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Im Cockpit der Biene -  Lars Chittka

Im Cockpit der Biene (eBook)

Wie sie denkt, fühlt und Probleme löst

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
323 Seiten
Folio Verlag
978-3-99037-156-5 (ISBN)
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Wie Intelligenz bei einem Tier nachweisen, das nur wenige Wochen lebt? Lars Chittka erzählt uns unterhaltsam von den Wundern natürlicher Intelligenz selbst bei winzigen Tieren. Bienen entwickeln im Schwarm faszinierende Fähigkeiten, sind aber auch als Individuen verblüffend intelligent. Neue bahnbrechende Forschungen zeigen, dass sie denken und fühlen, dass sie Persönlichkeit, wenn nicht gar Bewusstsein besitzen. Bienen zählen, erkennen menschliche Gesichter und nutzen Werkzeuge, sie lösen Probleme durch Nachdenken und reagieren individuell auf äußere Reize. Und das alles mit völlig anderen Sinnesorganen: Dank ihres kompakten Nervensystems navigieren sie präzise und speichern Informationen, ihre Antennen sind multifunktional wie Schweizer Messer. Das neue Standardwerk über die Biene

Lars Chittka, in Bad Homburg geboren, hat in Berlin bei Randolf Menzel promoviert und ist seit 2005 Professor für Sensory and Behavioural Ecology an der Queen Mary University of London. Er forscht auf den Gebieten der Entomologie, Evolutionsbiologie, Kognition, Sensorischen Ökologie und Verhaltensbiologie. Sein spezielles Interesse gilt Modellen der Insekten-Pflanzen-Interaktion, insbesondere der Intelligenz von Bienen und Hummeln.

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Merkwürdige Farben sehen


Die Idee, dass helle Farben für Insekten attraktiv sind, scheint auf der Annahme zu basieren, dass das Farbensehen der Insekten ungefähr dasselbe wie das unsere ist. Doch das ist überhaupt nicht erwiesen.

Lord Rayleigh, 1874

Um zu verstehen, was im Kopf einer Biene vorgeht, müssen wir zuerst herausfinden, wie die Sinne der Biene beschaffen sind, denn alle Informationen, die ein Tier aufnimmt, werden von seinen Sinnesorganen gefiltert – und die unterscheiden sich beträchtlich von Art zu Art. In diesem und im folgenden Kapitel werden wir erfahren, dass die Sinneswelt der Bienen in keiner Weise ärmer ist als unsere, obwohl ihr Nervensystem so winzig ist. Bienen besitzen dieselben Sinne wie wir (Tastsinn, Sehsinn, Gehörsinn, Geruchssinn, Geschmackssinn, Wärmeempfinden) und darüber hinaus einige, derer wir uns oft nicht bewusst sind (wie Gleichgewichts- und Zeitsinn). Sie besitzen aber auch Sinne, die uns fehlen (etwa einen magnetischen Kompass). Faszinierend ist jedoch, dass die Wahrnehmung der Bienen in jedem einzelnen Sinneskanal völlig anders ausgeprägt ist als bei uns. In diesem Kapitel beginnen wir mit dem Farbensinn der Bienen, der sich – wie Lord Rayleigh im obigen Zitat andeutet – grundlegend von unserem unterscheidet. Wir werden das Farbsehen der Bienen als Fallstudie verwenden, um zu zeigen, wie man die Sinne eines Tiers erforschen kann, bevor wir uns (in Kapitel 3) anderen Sinneswahrnehmungen der Bienen zuwenden.

John Lubbock (1834–1913, siehe Kapitel 3) beschäftigte sich als erster mit dem eigentümlichen Farbensinn von Insekten. Lubbock beobachtete, dass Ameisenkolonien, wenn man sie beleuchtet, ihre Brut aus dem Licht zu dunkleren Plätzen transportieren. Dann benutzte er verschiedene Farbfilter. Er stellte fest, dass Ameisen Larven und Eier aus violettem Licht entfernen, obwohl Menschen diese Wellenlänge fast als dunkel wahrnehmen. „Es hat den Anschein, dass ihre Farbwahrnehmung sich sehr von unserer unterscheidet. Doch ich wollte darüber hinausgehen und unbedingt herausfinden, inwieweit die Grenzen ihrer Wahrnehmung unseren entsprechen.“ Lubbock legte daraufhin Ameisenpuppen unter UV-Licht – und die Arbeiterinnen vieler Ameisenarten entfernten die Larven schnell aus der für sie potenziell schädigenden, für uns jedoch völlig unsichtbaren Strahlung. Darüber hinaus brachten die Ameisen ihre Larven oft in Rotlicht, das in den Augen eines menschlichen Betrachters sehr hell ist, für die Ameisen jedoch fast der Dunkelheit zu entsprechen scheint, in der sie ihre Brut gut aufgehoben wähnen. Dies war ein erster Hinweis darauf – der sich erst Jahrzehnte später bestätigte –, dass viele Insekten rotblind sind bzw. ihre Wahrnehmung sich nicht so weit wie unsere in die längeren Wellenlängen des Spektrums erstreckt.

Die Entdeckung, dass Insekten auf einen Teil der elektromagnetischen Strahlung reagieren, den Menschen nicht wahrnehmen, ermöglichte einen ersten Blick in eine Sinneswelt, die sich total von unserer unterscheidet (Abb. 2.1). Inzwischen wissen wir, dass die meisten Tiere (und alle Bienen) UV-Licht sehen können – eine Fähigkeit, die uns Menschen (und den meisten Säugetieren) erstaunlicherweise fehlt.

Abb. 2.1. Bienen reagieren auf UV-Licht, deshalb sehen sie Blumenmuster, die einem menschlichen Beobachter verborgen bleiben. Wir sehen die Blütenblätter der Blume (links) einfarbig gelb, doch die Biene sieht sie zweifarbig, wie in dem Bild (rechts) zu sehen ist, das mit einem speziellen, für UV-Licht durchlässigen Filter angefertigt wurde, der alle für ein Menschenauge sichtbaren Wellenlängen blockiert. Die weiße Hinterleibsregion der Hummel reflektiert ebenfalls UV-Licht, die gelben Steifen und der schwarze Teil jedoch nicht.

Carl von Hess versus Karl von Frisch – die Debatte über das Farbensehen der Bienen


John Lubbock hatte mithilfe seiner Forschung an dressierten Honigbienen bewiesen, dass Bienen lernen konnten, verschiedene Papierfarben mit Honig in Verbindung zu bringen. Doch der deutsche Augenarzt Carl von Hess (1863–1923) wandte ein, dies sei kein formaler Beweis für Farbensehen: Sogar ein völlig farbenblinder Mensch könne aufgrund der Intensität der jeweiligen Farben Rot von Blau unterscheiden. In ähnlicher Weise könnten zwei unterschiedlich pigmentierte Papierstreifen in den Augen eines farbenblinden Tieres als unterschiedliche Grauschattierungen erscheinen. In seinem ersten umfangreichen Buch über Farbensehen bei Tieren (1912) kam der angesehene von Hess, der für sein wissenschaftliches Werk in den Ritterstand erhoben worden war, zu dem Schluss, alle Wirbellosen (und auch Fische) seien farbenblind.

Im selben Jahr stellte der 26-jährige Universitätsassistent Karl von Frisch (1886–1982) die berechtigte Frage, warum es denn bunte Blüten gäbe, wenn Bestäuber die Farben gar nicht sehen könnten. Warum sonst sollte die Evolution dafür gesorgt haben, dass die meisten Blüten sich deutlich von den Blättern abhoben? Von Frisch führte ein Experiment durch, mit dem er von Hess widerlegte. Er stellte ein Schälchen mit Zuckerwasser auf ein buntes quadratisches oder rechteckiges Papier, inmitten von Papieren in verschiedenen Grauschattierungen (Abb. 2.2). Die Bienen setzen sich immer auf die bunte Karte, auch wenn die Lage dieser Karte verändert wurde, die Bienen sich also nicht einfach die Lage dieser Karte eingeprägt haben konnten.

Abb. 2.2. Originalabbildung aus Karl von Frischs bahnbrechender Publikation (1914) über das Farbensehen der Bienen. Bienen, die darauf dressiert waren, Zuckerwasser aus Glasschälchen auf blauem Papier zu schlürfen, entdeckten „Blau“ auch, wenn es sich an einer anderen Stelle befand, und konnten es von allen Grauschattierungen unterscheiden, womit bewiesen war, dass sie nicht nur die Helligkeit des Reizes gelernt hatten.

Wenn man im damaligen deutschen Universitätssystem als junger Wissenschaftler einem etablierten Professor widersprach, bedeutete das unter Umständen das Ende der Karriere. Wie erwartet tobte von Hess vor Wut. Als er von von Frischs Experimenten erfuhr, beeilte er sich, seinen Bericht noch vor von Frischs Buch zu veröffentlichen. Bei seinen Versuchen, Bienen das Farbensehen beizubringen, hatte von Hess Honig als Belohnung benutzt (anders als von Frisch, der geruchloses Zuckerwasser verwendete), doch der Geruch von Honig ist für Bienen so unwiderstehlich, dass er alle anderen Eigenschaften des Zieles übertönt. Deshalb war von Hess zu einem negativen Ergebnis gekommen. In seiner Schrift „Experimentelle Untersuchungen über den angeblichen Farbensinn der Bienen“ (1913) prahlte er: „Es ließ sich zeigen, dass sowohl die älteren Angaben Lubbock’s … wie auch die neueren von Frisch’s, nach welchen eine „Dressur“ der Bienen auf bestimmte Farben möglich sein sollte, sämtlich unrichtig sind … Es ist bisher nicht eine einzige Tatsache bekannt geworden, die die Annahme eines dem unseren irgendwie vergleichbaren Farbensinnes bei Bienen auch nur wahrscheinlich machen könnte. Dagegen ist durch meine Untersuchungen … diese Annahme endgültig widerlegt.“

Doch von Frisch war weder beeindruckt noch eingeschüchtert. In seinem ausführlichen Bericht über seine Experimente (1914) legte er den Beweis für das Farbsehen der Bienen klar und deutlich dar. Auch in seinen Kommentaren zur Arbeit von von Hess nahm er kein Blatt vor den Mund:

Von Hess gibt dies freilich nicht zu. Er sucht meine Arbeiten dadurch zu diskreditieren, dass er immer wieder erklärt, sie seien laienhaft und ohne Kenntnis der Physik und Physiologie der Farben angestellt. Ein stichhaltiger Beweis für diese Behauptung wird nicht erbracht. … Meine entscheidenden Versuche erklärt er sämtlich für unrichtig … ich protestiere gegen die in der Wissenschaft nicht unübliche Methode der Polemik, und ich kann verlangen, dass v. Heß so wegwerfende Redensarten … unterlässt.

Von Hess legte „zur Prüfung dieser Angabe“ seinen Bienen, die er auf Blau dressiert hatte, einen gelben, mit Honig beschmutzten Bleistift vor und sah, dass sie diesen besuchten; auch eine blaue Jacke besuchten sie erst, als er sie mit Honig beschmutzte. Der Versuch zeigt nur – was jedermann weiß –, dass Bienen durch Honig angelockt werden können.

Als junger Wissenschaftler setzte von Frisch mit derartigen Aussagen seine Zukunft aufs Spiel. Er schrieb an seine Mutter, er hätte „das nicht ganz behagliche Gefühl, nun einen wirklichen Feind in der Welt zu haben, den ersten, und einen, der mir genug schaden kann“. Doch von Frischs Beweise waren so eindeutig, dass von Hess’ Versuche, den jungen Wissenschaftler zu diskreditieren, ins Leere liefen. In seiner Autobiografie räumte von Frisch sogar ein, dass ihm die Auseinandersetzung geholfen habe, hatte sie ihm doch Bekanntheit verschafft. Sicher bereitete sie ihn...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2024
Übersetzer Karin Fleischanderl
Sprache deutsch
Themenwelt Technik
ISBN-10 3-99037-156-8 / 3990371568
ISBN-13 978-3-99037-156-5 / 9783990371565
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