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Existenzkrise der Demokratie (eBook)

Zur politischen Theorie des Liberalismus in der Zwischenkriegszeit

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1., Originalausgabe
455 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-75765-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Existenzkrise der Demokratie - Jens Hacke
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In der Zeit zwischen den Weltkriegen geriet die Demokratie in die Krise. Kommunismus und Faschismus boten Modelle einer alternativen Moderne. Anders als der Niedergang des politischen Liberalismus vermuten lässt, gehören die damaligen intellektuellen Debatten über die Grundlagen der Demokratie zum essentiellen Bestand der politischen Theorie. Jens Hackes brillante ideengeschichtliche Studie führt vor Augen, wie seit den 1920er Jahren Ideen entwickelt wurden, die die Welt nach 1945 prägen sollten und im Lichte gegenwärtiger Krisenphänomene neue Aktualität beanspruchen: die Totalitarismustheorie, das Konzept der wehrhaften Demokratie und die Vorstellung von einem gezähmten Kapitalismus.



<p>Jens Hacke lehrt als Privatdozent Politikwissenschaften an der Humboldt-Universit&auml;t zu Berlin.</p>

Jens Hacke lehrt als Privatdozent Politikwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin.

7I. Einleitung: Zur Problematik liberaler politischer Theorie


Die Ideengeschichte des Liberalismus in Deutschland wird unübersichtlicher, je näher man an die Gegenwart heranrückt. Während der Liberalismus in der angelsächsischen Welt ganz selbstverständlich als konstitutiver Bestandteil einer lebendigen, mindestens aber zu pflegenden Ideentradition behandelt wird und über den politischen Parteiungen steht, ist seine Lage hierzulande wesentlich komplizierter.[1] In Deutschland bleibt die Anrufung des Liberalismus vor allem ein zeitdiagnostisches Phänomen: Entweder warnen die Verteidiger des Wohlfahrtsstaates vor den Exzessen eines neoliberalen Kapitalismus,[2] oder es exponieren sich angesichts der parteipolitischen Malaise des deutschen Liberalismus Intellektuelle, um für eine Aktualisierung liberaler Ideen zu werben. Das kann originell ausfallen wie bei Wolfgang Kerstings »Verteidigung des Liberalismus«, theoretisch reflektiert, aber unbeirrbar wirtschaftsliberal wie bei Rainer Hank, eher appellativ wie bei Ulrike Ackermann oder sozial engagiert wie bei Lisa Herzog.[3]

Es ist jedenfalls bezeichnend, dass sich die meisten Plädoyers für eine Stärkung des Liberalismus entweder auf die angelsächsische 8Tradition von Smith bis Hayek beziehen oder aber präsentistisch ihre Argumente aus gegenwärtigen Konfliktlagen beziehen. Diese variierenden Zugänge zum Liberalismus verdeutlichen, dass es an übergreifenden ideengeschichtlichen Forschungen mangelt. Zwar herrscht weitgehender Konsens über die klassische Phase des liberalen Sonderwegs in Deutschland, aber die Ideengeschichte des Liberalismus von der Weimar Republik bis in die Gegenwart bleibt als ein Nachklapp im Ungewissen.

Die wesentliche Ursache für diese merkwürdige Geschichtslosigkeit des bundesrepublikanischen Liberalismus liegt in seiner politischen Schwäche. Der Liberalismus trägt an der Bürde des Gescheiterten, denn das lange vorherrschende Interpretament vom deutschen Sonderweg erklärte vor allem die mangelnde politische Liberalität innerhalb des deutschen Bürgertums sowie die Konzessionen des politischen Liberalismus an Bismarck und die preußischen Eliten zur Ursache der verzögerten und schwach ausgeprägten Parlamentarisierung. Ob man nun seit 1848 die Überforderung des Liberalismus betonte, Einheit und Freiheit gleichzeitig zu verwirklichen, oder einen realpolitisch grundierten Verrat an liberalen Prinzipien beklagte, die der Reichseinigung auf Kosten der Freiheit geopfert wurden – die Ideengeschichte des Liberalismus hat in Deutschland den »Weg in die Katastrophe« stets eindrucksvoll orchestriert.[4] In dieser Beleuchtung war die Weimarer Republik der tragische Endpunkt einer Niedergangsgeschichte, die sich strukturell erklären ließ.

Dieter Langewiesche hat bereits vor einem Vierteljahrhundert betont, dass der Liberalismus, »verstanden als ein Geflecht aus politischen, sozialen und kulturellen Leitbildern und als organisierter Interessenverband, […] in außerordentlich vielfältiger Weise die deutsche Gesellschaft und ihre Institutionen geprägt« habe.[5] Allerdings hat es seit Langewiesches Studie zum »Liberalismus in Deutschland« auch keine weiteren Versuche gegeben, die Ideengeschichte des Liberalismus über Weimar hinaus zu verfolgen. Auch 9die begriffsgeschichtlichen Untersuchungen enden im Wesentlichen mit dem »langen 19. Jahrhundert«, um eine Aufhebung des Liberalismus als historisches Deutungsmuster zu diagnostizieren.[6] Dieser Befund rekurriert auf die verstärkte Dysfunktionalität von maßgeblichen politischen Ideen, deren Substanz und Vokabular dem 18. und 19. Jahrhundert entstammen und die deswegen ihre Geltungskraft verloren haben. Allerdings ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Ideologien einen Bedeutungs- und Funktionswandel durchlaufen. Zwar gilt es, sich bewusst zu machen, dass politische Ideen »auf politische Situationen angewendet werden, die sich seit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges vollkommen geändert haben im Vergleich zu denjenigen, auf die sie eine Antwort geben sollten«.[7] Man sollte es jedoch nicht dabei belassen, die Beziehungslosigkeit zwischen den politischen Ideen und der politischen Wirklichkeit zu beklagen, sondern die Aktualisierungsanstrengungen von Intellektuellen untersuchen, die das herkömmliche politische Vokabular auf neue soziale und institutionelle Wirklichkeiten beziehen. Denn die Erklärung, dass eine Idee oder Ideologie erschöpft und mit einer Epoche zu einem Ende gekommen sei, hat bislang selten zu ihrer faktischen Erledigung geführt.[8]

Es liegt in der Konsequenz dieser Deutungsunsicherheit, dass die eigentümliche Schwäche des deutschen Liberalismus stets für die ideenpolitischen und geistesgeschichtlichen Sonderwegsbegründungen herhalten musste, wohingegen das Fortleben des liberalen Denkens in Deutschland und seine Spuren aus der Weimar 10Zeit nach 1945 kaum thematisiert worden sind.[9] Das Fehlen eines »hegemonialen Liberalismus« im Sinne einer die politische Kultur prägenden Kraft sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass weite Teile der deutschen Ideengeschichte des Liberalismus durchaus parallel und vergleichbar zu den westlichen Liberalismen verliefen. Wesentliche Elemente eines neuen demokratischen Liberalismus waren zumindest in Weimar Verfassungsnorm geworden, und die liberale Demokratie avancierte (keineswegs nur in negativer Weise) zum zentralen Bezugspunkt der zeitgenössischen Debatten.

Dilemma des Liberalismus in der Weimarer Republik


Die Ideengeschichte des deutschen Liberalismus ist mehr als die Rekonstruktion seines Scheiterns. Weder spricht die politische Schwäche gegen eine Idee, noch lässt sich der Liberalismus auf bestimmte Parteien und Trägergruppen reduzieren. Die »Selbstpreisgabe der Demokratie«, die »Auflösung des deutschen Bürgertums«, der »Extremismus der Mitte« – mit diesen thesenhaften Zuspitzungen ist die Erosion der liberalen Demokratie in Deutschland beschrieben worden. Dabei ist die Gewichtung der Faktoren, die dazu führten, dass die Weimarer Republik zum explodierenden Laboratorium in den Krisenjahren der klassischen Moderne wurde,[10] ebenso komplex wie umstritten. Die »Verschränkung von wirtschaftlicher Systemkrise und politischer Legitimationskrise« (Peukert) wurde von einer kulturellen, sich gesamtgesellschaftlich auswirkenden Modernisierungskrise massiv verstärkt.[11] Doch einerlei, wohin man den Blick richtet: auf die Talfahrt der Ökonomie, den überforderten Sozialstaat, die fragmentierte Gesellschaft, die Feinde der Republik 11links und rechts oder die außenpolitische Lage – stets landet man beim Liberalismus.

Die Geburt der Weimarer Republik als Verwirklichung liberaldemokratischer Verfassungsziele schien sich just in dem Moment zu vollziehen, als die bürgerliche Epoche an ein Ende gelangt war und die Massenmobilisierung des Antiliberalismus unter demokratischen Bedingungen ungeahnte Kräfte entfaltete.[12] Die erstmalige politisch-institutionelle Durchsetzung der liberalen Demokratie mündete in ihre sofortige – auch in den Augen der zeitgenössischen Betrachter – europaweite Existenzkrise. Dass die Gründung der Republik nicht ex nihilo, sondern mit Vorbelastungen erfolgte und von »Basiskompromissen« gekennzeichnet war, hat die Forschung immer wieder hervorgehoben. Nicht zuletzt galt die historische und politikwissenschaftliche Aufmerksamkeit lange Zeit den vermeintlichen Konstruktionsfehlern der Verfassung, dem Problem einer »stehengebliebenen« Revolution oder der allzu pfleglichen Behandlung alter Eliten in Wirtschaft, Militär und Verwaltung. All diese Phänomene sind bekanntlich häufig als Geburtsmängel oder richtungsweisende Weichenstellungen diskutiert worden, wobei die Vorstellung von einer fatalen Pfadabhängigkeit deterministischen Deutungsmustern günstige Bedingungen bot.[13]

Die Frage nach der Verantwortung des politischen Liberalismus für den Untergang der Weimarer Republik ist häufig gestellt worden, und wer die Geschichte als Weltgericht begreift, vermag 12eine ganze Anzahl von vermeintlichen...

Erscheint lt. Verlag 16.4.2018
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Theorie
Schlagworte Faschismus • Ideengeschichte • Kommunismus • STW 2250 • STW2250 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2250 • Totalitarismus
ISBN-10 3-518-75765-2 / 3518757652
ISBN-13 978-3-518-75765-9 / 9783518757659
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