Stoisch leben
Silberschnur (Verlag)
978-3-930243-62-4 (ISBN)
- Titel nicht im Sortiment
- Artikel merken
„Öfter leiden wir in der Einbildung als in der Wirklichkeit“ – das erkannte schon der altrömische Philosoph Seneca und nahm vorweg, was heutzutage die Psychologie lehrt: Ärger und Sorge haben ihren Ursprung im eigenen Kopf und müssen auch dort bekämpft werden.
Das Buch wendet antike Lebensweisheiten der Stoiker Seneca, Epiktet und Marc Aurel auf kritische Situationen aus dem modernen Alltag an. Durch Zitate aus der stoischen Lehre und anschließende Erläuterungen wird dem Leser seine negative Reaktion auf Streßsituationen bewußt gemacht und zugleich eine relativierende – stoische – Sichtweise nahe gebracht, die Ärger und Sorge eindämmt bzw. gar nicht erst entstehen läßt. Dargestellt wird ein breites Spektrum an (vermeintlich) ärgerlichen oder besorgniserregenden Situationen, in denen verschiedenste Leser sich und ihre typische Denkweise wiederfinden können.
Nach einem Universitätsabschluss in Politikwissenschaften und einer Reihe psychologischer Fortbildungen arbeitete Silke Mayer, Jahrgang 1967, als Kommunikationstrainerin, Beraterin und Projektmanagerin für Konzerne, mittelständische Unternehmen und Bildungsträger. 2008 entschloss sie sich, nicht zuletzt angeregt durch die philosophische Lehre der Stoiker, aus der Hektik des Geschäftslebens auszusteigen. Heute arbeitet sie in Teilzeit in einer gemeinnützigen Organisation und ist freiberuflich als Autorin tätig.
Inhalt
1. Warum wir uns ärgern und sorgen und was wir dagegen tun können
2. Realistisch und zuversichtlich bleiben
3. Probleme gescheit angehen
4. Andere als Urheber unseres Ärgers
5. Frei werden vom Urteil anderer
6. Der Einfluß der anderen auf unser Gemüt
7. Bedenkliche Liebe zum Besitz(enwollen)
8. Zeit - das wahre Gut
9. Glücklich ist, wer nichts mehr fürchtet und nichts mehr wünscht
1. Warum wir uns ärgern und sorgen und was wir dagegen tun können Von deinen Vorstellungen nimmt die Seele ihre Farbe an - Marc Aurel (1) Wer kennt sie nicht, die vielen Ärgernisse und Sorgen, die einen im Alltag immer wieder heimsuchen: nervtötende Warterei beim Arzt, ein rücksichtslos lärmender Nachbar, mürrische Verkäufer, das ewig knappe Gehalt oder ein Partner, dem man nach etlichen Jahren immer noch seine Sachen hinterherräumen muß… Kann man wirklich ruhig bleiben, wenn man das frisch reparierte Auto morgens auch beim fünften Versuch nicht anbekommt, anschließend um Haaresbreite den Bus verpaßt und plötzlich auch noch mitten im Platzregen steht? Zu allem Ärger gesellt sich vielleicht noch die Sorge, was der ohnehin mißmutige Chef zur Verspätung sagen wird, wo doch ausgerechnet heute morgen der wichtige Kunde kommt und sowieso gerade schon wieder von Stellenabbau die Rede war … Ist es nicht normal, sich zu ärgern und zu sorgen? Hat die Natur uns das nicht als sinnvolle Strategie zur Lebensbewältigung in die Wiege gelegt? Ja – in dem Maße, wie der Hund zähnefletschend sein Revier verteidigt (Ärger) und die Gans aufgeregt mit den Flügeln schlägt, wenn der Fuchs ums Gehege schleicht. (Angst/Sorge). Wenn also – simpel ausgedrückt – Bedrohung im Anzug ist. Unser Ärger und unsere Sorgen aber reichen viel weiter. Wir ärgern uns auch über Dinge wie schlechtes Wetter und mißlungenes Essen. Wir sorgen uns um unsere Rente in 30 Jahren und schämen uns noch nach Wochen für den schlechten Eindruck, den wir auf der letzten Weihnachtsfeier eventuell hinterlassen haben. Wir geraten in negative Stimmung wegen Ereignissen, die nicht mehr, noch nicht oder überhaupt nicht bedrohlich sind. Oder wir geraten in wilde Aufregung, obwohl wir damit nicht das Mindeste an einer leidigen Situation ändern. Den unlauteren Telefonanbieter oder den verspäteten Zug plagt unser Unmut wenig, und wenn er noch so gerechtfertigt ist. Nur uns selbst martern wir mit unserer Erregtheit, nicht umsonst heißt es SICH ärgern und SICH sorgen. Allzu oft sind unsere Mißstimmungen hausgemacht, irrational oder überzogen, sozusagen sinnlos, und in dieser Form bestimmt nicht als nützliche Überlebensstrategie im Stammhirn verankert. Vielmehr haben wir dieses wenig hilfreiche Verhalten im Laufe unseres Daseins erlernt. Ärger und Sorgen sind nämlich in der Regel nichts anderes als das Resultat von Einstellungen, die wir einst in unserem Umfeld erlebt und übernommen haben. Werfen wir einmal einen Blick zurück in unsere Vergangenheit, in der wir gelernt haben, was richtig und wichtig ist und was passiert, wenn die Dinge anders laufen als wir erwarten. Gehen wir gedanklich zurück in unsere Kindheit und erinnern uns. Wie war es damals? Haben auch Sie vielfach Sätze gehört wie „So etwas tut man nicht!“, „Hier darf man nicht…“, „Der kann doch nicht einfach…“, „Das ist verboten!“? Dann sind Sie wie die meisten anderen aufgewachsen mit der Idee, daß nicht jeder nach eigenem Gutdünken handeln kann und machen, was er will. Sie haben gelernt, daß es in einer Gemeinschaft jede Menge Regeln und Gebote gibt, denen alle sich zu fügen haben, und daß Zuwiderhandlung Ärger nach sich zieht. Das ist natürlich nichts Schlimmes, wenn man bedenkt, daß eine Gesellschaft ohne Regeln wohl im Chaos versinken würde. Man sollte sich allerdings auch bewußt machen, daß solche Normen keine Einrichtungen von Mutter Natur sind, sondern rein menschliche Konstrukte. Während nämlich in Deutschland Zuspätkommen gemeinhin verpönt ist, juckt das kaum jemanden auf der Südseeinsel Tonga, wo man sich vielmehr darüber empört, wenn familiäre Rangordnungen mißachtet werden. Jeder Ärger über sogenanntes schlechtes Benehmen ist also gesellschaftsabhängig und steht, was seine Gesetzmäßigkeit anbelangt, auf tönernen Füßen. Hinzu kommt, daß wir als Kinder oft erleben, wie auf überzogene oder unangemessene Weise mit derlei Regeln umgegangen wird. Wenn wir mitbekommen, wie der Vater sich immer wieder schrecklich über den Nachbarn aufregt, der zur Mittagszeit seinen Rasen mäht, dann werden wir das abspeichern und vermutlich selbst ein besonders empfindliches Gehör für Ruhestörer entwickeln. Wenn wir miterleben, wie die Mutter angesichts (vermeintlich) wichtiger Termine jedes Mal in Unruhe verfällt und Himmel und Hölle daran setzt, pünktlich zu sein, dann wird sich das auf uns übertragen. Falls sich dann nicht irgendwann unser Großhirn einschaltet, sind wir unter Umständen selbst ein Leben lang befallen von der übersteigerten Sorge, zu spät zu kommen. Noch bedenklicher wird es, wenn im eigenen Umfeld das weit verbreitete Kommentieren an der Tagesordnung war, ständiges Bewerten und Kritisieren von Personen und Situationen, womöglich noch begleitet von Kopfschütteln, gerunzelter Stirn und erhobener Stimme. „Wie sieht die denn wieder aus?“ haben wir vielleicht als Kinder über die unkonventionelle Nachbarin gehört oder über den Paketzusteller, der einen Moment die Einfahrt versperrte:„Der Fatzke soll bloß zusehen, daß er sein Auto schnell wieder wegfährt!“ Solche Aussagen entstammen einem gängigen, bei genauerer Betrachtung allerdings mißbilligendem Wertesystem, das suggeriert, Menschen müßten sein und Dinge müßten so laufen, wie man selbst es gutheißt. Wer mit einem solchen Wertesystem aufwächst und es unbesehen verinnerlicht, läuft Gefahr, sich selbst zum Maßstab zu erheben und zu glauben, daß seine Meinung und Rechte höher stünden als die der Mitmenschen. Entsprechend schnell werden andere dann zu Plagegeistern, die einen ungerechtfertigt stören, hindern oder beleidigen. Je mehr man von einer rigiden Einstellung geleitet wird, desto geringer ist die eigene Toleranzgrenze. Und desto größer die Wahrscheinlichkeit, sich zu ärgern über alle Leute, die einfach machen, was sie wollen (und nicht das, was man selbst will): kreischende Kinder, nachlässige Putzfrauen, langsame Autofahrer, unfähige Kollegen oder ein Partner, der sich partout nicht von alten Dingen oder Gewohnheiten trennen will… Der Aufregung sind dann Tür und Tor geöffnet. Doch damit nicht genug. Auch eine Menge Sorgen lassen sich zurückführen auf ein rigides (Be-)Wertesystem, das in der Regel vor der eigenen Person nicht Halt macht. Wer oft genug hört, was im Leben alles schief laufen kann und was er selbst alles besser machen könnte, sollte, müßte, der lernt, daß er den Schwierigkeiten des Lebens nicht gewachsen ist. Die Sorgen, die daraus erwachsen, sind leicht vorstellbar: ein (über)großes Bedürfnis nach Sicherheit, Angst vor Verlust, Krankheit, finanziellen Problemen und die Sorge um das Urteil der anderen und ihre Anerkennung. Jemand, der viel Kritik ausgesetzt war, fühlt sich im späteren Leben auch leicht angegriffen. Nicht selten bildet sich dann eine Art trotziger, ja zuweilen rebellischer Ärger aus. „Das mache ich nicht mehr mit!“, „So kann der mit mir nicht umspringen!“ oder „Jetzt bin ich endlich mal dran!“ – so die allgegenwärtige Denk- und Redeweise derer, die sich ungerecht behandelt oder übervorteilt fühlen und vielerorts Kritik und böse Absicht wittern. Vielfach ärgern sich die Betroffenen auch über sich selbst, z.B. daß sie mal wieder nicht schlagfertig genug waren, inkonsequent sind oder nicht so wirken, wie sie es gerne hätten. Ärger und Sorge gehen dann Hand in Hand. Wie sehr oft übrigens. Vielleicht haben auch Sie schon einmal miterlebt, wie ein Riesendrama daraus wurde, als jemand sich bekleckerte. Manch einen bringt nämlich schon ein Fleck richtig in Rage. Da wird gerubbelt und geflucht, gejammert und bedauert, als ob es nichts Schrecklicheres auf der Welt gäbe. „Was hat die Verkäuferin auch so viel Ketchup aufs Würstchen gepackt“, heißt es schließlich vorwurfsvoll am Imbißstand, und der eigenen verdutzten Begleitung wird vorgehalten: „Hast du denn nicht gesehen, daß es tropfte?“ Vor lauter Ärger werden also auch noch Schuldige gesucht, bis irgendwann der entscheidende Satz fällt: „So kann ich mich nirgends mehr blicken lassen!“ Er verrät, was hinter der ganzen Aufregung eigentlich steckt: eine Sorge. Die Sorge: „Wie sieht das denn aus, wenn ich so herumlaufe?“ Im Klartext: „Was sollen die anderen denken?“ Und schon hat sich ein uraltes, unreflektiertes Wertesystem aufgedrängt und den Verstand außer Kraft gesetzt. Womöglich sitzt zu allem Überfluß auch noch ein kleines Teufelchen im Ohr, das kaum hörbar, aber deutlich spürbar Erinnerungen an Bestrafungen in der Kindheit wieder aufleben läßt und einen weiteren Beitrag zur Unvernunft leistet. Alles in allem eine unangemessene Reaktion auf das Ereignis „Fleck“, das nur die ureigenste (erlernte) Bewertung zur Katastrophe macht. Andere Menschen würden bei einem solch kleinen Malheur nicht einmal müde mit den Achseln zucken, weil sie nämlich eine andere Einstellung mitbringen, aus der herausdie Situation als belanglos eingestuft würde. Wer gelassener werden will, sollte sich also immer wieder vor Augen führen, daß Ärger und Sorgen für gewöhnlich aus Einstellungen resultieren, die uns vorgelebt wurden durch Aussagen und Verhaltensweisen unserer individuellen Umwelt: der eigene Kulturkreis, die Gesellschaftsschicht, der man angehört, Familie, Eltern, Freunde und nicht zu vergessen die Medien. Früh und lange genug gehört bzw. erlebt werden Einstellungen schließlich übernommen und Werte und Anschauungen verinnerlicht, die die eigene Denk- und Verhaltensweise prägen. Wer zwanzig Jahre lang hört, das Leben sei ein Kampf, wird nicht als sorgloser Optimist durch die Welt schlendern. Jemand, dem durch dauernde Kritik ein schlechtes Selbstbewußtsein verpaßt wurde, wird sich schneller als andere auf den Schlips getreten fühlen. Wer in Armut oder in ewigem Streit ums Geld aufwächst, wird sich vermutlich mehr als andere um seine finanzielle Situation sorgen. Und in wessen Umfeld sich viel um Aussehen und Schönheit dreht(e), den werden Falten und Haarausfall mehr betrüben als seine Mitmenschen. Überlegen Sie mal, welche Sprüche, Werte und Vorurteile Ihnen mit auf den Weg gegeben wurden bzw. noch werden, und schon haben Sie einen ersten Anhaltspunkt, was in Ihrem Kopf herumspukt und geändert werden sollte, sofern es Ärger oder Sorge auslöst. So tief und fest die erlernten Einstellungen in uns auch verankert sind: sie sind nicht in Stein gemeißelt und können wieder verlernt werden. Allerdings muß man – zumindest anfangs – permanent dagegen angehen, wenn man mehr Gelassenheit erreichen will. Denn es gilt einen Automatismus zu durchbrechen, der sich über viele Jahre hinweg aufgebaut hat und noch mehr Jahre praktiziert wurde. Dieser Automatismus setzt sekundenschnell nach einem Geschehnis ein und ruft Ärger oder Sorge hervor, noch bevor man bis zehn gezählt hat. Zur Verdeutlichung nehmen wir noch einmal das Beispiel vom Ketchupfleck: Vom Tropfen bis zum Ärger vergeht kaum ein Lidschlag. Dazwischen aber hat sich unbemerkt – weil längst verinnerlicht und deshalb blitzartig – viel viel mehr abgespielt, nämlich eine rasante Bewertung der Situation nach den gelernten Wertmaßstäben. In unserem Fall lief unbewußt vielleicht Folgendes ab:„So ein Mist! Wie sehe ich denn jetzt aus! Wie ein beschmiertes Kind. Gott, ist das peinlich! Jeder wird mich anstarren und denken, ich bin zu blöd zum Essen…“ Was hier innerlich stattfindet, kann einfach nichts anderes als schlechte Laune auslösen. Jede Bewertung, die unmerklich nach einem Ereignis erfolgt, bestimmt das Gefühl, das wir anschließend haben, entweder positiv oder negativ. Wenn wir etwas unreflektiert nach unserem herkömmlichen Wertesystem beurteilen, dann gehen unsere Warnlampen automatisch an, sobald etwas anders ist als es – wie wir gelernt haben – sein darf. Sofort geistern dann alle möglichen Begriffe, Vorstellungen, Erinnerungen in uns herum: „Katastrophe“, „beleidigend“, „peinlich“, „Frechheit“, „unmöglich“, „unerträglich“, „ungerecht“, „nicht abgesprochen“… Die Folge sind Gefühle wie Wut, Trauer, Scham, Angst. Negative Bewertung führt also zu negativen Emotionen. Erst wenn wir etwas sachlich und neutral bewerten, bekommen wir ein neutrales Gefühl, also sozusagen gar keins, und das wiederum bedeutet: Gelassenheit. Gelassenheit ist nichts anderes als die Fähigkeit, auch in problematischen Situationen eine unvoreingenommene Haltung zu bewahren, die es einem ermöglicht, emotional auf Distanz und damit gleichmütig zu bleiben. Um von Ärger und Sorge weg und hin zur Gelassenheit zu gelangen, muß man also seine Bewertungen ändern. Oder besser gesagt, die alten Bewertungen gegen neue austauschen. Und zwar immer wieder. Anstelle der erlernten negativen Einstellungen treten dann nüchterne Betrachtung und objektives, vernunftgerechtes Beurteilen einer Gegebenheit. Nehmen wir einmal an, Sie selbst seien die betroffene Person aus unserem Fleck-Beispiel. Dann könnte dieses Umdenken folgendermaßen aussehen: Die Beurteilung „Ich sehe aus wie ein beschmiertes Kind“ wird ersetzt durch die objektive Feststellung „Ich sehe aus, wie ein Mann / eine Frau mit einem Fleck auf dem Pulli.“ Mehr ist es nämlich erst einmal nicht. Zu mehr macht es nur die eigene Deutung. „Alle werden mich anstarren“ könnte ausgetauscht werden durch den nüchternen Gedanken, daß 1. mit Sicherheit nicht alle Leute Sie anstarren werden, sondern nur ein paar und 2. diese Leute auch nicht starren, sondern vermutlich nur kurz einmal zu Ihnen herüberschauen. Wahrscheinlich werden die Leute sich gar nicht allzu sehr um Sie und Ihren Fleck kümmern. Weil sie nämlich etwas Besseres oder Schlimmeres, zumindest aber anderes im Kopf haben - ihre eigenen Angelegenheiten nämlich, vielleicht eine bevorstehende Reise, eine anstehende Prüfung, vielleicht aber auch eine drückende Schuldenlast. Wen interessiert da schon Ihr Fleck? Dasselbe gilt für die unsinnige Sorge „Alle werden denken, ich bin zu blöd zum Essen“. Woher wissen Sie überhaupt, was andere denken? Und was denken Sie denn selbst, wenn Sie jemanden mit einem Fleck auf dem Pullover sehen? Der ein oder andere wird sich vielmehr an eine ähnliche Situation erinnern, die er selbst durchlebte, der nächste Sie möglicherweise um den Pullover bedauern. Und noch etwas: Selbst wenn alle Leute Sie wirklich anstarren und auf die befürchtete, abwertende Weise denken sollten: Das kann Ihnen doch im Grunde genommen völlig egal sein, oder? Auf was für ein Podest heben Sie denn die anderen, daß deren Urteil dermaßen wichtig für Sie ist? Außerdem könnten Sie sich auch deutlich machen, daß es weiß Gott Schlimmeres gibt als einen Fleck auf dem Pullover. Sowohl in Ihrem eigenen Leben, wo Sie von unheilbarer Krankheit heimgesucht sein könnten, als auch im Vergleich mit anderen Menschen. Solchen, die sich nicht gerade am Imbißstand ein leckeres Würstchen leisten können, sondern in ewig schmutzbesudeltem T-Shirt voller Löcher irgendwo auf einem Müllberg in Südamerika nach etwas Eßbarem suchen. Auch diese Sichtweise dürfte einiges ins rechte Licht rücken. Zu guter letzt haben Sie übrigens auch meistens die Möglichkeit zu handeln, statt zu jammern: Sie könnten z.B. nach Hause fahren und sich umziehen, oder Sie könnten sich ein neues T-Shirt kaufen oder einen Schal, der den Fleck verdeckt oder sich die Jacke des Freundes leihen oder oder oder… Genau genommen gibt es eine ganze Reihe unterschiedlicher Denk- und Handlungsweisen, die einem helfen, negative Gedanken und Gefühle loszuwerden. Man muß sich ihrer nur bewußt werden und lernen, sie im Ernstfall anzuwenden. Warum nicht mit Hilfe antiker Philosophie? Nicht umsonst gibt es die Redensart von der sprichwörtlichen stoischen Gelassenheit. Schon vor zweitausend Jahren nämlich erkannte der griechische Sklave und Philosoph Epiktet: „Nicht die Dinge an sich beunruhigen die Menschen, sondern ihre Sicht der Dinge.“ Und von Marc Aurel stammt die wunderbare Einsicht: „Von deinen Vorstellungen nimmt die Seele ihre Farbe an.“ Es gibt kaum bessere Lehrmeister als die stoischen Philosophen, wenn es darum geht, die eigene Geisteshaltung zu erkennen, zu hinterfragen und zu revidieren. Unzählige ihrer Zitate eignen sich nicht nur als Anstoß, seinen negativen Denkweisen auf die Schliche zu kommen, sondern helfen auch, tiefersitzende Motive aufzudecken. Nehmen wir einmal an, Sie seien Partner/in einer Person, die zur Zeit arbeitslos ist. Vielleicht ein paar Monate schon. Ihrer Meinung nach könnte er / sie wesentlich mehr Engagement zeigen, um endlich eine neue Stelle zu bekommen. Ständig ärgern Sie sich über das Nichtstun, das Ihr Partner statt dessen an den Tag legt. Worüber aber ärgern Sie sich eigentlich wirklich? Machen wir ein kleines Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, Ihr arbeitsloser Partner hätte ein hübsches Sümmchen auf der hohen Kante und müßte eigentlich überhaupt nicht mehr arbeiten. Würde es Sie jetzt immer noch stören, daß er tatenlos zu Hause herumhängt, oder würden Sie nun eher mit Pipi Langstrumpf übereinstimmen und fröhlich singen „Faul sein ist wunderschön“? Falls letzteres zuträfe, ginge es beim Ärgern im Grunde wohl eher um Finanzsorgen als um den Müßiggang Ihres Partners. Nächster Versuch: Stellen Sie sich nun bitte vor, nicht nur Ihr Partner, sondern auch Sie wären ohne Arbeitstelle. Sie könnten also morgens so lange Sie wollten im Bett bleiben und nach dem Aufstehen in aller Ruhe die Zeitung lesen, Kaffee trinken usw. Würde sich die Untätigkeit Ihres Partners jetzt irgendwie besser anfühlen? Tja, dann wäre wohl Neid im Spiel und der Ärger verursacht vom Gefühl der Ungerechtigkeit, selbst weiter ackerngehen zu müssen, während der Partner auf der faulen Haut liegen kann. Und jetzt beamen Sie sich zu guter letzt gedanklich noch kurz mit Ihrem arbeitslosen Partner in eine fremde Stadt, wo Sie keiner kennt, wo keiner mitbekommen hat, daß Ihr Partner seinen Job verloren hat und Sie neuen Bekannten theoretisch erzählen könnten, er / sie arbeite freiberuflich von zu Hause aus. Wenn es Ihnen jetzt trotz der Arbeitslosigkeit Ihres Partners besser gehen würde, dann käme der Ärger vermutlich von Scham und vom Wunsch nach Anerkennung durch andere Menschen, bei denen Arbeitslose wahrscheinlich als minderwertig oder faul gelten. Man kann nicht genug betonen, wie wichtig die Erkenntnis über unsere wahren Motive ist. Denn nur wer weiß, worüber er sich wirklich ärgert oder sorgt, der kann entsprechend gegenwirken. Im ersten Exempel würde nämlich eine realistische Finanzplanung weiterhelfen, im letzten Fall sollte daran gearbeitet werden, das Urteil anderer Leute nicht mehr so ernst zu nehmen. Erkenntnis kann auch – und das soll hier nicht verschwiegen werden – die Feststellung bedeuten, daß man von falschen Menschen umgeben ist, vielleicht am falschen Ort lebt oder einen Job macht, den man im tiefsten Innern eigentlich haßt. Natürlich kann man mit einer veränderten Sicht auf die Dinge alles besser ertragen. Aber manchmal ist es eben noch sinnvoller, seine Lebensumstände zu ändern, nach eigenen Werten zu leben und glücklich zu werden, statt sich fortwährend zu verbiegen. Das kann in letzter Konsequenz auch bedeuten, daß man umziehen wird, man den Job wechselt, gegen den Willen anderer – Familie, Partner, Freunde – handelt und sich von gewissen Leuten distanziert, im Extremfall sogar trennt. Wohl denn, wenn es dem eigenen Seelenheil dient! Wie gesagt: Die Erkenntnis, was wirklich mit uns los ist und unsere Handlungen bestimmt, ist das A und O im „Projekt Gelassenheit“. Wahrscheinlich finden Sie sich und Ihre problematische(n) Denkweise(n) schon in einem oder auch mehreren der zahlreichen Praxisbeispiele dieses Ratgebers wieder. Dann wissen Sie bereits, welche Situationen bei Ihnen Aufregung hervorrufen: ungerechte Chefs, stichelnde Kollegen, der neidische Vergleich mit anderen, die Lage Ihrer Firma, ein nachlässiger Beziehungspartner oder oder oder… Und Sie haben schon eine ganze Reihe von Beispielen für relativierende Gedanken, neue Sichtweisen wie auch hilfreiche Zitate kennengelernt. Für eine Änderung der Denkart ist auf jeden Fall immer eine erste „Bestandsaufnahme“ der unbewußten negativen Einstellungen vonnöten, in der es darum geht, das Wesentliche zu erkennen. Nehmen Sie sich deshalb ein bißchen Zeit und überlegen Sie genauestens: Wann, in welcher Situation haben Sie sich geärgert oder gesorgt? Über wen? Über was? Warum exakt? Was ging dabei in Ihnen vor? Was war das eigentliche Problem im Hintergrund? Das ist mitunter nicht ganz einfach, manchmal sträubt sich das Innere geradezu, mit der Wahrheit herauszurücken. Versuchen Sie trotzdem stets, Ihren Ärger bzw. Ihre Sorge in Sätze zu kleiden, denn nur dann können Sie relativierende Worte entgegensetzen. Am besten legen Sie sich eine Tabelle mit zwei Spalten an und schreiben Ihre althergebrachte, negative Denkweise in die linke. Anschließend ersetzen Sie (ähnlich wie im Beispiel mit dem Fleck bzw. wie in den folgenden Erläuterungen) die negativen Gedanken durch sachliche und schreiben sie in die rechte Spalte. Wichtig ist, daß Sie dieses Prozedere trainieren, also bei jeder Gelegenheit ausführen, und zwar dauerhaft. Jedes Mal, wenn etwas vorgefallen ist, das in Ihnen ein ungutes Gefühl ausgelöst hat, nehmen Sie zeitnah Ihre Tabelle zur Hand, notieren Ihre destruktive Sichtweise und ersetzen sie durch sachliche Argumentation. Die negativen Gefühle, die Sie unmittelbar nach dem Vorkommnis hatten und wahrscheinlich immer noch spüren, dürften schon während Ihrer Notizen nachlassen. Je mehr rationale Aspekte, Ansichten, Standpunkte Sie den unvernünftigen entgegensetzen, desto mehr schwindet Ihre Aufregung. Sie nähern sich nun allmählich der Gelassenheit. Bald findet durch Ihr häufiges Relativieren und Umdenken ein Einstudieren neuer Denkweisen statt, die somit quasi zu Formeln werden. Und Formeln wiederum sind im Ernstfall leicht abrufbar. Seien Sie unbesorgt: Sie werden Ihre Zeit nicht mit „Trockenübungen“ verschwenden. Aber gänzlich ungeübt werden Sie es nicht schaffen, mitten in einer ärgerlichen oder besorgniserregenden Situation vernünftig zu denken. Wie gesagt beruht Ihr althergebrachtes Verhalten auf einem Automatismus, der mit teils starken Emotionen verbunden ist und kaum zu unterbrechen ist, wenn er einmal richtig in Fahrt gekommen ist. Die empfohlene Notizübung hat zweierlei Vorteil: Erstens erhalten Sie ein umfassendes Bild davon, worüber Sie sich (immer wieder) ärgern oder sorgen, und zweitens entwickeln Sie durch Ihre Reflexion und Aufzeichnungen einen soliden Fundus an neuen, schon öfter gedachten Glaubenssätzen, auf die Sie nun auch in einer schwierigen Situation fix zurückgreifen können. Mit der Zeit sind Sie dann in der Lage, schon beim allerersten Anzeichen von Aufregung Ihren negativen Gedankenstrom samt Gefühlslawine stoppen. Tief durchatmen, heißt es dann, und wie geübt eine vernunftgemäße Warte einnehmen, sachlich bleiben und die Situation neutral bewerten. Anschließend gilt es auf Distanz zum mißliebigen Ereignis zu gehen, wenn möglich räumlich, auf jeden Fall aber im Geiste. Und zwar, indem man sich partout mit etwas anderem beschäftigt. Das kann die Arbeit sein, eine Lektüre, ein angeregter Plausch (über ein anderes Thema natürlich), ein Hobby, Sport, eine Internetrecherche, ein Film usw. Um es an dieser Stelle noch einmal herauszustellen: es geht nicht darum, alles zu schlucken und zu akzeptieren und auf nichts zu reagieren. Es geht darum, Geschehnisse emotional nicht an sich herankommen zu lassen. Gelassenheit bedeutet nicht, negative Gefühle zu unterdrücken, sondern vielmehr sie gar nicht erst zu empfinden. Reaktionen – die je nach Situation natürlich durchaus sinnvoll sind – sollten aus der Vernunft heraus erfolgen und nicht aus Wut oder Panik. Um das Ganze mit Senecas Worten zu verdeutlichen: „…weil keine Vernunft mehr ist, wo einmal die Leidenschaft Zugang fand.“ (2) Wenn man oft genug auf die oben beschriebene Weise agiert, d.h. seine Gedanken und damit seine Gefühle bewußt steuert, geht der Schritt vom „Störfaktor“ zur wiederhergestellten Ruhe immer schneller. Nach einer Weile ist man der Gelassenheit schon so nah, daß man sich nun kein ellenlanges Vernunftsepos mehr erzählen muß, um wieder „herunter“zukommen. Irgendwann reicht zum sofortigen Auspusten des Ärger- oder Sorgenflämmchens nämlich eine einfache Affirmation wie „Ärger ändert gar nichts“, „Soll er denken, was er will“, „Alles wird gut“ oder eben eines der wunderbaren Zitate, die ich Ihnen in diesem Buch gerne näherbringen möchte. Denken Sie immer daran: Unsere Einstellungen prägen unsere Erwartungen. Unsere Erwartungen prägen unser Urteil. Unser Urteil prägt unser Gefühl. „… glückselig kann auch der genant werden, der, von der Vernunft geleitet, nichts mehr wünscht und nichts mehr fürchtet. Seneca (3)
| Erscheint lt. Verlag | 25.2.2012 |
|---|---|
| Sprache | deutsch |
| Gewicht | 222 g |
| Einbandart | gebunden |
| Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
| Geisteswissenschaften ► Philosophie | |
| Schlagworte | Alltag • Gelassenheit • Gelassenheit; Ratgeber • Stoiker • Stressbewältigung |
| ISBN-10 | 3-930243-62-8 / 3930243628 |
| ISBN-13 | 978-3-930243-62-4 / 9783930243624 |
| Zustand | Neuware |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
aus dem Bereich