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Als Hitler den Ersten Weltkrieg gewann -  Gerd Krumeich

Als Hitler den Ersten Weltkrieg gewann (eBook)

Die Nazis und die Deutschen 1921-1940
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
352 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-83282-6 (ISBN)
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Die bis heute wohl wichtigste Frage zum Nationalsozialismus ist: Wie konnte aus einer gewalttätigen Splitterpartei innerhalb weniger Jahre eine Massenbewegung werden, die Adolf Hitler an die Macht brachte? Welche Faktoren gaben den Ausschlag für den Erfolg der Nazis? Gerd Krumeich macht sich ausgehend von seinen jahrzehntelangen Forschungen zum Ersten Weltkrieg und dessen Folgen noch einmal auf die Suche nach einer Antwort auf diese Frage. Auf der Grundlage zeitgenössischer Quellen und der Forschungsliteratur stellt er fest: Die Bedeutung des verlorenen Ersten Weltkriegs in der Propaganda der Nationalsozialisten und den Reden Hitlers ist für die Attraktivität der Nazis und auch für die Radikalisierung eines mörderischen Antisemitismus bisher weit unterschätzt bzw. mit dem Begriff der »Dolchstoßlegende« marginalisiert worden. Krumeich legt eine dichte und intensiv geschriebene Neuinterpretation des Verhältnisses von Hitler und den Deutschen vor. Dabei entsteht eine neue Geschichte des Aufstiegs des Nationalsozialismus von seinen Anfängen bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs, über die übliche Grenze von 1933 hinweg.

Prof. Dr. Gerd Krumeich, geb. 1945, war von 1997 bis 2010 Inhaber des Lehrstuhls für Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen und französischen Zeitgeschichte, insbesondere zum Ersten Weltkrieg und seinen Nachwirkungen; Gründungsmitglied des Historial de la Grande Guerre, Péronne, Mitherausgeber der Documents diplomatiques français zum Versailler Vertrag.

Prof. Dr. Gerd Krumeich, geb. 1945, war von 1997 bis 2010 Inhaber des Lehrstuhls für Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen und französischen Zeitgeschichte, insbesondere zum Ersten Weltkrieg und seinen Nachwirkungen; Gründungsmitglied des Historial de la Grande Guerre, Péronne, Mitherausgeber der Documents diplomatiques français zum Versailler Vertrag.

Vorwort


Der Titel dieses Buches ist eine Provokation. Denn über Hitler und den Nationalsozialismus ist zwar unendlich viel geschrieben worden, aber nach wie vor unterbelichtet erscheint mir der Aspekt des Einflusses des Ersten Weltkriegs auf die Akzeptanz der Deutschen für Hitler und seine Bewegung. Deshalb sei hier gleich meine Hauptthese genannt, nämlich: Ohne das Versprechen, die Niederlage von 1918, den »schandhaften« Friedensvertrag von Versailles 1919 zu tilgen, Deutschland wieder zu alter und neuer Größe zu führen, die zwei Millionen Gefallenen des Krieges zu ehren und ihrem Tod für das Vaterland einen neuen Sinn zu verleihen, hätte Hitler niemals die Unterstützung gefunden, die dazu führte, dass er 1933 die Macht übertragen bekam. Mit diesen Themen, die für die Deutschen jener Jahre zentrale Bedeutung hatten, gelang es ihm, in Politik und Gesellschaft den Einfluss zu gewinnen, den er als Anführer einer nur extrem nationalistischen, antisemitischen und mit Blut-und-Boden-Spinnereien und Straßengewalt auffallenden Extremistenpartei niemals erhalten hätte. Es geht mir also um die strukturelle Bedeutung des Ersten Weltkriegs für die »Machtergreifung« der Nationalsozialisten und für die Stabilisierung ihrer Herrschaft nach 1933.

Es gibt bislang keine Geschichte der Weimarer Republik, die das Trauma des verlorenen Krieges durchgehend verarbeitet hätte.1 Man begnügt sich meist mit der Darstellung des Waffenstillstands von 1918 und des Versailler Friedensvertrags von 1919, wobei normalerweise darauf verwiesen wird, dass dieser Vertrag ja auch sehr gute Seiten gehabt habe, also keineswegs ein »Schandfrieden« gewesen ist, wie Generationen von Deutschen gemeint haben. Hinzu kommen immer wieder die geharnischte Abwehr der »Dolchstoßlegende« und die Beteuerung, dass davon überhaupt keine Rede sein könne, an der Niederlage von 1918 seien doch allein die Militärs schuld gewesen. Das lässt sich alles diskutieren, aber man sollte unterscheiden zwischen dem, was die Geschichtswissenschaft heute von all diesen Ereignissen und Verhältnissen weiß, und dem, was die Zeitgenossen davon wussten oder zu wissen glaubten und wovon sie überzeugt waren. Allein das damalige Wissen und die Überzeugungen der Menschen können erklären, was sie für wahr hielten und wem sie Glauben schenkten. Um ein Beispiel für diesen Zusammenhang zu nennen: Historiker haben herausgefunden, dass der sogenannte Kriegsschuldartikel des Versailler Vertrages, dem zufolge Deutschland Reparationen an die Siegermächte zahlen musste, weil es »als Verursacher« für alle Schäden verantwortlich sei, welche die alliierten Nationen erlitten hatten, überhaupt keine moralischen Implikationen gehabt, sondern nur die finanziellen Verpflichtungen des Verlierers geregelt habe. Auch das lässt sich diskutieren, aber fest steht, dass niemand in den Jahren nach 1919 so gedacht hat. Allen ging es um die klare Verbindung zwischen Schuld am Kriege, Schuld am Tod von etwa zehn Millionen Soldaten und ungeheuren Verwüstungen. Nur daran entzündeten sich Hass und Rachegedanken2 und nur deshalb konnten Politiker wie Hitler Gehör finden, die versprachen, diesen »Schandvertrag« wieder abzuschaffen.

Was die Spezialliteratur angeht, so gibt es einige weiterführende Bücher zu der Frage, warum die Deutschen den Nationalsozialismus an die Macht gebracht haben.3 Aber in keinem dieser Werke ist das Erbe des Weltkriegs zentral mit Hitlers Versprechen, die »Schmach« von Versailles zu tilgen und Deutschland wieder zu Ehre und Ansehen zu bringen. Deshalb habe ich mit diesem Buch versucht, in gewisser Weise neu anzusetzen, und exklusiv, ohne auf die vielen anderen Motivationsstränge für den Erfolg der Nationalsozialisten einzugehen, die Themen Bewältigung der Kriegsniederlage, Ehrung der Gefallenen, Heroisierung der »Frontkämpfer« in den Fokus der Betrachtung gestellt.

Sicherlich lässt sich auf diese Weise nur eine Teilerklärung für Hitlers Erfolg finden. Aber es ist zweifellos von Bedeutung, wenn erkannt wird, wie ungeheuer stark doch in allem, was die Nationalsozialisten dachten und taten, immer wieder auf den Großen Krieg von 1914 bis 1918 zurückgegriffen wurde. Es gibt keine Hitlerrede, die den Weltkrieg nicht thematisiert. Deshalb habe ich Hitlers Äußerungen zu diesem für ihn so zentralen Thema genau verfolgt und zu systematisieren begonnen, um die hauptsächlichen Weltkriegstopoi seines Redens und Schreiens offenzulegen. Und wenn man die Reaktionen der Zuhörer – auch der Frauen! – auf diese Reden liest, soweit sie protokollarisch überliefert sind, so war es meistens die Rede vom Krieg, von der Schande, von der Ehre und nicht zuletzt von den gefallenen zwei Millionen deutschen Soldaten, deren Opfer für das Vaterland doch nicht umsonst gewesen sein dürfe, die am meisten Erregung bzw. Beifall hervorrief. Hitlers Glaubwürdigkeit beruhte ja nicht zuletzt darauf, dass er die Menschen als jemand ansprach, der als »einer unter Millionen« den Krieg an der Front erlebt hatte, verwundet worden war und sogar das Eiserne Kreuz Erster Klasse (EK I) erhalten hatte – eine Auszeichnung für besonderen persönlichen Mut. Das wurde zwar schon in den 1920er Jahren angezweifelt und stimmte wohl auch nicht zur Gänze4, war aber für die allermeisten Menschen, die ihm folgten oder zuhörten, unzweifelhaft wahr.

Doch es geht in diesem Buch keineswegs allein um Hitlers Reden vom Krieg und dessen Folgen. Mindestens so wichtig ist, wie die Nationalsozialisten den Ersten Weltkrieg permanent inszenierten. So ist bislang kaum bekannt, dass beispielsweise der erste große Parteitag der NSDAP 1929 in Nürnberg ganz und gar dem »Vermächtnis« des Weltkriegs gewidmet war, einschließlich Gefallenenehrung und einem »Riesenfeuerwerk«, welches das Fronterlebnis zehn Jahre nach Ende des Krieges zurückzuholen versprach. Wussten wir schon, wie stark auch nach 1933 das Gefallenengedenken durch den NS geprägt bzw. erneuert wurde und dass Hitler selbst schon 1925 einen Riesentriumphbogen skizziert hatte, auf dem die Namen aller zwei Millionen deutschen Gefallenen eingraviert sein sollten? Oder wie sehr sich die Nationalsozialisten um die Kriegsversehrten kümmerten? Sie versprachen ihnen, dass sie unter ihrer Herrschaft endlich die öffentliche Ehrung erhalten sollten, die ihnen Weimar fast ostentativ versagte. Sicherlich war das durch Spezialstudien erforscht, aber wenig davon ist in die allgemeine Geschichtsschreibung und damit in die öffentliche Kenntnis von Weimar und dem »Dritten Reich« vorgedrungen.

Hat Hitler die Deutschen zu Nazis gemacht? Wer war denn ein echter Nazi und wer hatte nur Respekt oder sogar Begeisterung für Hitler? »Wenn das der Führer wüsste«, war ja nicht von ungefähr eine verbreitete Redensart angesichts des braunen Bonzensumpfes, der sich nach 1933 über Deutschland ausbreitete. Es geschah zwischen 1933 und 1940 etwas Merkwürdiges, auf das ich beim Schreiben dieses Buches gestoßen bin und was weiterer Klärung bedarf. Wie weit ist eigentlich die »Gleichschaltung« der Deutschen durch den NS gegangen?

Hat es nicht zumindest in der Zeit von 1933 bis 1938/39 in gewisser Weise »zwei Kulturen« des NS gegeben? Eine für die überzeugten Nazis und eine andere für die Abermillionen Mitläufer und Menschen, die eigentlich mit der Ideologie der Nationalsozialisten, mit Rasse, Blut und Boden und mit ihrem extremen Antisemitismus wenig zu schaffen hatten? Die aber glaubten, dass Hitlers Vorstellung von »Volksgemeinschaft« so ziemlich mit dem übereinstimmte, was man selbst immer schon gedacht und gefühlt hatte. Man kann feststellen, dass »Volksgemeinschaft« ein zentraler Punkt in nahezu allen Programmen der politischen Parteien der Weimarer Republik war. Und wenige erkannten den spezifischen Unterschied zwischen den allgemein verbreiteten »Gemeinschafts«-Topoi und der brutalen, alle inneren Feinde ausschließenden Vorstellung des NS von der »Volksgemeinschaft« der »echten« Deutschen unter Ausschluss aller Andersdenkenden und »Fremdstämmigen«. Dies ist ein weiterer Fall, wo sich unser historisches Wissen extrem von dem unterscheidet, was die Zeitgenossen fühlten und dachten und was ihr Handeln bestimmte.

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich auch, dass es kaum spezifische NS-Literatur zum Ersten Weltkrieg gegeben hat, weil die Nationalsozialisten nämlich einfach das fortführten, was schon vor 1933 in der Literatur des »soldatischen Nationalismus« üblich war. Und beim Kult um die Gefallenen des Weltkriegs, der nach 1933 stark gepflegt wurde, achtete man offensichtlich sorgsam darauf, die alten und die vielen neuen Denkmäler nicht mit spezifischen NS-Symbolen zu versehen und nicht umstandslos mit dem Kult um die »Gefallenen der Bewegung«, also die bei den Straßenkämpfen getöteten SA-Männer, zu vermischen. Es gibt viele solche Beispiele einer vorläufigen »kulturellen Zurückhaltung« des NS gegenüber dem Gros der Bevölkerung. Nach einem »Endsieg« wäre das sicher anders geworden, aber dazu ist es ja glücklicherweise nicht gekommen.

Diese relative Zurückhaltung des NS gegenüber den etablierten Denkweisen und Gefühlswerten aller »national« eingestellten Deutschen ist der Grund, so meine These, warum Hitler die Lösung des großen Traumas der Deutschen gelungen ist, nämlich die von kollektiver Begeisterung getragene Bewältigung der Niederlage von 1918.5 Und dieser Enthusiasmus war umso größer, als der »Führer« ja nicht etwa einen weiteren Krieg versprach, sondern den Frieden Europas, der aus Deutschlands neuem Rang in der Welt erwachsen sollte. Ein wichtiges Indiz für diese...

Erscheint lt. Verlag 11.3.2024
Zusatzinfo sw
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Schlagworte Adolf • Deutsche Geschichte • Dolchstoßlegende • Erster Weltkrieg • Frankreich • Hitler • Nationalsozialismus • Propaganda • Versailler Vertrag • Weimarer Republik • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-451-83282-8 / 3451832828
ISBN-13 978-3-451-83282-6 / 9783451832826
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