Der Hinrichter
NOMEN Verlag
978-3-939816-21-8 (ISBN)
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Helmut Ortner hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. Bekannt wurde er mit 'Der einsame Attentäter – Georg Elser, der Mann der Hitler töten wollte' sowie 'Fremde Feinde – Der Fall Sacco und Vanzetti'. Zuletzt erschienen: 'Das Buch vom Töten – Über die Todesstrafe' und der Kolumnenband 'Widerstand ist zwecklos. Aber sinnvoll.' Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
Vorwort Die Gegenwart der Vergangenheit 11Prolog Ein Todesurteil - oder: Die zweite Karriere des Roland Freisler 17Erstes KapitelDer Festakt 33Zweites KapitelDer Rechtsanwalt aus Kassel 49Drittes KapitelEin Volk, ein Reich, ein Führer - und eine Justiz 67Viertes KapitelDer Staatssekretär und Publizist 89Fünftes KapitelGegen Verräter und Volksschädlinge 113Sechstes KapitelDer politische Soldat 143Siebtes KapitelIm Namen des Volkes 173Achtes KapitelDer 20. Juli 231Neuntes KapitelDas Ende 259Zehntes KapitelKeine Stunde null 287Lebenslauf Roland Freisler 319AnhangQuellenverzeichnis und Anmerkungen 323Dokumente 333Abkürzungen 336Literatur 337Urteile des Volksgerichtshofs 340Die VGH-Juristen 343Namensregister 353
Die Gegenwart der Vergangenheit Ob es sinnvoll sei, heute noch über die nationalsozialistische Vergangenheit zu schreiben, wurde ich während der Arbeiten an diesem Buch immer wieder gefragt. Von Bekannten, die der Meinung sind, diese Vergangenheit sei nunmehr doch tatsächlich vergangen. Von Freunden, die argumentieren, auch eine so belastende Geschichte wie die unsere dürfe einmal zu Ende sein. Ich wies darauf hin, dass die meisten Deutschen – und es handelt sich hierbei keineswegs um die ältere Generation – noch immer nicht wahrhaben wollen, was ihre Väter und Großväter zwischen 1933 und 1945 angerichtet und zugelassen haben. Und ich versuchte an Beispielen zu zeigen, welche kollektiven und individuellen Anstrengungen unternommen wurden, um der belasteten Geschichte zu entkommen. Dafür erntete ich häufig Zweifel, Unverständnis, nicht selten gar Protest. Nicht alle seien Nazis gewesen, nicht alle hätten Schuld auf sich geladen, nicht allein die Deutschen unmenschliche Gräueltaten begangen. Für mich klang das nach Rechtfertigung. Nach Schuldverdrängung. Sicher: Am Tag Null nach Hitler gab es auch hierzulande Menschen, die Scham und Trauer empfanden über das, was in den Jahren zuvor geschehen war. Doch Tatsache ist, dass es schon damals weit mehr Menschen gab, die, gerade der Katastrophe entkommen, das Erlebte und Geschehene verdrängten, statt es im Bewusstsein der Verantwortung als eigene Geschichte anzunehmen. Ein Volk auf der Flucht vor der eigenen Vergangenheit. Damals – und heute? Will die Nachkriegsgeneration, der ich angehöre, jene Generation also, die, um den früheren deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl zu zitieren, mit 'der Gnade der späten Geburt' gesegnet ist, nun endlich einen Schlussstrich unter eine nicht allzu lang zurückliegende belastete Vergangenheit ziehen? Ist sie, die politisch und moralisch schuldlose Generation, nun endgültig entlassen aus der Auseinandersetzung mit dem Hitler-Regime und seinem Erbe? Oder: Beginnt nicht die Verantwortung dieser Generation bei der Frage, wie sie zur Schuld ihrer Großeltern und Eltern steht? Ob sie sich erinnern will? In diesem Buch geht es um Schuld und Sühne, um Versagen und Feigheit. Um Mut, Aufrichtigkeit und Widerstand. Um Täter und Opfer. Um Verdrängung und Verleugnung – um das Erinnern. Im Mittelpunkt dieses Buches steht – exemplarisch – eine besonders menschenverachtende NS-Institution, die es ohne die willfährige Unterstützung und Mitwirkung von Juristen nicht gegeben hätte – der Volksgerichtshof. Zwar ist darüber in den letzten Jahren geschichtswissenschaftlich, juristisch, politisch und publizistisch umfangreich gearbeitet worden – was gleichermaßen auf den Komplex Justiz im Dritten Reich insgesamt zutrifft. So ist es heute für den interessierten Leser möglich, den fatalen Weg zu verfolgen, den die Justiz im Hitler-Deutschland vom euphorischen Anfang bis zum zerstörerischen Ende gegangen ist. Doch trotz umfangreicher Geschichtsschreibung über Entstehung, Struktur, Funktion und Alltag des Volksgerichtshofs gibt es bislang nur wenig Literatur über Leben und Wirken Roland Freislers. Mit seinem Namen war die wohl grausamste Ära des Terror-Tribunals verknüpft. Freisler, 1942 bis 1945 VGH-Präsident, doch bereits 1934 unermüdlicher Vordenker für ein nationalsozialistisches Recht – seine Karriere, sein Einfluss, sein Tod werden in diesem Buch nachgezeichnet. Wie wird aus einem jungen Gymnasiasten aus kleinbürgerlich-konservativem Milieu ein gnadenloser Todesrichter? Wie entwickelte sich seine fanatische Gedankenwelt, woran orientierten sich seine rigorosen Rechtsauffassungen? Freilich: Aus einer rein persönlichen Biographie ergeben sich kaum neue, überraschende Einsichten. Geschichte darf sich nicht auf Personen allein reduzieren, auf Prominenz und Privatheit. Gerade die Person Freislers wurde in der Vergangenheit zum dämonischen Unmenschen der deutschen NS-Justiz schlechthin stilisiert, häufig mit der Absicht, dadurch die Untaten von Tausenden seiner braunen Richterkollegen zu relativieren. Tatsache ist: Freisler war kein Dämon in roter Robe, nein, er war nur ein besonders konsequenter Vollstrecker nationalsozialistischer Rechtsauffassung. Aus diesem Grunde habe ich es vorgezogen, von der Person Freislers zu den Strukturen des NS-Rechts vorzudringen beziehungsweise zu beschreiben, wie beides miteinander korrespondierte. Die Lebensgeschichte Roland Freislers wird im Kontext seiner Zeit geschildert – illustriert durch eine Vielzahl von Dokumenten –, zumal sich ja seine Rolle keineswegs nur auf die des Präsidenten des Volksgerichtshofs beschränkte. Freisler als Rechtsanwalt, Staatsbeamter, Publizist und nationalsozialistischer Richter, der, ohne jeglichen Opportunismus, das Gesetz nicht einmal beugte, sondern allenfalls im Sinne des Nazi-Regimes interpretierte und gnadenlos anwendete. Wer als Angeklagter vor ihm stand, hatte – vor allem in den letzten Kriegsjahren – den Tod zu erwarten. Dieses Buch handelt deshalb auch von den Opfern, ihren Lebensgeschichten, ihren Schicksalen. Ein umfangreiches Kapitel dokumentiert ihre Todesurteile. Urteile als stumme Zeugen einer gnadenlosen Justiz. Bei den Recherchen für dieses Buch habe ich mit vielen – vielleicht den letzten – Zeitzeugen gesprochen. Menschen, die vor dem Volksgerichtshof standen, zum Tode verurteilt waren und allein deshalb überlebten, weil das Kriegsende der Vollstreckung zuvorkam. Und Menschen, die als Richter Nazi-Gesetze anwendeten, erbarmungslose Urteile sprachen, nicht selten mit tödlichen Konsequenzen für die Verurteilten. Einige von ihnen – das war mein Eindruck – können mit dieser schweren Hypothek trotzdem gut leben. Sie fühlen sich als schuldlos Beladene, deren Glaube an das Vaterland 'von der Politik' missbraucht wurde. Kaum einer von ihnen bekannte sich zu seiner persönlichen Verantwortung. Von Reue oder Scham keine Spur. Im Gegenteil: Sie fühlten sich nicht selten sogar selbst als Opfer einer 'schicksalhaften Zeit'. In den Gesprächen, die ich mit ehemaligen NS-Richtern und Anklägern führte, wurden kaum Zweifel am eigenen Handeln erkennbar. Eine nur schwer erträgliche Selbstgefälligkeit. Als der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger wegen seiner Todesurteile als Marine-Kriegsrichter in den Siebzigerjahren in die Schlagzeilen kam, was schließlich – freilich eher unfreiwillig und in der Nachkriegszeit nicht unbedingt typisch – zu dessen Rück-tritt führte, prägte der Dramatiker Rolf Hochhuth den Begriff des furchtbaren Juristen. Diese furchtbaren Juristen beharren auch heute noch auf der Rechtmäßigkeit ihrer Urteile. Die beschämende Rechtfertigung dieser NS-Richter: 'Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein', hatten vor Filbinger schon viele NS-Richter gebraucht. Es ist die nach 1945 so häufig strapazierte Entschuldigung, sie seien zum Paragraphengehorsam verpflichtet gewesen. Tatsache ist: Deutsche Richter haben zwischen 1933 und 1945 mit opportunistischer – bisweilen fanatischer – Kaltblütigkeit die Weimarer Verfassung zu einem Fetzen Papier gemacht und formal geltendes Recht mit organisierter Brutalität bedenkenlos angewandt. Keiner war dazu gezwungen worden. Nein, sie handelten aus eigenem Entschluss. Sie waren die juristischen Handlanger und Vollstrecker des NS-Staates. Nur wenige von ihnen leben noch unter uns. In hohem Alter, gut versorgt mit ebenso hohen Pensionen aus der Staatskasse. Die meisten noch immer davon überzeugt, damals nur ihre Pflicht getan zu haben. Roland Freisler war keineswegs ein Dämon, der aus der Hölle aufstieg, sondern er kam aus der Mitte des deutschen Volkes. Seine Karriere war eine deutsche Karriere. Er war ein erbarmungsloser Vertreter einer erbarmungslosen Justiz. Ein konsequenter Komplize eines mörderischen Systems. Ein exemplarischer Mörder in Robe – und die Deutschen haben seine Taten, sein Wirken, seine Karriere möglich gemacht. Wenn das Buch nun – nach Übersetzungen in zahlreiche Sprachen – in einer weiteren Neuauflage vorliegt, dann zeigt dies, dass das Interesse der nachfolgenden Generation, wissen zu wollen, wie es geschah – ungebrochen ist. Dazu tragen TV-Doku-mentationen wie die MDR-Produktion über Freisler unter dem Titel "Hitlers williger Vollstrecker" bei, die mit großer Resonanz im Programm verschiedener ARD-Anstalten gesendet wurde. Ein Buch gegen das Vergessen soll es sein. Denn: Nicht das Vergessen, sondern die Erinnerung macht uns frei. Frankfurt am Main, August 2014 Helmut Ortner
Die Gegenwart der VergangenheitOb es sinnvoll sei, heute noch über die nationalsozialistische Vergangenheit zu schreiben, wurde ich während der Arbeiten an diesem Buch immer wieder gefragt. Von Bekannten, die der Meinung sind, diese Vergangenheit sei nunmehr doch tatsächlich vergangen.Von Freunden, die argumentieren, auch eine so belastende Geschichte wie die unsere dürfe einmal zu Ende sein. Ich wies darauf hin, dass die meisten Deutschen - und es handelt sich hierbei keineswegs um die ältere Generation - noch immer nicht wahrhaben wollen, was ihre Väter und Großväter zwischen 1933 und 1945 angerichtet und zugelassen haben. Und ich versuchte an Beispielen zu zeigen, welche kollektiven und individuellen Anstrengungen unternommen wurden, um der belasteten Geschichte zu entkommen. Dafür erntete ich häufig Zweifel, Unverständnis, nicht selten gar Protest. Nicht alle seien Nazis gewesen, nicht alle hätten Schuld auf sich geladen, nicht allein die Deutschen unmenschliche Gräueltaten begangen. Für mich klang das nach Rechtfertigung. Nach Schuldverdrängung.Sicher: Am Tag Null nach Hitler gab es auch hierzulande Menschen, die Scham und Trauer empfanden über das, was in den Jahren zuvor geschehen war. Doch Tatsache ist, dass es schon damals weit mehr Menschen gab, die, gerade der Katastrophe entkommen, das Erlebte und Geschehene verdrängten, statt es im Bewusstsein der Verantwortung als eigene Geschichte anzunehmen. Ein Volk auf der Flucht vor der eigenen Vergangenheit. Damals - und heute?Will die Nachkriegsgeneration, der ich angehöre, jene Generation also, die, um den früheren deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl zu zitieren, mit 'der Gnade der späten Geburt' gesegnet ist, nun endlich einen Schlussstrich unter eine nicht allzu lang zurückliegende belastete Vergangenheit ziehen? Ist sie, die politisch und moralisch schuldlose Generation, nun endgültig entlassen aus der Auseinandersetzung mit dem Hitler-Regime und seinem Erbe? Oder: Beginnt nicht die Verantwortung dieser Generation bei der Frage, wie sie zur Schuld ihrer Großeltern und Eltern steht? Ob sie sich erinnern will?In diesem Buch geht es um Schuld und Sühne, um Versagen und Feigheit. Um Mut, Aufrichtigkeit und Widerstand. Um Täter und Opfer. Um Verdrängung und Verleugnung - um das Erinnern.Im Mittelpunkt dieses Buches steht - exemplarisch - eine besonders menschenverachtende NS-Institution, die es ohne die willfährige Unterstützung und Mitwirkung von Juristen nicht gegeben hätte - der Volksgerichtshof. Zwar ist darüber in den letzten Jahren geschichtswissenschaftlich, juristisch, politisch und publizistisch umfangreich gearbeitet worden - was gleichermaßen auf den Komplex Justiz im Dritten Reich insgesamt zutrifft. So ist es heute für den interessierten Leser möglich, den fatalen Weg zu verfolgen, den die Justiz im Hitler-Deutschland vom euphorischen Anfang bis zum zerstörerischen Ende gegangen ist. Doch trotz umfangreicher Geschichtsschreibung über Entstehung, Struktur, Funktion und Alltag des Volksgerichtshofs gibt es bislang nur wenig Literatur über Leben und Wirken Roland Freislers. Mit seinem Namen war die wohl grausamste Ära des Terror-Tribunals verknüpft.Freisler, 1942 bis 1945 VGH-Präsident, doch bereits 1934 unermüdlicher Vordenker für ein nationalsozialistisches Recht - seine Karriere, sein Einfluss, sein Tod werden in diesem Buch nachgezeichnet. Wie wird aus einem jungen Gymnasiasten aus kleinbürgerlich-konservativemMilieu ein gnadenloser Todesrichter? Wie entwickelte sich seine fanatische Gedankenwelt, woran orientierten sich seine rigorosen Rechtsauffassungen?Freilich: Aus einer rein persönlichen Biographie ergeben sich kaum neue, überraschende Einsichten. Geschichte darf sich nicht auf Personen allein reduzieren, auf Prominenz und Privatheit. Gerade die Person Freislers wurde in der Vergangenheit zum dämonischen Unmenschen der deutschen NS-Justiz schlechthin stilisiert, häufig mit der Absicht, dadurch die Untaten von Tausenden seiner braunen Richterkoll
| Erscheint lt. Verlag | 15.9.2014 |
|---|---|
| Zusatzinfo | 15 Faksimiles von Urteilen + 10 grau hinterlegte Urteile |
| Sprache | deutsch |
| Maße | 135 x 215 mm |
| Gewicht | 550 g |
| Themenwelt | Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► 1918 bis 1945 |
| Schlagworte | Bonhoeffer • Drittes Reich / 3. Reich; Biografien • Drittes Reich; Biografien • Filbinger • Freisler, Roland • Goebbels • Hitler • Justiz • Nationalsozialismus • NS-Täter / NS-Verbrecher; Biografien • NS-Verbrecher; Biografien • Politik und Gesellschaft • Recht • Recht und Justiz • Rudolf Heß • Staufenberg • Volksgerichtshof |
| ISBN-10 | 3-939816-21-3 / 3939816213 |
| ISBN-13 | 978-3-939816-21-8 / 9783939816218 |
| Zustand | Neuware |
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