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Blick aufs Meer, Arsch auf Grundeis (eBook)

Spiegel-Bestseller
Wie ich meinen Job kündigte, nach Südfrankreich zog und das Fürchten verlernte
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
256 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-28239-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Blick aufs Meer, Arsch auf Grundeis -  Brenda Strohmaier
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Lustig, tragisch, radebrechend - wie eine Frau in der Mitte des Lebens in Frankreich von vorne anfängt
Jahrzehnte lang gab Brenda Strohmaier alles für ihren Job, ihre Chefs, ihren Mann. Doch kurz vor 50 beschleicht sie die Angst, eine dieser verbitterten deutschen Frauen zu werden, die nach Giftmörderin aussehen. Als ihr jemand von Marseille vorschwärmt, fährt sie hin - und will sofort bleiben. Wegen des Lichts, der Leute und vor allem: der Langsamkeit. Sie lernt endlich Französisch, kauft eine Wohnung mit dem 'Charme der Vergangenheit' (= renovierungsbedürftig), kündigt mit großer Geste. Brenda Strohmaier ist wild entschlossen, den Kampf mit ihrem inneren Existenzangsthasen aufzunehmen. Und es gibt durchaus Chancen, dass sie ihn gewinnt.

Brenda Strohmaier, geboren 1971 in München, zog 1990 nach Berlin und wurde zur Journalistin mit vielen Nebenberufungen. Sie promovierte dazu, wie man lernt, Berliner zu sein und begründete eine Sexualkunde-Veranstaltung für Erwachsene. Zuletzt arbeitete sie als Stilredakteurin bei WELT. 2016 wurde Brenda Strohmaier Witwe, 2019 wagte sie einen radikalen Neuanfang: Sie gab ihren Job auf und zog nach Marseille.

1

Mit dem Mars-Rover in Rente

Mein neues Leben in Marseille begann im Januar 2016 in einer Warschauer Bar. Als Schnapsidee. Ich war für eine Reportage in der Stadt und abends mit meinem Schulkameraden Armin verabredet, der als Korrespondent aus Polen berichtete. Wir kannten uns aus der Oberstufe im Saarland, diesem schweinchenförmigen Mini-Bundesland an der französischen Grenze. Wir tranken irgendwas mit Wodka und wurden irgendwann nostalgisch. »Ich vermisse Frankreich«, sagte Armin plötzlich und dachte an all die Ausflüge ins Nachbarland, die zu unserem Leben im Grenzgebiet gehörten. »Moi aussi«, sagte ich. »Weißt du, Brenda, ich überlege, in Marseille in Rente zu gehen.« Marseille?

Im Spätsommer 2018 landete ich erstmals auf dem Flughafen Marseille Provence. Die Idee: Fünf Tage Städtetrip, einfach so aus Neugierde. Der Autoverleiher Sixt begrüßte mich auf dem Flugfeld mit dem Slogan »Auf die Eroberung des Mars«. »À la conquête de Mars«. Na dann. Ich war bereit. Ich shuttelte mit dem Bus L91 zum Bahnhof Saint-Charles und ließ mir von einem Kavalier den Koffer aus dem Busbauch hieven.

Tatsächlich wollte ich mich quasi ab dem Moment in Marseille zur Ruhe setzen, in dem ich wie ein Filmstar die monumentale Treppe hinab gen Stadt schritt. Na ja, franchement schleppte ich 23 Kilo Gepäck bei 31 Grad im Schatten 104 Stufen hinunter. In den Verschnaufpausen betrachtete ich neidisch die barbusigen Frauenskulpturen, die die Treppe säumten. Neidisch wegen der straffen Brüste, aber auch wegen der wetteradäquaten Nicht-Bekleidung. Unten angekommen ratterte ich mit dem Rollkoffer den Boulevard d’Athènes entlang, vorbei an Imbissen und einer Bettlerin, die um Geld für »un petit café« bat, hinein in Gassen voller Marktstände, Kippenverkäufer, arabischer Metzgereien, Taschendiebe.

Was für ein Empfang: Erst dieser Blick vom Bahnhofsvorplatz auf die Skyline, pardon, Panorama urbain, mit den Bergen am Horizont und der katholischen Notre-Dame de la Garde auf dem Hügel, dann dieses maghrebinische Gewusel mit Halal-Faktor mitten in der Stadt. Und all das eingetaucht in provenzalisches Licht, dessen Magie man am besten mit einem kleinen Seufzer beschreibt, gefolgt von »La lumière!«.

Hier wollte ich sein, hier wollte ich schwitzen, bis dass der Tod uns scheidet. Ich weiß, das ist, als würde man nach den ersten Minuten eines heißen Dates gleich die Hochzeit planen, im Falle des als schwer kriminell geltenden Marseilles sogar mit einem, der für häusliche Gewalt berüchtigt ist. Oder ist es eher so, als verliebe sich eine ältere Dame in den Handtaschenräuber, während der auf sie zustürmt? Von wegen die Rente ist sicher.

Ich ratterte mit meinem Koffer die Canebière hoch, die Straße, die vom Hafen in die Stadt hineinführt und vor 100 Jahren mal eine Prachtmeile gewesen sein soll. Nun lief ich vorbei am Touristenbüro, einer Seifenboutique, C&A, Trödelständen, Western Union. Ich ließ die mächtige Église des Réformés rechts liegen und schwitzte weiter auf der Zielgraden, dem Boulevard de la Libération, wo ich in einem stickigen Airbnb eincheckte. Dort verbrachte ich die Nacht mit der Jagd auf ausgehungerte Moskitos. Am nächsten Morgen machte ich mich blutarm, aber gut gelaunt auf die Suche nach Koffein und Nahrung. Ob Stechmücken uns »Kaffeesauger« nennen? Ich nahm zum Wachwerden un Crème vor der Brasserie auf dem Platz Stalingrad. Mein müdes Hirn versuchte sich vergeblich an einem Weltkriegswitz. An und unter den vielen Tischen um mich herum Einheimische aller Art, Papas und Mamas und wuselnde Kinder, Geschäftsfrauen, Morgenbiertrinker, Hunde. Raucher allüberall. Drei Bettler in zehn Minuten.

»Passen Sie auf Ihre Tasche auf!«, mahnte mich der Ober angesichts meines Rucksacks, der auf einem Stuhl neben mir saß. In Deutschland habe ich so was nur ein einziges Mal gehört, vor 20 Jahren im Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main. Ich mag diese Stadt übrigens sehr, überhaupt liebe ich große Großstädte, allein schon, weil es da so viele Bars, Parks und unterschiedliche Menschen gibt. Und Leute wie mich, die Großstädte mögen, weil es da so viele Bars, Parks und unterschiedliche Menschen gibt … Was waren noch mal Armins Argumente für Marseille gewesen? Zweitgrößte Stadt Frankreichs, am Meer gelegen, viel Sonne, keine Schnösel, bezahlbar. Von der Armut im Zentrum hatte er an diesem Abend nichts berichtet. Oder hatte der Wodka mir das Gedächtnis weggebrannt? Schnell zahlen, einen Euro Pourboire = Trinkgeld geben, sich fragen, ob das nicht zu viel ist, und wieder los, vorbei an einem SDF = Sans domi­cile fixe = Obdachlosen, der sein Handy an einer Steckdose auflud, die eigentlich für Markthändler gedacht ist.

Mein Rucksack schien mir nicht akut gefährdet durch all die armen Menschen. Eher fühlte ich mich wie eine Bedrohung. Hier kam meinereins, hungrige Speerspitze der Gentrifizierung. Und da stand eine Schlange mit Leuten, die aussahen wie ich, nach Akademiker, vielleicht ein Tick mehr Öko. Aha, eine Biobäckerei namens Bar à pain, oder wie der Marseiller das ausspricht: Peng. Ebenso wie er bieng zu bien = gut sagt. Ich stellte mich an und stand. Staaaand. Hunger! Ich spürte dieselben Mordgelüste in mir aufsteigen wie sonst in meinem Berliner Bummelbioladen. Meine innere Massenmörderin lud schon das Maschinengewehr. Peng, du bist Brot. Tod den Langsamen! Hier war ich irritiert. Meine schlechte Laune fand keine Verbündete. Niemand wurde rot im Gesicht, keiner hibbelte. Ich packte das imaginäre Gewehr wieder weg und betrachtete die Leute, die mitei­nander plauderten oder auf dem Handy herumwischten. Wie zierlich die waren. Und so kleine Füße! Mal eben googeln. Mmh. Laut WHO sind 23 Prozent der Franzosen stark übergewichtig. Von den Deutschen 20 Prozent. Mmmh. Nein, die Daten passten nicht zu dieser Schlange aus Schlanken. Aber vielleicht sind die Marseiller gar keine typischen Franzosen? War die Hälfte hier nicht italienischer Abstammung? Noch etwas daddeln. Ah, die Franzosen sind tatsächlich kleiner als wir, zwei Zentimeter im Schnitt. Und an den Füßen brauchen sie eine Nummer weniger. Na also!

Als ich endlich die Türschwelle überquerte, verstand ich den Stau. Drinnen gab’s Brot, bezahlt nach Gewicht, sowie Kaffee, nach den Regeln der Baristakunst gebraut. Abschneiden, wiegen, brühen, schäumen, zaaaaahlen. Das dauert. Es war wie im Animationsfilm Zoomania, in dem ein Faultier in der KFZ-Zulassung arbeitet und mit seiner Zeitlupenart eine hektische Häsin in den Wahnsinn treibt. Ich hatte mich zu 100 Prozent mit dem Häschen identifiziert. Nun war ich in Faultierhausen gelandet! Und staunte. Keiner drängelte, keiner motzte, auch nicht, als einer sich die Brotsorten detailliert erklären ließ, dabei fünfmal »ah, bon« sagte, endlich mit viel Kleingeld zahlte und dann noch mit dem Personal scherzte. In Berlin würde man ihn spätestens jetzt umlegen, mindestens durch Blicke, vielleicht auch per Faust. Hier ist mit Verkäufern und Verkäuferinnen plaudern Menschenrecht. Wie aufm Dorf.

Verrückt. Erst in Südfrankreich fiel mir auf, was wir deutschen Hauptstadt-Hasis uns für einen Stress machen. Beim Bäcker, im Auto, auf der Rolltreppe, immer überall ist es eiligst. Wohin wollen alle so schnell? Ich zumindest hoppelte gern zum Powerflow-Yoga. Soll wenigstens Muskeln bringen, die Entspannerei. Nun entschied ich mich laaangsam für ein paar ungesüßte Teighaufen und ein Oliven-Peng, dazu une Noisette, eine Art Espresso mit Milchschaum. Der Verkäufer bediente mich so charmant, als sei ich die erste Kundin des Tages. Ich machte es mir an einem der Tische vor der Bäckerei gemütlich, die Leute am Nachbartisch lächelten mir zu, einfach so.

Selbstverständlich klapperte ich als Stadtnovizin gleich in den ersten Tagen ein paar Reiseführerattraktionen ab. Wie den Plage des Catalans, den Strand mitten in der Stadt, an dem sich verschrumpelte Damen oben ohne neben fetten Kindern mit bekopftuchten Müttern sonnen und wo man seine Sachen umsonst in einem Container abgeben darf, natürlich nach entspanntem »Schlange machen« = faire la queue. Ich nahm auch den Minibus in den Nationalpark Calanques. Der liegt gleich am Stadtrand, so, als hätte der berühmte Gott in Frankreich ihn dahin geknetet, damit die Marseiller schon im Diesseits schwimmen, feiern, spazieren können wie Normalsterbliche erst später im Paradies. Eines Abends erklomm ich den Hügel der Notre-Dame, um von dort mit Dutzenden anderen Menschen auf die Stadt zu starren, auf das Meer und die ins Abendlicht (seufz, la lumière!) gewürfelten Häuser mit den roten Dachziegeln, von denen ich las, dass sie so halbrund-konkav aussehen, weil Frauen sie ursprünglich auf ihren Oberschenkeln formten. Beim Abstieg vom Hügel kam ich an einer Gruppe Tangotänzerinnen und -tänzer vorbei, die sich Lichterketten, Wein und viel sehnsüchtige Musik mitgebracht hatten. Alles gute Gründe, in Marseille bleiben zu wollen.

Noch überzeugender empfand ich allerdings diese Entschleunigung des Alltags. Schon nach ein paar Tagen in Marseille hatte ich das Gefühl, mein Blick sei weniger starr auf das nächste Ziel gerichtet. Vielmehr schweifte er hierhin und dahin. Ich freute mich über die harten Jungs mit lustig-bunt gemusterten Jogginganzügen und die vielen aufmunternden und oft feministischen Graffitis in der Stadt (»Du bist stark«, »Die Liebe siegt«, »Ich bin eine selbstbestimmte Nutte«). Ich wunderte mich über alles und jeden, und vor allem mich selbst. Ich hatte es verdammt nötig, mich fundamental zu entspannen, lâcher prise, sprich...

Erscheint lt. Verlag 9.5.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2022 • 50. Geburtstag • 50. Geburtstag Geschenkbuch • Arbeiten im Ausland • Auswandern • Auszeit • Das große Los • Eat Pray Love • eBooks • Elizabeth Gilbert • Existenzangst • Frankreich • Freunde finden • Leben im Ausland • Lebensträume verwirklichen • Marseille • Meike Winnemuth • Midlife Crisis • Neubeginn • Neuerscheinung • Persönlichkeitsentwicklung • Provence • Ratgeber • Reisen • Sabbatical • selbstfindung buch • spontan kündigen • Urlaubslektüre
ISBN-10 3-641-28239-X / 364128239X
ISBN-13 978-3-641-28239-4 / 9783641282394
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