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Am Rande der gefrorenen Welt (eBook)

Die Geschichte von John Sperry, Bischof der Arktis
eBook Download: EPUB
2011 | 1. Auflage
264 Seiten
SCM Hänssler im SCM-Verlag
978-3-7751-7083-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Am Rande der gefrorenen Welt -  Nicola Vollkommer
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Er ist Jäger, Schlittenführer, Pastor und später Bischof der Arktis. John Sperry lebt mit seiner Familie 19 Jahre lang unter den Inuit nördlich des Polarkreises. Er teilt ihre Not, ihren Hunger und Temperaturen bis minus 60 Grad. Und er übersetzt die Bibel in ihre Sprache, die keine Wörter für Baum, Schaf oder Acker kennt - und keines für Liebe. Die ergreifende Biografie eines Mannes, der alles zurückließ, was er kannte.

Nicola Vollkommer (Jg. 1959) ist gebürtige Engländerin und lebt seit 1982 in Reutlingen. Sie engagiert sich in der Christlichen Gemeinde Reutlingen, unterrichtet an der Freien Evangelischen Schule und ist eine gefragte Referentin. Nicola Vollkommer ist mit Helmut verheiratet, das Paar hat vier erwachsene Kinder. Weitere Informationen unter www.nicola-vollkommer-buecher.de.

Nicola Vollkommer (Jg. 1959) ist gebürtige Engländerin und lebt seit 1982 in Reutlingen. Sie engagiert sich in der Christlichen Gemeinde Reutlingen, unterrichtet an der Freien Evangelischen Schule und ist eine gefragte Referentin. Nicola Vollkommer ist mit Helmut verheiratet, das Paar hat vier erwachsene Kinder. Weitere Informationen unter www.nicola-vollkommer-buecher.de.

Kindheit in Mittelengland


Durchschnittlicher und unspektakulärer ging es nicht. Die Kulisse: das »Highfields« genannte Viertel, eine eintönige Serie von einfachen Backsteinhäusern, aneinandergereiht, die alle gleich aussahen. Das Einzige, was sich farblich von dem allgegenwärtigen Grau abhob, waren die Schornsteine der Textilfabriken, die emporragten wie ein Wald von Dominosteinen und unablässig dunklen Rauch in die Luft spuckten. Das malerische Rot der typisch englischen Backsteinfassaden hatte sich schon längst in verschiedene Schwarz- und Grautöne verwandelt, dank allgegenwärtiger Rußwolken.

Die Stadt: Leicester, industrielles Mittelengland. Nicht gerade die Gegend, in die man Touristen aus dem Ausland führen würde, um gesunde Luft einzuatmen und die Reize Großbritanniens zu besichtigen.

Selbst die paar Sonnenstrahlen, die sich ab und zu einen Weg durch den Dunst bahnten, hatten einen gräulichen Anstrich. Die kleinen Rasenvierecke hinter den Häusern, durch hohe Mauern voneinander getrennt, waren wie durch nebelige Schleier hindurch gerade noch als Grün erkennbar. Die flache, farblose Landschaft schien niedergedrückt von einem bleiernen Himmel. Erst außerhalb der Stadt stieß man nach und nach auf kleine malerische Dörfer, die typisch englisch anmuteten.

William Sperry, geboren 1902 in Leicester, hatte nur indirekt mit den Textilien zu tun, von denen diese betriebsame Metropole lebte. Nach einer Ausbildung als Schuhmacher war er eine Zeit lang arbeitslos, dann bekam er eine provisorische Anstellung als Putzkraft.

Während dieser mageren Jahre stopfte seine Frau Elsie Strümpfe für wohlhabende Familien. Ihre beiden Söhne saßen zu ihren Füßen und krempelten die Strümpfe um, bevor Elsie sich mit Nadel und Faden über sie hermachte. Auf diesem mühsamen Weg legte die Familie nach einiger Zeit die stolze Summe von 100 Pfund beiseite. Weitere 100 wurden von den wohlwollenden Großeltern ausgeliehen. Ausgestattet mit einem Schuss Ehrgeiz und einer gehörigen Portion Hartnäckigkeit machte sich William Sperry an die riskante Aufgabe, eine Schuhfabrik zu gründen. Ein Schritt, der in seiner familiären Umgebung befremdlich wirkte und bei vielen Kopfschütteln auslöste.

William und Elsie Sperry, mittellos und mit gerade einmal 22 Jahren verheiratet, hatten die ungewöhnliche Gabe, mit dem wenigen zufrieden zu sein, das sie besaßen, und dennoch für die Möglichkeit offen zu sein, dass das Leben mehr bieten konnte. Bald nach der Heirat waren ihnen zwei kleine Jungs geschenkt worden, John Reginald, der 1924 auf die Welt kam, und Roy Edward, anderthalb Jahre später geboren, im gleichen Jahr wie die spätere Queen. Damals war es üblich, dass Eltern ihren Kindern durch die Namen einen königlichen Hauch verpassten. Der damalige Prinz von Wales war Edward, vor allem in der Arbeiterklasse verehrt, der berüchtigte Thronfolger, der 1936 wegen der amerikanischen Society-Lady Wallis Simpson abdanken und damit einen ungeheuerlichen Skandal auslösen würde. Mitte der Zwanzigerjahre wussten die Eltern, die gerne einen »Edward« in der Reihe ihrer Sprösslinge unterbrachten, davon noch nichts.

Mit dem kindlichen Einfallsreichtum, der nicht ahnt, dass es irgendwelche Welten außerhalb der eigenen grauen und ärmlichen Grenzen gibt, entdeckten die Jungs ein fröhliches Spielreich zwischen den grauen Steinmauern von Highfields. Eine einzige nennenswerte Grünfläche gab es: den nahe gelegenen Viktoria-Park, für Kricketspiele und Seifenkistenrennen wie geschaffen. In einer Zeit, in der Autos eine Seltenheit waren und tagsüber nur das Poltern des Kohlekarrens die Ruhe der Straßen störte, konnte man auf dem Kopfsteinpflaster gemütlich sitzen und stundenlang mit Murmeln und Kastanien spielen, bis der »Lamplighter« bei Einbruch der Dunkelheit mit seinem langen Stab vorbeikam und die Gaslaternen anzündete.

Das Zentrum ihrer kleinen Welt war das kleine, dunkle Wohnzimmer, das einzige Zimmer im Hause, in dem es einen Kamin gab. Auch im Sommer war die wichtigste Pflicht am Tagesanfang, ein Feuer zu schüren, danach spielte sich alles im Bereich dieser Wärme ab. Backsteinmauern sind kalt wie Eis und schlucken im Nu jeden Wärmestrahl.

Wie bei allen Reihenhäusern in Highfields befand sich die Toilette draußen am Ende des Gartens. Gebadet wurde in einer Metallwanne vor dem Kamin, alle nacheinander im gleichen Wasser.

»Die Nacht wird nicht ewig dauern. Es wird nicht finster bleiben. Die Tage, von denen wir sagen, sie gefallen uns nicht, werden nicht die letzten Tage sein. Wir schauen durch sie hindurch, vorwärts auf ein Licht, zu dem wir jetzt schon gehören und das uns nicht loslassen wird …«

Die Stimme des Pfarrers dröhnte durch das riesige Kirchenschiff.

»Ist das schon der Abschlusssegen oder predigt er noch, Roy?«

Roy musste von der Kirchenbank halb aufstehen, um einen Blick in das Gebetsbuch zu werfen, das auf der Ablage vor ihm lag.

»Pech, Jack«, flüsterte er, »das ist leider erst die Predigt. Das Apostolische Dingsbums hatten wir schon, oder? Es kommt noch eine Lesung, ein Text zum Nachdenken, ein Gebet, ein Lied, der Segen. Oh, und heute ist ja Abendmahl.«

Jack stöhnte leise.

»Kannst du so sitzen, Roy, dass Großmutter mich von ihrem Platz aus nicht sieht?«

Großmutter Sperry saß kerzengerade am anderen Ende der Kirchenbank und starrte regungslos auf den Glatzkopf des Gentlemans, der ebenso regungslos direkt vor ihr saß. »Wenn du erwischt wirst, kriegst du keine Erdbeeren, Jack.«

»Ist mir doch egal. Stups mich, wenn wir wieder aufstehen oder knien müssen.«

Roy rutschte leise nach vorne, Jack beugte sich über ein kleines Kreuzworträtselheft, das er aus seiner Hosentasche herausgeholt hatte.

»So ist es gut, du siehst aus, als ob du betest.«

»Der Gott der Hoffnung erfülle uns nun mit Freude und Frieden …«

»Das klingt wie der Segen!«, flüsterte Jack und stopfte seine Kreuzworträtsel zurück in die Hosentasche.

Der Pfarrer klang genauso erleichtert wie die zwei kleinen Zuhörer, die hinter den hohen Kirchenbänken von vorne kaum sichtbar waren.

»Zu Hause spielen wir unsere Schachpartie zu Ende, Roy. Was hältst du davon?«, fragte Jack, nachdem sie dem Pfarrer am Kircheneingang höflich die Hand geschüttelt hatten und Großmutter Sperry sich für die erbauliche Predigt bedankt hatte.

»Wie kannst du überhaupt fragen, Jack? Heute ist doch Sonntag. Mutter wird es nicht erlauben, das weißt du.«

»Ach Mann, muss Sonntag immer der langweiligste Tag der Woche sein?«

»Bei Großmutter Priest werden wir wenigstens dafür bezahlt, dass wir den Gottesdienst aushalten!«, kommentierte Roy.

In der Tat war ein Besuch in der Kirche der zweiten Großmutter für Jack und Roy ein lukratives Geschäft. Elsies Eltern, die die junge Familie jeden zweiten Sonntag zum »Afternoon Tea« einluden, waren überzeugte Methodisten. Die heiß begehrten Pennys als Belohnung für den durchgestandenen Gottesdienst waren eine willkommene Ergänzung des mageren Taschengelds.

Zum Leben in vorbildlicher Frömmigkeit gehörte für die Priest-Großeltern nicht nur der regelmäßige Gottesdienstbesuch, sondern auch absolute Abstinenz. Dass ein anständiger Christ keinen Tropfen Alkohol über die Lippen gleiten lassen durfte, stand für sie außer Frage. Für William Sperry war diese Strenge eine unwiderstehliche Einladung, gerade im Hause seiner Schwiegereltern von seinem neuesten Abstecher in das örtliche Pub zu erzählen. Zu allem Übel war er sein Leben lang auch noch ein stolzer Kettenraucher und erntete dafür in der Familie Priest manch einen bösen Blick und schneidenden Kommentar. Zu jeder Zeit ganz die feine, gepflegte englische Dame, duldete Elsie die rauen Manieren ihres Mannes mit Milde.

An den anderen Sonntagen wurden die Sperry-Großeltern besucht. Williams Pubbesuche waren harmlos im Vergleich zu denen seines Vaters, dem ein gelegentlicher Besuch beim Männerstammtisch längst nicht mehr genügte. Er war Gewohnheitstrinker.

Von Großmutter Sperry, die die Ausschweifungen ihres Mannes mit ihren übereifrigen Kirchgängen wiedergutzumachen versuchte, bekamen die Jungs ebenfalls eine kräftige Dosis Frömmigkeit mit auf den Weg, ohne jedoch einen Penny dafür zu bekommen. Sie zitierte nämlich aus ihrem Gebetbuch so inbrünstig, wie ihr Mann seine Kneipenlieder schmetterte. Unter ihren scharfen Augen machten die zwei Enkelsöhne ihre erste Bekanntschaft mit der anglikanischen Sonntagsliturgie, lernten das Apostolische Glaubensbekenntnis auswendig und rezitierten Psalmen im Wechselchor. Während Jack mit aller Macht versuchte, in der Kirche still zu sitzen und keinen Quatsch zu machen, kam ihm nie der Gedanke, er könne eines Tages diese ehrwürdigen Texte in eine der kompliziertesten Sprachen der Welt übersetzen. Er war der Extrovertierte der beiden Brüder. Sein lebenslanges Markenzeichen: ein schelmisches Funkeln in den Augenwinkeln, wenn er mal wieder in irgendeinen Streich verwickelt war. Roy war das sensible und nachdenkliche Gegenstück, der Schatz seiner Mutter, die ihn liebevoll »Roy-Boy« nannte.

Es war eine Kindheit der betonten Bescheidenheit, in der sich die rabiaten Töne einer derben Kneipenkultur aus den hintersten Gassen mit einem Schuss Eleganz und geerbter Religiosität mischten, die eher von den Damen der Familie kam. Diese bizarre Mischung mit ihrer Heuchelei fiel den Jungs nicht negativ auf. Etwas anderes kannten sie nicht.

Die gesellschaftlichen Schichten in Großbritannien hatten damals ihre eigenen eisernen Regeln. Kein Kind aus Highfields wäre jemals auf die Idee gekommen, einen Universitätsabschluss machen zu wollen. Die groben Klänge des Leicester-Dialekts, damals schon als hässlichster aller britischen Akzente...

Erscheint lt. Verlag 8.12.2011
Verlagsort Holzgerlingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Arktis • Biografie • Bischof • eBook • eBook; Arktis; Biografie • Erlebnis • Glaubenszeugnis • Hunger • Inuit • Jäger • Lebensbild • Marine • Mission • Missionar • Pastor • Polarkreis • Porlarkreis • Schlittenführer • Spannung • Wunder
ISBN-10 3-7751-7083-9 / 3775170839
ISBN-13 978-3-7751-7083-3 / 9783775170833
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