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Absolution? -  Daniel Marwecki

Absolution? (eBook)

Israel und die deutsche Staatsräson
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
212 Seiten
Wallstein Verlag
978-3-8353-8647-1 (ISBN)
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Ein Plädoyer für Selbstkritik und eine Einladung zur Debatte über ein so einzigartiges wie verwirrendes Verhältnis zweier Staaten Wenn Deutsche über Israel reden, reden sie meist über sich selbst. Worum es in den hitzigen Debatten hingegen selten geht, ist die eigentliche Beziehungsgeschichte zwischen der Bundesrepublik und Israel. Reden deutsche Politiker über diese Beziehungen, so fallen Wörter wie 'Wunder' oder 'Versöhnung'. Wörter, hinter denen eher Wunschdenken als Realität steckt. Nach der israelischen Staatsgründung von 1948 war es ausgerechnet die Bundesrepublik, die zur wichtigsten Unterstützerin des Jüdischen Staates wurde. Reparationen, Waffenlieferungen und Finanzmittel halfen, aus dem existenziell bedrohten Land eine Regionalmacht zu machen. Kein Wunder, dass Israel die ausgestreckte deutsche Hand annahm: eine andere Wahl hatte es kaum. Von Versöhnung aber war keine Rede. Niemand machte sich darüber Illusionen, dass in Deutschland ehemalige Nationalsozialisten Karriere machten - und mit der Israelhilfe ihre blutigen Hände in Unschuld wuschen. Der Preis für die Sicherheit Israels ist die frühe Absolution Deutschlands. Daniel Marwecki wirft einen erhellenden Blick auf die deutsche Israelpolitik von der Staatsgründung bis heute. 'Wer die aktuellen Debatten um das deutsch-israelische Verhältnis verstehen möchte, dem sei das Buch von Daniel Marwecki ans Herz gelegt. Quellengesättigt, bestechend argumentiert und glänzend geschrieben - mehr kann man von einer historischen Analyse nicht verlangen.' Stefanie Schu?ler-Springorum 'Marweckis ungeschönter Blick auf die Anfänge der deutsch-israelischen Beziehung entblößt blinde Flecken unserer Erinnerungskultur.' Charlotte Wiedemann 'Daniel Marweckis erstaunliches Buch zeigt, auf welch zweifelhafte Weise Deutschland sein moralisches Prestige nach der Shoah zuru?ckgewinnen konnte.Wer sich fu?r Deutschlands Vergangenheit interessiert und sich um seine Zukunft sorgt, sollte dieses Buch lesen.' Pankaj Mishra

Daniel Marwecki, geb. 1987, lehrt Internationale Beziehungen an der University of Hong Kong. Er hat 2018 an der SOAS University of London promoviert. Sein Buch »Germany and Israel: Whitewashing and Statebuilding« erschien 2018 bei Hurst Publishers. Seine journalistischen Beiträge erschienen unter anderem in Le Monde Diplomatique, der taz, Unherd und Jacobin.

Vaterland
Einleitung


Zwischen Oberbaumbrücke und Ostbahnhof befindet sich die East Side Gallery, bemalte Überreste der Berliner Mauer. Eine der Wandmalereien zeigt den blauen Davidstern der israelischen Nationalflagge auf dem deutschen Schwarz, Rot und Gold. Das Bild heißt Vaterland.

Israel ist ein kleines Land. Aber für das deutsche Selbstbild spielt es eine große Rolle.

Wenn wir Kunst an der Fähigkeit bemessen wollen, gesellschaftliche Selbstverständnisse auf den Punkt zu bringen, dann ist dem Maler hier etwas gelungen. Die Verschmelzung von Davidstern und deutschen Nationalfarben will den Abstand symbolisieren, den Deutschland zwischen sich und seine Vergangenheit gelegt hat.

Die Identifikation mit dem jüdischen Staat ist für die deutsche Vergangenheitspolitik zentral. Die Qualität und Enge der tatsächlichen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland gilt für die deutsche Politik als ein Gradmesser für das, was die »Bewältigung« einer sprachlos machenden Vergangenheit genannt wird.

Um den jüdischen Staat allerdings werden in Deutschland viele Worte gemacht. Kein anderes internationales Verhältnis ragt derart tief in die deutsche Identitätssuche hinein. Während die deutsche Politik ihr Verhältnis zu Israel in seltener Einmütigkeit pflegt, wird der israelisch-palästinensische Konflikt in der deutschen Öffentlichkeit ohne Bandagen ausgetragen. Dabei geht es in den Zeitungen, auf Twitter oder in den Fachschaftsräten kaum um den Konflikt an sich. Vielmehr ist der seit dem frühen 20. Jahrhundert andauernde Konflikt zweier Nationen um ein entferntes Territorium eine willkommene Schablone für deutsche Identitätskämpfe.

Deutsche Politiker pflegen das Verhältnis zu Israel in der Form eines gemeinsamen Rituals. Diese helfen einer Gesellschaft, sich ihrer Grundsätze und Basiskoordinaten zu versichern. Sie beantworten die Frage nach dem Wer und dem Wohin. Rituale versuchen, innerhalb von Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit gemeinschaftliche Fundamente aufzustellen: sie definieren ein »Wir«, dass auf eine geteilte Vergangenheit und in eine gemeinsame Zukunft blickt.

Für die Israel-Rituale der deutschen Politik gibt es laufende Beispiele. Eines aus der noch tagesaktuellen Vergangenheit mag veranschaulichen, wie eng die politische Identität Deutschlands an das Verhältnis zu Israel geknüpft ist. Im April 2018 feierte der Bundestag den 70. Geburtstag des 1948 gegründeten jüdischen Staates. Eigentlich aber war es eine Feier des heutigen Deutschlands, die das Bild auf der Berliner Mauer in Worte fasste: kein Vaterland ohne Israel.

»Indem wir Israel schützen, schützen wir uns selbst vor den Dämonen der Vergangenheit unseres eigenen Volkes«, sagte damals Martin Schulz für die SPD. Abgeordnete der CDU/CSU und der FDP äußerten sich ähnlich. Viele beriefen sich auf Angela Merkels berühmte Rede vor dem israelischen Parlament, der Knesset, aus dem Jahre 2008. Dort erklärte die damalige Kanzlerin, dass die Sicherheit Israels »deutsche Staatsräson« sei. Staatsräson ist ein Wort, dass über das wechselhafte außenpolitische Interesse weit hinausreicht. Es berührt den Wesenskern der deutschen staatlichen Identität.

Der wohl pointierteste Beitrag in der Bundestagsdebatte kam von der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt. »Die Existenz Israels ist unmittelbar verbunden mit der Existenz unseres Landes als freie Demokratie und deswegen unsere Verantwortung«, sagte sie, um die parlamentarische Aussprache dann in einem Satz zu verdichten: »Das Existenzrecht Israels ist unser eigenes.«

Sind die »Dämonen der Vergangenheit«, von denen Martin Schulz sprach, aber wirklich gebannt? Schützen »wir« uns vor diesen Dämonen, allein indem wir Israel schützen? Martin Schulz würde wohl zustimmen, wenn man ihm erwiderte, dass diese Dämonen doch längst in den politischen Körper der Republik zurückgefahren sind. Sie saßen neben ihm, fleischgeworden zum Beispiel in der Gestalt Alexander Gaulands, der den Israelkonsens aber keineswegs aufzuheben gedachte. Israel sei entstanden, so Gauland, »aus einem einmaligen Zivilisationsbruch, der für immer mit dem deutschen Namen verbunden bleiben wird: der Schoah. Gerade weil wir auf diese furchtbare Weise mit dem Existenzrecht Israels verbunden sind, war und ist es richtig, die Existenz Israels zu einem Teil unserer Staatsräson zu erklären.«

Natürlich ist die schuldabwehrende Passivkonstruktion »verbunden mit dem deutschen Namen«, die suggeriert, irgendjemand hätte den Deutschen die Verbrechen angeheftet, kein Zufall. Sie gehört zur parteilichen Grundorientierung, die Nazijahre als Betriebsunfall deutscher Geschichte umzudeuten. Es blieb auch in Israel nicht unbemerkt, dass Gauland zwei Wochen nach seiner Rede den Nationalsozialismus als »Vogelschiss« im Gesamtverlauf der deutschen Geschichte bezeichnete.

Man sollte die aufdringliche Unterstützung, die die AfD dem jüdischen Staat entgegenbringt, nicht mit einer ernsthaften Befassung mit den deutschen Verbrechen verwechseln. Ganz im Gegenteil geht es hier vielmehr um eine Schaufensterpolitik, die die geistige Nähe von großen Teilen der AfD zu eben diesen Verbrechen verwischen soll. Allerdings steht die AfD mit dieser Schaufensterpolitik nicht nur neben, sondern auch in der Tradition deutscher Israelpolitik, die sich von Anfang an in mindestens zwei Lager spaltete. So gab es auf der einen Seite immer schon diejenigen, für die die prinzipielle Unterstützung des jüdischen Staates eine moralische Aufgabe war. Eine Aufgabe, die immer auch den Zweck hatte, die deutschen Dämonen zu bannen. Und dann gab es die anderen, für die proisraelische Lippenbekenntnisse und Waffenlieferungen vor allem ein kostengünstiges Mittel waren, um Aufarbeitung und Denazifizierung zu entgehen – billige Persilscheinpolitik.

Um diese beiden Traditionslinien geht es auch in diesem Buch. Und noch um wesentlich mehr. Denn egal, wie man zu Israel und dem Palästinakonflikt stehen mag: es geht in der deutschen Israeldiskussion eigentlich nur um Deutschland. Was bei dieser Nabelschau außen vor bleibt, ist die tatsächliche Rolle, die Deutschland im arabisch-israelischen Konflikt seit der frühen Nachkriegszeit spielt.

Wovon in Deutschland (nicht) geredet wird, wenn über Israel geredet wird


Die gerade angesprochene Bundestagsdebatte zeigt: Wenn Deutsche über Israel reden, reden sie meistens über sich selbst. Geht es um Israel, dann geht es um deutsche Identität.

Worum es dabei paradoxerweise nicht geht, sind die deutsch-israelischen Beziehungen selbst. Das mag seltsam klingen, ist aber tatsächlich so. In der gerade zitierten Bundestagsdebatte sprach nur ein Abgeordneter der CDU-Fraktion kurz und anerkennend über die militärischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel und ermunterte seine Kolleginnen und Kollegen, es ihm dabei doch gleichzutun.

Das taten sie allerdings nicht. Stattdessen redeten sie davon, wovon deutsche Politiker eben reden, wenn sie über Israel reden. Nämlich von Wundern, Moral und Versöhnung. Wortwörtlich sagte die Sozialdemokratin Andrea Nahles, dass die »einzigartige Freundschaft« zwischen Deutschland und Israel ein »Wunder« sei, und sie brachte ihre »Dankbarkeit« für die »Versöhnung« zwischen beiden Ländern zum Ausdruck.

Wie kam es zu diesem angeblichen Wunder? Was liegt hinter der »Versöhnung«, ein Wort, dass nur deutsche Politiker im Munde führen können? Um solche Fragen geht es fast nie. Wunder aber geschehen vielleicht in der Bibel, nicht in der Politik. Das Nachkriegsdeutschland, das mit Israel das Entschädigungsabkommen von 1952 einging, war moralisch eine Trümmerlandschaft. Die Nation und Gesellschaft, die zuvor in ihrer großen Mehrheit Hitler gefolgt war, wollte ihre Verbrechen vergessen, nicht konfrontieren. Den jüdischen Überlebenden, die der deutschen Barbarei entkommen waren, ob nach Israel oder anderswohin, stand der Wille nach vielem, sicher aber nicht nach Versöhnung mit dem Land, in dem die meisten der Täter von gestern ein unbehelligtes Leben führten. Land der Verbrecher, Land der Verfolgten. Warum also gibt es die deutsch-israelischen Beziehungen überhaupt? Worauf gründen sie sich? Was zogen und was ziehen beide Seiten aus dem Verhältnis?

Laut einem Bericht des US Congressional Service, dem Recherchedienst des amerikanischen Kongresses, war »Deutschlands Einsatz für Israels Souveränität und Sicherheit seit jeher der stärkste Faktor in der deutschen Nahostpolitik und ein Schlüsselelement der deutsch-amerikanischen Kooperation in der Region.« Zwar sei es schwer, das genaue Ausmaß zum Beispiel der militärischen Beziehungen zu erfassen, so der Bericht. Aber die vorhandenen Analysen wiesen darauf hin, dass »deutsche Waffen eine beträchtliche Rolle in den israelischen Kriegserfolgen von 1967, 1973 und 1982« gespielt hätten. Im Fazit unterstreicht der Bericht für die amerikanischen Kongressabgeordneten, wie beständig Deutschland Israel unterstützt hat, aber auch wie geheim diese Unterstützung lange Zeit war. Die deutsche Politik habe »sich stets zugunsten der militärischen, finanziellen oder politischen Unterstützung Israels entscheiden«. Und: »Deutschland war vor allem deswegen darin erfolgreich, relativ gute Beziehungen mit beiden Seiten des arabisch-israelischen Konflikts zu unterhalten, weil es eine sichtbare Führungsrolle in...

Erscheint lt. Verlag 28.2.2024
Sprache deutsch
ISBN-10 3-8353-8647-6 / 3835386476
ISBN-13 978-3-8353-8647-1 / 9783835386471
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