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Wörterzauber statt Sprachgewalt (eBook)

Achtsam sprechen in Kita, Krippe und Kindertagespflege
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
96 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-82622-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wörterzauber statt Sprachgewalt -  Lea Wedewardt
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Lea Wedewardt beschreibt in diesem Buch anhand von ganz konkreten Beispielsituationen, was Worte bewirken können. Es sind Situationen, die jede:r aus dem Kita-Alltag kennt. Die Worte 'rutschen einem so raus', unbedacht oder auch ganz bewusst, denn manchmal 'muss man auch Klartext reden'. Dass Worte einen ganz entscheidenden Einfluss darauf haben, wie sich ein Kind fühlt und welches Bild es langfristig von sich selbst entwickelt, zeigt die Autorin hier deutlich. Dabei schafft sie es, dass man sich regelmäßig wie 'ertappt' fühlt und unbedingt wissen möchte, wie es denn anders geht. Ganz ohne erhobenen Zeigefinger sensibilisiert sie für einen Umgang mit Sprache als 'Wörterzauber' statt als 'Sprachgewalt'. Was macht achtsame Sprache aus und wie gelingt sie im oft hektischen und stressigen Alltag mit den Kindern?

Lea Wedewardt ist Kindheitspädagogin (BA) und hat Praxisforschung in der Pädagogik (MA) studiert. Sie arbeitete im Qualitätsmanagement für Kitas und war als Dozentin einer Erzieherfachschule tätig. Sie betreibt einen Blog zur bedürfnisorientierten Kinderbetreuung (www.beduerfnisorientierte-kinderbetreuung.de) und einen passenden Podcast (der Kita Podcast).

Lea Wedewardt ist Kindheitspädagogin (BA) und hat Praxisforschung in der Pädagogik (MA) studiert. Sie arbeitete im Qualitätsmanagement für Kitas und war als Dozentin einer Erzieherfachschule tätig. Sie betreibt einen Blog zur bedürfnisorientierten Kinderbetreuung (www.beduerfnisorientierte-kinderbetreuung.de) und einen passenden Podcast (der Kita Podcast).

Du Trödler!“


2Vorurteilsbewusstes Sprechen üben


Menschen neigen dazu, Kategorien zu bilden, um für sich selbst Struktur und Kontrolle zu erlangen. Das zeigt sich auch in der Sprache. Nicht aus Böswilligkeit benutzen Menschen verallgemeinernde Begriffe, vielmehr wollen sie sich Sicherheit und Orientierung verschaffen. Im Kita-Alltag, wenn Fachkräfte nicht mehr weiterwissen, hilflos sind oder sich ohnmächtig fühlen, ist das eine Kind dann schnell ein „Trödler”, das andere eine „Zicke”.

Das Beispiel


In der Garderobe ziehen sich die Kinder an; sie wollen in den Garten gehen. Der Tagesplan ist eng getaktet. Bereits in einer Stunde sollten sie am Mittagstisch sitzen, weiß Fachkraft Lina. Die anderen Kinder sind schnell fertig, nur Aaron braucht mal wieder länger, denkt sie. Er sitzt gemütlich in der Garderobe und hat nur seine Schuhe an, als die meisten Kinder bereits im Freien sind. Lina fordert Aaron mehrmals auf, sich nun die Jacke anzuziehen: „Aaron, bitte zieh jetzt deine Jacke an!” Er reagiert nicht und schaut sich die Aufnäher an der Jacke an. Lina ist genervt. Sie sagt: „Immer brauchst du am längsten! Jetzt beeil dich mal!” Das bringt jedoch nicht das gewünschte Ergebnis. „Du bist echt ein Trödler! Beim Essen trödelst du, beim Aufräumen, beim Anziehen, immer trödelst du!”, beklagt sich Lina.

Was ist hier passiert?


In ihrer Hilflosigkeit benutzt Lina eine beurteilende Zuschreibung: „Du Trödler!” Sie macht ihrem Stress Luft und übersieht dabei, dass ihre Worte Aaron in eine bestimmte Ecke drängen. „Trödler!” ist eine verallgemeinernde Namensgebung, die mit negativen Verhaltensweisen des Kindes assoziiert ist: Ein Trödler ist immer langsam, vorsichtig, lässt sich Zeit. Ähnliche stigmatisierende Etikettierungen wären Begriffe wie „Macker”, „Zicke”, „Memme”, „Trampel”, „Prinzessin” oder „Diva”. Jeder dieser Namen wird mit bestimmten, negativ bewerteten Eigenschaften in Verbindung gebracht: Der Macker ist laut und liebt die Selbstdarstellung, der Memme wird ein weinerliches, zimperliches Verhalten zugesprochen, der Trampel passt nicht auf und macht Sachen kaputt, eine Prinzessin lässt sich bedienen, die Zicke will vieles nicht, sagt oft „Nein”, und die Diva ist arrogant. All das sind stigmatisierende Beurteilungen.

Unter Stigmatisierung wird die Generalisierung von Unterschieden zwischen einer Person und anderen Menschen verstanden (Labeling). Diese Unterscheidung wird anhand eines Begriffs (z.B. Trödler) festgelegt. Der Person werden dabei negative Stereotype zugeschrieben, die von der Norm abweichen.

Fachkräfte transportieren durch ihre Sprache: „Als Macker, Zicke, Trampel, Hampelmann oder Trödler will ich dich nicht haben!” Kinder erleben mit diesem „Stempel” auch häufig den Verlust ihres Ansehens in der Gruppe und sich selbst gegenüber. Sie nehmen die Botschaft „So, wie ich bin, bin ich falsch!” mit und beziehen diese Interpretation auf ihr gesamtes Selbst.

Häufige Stigmatisierungen können zu einer Selbststigmatisierung führen, die es den betroffenen Menschen schwer macht, anders über sich zu denken als im Rahmen der Zuschreibung. So denken die betroffenen Kinder irgendwann selbst: „Ich bin ein Macker und soll mich aufmüpfig verhalten!” „Ich bin eine Memme, ich weine immer!” Zu Beginn wird bei der Selbststigmatisierung die verbale Zuschreibung wahrgenommen, dann folgt die Zustimmung und schließlich wendet das Kind die negativen Stereotype auf sich selbst an. Damit geht ein Verlust des Selbstwertgefühls einher (vgl. Corrigan u.a. 2006).

Pädagogische Fachkräfte können also mit negativen Etikettierungen bewirken, dass Kinder sich selbst nicht mehr mögen und ein negatives Selbstbild entwickeln. Zudem geben sie die Verantwortung für die überfordernde Situation und ihre starken Gefühle an die Kinder ab: „Wenn Lutz ein Macker ist, kann ich da als Fachkraft wenig machen!” „Jenny ist halt eine Memme, da kann man nichts machen!” Lina aus unserem Beispiel hat sich selbst entlastet, indem sie für sich feststellt: „Aaron ist ein Trödler, was soll ich da tun?!”

Dass Erwartungen von Erwachsenen im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung auf das Verhalten und das Wesen von Kindern wirken, konnte der sogenannte Rosenthal-Effekt zeigen. In mehreren Experimenten wies der amerikanische Psychologe Robert Rosenthal bei Grundschülern nach, dass diese entsprechend der Erwartungen des Lehrers Aufgaben gut oder weniger gut erfüllen konnten. Obwohl bestimmte Schülerinnen und Schüler anhand eines Intelligenztests als gleich intelligent eingestuft worden waren, waren diejenigen erfolgreicher beim Lösen von Aufgaben, von denen dem Lehrer vorab gesagt wurde, dass sie gute Leistungen erbrächten.

Was zeigt dieses Experiment? Die Einstellung von Erwachsenen zu Kindern, die sich auch verbal äußert, spiegelt sich im Verhalten der Kinder wider. Wenn Fachkraft Lina bereits abgespeichert hat, dass Aaron immer trödelt, wird er kooperieren, indem er diese Erwartung erfüllt.

Was könnte Lina stattdessen tun?


Die Kinder kommen mit unterschiedlichem Temperament, unterschiedlichen Erfahrungen und Hintergründen in die Kita. Die Aufgabe der Fachkraft ist es, jedes Kind mit seinem individuellen Wesen wahrzunehmen und anzunehmen. Kinder brauchen jeden Tag aufs Neue die Freiheit, sich auszuprobieren, in verschiedene Rollen zu schlüpfen und herausfinden zu dürfen, wer sie sind und was sie ausmacht. Sich in einer Situation „trödelnd” zu verhalten bedeutet nicht, dass das Kind ein Trödler ist – immer und in jedem Moment.

Sich selbst und die eigenen Vorurteile reflektieren

Warum könnte Lina das Stigma „Trödler” in der beschriebenen Situation benutzt haben? Es gibt hier mehrere Möglichkeiten:

•Biografische Erfahrungen: Lina kennt es aus ihrer eigenen Familie oder aus ihrer Ausbildungszeit, dass Kinder häufig mit verallgemeinernden, negativen Namen belegt werden, und hält ihre Worte deshalb für normal.

•Trigger reflektieren: Lina erlebt in der Situation mit Aaron etwas, dass bei ihr (unbewusste) schmerzhafte Erinnerungen auslöst. Sie selbst könnte eine „Trödlerin” gewesen und deshalb herabgewürdigt worden sein. Tiefliegende Glaubenssätze kommen zum Tragen.

•Glaubenssätze hinterfragen: Lina könnte glauben, dass Kinder auf sie hören und sie respektieren müssen. Sie hat vielleicht das Gefühl, provoziert und nicht ernst genommen zu werden. Dahinter befinden sich Glaubenssätze wie „Ich genüge nicht!”, „Ich werde nicht respektiert!”, „Ich werde nicht gesehen!”. Dafür kann jedoch Aaron nichts. Er ist nur der Auslöser für Linas Gefühle, nicht aber die Ursache (vgl. Fritsch 2012, S. 15). Für ihre Überforderung sollte sie selbst die Verantwortung übernehmen.

•Eigene Bedürfnisse beachten: Es könnte sein, dass bei Lina eigene Bedürfnisse unerfüllt sind und ihr körpereigenes Alarmsystem aktiv ist. Dann ist es wichtig, dass sie sich um sich selbst kümmert, um wieder für andere da sein zu können (vgl. Wedewardt & Hohmann 2021, S. 110ff.).

•Eigene Vorurteile reflektieren: Es ist wichtig, sich immer wieder der eigenen Vorurteile bewusst zu werden. Warum denke ich eigentlich, dass Aaron ein Trödler ist? Gibt es noch weitere „Labels”, die ich zu bestimmten Kindern oder auch Kolleginnen und Kollegen im Kopf habe?

Im Nachhinein könnte Lina sich selbst reflektieren und überlegen: Welche biografischen Einflüsse spielen bei mir eine Rolle? Was triggert mich genau und warum eigentlich? Macht es mich besonders wütend, dass Aaron mich nicht respektiert? Was führt dazu, dass ich mir über die Etikettierung Luft verschaffen möchte? Möchte ich die Verantwortung auf das Kind übertragen? Welche Bedürfnisse habe ich? Ist es das Bedürfnis nach Ruhe, Erholung, Unterstützung, Wertschätzung, Anerkennung, das Bedürfnis, gesehen und gehört zu werden? Wie kann ich mir diese Bedürfnisse erfüllen?

Im akuten Moment ist es für Lina wichtig, wahrzunehmen, dass Aaron auch Bedürfnisse hat, die nicht erfüllt sind. Das Trödeln ist eine Strategie, um sich ein eigenes Bedürfnis zu erfüllen. Dieser Perspektivwechsel ist wichtig, damit Lina anders auf die Situation blicken und sich in Aaron einfühlen kann. Lina darf verstehen, dass sowohl sie selbst als auch Aaron mit ihren Worten und Verhaltensweisen ausdrücken, dass ein Bedürfnis unerfüllt ist.

Verstehende Sprache

Lina könnte in der Garderobensituation zunächst für Unterstützung sorgen und eine Kollegin bitten, schon einmal mit den anderen Kindern in den Garten zu gehen. Dann kann sie sich Aaron ohne Druck widmen. Statt Aaron als Trödler zu bezeichnen, könnte Lina versuchen zu verstehen, welche Bedürfnisse er sich zu erfüllen versucht.

Lina fragt nach: „Aaron, du sitzt hier und ziehst dich nicht an (wertfreie Beobachtung). Ich vermute, du willst nicht rausgehen (ohne manipulierenden Tonfall, aus reinem Interesse)? Du würdest lieber hier drinnen bleiben, oder?”

Lina könnte auch das sogenannte Ja-Matra anwenden, um die Bedürfnisse von Aaron herauszufinden (Wedewardt & Hohmann 2021, S. 60). Mit dieser Technik kann sie...

Erscheint lt. Verlag 31.1.2022
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Vorschulpädagogik
Schlagworte achtsame Kommunikation • achtsame Sprache • Bedürfnisorientierung • Dialog • Gewaltfreie Kommunikation • Kita • Kommunikation • Krippe • Pädagogische Fachkraft • Resilienz • Resilienzförderung • Sprache
ISBN-10 3-451-82622-4 / 3451826224
ISBN-13 978-3-451-82622-1 / 9783451826221
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