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Der Apfelbaum (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
416 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1878-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Apfelbaum -  Christian Berkel
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»Jahrelang bin ich vor meiner Geschichte davongelaufen. Dann erfand ich sie neu.« Für den Roman seiner Familie hat der Schauspieler Christian Berkel seinen Wurzeln nachgespürt. Er hat Archive besucht, Briefwechsel gelesen und Reisen unternommen. Entstanden ist ein großer Familienroman vor dem Hintergrund eines ganzen Jahrhunderts deutscher Geschichte, die Erzählung einer ungewöhnlichen Liebe. Berlin 1932: Sala und Otto sind dreizehn und siebzehn Jahre alt, als sie sich ineinander verlieben. Er stammt aus der Arbeiterklasse, sie aus einer intellektuellen jüdischen Familie. 1938 muss Sala ihre deutsche Heimat verlassen, kommt bei ihrer jüdischen Tante in Paris unter, bis die Deutschen in Frankreich einmarschieren. Während Otto als Sanitätsarzt mit der Wehrmacht in den Krieg zieht, wird Sala bei einem Fluchtversuch verraten und in einem Lager in den Pyrenäen interniert. Dort stirbt man schnell an Hunger oder Seuchen, wer bis 1943 überlebt, wird nach Auschwitz deportiert. Sala hat Glück, sie wird in einen Zug nach Leipzig gesetzt und taucht unter. Kurz vor Kriegsende gerät Otto in russische Gefangenschaft, aus der er 1950 in das zerstörte Berlin zurückkehrt. Auch für Sala beginnt mit dem Frieden eine Odyssee, die sie bis nach Buenos Aires führt. Dort versucht sie, sich ein neues Leben aufzubauen, scheitert und kehrt zurück. Zehn Jahre lang haben sie einander nicht gesehen. Aber als Sala Ottos Namen im Telefonbuch sieht, weiß sie, dass sie ihn nie vergessen hat. Mit großer Eleganz erzählt Christian Berkel den spannungsreichen Roman seiner Familie. Er führt über drei Generationen von Ascona, Berlin, Paris, Gurs und Moskau bis nach Buenos Aires. Am Ende steht die Geschichte zweier Liebender, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch ihr Leben lang nicht voneinander lassen.

Christian Berkel, 1957 in West-Berlin geboren, ist einer der bekanntesten deutschen Schauspieler. Er war an zahlreichen europäischen Filmproduktionen sowie an Hollywood-Blockbustern beteiligt und wurde u.a. mit dem Bambi, der Goldenen Kamera und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Sein Debütroman Der Apfelbaum wurde von Kritikern und Lesern gleichermaßen gefeiert.

Christian Berkel, 1957 in West-Berlin geboren, ist einer der bekanntesten deutschen Schauspieler. Er war an zahlreichen europäischen Filmproduktionen sowie an Hollywood-Blockbustern beteiligt und wurde u.a. mit dem Bambi, der Goldenen Kamera und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Viele Jahre stand er in der ZDF-Serie "Der Kriminalist" vor der Kamera. Er lebt mit seiner Frau Andrea Sawatzki und den beiden Söhnen in Berlin.

1


»Na, mal wieder die Mutter besuchen?«

Was ging das die Blumenverkäuferin an? Und dazu noch dieser unverhohlene Vorwurf in der Stimme. Was wusste sie schon? Hier in Spandau kannte jeder jeden. Unerträglich. Ich bezahlte eilig und verließ den Laden.

Mit den Blumen in der Hand bog ich in den schmalen Weg zwischen den Wohnblöcken. Immerhin hatte man damals daran gedacht, diese Schuhschachteln um eine Rasenfläche zu gruppieren. Meine Eltern hatten sich dort eingemietet, nachdem sie ihr Haus in Frohnau verkauft hatten, um den Großteil des Jahres in Spanien zu leben. Damit löste mein Vater das Versprechen ein, das er meiner Mutter Jahrzehnte zuvor, in den Fünfzigerjahren, gegeben hatte, als sie aus Argentinien zurückgekehrt war und sich in Deutschland nicht mehr zurechtfand. Dieses Land war nicht mehr ihre Heimat, konnte es nie mehr werden.

»Komm schnell rein.«

Meine Mutter stand in der Tür, nur mit einem Morgenmantel bekleidet. Bevor ich ihr die Blumen in die Hand drücken konnte, zog sie mich in den Flur. Ein paar Wochen waren seit meinem letzten Besuch vergangen. Der Herbst ging in Regen und Schnee über. Es war kalt geworden.

»Ich muss dir etwas erzählen.«

In ihrem kleinen Wohnzimmer drehte sie sich um und warf den Kopf in den Nacken.

»Ich habe geheiratet.«

Ein Flugzeug donnerte über die Siedlung hinweg. Mein Vater war vor neun Jahren, am 24. Dezember 2001, gestorben.

»Warum hast du mir nichts davon erzählt?«, fragte ich.

Sie sah mich prüfend an, wartete einen Moment.

»Keine Sorge, er ist schon wieder tot.«

»Wie … aber …«

»Leberschaden.«

»Ach.«

»Ja, wie dein Vater, da war’s auch die Leber, aber schon damals im Krieg. Ganz plötzlich ist er umgefallen. Tot. Bei Carl war es ähnlich. Er hat deinen Vater im Krieg kennengelernt. Sie sind zusammen in Russland im Lager gewesen.«

»Wie … wer ist in Russland gestorben?«

»Na, dein Vater.«

»Nein.«

»Nein?« Sie lachte ungläubig. »Ich muss es ja wohl wissen, er war ja schließlich mein Mann, auch wenn wir unter Adolf nicht heiraten durften.«

»Nein, er kann nicht während des Krieges gestorben sein, sonst wäre ich ja nicht geboren … oder er wäre nicht mein Vater.«

»Natürlich war er dein Vater. Das wär ja noch schöner! Was soll denn das? Ideen wie ein altes Haus, das dem Einsturz nahe ist.«

»Na, ich bin 1957 geboren, er kann ja nicht im Krieg gefallen, also gestorben sein, meine ich, und mich dann zwölf Jahre nach Kriegsende gezeugt haben …«

Sie starrte mich wütend an.

«Bei dir haben sie wohl eingebrochen und vergessen zu klauen.« Ihre trüben Augen fixierten mich. »Das ist ja zum Piepen, ist das! Also jetzt pass mal auf, der Carl, der hat mir sehr viel Geld hinterlassen, weil, na ja, er wollte, dass ich abgesichert bin, weißt du, und da er mit seiner Sippe wegen mir immer Ärger hatte …«

»Warum denn?«

»Na, er kam aus der Familie Benz.« Sie machte eine Pause und sah mich vielsagend an.

»Benz?«

»Ja. Daimler Benz.«

Der Name war wie ein Achtzylinder über ihre Zunge gerollt.

»Und warum hatte er deinetwegen Ärger mit seiner Familie?«

»Manchmal bist du aber wirklich schwer von Kapee. Warum wohl? Die haben natürlich Angst vor Erbschleichern. Außerdem war Carl sehr viel jünger als ich. Das hat denen natürlich auch nicht gepasst.«

»Wie alt war er denn?«

»So genau weiß ich das jetzt nicht mehr. Siebenundvierzig? Manches vergesse ich inzwischen, weißt du? Vielleicht auch sechsundvierzig, also Ende vierzig oder Anfang … na ja.«

»Aber ich dachte, er sei mit Papa in russischer Gefangenschaft gewesen?«

»Das habe ich doch gesagt. Hast du wieder nicht zugehört?«

»Nein, ich meine nur, dass er dann nicht Ende vierzig gewesen sein kann … also, wenn er zusammen mit Papa in dem russischen Lager war.«

Ich hoffte, sie würde einlenken, obwohl mir klar war, dass sie es nicht tun konnte. Widersprüche hatten sie auch früher nicht gestört. Ich versuchte es trotzdem.

»Eigentlich müsste er dann so etwa in deinem Alter gewesen sein.«

»War er aber nicht. Er war dreißig Jahre jünger. Punkt­um. Also, jetzt pass mal auf, er hat mir zwei Millionen Euro auf mein Konto überwiesen. Und da ich das Geld nicht brauche, wollte ich es deiner Schwester und dir schenken.« Sie strahlte mich zufrieden an.

»Oh, das ist lieb von dir, aber willst du es nicht doch behalten?«

»Wozu? Ich habe genug, und allzu lange will ich auch gar nicht mehr leben. Ich kenne das alles schon zur Genüge und will mich ja schließlich nicht langweilen. – Ach, bevor wir zur Bank gehen, um das Geld abzuheben, möchte ich noch ins Interconti fahren.« Ich sah sie fragend an.

»Na, da haben Carl und ich unsere Hochzeitsnacht verbracht, und am nächsten Morgen habe ich doch diiiirekt mein Hochzeitskleid dort vergessen. Wahrscheinlich hängt es da noch im Schrank. Das möchte ich schon haben.«

Ich war mit einem Block voller Notizen gekommen, saß vor meiner Mutter, wollte sie über meinen Vater befragen – und sie erzählte von ihrer Hochzeit mit Carl Benz.

Ich begriff, dass die Zeit, nach der ich suchte, nicht in Vergessenheit geraten war. Sie begann sich vor meinen Augen aufzulösen. Was blieb, waren Bruchstücke aus ihrem Leben. Einzelne Motive tauchten in Variationen auf, wurden neu verknüpft, als hätte man ein Bild in einzelne Teile zerschnitten, einige dabei verloren, andere zu einem neuen Ganzen zusammengesetzt. Als würde die Seele im Vergessen neu kartografiert.

Und mein Vater, mit dem sie durchs Leben gegangen war – seit ihrem dreizehnten Jahr –, mein Vater war verschwunden, vor langer Zeit im Krieg gestorben, ersetzt durch Carl Benz.

Mein Vater war von März 1945 bis Ende 1950 in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen. Verwandelte sie die Tatsache, dass sie in dieser Zeit von ihm getrennt gewesen war, jetzt in seinen Tod? Wenn sie ihn damals verloren geglaubt hatte, wenn sie begonnen hatte, seinen Tod zu akzeptieren, wie es viele Frauen damals taten, dann war dieser Tod eine Zeit lang Teil ihrer Wirklichkeit geworden. Griff ihr schwindendes Gedächtnis jetzt erneut darauf zurück?

Die Filiale der Sparkasse war nur wenige Minuten entfernt. Zielstrebig ging meine Mutter auf einen Berater zu. Sie legte eine große, leere Tasche auf den Tresen.

»Guten Tag, würden Sie bitte meinen Kontostand aufrufen? Sala Nohl«, sagte sie in gesetztem, beinahe feierlichem Ton. Nach dem Tod meines Vaters hatte sie wieder ihren Mädchennamen angenommen.

»Sehr gerne, gnädige Frau.«

Der Bankangestellte nickte höflich. Sie lächelte mich verschwörerisch an. Für einen kurzen Moment wurde ich unsicher. Es konnte eigentlich nicht sein. Oder doch?

«3.766 Euro und 88 Cent, gnädige Frau.«

Sie sah kurz auf.

»Nein, das andere Konto.«

Der Berater schien nicht zu verstehen. Sie wandte sich zu mir und schüttelte seufzend den Kopf, als würde sie sich für die Unfähigkeit eines Mitarbeiters entschuldigen, der noch einiges lernen musste, worüber sie jetzt mal großzügig hinwegsehen würde.

»Gnädige Frau, es tut mir leid, aber Sie haben bei uns nur dieses Konto.«

»So so, habe ich das, ja?«

Sie nickte unsicher, während aus ihrem Gesicht die Farbe wich. »Gut, dann komme ich morgen noch mal, wenn Ihr Chef da ist.«

Der arme Mann blickte mich fragend an.

»Sehr gerne, gnädige Frau.«

Ich führte sie vorsichtig hinaus.

Auf der Straße blieb sie nach wenigen Schritten stehen. Sie sah mich erschrocken an.

»Ich kann das doch nicht alles geträumt haben.«

Ich sprach mit Ärzten, schilderte so gewissenhaft ich konnte meine Beobachtungen, auch die frühesten Zeichen der beginnenden Auflösung, und erfuhr, was ich von Anbeginn wusste. Mir blieb nichts, als sie auf dem unabwendbaren Weg bis zum Eingang des Tunnels zu begleiten, um sie, Schritt für Schritt, in die erinnerungslose Dunkelheit zu entlassen. Ein Psychiater riet mir, meine Mutter so oft wie möglich zu besuchen. Regelmäßige Gespräche, soziale Kontakte könnten den Verlauf mildern. Die Besuche fielen mir schwer. Es dauerte, bis ich mich hier und da in ihre Welt hineindenken konnte. Meistens gelang es mir erst im Nachgang, die Bilder in meinem Innern zu ordnen, wenn ich wieder mit mir und dem Klang ihrer Stimme allein war.

Manche Menschen schmecken noch den Kuchen, den ihre Mutter sonntags auf den Tisch stellte, die besondere Mahlzeit, ihr Leibgericht, dessen Duft ihnen verlässlich die verschlossenen Räume ihrer Kindheit öffnet. Andere erinnern sich an ihr Parfum, ihre Umarmungen, ihr Wachen am Krankenbett, an ihren Gang, ihre Bewegungen, die Silhouette ihres Rückens, wenn sie das Licht löschte und das Zimmer verließ, an den Kuss, der ihnen die Angst vor dem...

Erscheint lt. Verlag 12.10.2018
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • 2. Weltkrieg • Altes Land • Andrea Sawatzki • Anne Gesthuysen • Annette Hess • Antisemitismus • Archipel • Argentinien • Autofiktionaler Roman • autofiktionales Schreiben • Beat • Bestseller • bestseller 2018 • Bestseller 2020 • Bestseller Familienromane • Bestseller Liebesromane • Buch Corona • Bücher 2020 • Corona Epidemie • Corona-Lektüre • Debüt • Debütant • Der Kriminalist • Deutsche Geschichte • Deutsche Literatur • Deutsches Haus • deutsch jüdische Geschichte • Deutschland • Die verlorene Tochter • Dörte Hansen • Eltern • Erinnerung • Familie • Familienbeziehung • Familienbuch • Familienepos • Familienroman • Ferdinand von Schirach • Franco • Frankreich • Gefangenenlager • Gegen Hass • Gegenwartsliteratur • Generation • Generationenroman • Gesellschaftsroman • Gesellschaftsromane • Großeltern • Gurs • gute Bücher Corona • Gute Taschenbücher • Halle • Heimat • Helmut Dietl • Herkunft • Holocaust • holocaust romane deutsch • Identität • Joachim Meyerhoff • Juden • Judenverfolgung • Jüdisch • Kehlmann • Kino • Kinofilm • Kölner Treff • Krieg • Kriegsgefangenschaft • Lager • Lanz • Lektüre Corona • Leseempfehlung Quarantäne • Lesen Corona • Lesen Quarantäne • Liebesromane 2020 • Manfred Krug • Marion Brasch • Mathias Brandt • Monte Verita • Nationalsozialismus • Nationalsozialismus Literatur • Nazi • Nazi-Deutschland • Neu • Neue deutsche Literatur • neue Familienromane • neue Romane • Neuer Roman • Neuerscheinung • Neuerscheinungen • Polen • Quentin Tarantino • Rassismus • Robert Seethaler • Roman • Romane 2020 • Russische Gefangenschaft • Russland • Safranski • Scheidung für Anfänger • Schirach • Spanien • spiegel bestseller • Spiegel Bestseller 2019 • SPIEGEL Bestseller 2020 • Spiegel Bestseller aktuell • Spurensuche • SZ • Thaddeusz • Ulrich Tukur • unteilbar • Wahrheitsberg • Was uns nicht umbringt • Wehrmacht • Wibke Bruns • ZDF • Zeitgenössische Literatur
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ISBN-13 978-3-8437-1878-3 / 9783843718783
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