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Schule und die Krise der Demokratie -  Guido Landreh

Schule und die Krise der Demokratie (eBook)

Was sich ändern lässt und wie
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
226 Seiten
Carl-Auer Verlag
978-3-8497-8477-5 (ISBN)
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'Ein engagiertes und inspirierendes Buch eines erfahrenen Pioniers der Weiterentwicklung von Schule. Landreh macht Schule zu einem lebendigen Ort der Begegnung auf Augenhöhe, an dem es um Vielfalt und Wesentliches, um Freiheit, Verantwortung und Gemeinschaft im Einklang miteinander geht. Das Buch liest sich wie eine Blaupause, wie wir alle politisch und kulturell das Miteinander und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken können. Das geht uns alle an.' Christoph Klein Was wir fürs Leben lernen Schule ist ein bedeutsamer Lernort, an dem junge Menschen den Wert von Freiheit, Verantwortung und Demokratie erleben könnten. Leider geschieht das, wenn überhaupt, nur äußerst reduziert. Die gesellschaftlichen und politischen Folgen dieser Art schulischer Sozialisation werden heute zunehmend sichtbar, nicht zuletzt auch als Krise der Demokratie. - Was tun? Sozialer Frieden und wachsende Bildungsgerechtigkeit nehmen ihren Ausgang in einer Schule, die Freude lebt und Verantwortung zeigt. Guido Landreh, selbst lange Zeit Schulleiter, stellt mit der systemisch emergenten Schulentwicklung einen neuen und facettenreichen Weg dorthin vor. Anhand vieler praktischer Erfahrungen und Beispiele beschreibt er nachvollziehbar, überzeugend und ermutigend den Unterschied und die nachhaltigen Wirkungen, wenn Schule systemisch als großes soziales und pädagogisches Netzwerk verstanden und gelebt wird. Daraus wachsen zunehmend freiheitliche Lernarrangements, gestaltet in gemeinsamer Verantwortung der beteiligten Schüler:innen, Eltern, Lehrkräfte und außerschulischen Fachkräfte. Im Ergebnis verbessern sich dabei auch die Schülerleistungen markant. In die zahlreichen Beispiele gelungener Transformationen streut der Autor immer wieder Handlungsideen ein, die sich sofort umsetzen lassen - einerlei, ob man Bildungspolitiker:in, Schulleiter:in oder Lehrkraft ist. Der Autor: Guido Landreh, Schulleiter (a. D.) einer Integrierten Sekundarschule in Berlin; ehem. Schulleiter, Lehrer und Mitbegründer der 'Stadt als Schule Berlin'; Schulentwicklungsberater, Prozessberater von Schulen bei der Erstellung ihres Schulprogramms. Berufsbegleitende Weiterbildung im Bereich Systemische Supervision und Organisationsberatung.

Guido Landreh, Schulleiter (a. D.) einer Integrierten Sekundarschule in Berlin; ehem. Schulleiter, Lehrer und Mitbegründer der 'Stadt als Schule Berlin'; Schulentwicklungsberater, Prozessberater von Schulen bei der Erstellung ihres Schulprogramms. Berufsbegleitende Weiterbildung im Bereich Systemische Supervision und Organisationsberatung.

2 Die Idee


2.1 Wesentliches


Das Hauptproblem der Schule ist, dass sie sich viel zu viel mit Unwesentlichem beschäftigt. Wesentlich wären dagegen Themen, Fragen, Aufgaben und Vorhaben, die dem jeweiligen Wesen der Menschen entsprechen. Das gilt für Schülerinnen und Schüler wie auch für Lehrkräfte. Meine Kolleginnen und Kollegen amüsierten sich, wenn ich sagte: »Jeder und jede sollte zum überwiegenden Teil das machen, worauf er oder sie wirklich Lust hat.« Ich meinte das durchaus ernst und denke, wenn alle zu gut 60 Prozent Aufgaben übernehmen, die sie wirklich gern erledigen, für die sie sogar brennen, dann wäre Schule effektiver und befriedigender. Und alle Beteiligten würden mit Sicherheit mehr lernen.

Wie kann Schule das Wesentliche finden und kultivieren? Das Wesentliche, das Antoine de Saint-Exupéry (1982, S. 52) in der Geschichte Der kleine Prinz als zeitloses Geheimnis mit den Worten beschreibt: »[…] man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.« Darüber hinaus gibt es auch Wesentliches, das offensichtlich ist und allen Menschen innewohnt. Menschen sind soziale Wesen und Individuen, die Grundbedürfnisse haben, die neugierig, experimentierfreudig und empfindsam sind, die aus vielfältigen Erfahrungen lernen, modellbildend Muster erkennen und so weiter. Wo wird dies bei der Gestaltung von Schule ausreichend berücksichtigt? Welche Folgen hat es, wenn Kinder und Heranwachsende in der Schule lernen, sich intensiv mit Unwesentlichem zu beschäftigen? Wohin führt dieser Weg die Lernenden und die Gesellschaft? Ein Weg, den Schulen mitverantwortlich anbahnen und gestalten. Wir können es in uns, in unserem Gegenüber und im Spiegel der Gesellschaft wahrnehmen.

Wie kann eine Schule ihr wesentliches Potenzial entfalten? Und wie könnte der Weg dorthin aussehen? Darum wird es in diesem Buch gehen – in Form einer Narration, die schwer Greifbares anschaulich macht, am Beispiel einer Schule und der Reflexion von Erfahrungen aus 35 Jahren gelebter Schulentwicklung. Vielleicht werden Sie in diesem Buch eine Art »Zielführung« vermissen, doch der Weg des Lernens folgt selten einer linear-kausalen Logik. Aber Sie werden eine Logik und Kultur der »Kokreativität« erkennen und quasi miterleben, wie auf einem Weg des Teilens und Verbindens eine ungeahnte Fülle entsteht und langsam etwas Neues, sehr Wertvolles wächst. Die wesentlichen Elemente dieses Weges finden Sie am Ende eines Kapitels noch einmal zusammengefasst auf einer »Pinnwand«, aber die Geschichte der Schulentwicklung folgt eher Serpentinen als einer Autobahn. Und die Verbindung von Wesentlichem mit dem Weg des Lebens und Lernens verspricht eine faszinierende Reise.

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Auf dem kreativen Weg des Lernens zu sein bedeutet, individuell und gemeinsam Herausforderungen zu meistern, Erfahrenes zu reflektieren und Wissen zu generieren, als Schule konsequent die menschliche Vielfalt in persona und als Gemeinschaft wertzuschätzen, zu fördern, zu begleiten, zu unterstützen, auch mal zu irritieren oder zu provozieren, aber immer in Würde das Wesentliche zu achten.

Als ich an der Reinhold-Burger-Schule begann, hätten solche Aussagen den Rahmen gesprengt. Die Stimmung war extrem angespannt, und das blieb noch lange so. Trotzdem musste das neue Schuljahr und insbesondere der Start als Sekundarschule vorbereitet werden. Wir sollten vier Klassen einrichten – doppelt so viele wie in den letzten Jahren als Hauptschule. Darüber hinaus sollten die Klassen künftig nicht aus 16 oder 18, sondern 26 Schülerinnen und Schüler bestehen, und zwar in sehr heterogen zusammengesetzten Lerngruppen.

Ich schätzte das Engagement und zum Teil die Professionalität der Kolleginnen und Kollegen, aber ein Weiter-so schied aus, jedenfalls für mich. Die Schülerinnen und Schüler, die Gesellschaft und die Anforderungen hatten sich in den letzten Jahren verändert. Hinzu kamen Entwicklungen und Erkenntnisse aus der Neurobiologie, der Didaktik und Methodik, die ebenfalls und insbesondere in diesem Zusammenhang wichtig waren. Durch die 2010 politisch gewollte Veränderung der Schulstruktur veränderte sich auch die Zusammensetzung der Lernenden. Doch wir brauchten uns nichts vorzumachen: Die Klientel würde herausfordernd bleiben und die Klassenstärke größer werden. Dies war mit klar formulierten Entwicklungsaufträgen der Schulaufsicht verbunden: ganztägiges Lernen, Duales Lernen, Differenzierung und individuelle Förderung, Kooperation mit anderen Schulen und außerschulischen Partnerinnen und Partnern. Das zentrale Thema »Inklusion« wurde eher beiläufig vor allem im Zusammenhang mit Differenzierung und individueller Förderung als ein Aspekt der Schulstrukturreform benannt.

Natürlich sind nicht nur Lehrkräfte, Sozialpädagoginnen und -pädagogen Teil einer Schule, sondern vor allem Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern. Wenn ich eingangs sagte, dass Schule sich viel zu viel mit Unwesentlichem beschäftigt, so gilt das natürlich in besonderem Maße für die Unterrichts- und Erziehungsarbeit. Die Betroffenen und oft Leidtragenden sind die Lernenden nebst ihren Eltern. Auch für sie muss der Grundsatz gelten: Wenn alle im Umfang von mindestens 60 Prozent Aufgaben übernehmen, die sie wirklich gern erledigen, für die manche sogar brennen, dann wären schulische Bildungsprozesse lehrreicher, effektiver und wesentlich befriedigender.

Schule hat einen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Das ist die rechtliche und verbindliche Grundlage schulischen Handelns. Jedes Gesetz folgt einer grundlegenden Idee, die einleitend am Anfang steht. Im Schulgesetz beschreiben die ersten Paragraphen, wie dieser Bildungs- und Erziehungsauftrag zu verstehen ist. Es ist sozusagen eine Interpretationssetzung des Gesetzgebers. Aber dann passiert etwas Merkwürdiges: Der Bildungsauftrag wird reglementiert, und zwar per Rechtsverordnungen. Dies setzt sich dann konsequent fort. Beginnt der Rahmen-Lehrplan noch mit einem allgemeinen Teil, der Bezug auf die Intention des Gesetzes nimmt, endet er mit einer konkreten, nach Fächern gegliederten Umsetzungsanweisung (Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg 2017, S. 6). Darüber steht:

»Die im Rahmenlehrplan angeführten Pflichtbereiche sind hierbei verbindlich.«

Pinnwand


  • Menschen sind soziale Wesen und Individuen, die
    • Bedürfnisse, Wünsche und Interessen haben
    • neugierig, experimentierfreudig und empfindsam sind
    • aus vielfältigen Erfahrungen lernen
    • modellbildend Muster erkennen
    • individuell und gemeinsam Herausforderungen meistern
    • Erfahrenes reflektieren und Wissen generieren.
  • Lernen ist ein kreativer, persönlicher und gemeinschaftlicher Prozess, der das Wesentliche betrifft.
  • Schulische Bildungsprozesse wären lehrreicher, effektiver und auch befriedigender, wenn menschliche und persönliche Potenziale im Zentrum des Lernens stünden.
  • Wir müssen uns davon verabschieden, dass Entwicklungsprozesse, zu denen gleichfalls Bildung gehört, unmittelbar zu steuern sind.
  • Der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schulen darf nicht auf den einer Ausbildungseinrichtung reduziert werden.

Fragen

  • Welche Folgen hat es, wenn Kinder und Heranwachsende in der Schule lernen, sich intensiv mit Unwesentlichem zu beschäftigen?
  • Wie kann Schule das Wesentliche finden und kultivieren?
  • Wie könnte dieser Weg aussehen?

Persönliche Notizen

So wird Schule, die eigentlich einen Bildungs- und Erziehungsauftrag hat, auf eine Ausbildungseinrichtung reduziert. Dieser Paradigmenwechsel ist entscheidend für die Anhäufung von Unwesentlichem, für beliebig in einem Fächerkanon nebeneinander gestellte Inhalte, die vermittelt werden sollen. Je umfassender die Vorgaben sind, desto stärker wird Bildung zu Ausbildung, denn: Bildung folgt erst einmal einer Idee, Ausbildung einem vorgegebenen Plan.

Das hat fatale Folgen, die allgemein bekannt sind: Ein Teil der Schülerinnen und Schüler rebelliert, die Ergebnisse der schulischen Ausbildung erfüllen nicht die Erwartungen et cetera. Was könnte hier weiterhelfen? Stärkere Regulierung sicherlich nicht. Wir müssen uns davon verabschieden, dass Entwicklungsprozesse, zu denen auch Bildung gehört, unmittelbar zu steuern sind.

2.2 Gestalten statt steuern


In meinem Kollegium führte die Frage, ob die Paragraphen 1 bis 3 im Schulgesetz oder der Teil A im Rahmenlehrplan ungültig seien, zu Irritationen. »Das ist doch nur die Einleitung«, war die relativierende Antwort. Wenn Schulen die Einleitungen als das, was sie sind (z. B. Teil eines Gesetzes), wirklich ernst nehmen...

Erscheint lt. Verlag 26.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik
ISBN-10 3-8497-8477-0 / 3849784770
ISBN-13 978-3-8497-8477-5 / 9783849784775
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