die mein Vater besuchen konnte, befand sich in einer ziemlich weit entfernten Stadt. In unserer Familie erzählte man sich gern, dass mein Vater, um zu dieser Schule zu gelangen, eine Zeitlang bei einem Bahnwärter einquartiert wurde, der einen Bahnübergang ganz in der Nähe dieser Stadt überwachte. Da es dort in der Umgebung keinen Bahnhof gab, veranlasste der Bahnwärter morgens und nachmittags den Lokführer mit seiner Fahne, langsamer zu fahren, damit mein Vater auf- beziehungsweise abspringen konnte. Später wurden andere, weniger abenteuerliche Vereinbarungen getroffen, damit er die Schule besuchen konnte.

Nach dem Abitur und dem kurzen Militärdienst in der polnischen Armee während des Russisch-Polnischen Kriegs, der 1919 begann, schrieb sich mein Vater in der Juristischen Fakultät der Universität von Krakau ein. Doch schon vor dem Ende seines Studiums verließ er Polen und zog nach Berlin. Dort wohnte auch seine ältere Schwester, die mit einem bekannten Berliner Modeschöpfer verheiratet war. Mein Vater bekam eine Stelle bei einer jüdischen Privatbank. Er stieg schnell auf und wurde schon als relativ junger Mann Abteilungsleiter, weil er sich beim Investitionsmanagement seiner Bank als äußerst geschickt erwies. Durch seine Position und durch die sozialen Kontakte seines Schwagers hatte er Kontakt zu vielen Schriftstellern, Journalisten und Schauspielern, die damals zur kulturellen Vielfalt Berlins beitrugen. Der Aufstieg Hitlers und die nicht enden wollenden Angriffe seiner Anhänger auf Juden und antifaschistische Intellektuelle, von denen viele zu den Freunden meines Vaters zählten, bewogen den jungen Bankbeamten schließlich dazu, Deutschland zu verlassen und sich in Lubochna niederzulassen.

Meine Mutter, Gerda Silbergleit, kam 1933 in das Hotel meines Vaters. Sie stammte aus der Universitätsstadt Göttingen, wo ihre Eltern ein Schuhgeschäft betrieben. Kurz vor ihrem einundzwanzigsten Geburtstag – sie wurde 1912 geboren – hatten ihre Eltern sie nach Lubochna geschickt, in der Hoffnung, dass ein Ferienaufenthalt in der Tschechoslowakei ihr helfen würde, einen nichtjüdischen Verehrer zu vergessen, der sie hatte heiraten wollen. Außerdem hielten sie es für ratsam, dass ihre Tochter eine Weile die Stadt verließ, in der Juden – und ganz besonders junge jüdische Frauen – auf der Straße ständig von organisierten Nazijugendlichen belästigt wurden. Das Leben in Göttingen war für sie zunehmend mit Unannehmlichkeiten verbunden.

Die Eltern meiner Mutter hatten mit dem Hotel ausgemacht, dass man sie an der deutsch-tschechoslowakischen Grenze abholte. Statt seinen Fahrer zu schicken, entschloss sich mein Vater, selbst zur Grenze zu fahren. Er ließ die junge Frau zunächst aber in dem Glauben, der Hotelchauffeur zu sein. Als sie beim Abendessen an den Tisch des Hoteleigners gesetzt wurde und der sich als der Fahrer entpuppte, geriet sie in Verlegenheit, denn während der Fahrt hatte sie sich intensiv nach Herrn Buergenthal erkundigt. Ihre Mutter hatte ihn ihr nämlich als einen sehr begehrenswerten Junggesellen geschildert. Jahre später, wenn meine Mutter wieder einmal diese Geschichte erzählte, fragte ich mich, ob ihr Aufenthalt in Lubochna von ihren Eltern mit dem Hintergedanken einer möglichen Heirat mit meinem Vater arrangiert worden war und, falls es solch einen Plan gab, mein Vater eingeweiht worden war oder nicht. Das Hotel war meinen Großeltern von einem Freund empfohlen worden, der meinen Vater ebenfalls gut kannte. Sollte das purer Zufall gewesen sein? Wie es sich tatsächlich verhielt, bekam ich nie heraus, aber ich konnte mich des Eindrucks nie erwehren, dass ich nicht die ganze Wahrheit darüber erfahren hatte. Für meine Mutter war es nie etwas anderes gewesen als Liebe auf den ersten Blick, und damit gab sie sich zufrieden.

Gerda und Mundek Buergenthal (1933).

Drei Tage nachdem sie sich an der deutsch-tschechoslowakischen Grenze kennengelernt hatten, waren meine Eltern...

Erscheint lt. Verlag 19.2.2015
Übersetzer Susanne Röckel
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte 1918 bis 1945
Schlagworte Albtraum • Angelausflug • Appellplatz • Arbeitslager • Auschwitz • Ausguck • Außenbezirk • Autobiographie • baracke • Barackenwand • Befreiung • block • Brief • Dazwischenkommen • Erinnerung • Ermordung • Erscheinungsform • Evakuierung • Familie • Fenster • Flucht • Folter • Frauenkonzentrationslager • Frauenlager • Gaskammer • Gedenkstätte • Geschichte • Gestapo • Getrenntsein • Ghetto • Gießerei • Glückstag • Grenzewächter • Grenzübertritt • Halbkreis • Holocaust • Industriekomplex • Jahrzehnt • Junge • Kälte • Kampf • Kerkerdasein • Kielce • Kind • Kinderblock • Kolonne • Konzentrationslager • Korruption • Krankenhaus • Krankenrevier • Krematorium • Lagergong • Lagermauer • Leiche • Liquidierung • Lubochna • Maschinengewehr • Militär • Militärfrachter • Mord • Muselmann • Muslime • Nansen • Nationalsozialismus • Odd Nansen • Otto Biedermann • Otwock • Plünderung • Reichweite • Revier • Sachsenhausen • Schicksal • Schiff • Schule • Schutzpolizei • Selektion • Sintofamilie • Suchdienst • Thomas Buergenthal • Tischtennis • Todesmarsch • Todestransport • Treblinka • Überleben • Verbrechen • Verwaltungsgebäude • Vorderseite • Wachturm • Waggon • Waisenhaus • Werkstatt • Wodka • Zehe • Zigeunerlager • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-10-403358-7 / 3104033587
ISBN-13 978-3-10-403358-7 / 9783104033587
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