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Was die Alten schon gecheckt haben und ich jetzt auch -  Marcel Mayr,  Silke Panten

Was die Alten schon gecheckt haben und ich jetzt auch (eBook)

Spiegel-Bestseller
Mein Leben als Altenpfleger
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
224 Seiten
Gräfe und Unzer (Verlag)
978-3-8338-9340-7 (ISBN)
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Von den Älteren lernen wir über Widerstandsfähigkeit, die subtilen Freuden des Lebens und die Bedeutung von Geduld und Verständnis. In ihren Geschichten und Erfahrungen sehen wir ein Spiegelbild des Lebens selbst, mit all seinen Höhen und Tiefen. Marcel Mayr begann mit gerade einmal 16 Jahren die Ausbildung zum Altenpfleger. Er erlernte dabei nicht nur einen Beruf, sondern gewann durch den Umgang mit älteren Menschen auch an Lebenserfahrung. In dem Buch spricht Marcel ehrlich und offen über die Herausforderungen in der Pflege, zeigt aber auch, welche schönen und unbezahlbaren Momente er als Altenpfleger erfahren durfte. Dabei lässt er uns teilhaben an den Lebensweisheiten und Ratschlägen, die ihm mit auf den Weg gegeben wurden.

Marcel Mayr, 29 Jahre jung, ist erfolgreicher Content Creator auf TikTok und Instagram mit weit über 1,5 Millionen Followern sowie gefragter Radiomoderator bei Absolut Radio in München mit seiner eigenen Personality-Radioshow. Bevor er allerdings 2020 zum Social-Media-Star und gefeiertem Radiomoderator wurde, war Marcel Altenpfleger. Auch heute noch ist er ehrenamtlich in der Pflege tätig. In seinem ersten Buch erzählt Marcel über seine Zeit als Altenpfleger, sonnige sowie stürmische Zeiten, die ihn zu dem Menschen gemacht haben, der er heute ist.

Marcel Mayr, 29 Jahre jung, ist erfolgreicher Content Creator auf TikTok und Instagram mit weit über 1,5 Millionen Followern sowie gefragter Radiomoderator bei Absolut Radio in München mit seiner eigenen Personality-Radioshow. Bevor er allerdings 2020 zum Social-Media-Star und gefeiertem Radiomoderator wurde, war Marcel Altenpfleger. Auch heute noch ist er ehrenamtlich in der Pflege tätig. In seinem ersten Buch erzählt Marcel über seine Zeit als Altenpfleger, sonnige sowie stürmische Zeiten, die ihn zu dem Menschen gemacht haben, der er heute ist.

»Könnten Sie mir mal bitte das Kissen aufschütteln, Herr Mayr?«


Warum Helfen keine Selbstverständlichkeit ist

»So geht das nicht, Herr Mayr! Sie können nicht einfach die Regeln neu erfinden. Wenn Ihnen langweilig ist, dann putzen Sie bitte die Rollstühle!« Nachtschwester Edna schnauft vor Empörung. Um ihre Worte zu bekräftigen, wedelt sie mit ihrem rechten Zeigefinger wild in der Luft umher und funkelt mich mit ihren blassgrauen Augen wütend an. Was ich Schlimmes getan habe? Ich bin mit zwei Patientinnen spazieren gegangen, nachts um 23:00 Uhr. Das ist offenbar verboten. Die Nächte sind zum Schlafen da. Natürlich, je mehr Patienten schlafen, desto mehr Ruhe hat Nachtschwester Edna. Dieses Pflegeschema wurde schon immer durchgesetzt, also wird das auch fortan so gemacht. Dass ich als Jungspund daherkomme und die Regeln über Bord werfe, ist ihr ein Dorn im Auge. Und das lässt sie mich in jeder gemeinsamen Schicht spüren.

»Gehen Sie schon mal in Ihr Zimmer, Frau F.«, sage ich zu der einen der beiden Patientinnen, die immer noch neben mir stehen und Nachtschwester Ednas Schauspiel unbehaglich verfolgen. Sie sagen nichts dazu, denn sie wollen sich keinen Ärger einhandeln. »Ich schaue in fünf Minuten noch einmal nach Ihnen. Und wenn Sie dann immer noch nicht schlafen können, schauen wir uns im Gemeinschaftsraum alle drei Teile von ›Sissi‹ an«, füge ich augenzwinkernd hinzu, weil ich weiß, dass Frau F. früher eine Schwäche für Schauspieler Karlheinz Böhm hatte und ich Nachtschwester Edna ein wenig ärgern will, ohne mich direkt auf ihre Sticheleien einzulassen.

Während Frau F. kichernd in ihr Zimmer geht, hake ich die andere Patientin unter und führe sie an meiner garstigen Kollegin vorbei weiter den Gang hinunter. Bei ihr hat der kleine Spaziergang Wunder gewirkt, sie kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Nachtschwester Edna würdige ich keines Blickes. Ich weiß, dass sie sich darüber noch mehr ärgert als über meine nächtlichen Eskapaden mit den Patienten.

Normalerweise läuft es nachts so ab: Die meisten Patientinnen und Patienten schlafen – natürlich. Einigen von ihnen werden allerdings vom Arzt als Bedarfsmedikation Schlaftabletten verordnet, und diese Mittel werden für gewöhnlich auch dankbar angenommen. Kann also ein Patient nicht schlafen, klingelt er nach uns und erhält eine Schlaftablette. Kann er dann immer noch nicht schlafen, erhält er eine zweite Tablette. Meist sind je nach Körpergewicht maximal drei Tabletten vorgesehen. Natürlich, wenn du ein Leichtgewicht wie Frau F. bist und zarte 56 Kilogramm wiegst, knockt dich schon die zweite Tablette völlig aus. Ich war allerdings noch nie ein Freund von der Medizinkeule, wenn sie sich vermeiden lässt. Und insbesondere bei Schlafschwierigkeiten behandeln wir ja nur das Symptom, nicht aber das Problem an sich. Frau F. beispielsweise leidet unter einem bisher nicht diagnostizierten Restless-Legs-Syndrom. Das bedeutet, dass ihre Beine kribbeln, unkontrolliert zucken und Frau F. deshalb ständig das Gefühl hat, ihre Beine bewegen zu müssen. Unpraktischerweise treten diese Beschwerden erst dann auf, wenn Frau F. zur Ruhe kommt und schlafen möchte, also nachts. Dass es hier mit Schlaftabletten langfristig nicht getan ist, versteht meine garstige Kollegin nicht. Bin ich nicht da, gibt es daher für alle Patienten einen Schlafcocktail – Nachtschwester Edna will schließlich ihre Ruhe haben während ihrer Schicht. Läuft dann doch mal eine Patientin auf ihrem nächtlichen Spaziergang Schwester Edna über den Weg, wird sie schlicht zurück in ihr Zimmer geschickt und mit einer weiteren Schlaftablette versorgt. So wurde es schon immer gemacht. Denn nachts wird geschlafen. Wo kämen wir denn da hin, wenn plötzlich alle Patienten Nachtwanderungen machen würden? Nein, das sind Ausreißer. Problempatienten. Sorgenkinder. Und die gehören behandelt. Die müssen eine Nachttablette bekommen. Der Arzt hat es ja angeordnet. Sagt Schwester Edna.

Ich sage: Einen Scheiß müssen diese Patienten. Ich habe nie verstanden, dass sich manche Kollegen so sehr auf alten Schemata ausruhen, dass sie individuelle Behandlungsmöglichkeiten komplett ignorieren. Ja, dem einen Patienten mag mit einer Schlaftablette wunderbar geholfen sein. Aber nicht jedem. Und die, denen es nicht hilft, dürfen gepflegt, behütet und umsorgt werden. Mit ihnen darf geredet werden. Und es darf geschaut werden, was ihnen guttun würde: Ist es ein Spaziergang? Ist es eine Beinmassage? Beruhigt sich das Gedankenkarussell vielleicht, wenn man eine Partie Skat mit ihnen spielt? Wenn man seine Patienten kennt, weiß man, was wem hilft. Wenn man allerdings nur mit der Medizinkeule durch die Station fegt und damit alles und jeden einschläfert, der sich einem in dem Weg stellt, dann hat man auch keine Möglichkeit, seine Patienten wirklich kennenzulernen.

Nachdem ich die eine Patientin zurück in ihr Zimmer gebracht habe, schaue ich noch einmal nach Frau F. Fast habe ich die Befürchtung, sie sitzt mit Nüsschen und Kamillentee bewaffnet auf einem Stuhl und wartet darauf, dass wir tatsächlich »Sissi« gucken und sie schmachten darf. Doch als ich ihre Tür öffne, schläft sie bereits tief und fest. Ganz ohne Tabletten. Nur mit ein wenig Zuwendung. Sieh mal einer an. Wer hätte das nur gedacht? Nachtschwester Edna gewiss nicht.

Heute habe ich Glück, die Nachtschicht ist ruhig. Es gibt auch andere Nächte, da weiß ich am Ende nicht, wo mir der Kopf steht. Heute habe ich Zeit, in die Pflegepläne zu schauen und alles abzuarbeiten, was sonst schon mal vergessen wird: Ich schaffe es, sämtliche Lagerungspläne einzuhalten, verabreiche Medikamente, die vom Arzt als notwendig verordnet wurden (und nicht als Bedarfsmedikation), kontrolliere Vitalwerte, helfe bei Toilettengängen und kleineren Notfallsituationen und kann einiges an Dokumentation nachholen. Nachtschwester Edna gehe ich, so gut es geht, aus dem Weg. Da sie tatsächlich nur Nachtschichten übernimmt, weiß sie glücklicherweise nicht, was ich noch so für Regelbrüche begehe. Ich glaube, wüsste sie über alles Bescheid, würden sich ihre Zehennägel aufrollen.

Wir Pflegekräfte könnten es uns oft so leicht machen, würden wir die Regeln einfach mal Regeln sein lassen und unser Herz in die Hand nehmen. Ich weiß, dass es die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen nicht böse meinen, wenn sie alles nach Schema F machen. Und sie machen einen großartigen Job. Doch manche Situationen in der Pflege haben heutzutage rein gar nichts mehr mit menschenwürdiger Behandlung zu tun. Dazu kommt, dass wir Pflegekräfte stets zwischen den Stühlen sitzen: Wir müssen einerseits den Anweisungen der Pflegeleitung Folge leisten, wollen andererseits das Beste für die Patientinnen und Patienten und zudem kommen noch die Angehörigen mit teils ungehörigen Wünschen daher.

Das erlebe ich einige Tage nach meiner Traumnachtschicht mit Schwester Edna. Ich habe Spätdienst, es ist Samstag, ein beliebter Besuchstag in Pflegeeinrichtungen. Das Telefon klingelt. Ich nehme ab.

»Ah, Herr Mayr, B. hier, gut, dass ich Sie direkt erwische«, höre ich eine gut gelaunte, aber hektisch klingende Männerstimme. Der Sohn von Oma Bärbel. Ich mag ihn nicht. Ich habe das Gefühl, er hat sie nur ins Pflegeheim verfrachtet, weil er scharf auf ihre Eigentumswohnung in Schwabing war. Oft zu Besuch kommt er auch nicht. Und wenn doch, hat er eigentlich immer was zu meckern. Ich bin gespannt, was er heute will. »Mein Vater hätte morgen Geburtstag, doch ich bin nach wie vor im Urlaub und kann meine Mutter daher nicht besuchen. Fahren Sie doch mal beim Konditor vorbei und besorgen Sie eine Torte. Ich geb Ihnen später das Geld.«

»Herr B., es tut mir wirklich leid, aber während der Arbeit habe ich keine Zeit daf…«, erkläre ich ihm. »Dann eben nach Ihrer Schicht«, fällt er mir ungeduldig ins Wort.

»Da kann ich leider auch nicht«, entgegne ich so freundlich, wie es mir in dem Moment möglich ist, und unterdrücke ein genervtes: »Da habe ich nämlich Feierabend, Sie Idiot!«

»Wie? Aber das geht doch ganz schnell. Sie sind der Lieblingspfleger meiner Mutter. Das hat sie mir erst letztens gesagt«, versucht er es nun auf die schmeichelnde Tour.

»Wie gesagt, ich …«, versuche ich, das Ganze abzukürzen, doch Herr B. fällt mir erneut ins Wort. »Dann kommen Sie eben morgen fünf Minuten später und halten auf dem Weg zur Arbeit beim Konditor an«, schlägt er vor und kann den Unmut seinerseits mittlerweile kaum noch verbergen.

So langsam geht er mir gehörig auf die Nerven. »Wie gesagt«, sage ich erneut, diesmal etwas schärfer. »Ich schaffe es nicht. Außerdem habe ich morgen frei. Sie müssen sich etwas anderes überlegen.«

»Frei? Ja, aber warum haben Sie sich denn dann für den Beruf des Pflegers entschieden, wenn Sie Ihren Job eigentlich gar nicht machen wollen? Gehört es nicht dazu, dass Sie anderen helfen, wenn sie Ihre Hilfe benötigen?«

Meine Schläfe beginnt zu pochen. Ich koche innerlich vor Wut. Es sind immer dieselben Menschen. Die, die sich gefühlt zweimal im Jahr im Pflegeheim blicken lassen, erwarten von uns Pflegekräften, dass wir rund um die Uhr und ausschließlich für ihre Mutter oder ihren Vater da sind. Dass auch wir einen Feierabend haben, kommt ihnen nicht in den Sinn. Pflegekräfte und geregelte Arbeitszeiten scheinen sich für viele Angehörige per se auszuschließen.

Natürlich würde ich Oma Bärbel zuliebe seine Forderung gern erfüllen. Doch wenn ich jetzt klein beigebe, werden Herrn B.s Ansprüche immer dreister werden. Also blocke ich ab. Frustriert legt er auf. Ich bin gespannt, ob er sich bei der Pflegeleitung über...

Erscheint lt. Verlag 6.5.2024
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte Altenpflege • alte Werte • Angehörige • Betreutes Wohnen • Booktok • BookTok Germany • Demenz • Kommunikation • Pflegeheim • Selbstbestimmung • Senioren • TikTok • TikTok books • TikTok Germany • Zusammenhalt
ISBN-10 3-8338-9340-0 / 3833893400
ISBN-13 978-3-8338-9340-7 / 9783833893407
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