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Deals mit Diktaturen (eBook)

Eine andere Geschichte der Bundesrepublik

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
622 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-81340-5 (ISBN)

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Deals mit Diktaturen -  Frank Bösch
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Der Umgang mit Diktatoren hat die bundesdeutsche Demokratie von Anfang an herausgefordert. Frank Bösch zeigt auf der Grundlage umfassender Archivrecherchen, welche Interessen dabei aufeinandertrafen und was in den Hinterzimmern besprochen und angebahnt wurde. Mit den Regierungen wandelte sich der Austausch mit Autokratien in Südamerika, Ostasien oder im Ostblock. Durch gesellschaftlichen Protest gewannen Werte und Sanktionen allmählich an Bedeutung. Doch der wirtschaftsorientierte Pragmatismus blieb, wie Frank Bösch anschaulich zeigt, das vorherrschende Muster, das die Geschichte der Bundesrepublik zutiefst prägte. Dezember 1964: Der kongolesische Ministerpräsident Tschombé wird feierlich in Berlin empfangen. Demonstranten stürmen über die Absperrungen. Den «Mörder von Lumumba» trifft eine Tomate «voll in die Fresse», wie Rudi Dutschke mit Genugtuung notiert. Für Dutschke war dies der «Beginn unserer Kultur-Revolution». Nachdem in den fünfziger Jahren die «Kaiser» aus Iran und Äthiopien bejubelt worden waren, führten in den Sechzigern Proteste von oppositionellen Migranten, antikolonialen Gruppen oder auch von Amnesty International zu einer stärker wertebasierten Diplomatie mit Diktatoren: Handel ja, aber bitte auch Freilassung einzelner Oppositioneller. Frank Bösch zeigt in seinem glänzend geschriebenen Buch, wie sich in den Jahrzehnten nach dem Nationalsozialismus im Umgang mit Diktaturen wirtschaftliche, politische und zivilgesellschaftliche Interessen zu einem Schlingerkurs verschränkten, dessen Widersprüche und Folgen uns bis heute beschäftigen.

Frank Bösch ist Professor für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Universität Potsdam und Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF). Bei C.H.Beck erschien bereits der SPIEGEL-Bestseller "Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann" (6. Auflage 2019, C.H.Beck Paperback 2. Auflage 2020).

Einleitung:

Mit Diktaturen umgehen


Der Umgang mit undemokratischen Staaten ist eine schwierige Herausforderung. Das zeigte sich etwa 2022 bei der Fußballweltmeisterschaft in Katar. Viele deutsche Fans kündigten einen Boykott der WM an, aber dennoch sahen rund siebzehn Millionen Deutsche die Spiele ihrer Elf im Fernsehen. Dass die deutsche Nationalmannschaft sich vor ihrem Auftaktspiel symbolisch den Mund zuhielt, verspotteten die einen als zu halbherzig, die anderen als Moralismus. Ähnlich kontrovers war die vorherige Katarreise von Wirtschaftsminister Robert Habeck, der dort um Gaslieferungen warb, um unabhängiger von Russland zu werden. Denn im Umgang mit Diktaturen treffen unterschiedliche politische, ökonomische und moralische Ziele aufeinander. Regierungen müssen ausloten, ob sie Diktaturen mit Handschlägen und Handel oder mit Sanktionen begegnen. Und im Alltag müssen wir entscheiden, ob wir Waren aus Diktaturen kaufen, Urlaube dort verbringen oder Verfolgten helfen.

Die engen Beziehungen zu Autokratien wie China, Russland oder Saudi-Arabien, die heute viel diskutiert werden, sind nicht erst durch die gegenwärtige Globalisierung oder die Männerkumpaneien von Politikern wie Gerhard Schröder entstanden. Schon seit Gründung der Bundesrepublik trugen viele Akteure dazu bei, eine langfristige Zusammenarbeit mit Diktaturen aufzubauen. Dieses Buch zeigt, wie Kooperationen mit Diktaturen seit der Ära Adenauer aufkamen und wie sie sich im Laufe der Zeit veränderten. Interne Akten der Bundesregierung verdeutlichen, wie viele Politiker, Diplomaten und Unternehmen die Zusammenarbeit mit Autokratien unterstützten, um «deutsche Interessen» zu fördern. Das stärkte zugleich den öffentlichen Protest gegen einige Autokratien, der den Umgang mit ihnen veränderte und neue Werte aufbrachte. Kooperation und Kritik hingen oft eng zusammen. Welche Staaten daraufhin sanktioniert wurden, änderte sich, und die Reaktionen blieben oft vielstimmig.

Eine andere Geschichte der Bundesrepublik


Der Blick auf den Umgang mit Diktaturen eröffnet eine andere Perspektive auf die Geschichte der bundesdeutschen Demokratie. Bislang wurde vor allem die erfolgreiche innere Demokratisierung der Bundesrepublik betrachtet, die anfangs mit der Westbindung und dann mit der Ostpolitik einherging.[1] Oft thematisiert wurde zudem der sich wandelnde Umgang mit der nationalsozialistischen Diktatur und der DDR. Weniger Beachtung fand, dass die bundesdeutsche Demokratisierung rasch mit einem intensiven politischen und ökonomischen Austausch mit zahlreichen Diktaturen in allen Weltteilen einherging. Das galt für die südeuropäischen Diktaturen in Spanien, Portugal und Griechenland ebenso wie für viele Militärdiktaturen in Südamerika.[2] Bereits bei der Fußball-WM in Argentinien 1978 musste sich die deutsche Nationalmannschaft zur dortigen Diktatur positionieren, die zehntausende Gegner töten ließ. Im Ringen um Einfluss umwarb die Bundesrepublik afrikanische Autokratien, und der wachsende Ölhandel verfestigte die Beziehungen mit den Regimen im Nahen und Mittleren Osten. Ihre «Petrodollars» machten viel kritisierte Diktaturen wie die in Libyen oder Iran zu attraktiven Geschäftspartnern. Mit der Ostpolitik der 1970er Jahre intensivierte sich der Austausch mit den staatssozialistischen Ländern. Kurz darauf umwarben die Deutschen die Volksrepublik China. Meist war die Bundesrepublik rasch einer der größten Handelspartner dieser Diktaturen und genoss bei ihnen politisch, ökonomisch und kulturell ein hohes Ansehen.[3]

Der deutsche Austausch mit Diktaturen nahm schon deshalb zu, weil sich fast überall in Afrika, Asien und Lateinamerika Autokratien verfestigten. In den 1970er Jahren galt nur noch rund ein Viertel aller Staaten weltweit als Demokratie.[4] Genau in dieser Zeit nahmen sowohl die globalen Verflechtungen als auch das Eintreten für Menschenrechte stark zu. Seit den 1960er Jahren kam es in der Bundesrepublik vermehrt zu Protesten gegen die Kooperation mit Diktaturen. Gewerkschaften, die Neuen Linken und Migranten aus den betroffenen Staaten wandten sich in Deutschland gegen «befreundete» Autokratien, ebenso Journalisten, neue NGOs wie Amnesty International sowie Oppositionsparteien wie später besonders die Grünen. Wie dieses Buch zeigt, führten die Proteste mitunter zur Einstellung von Staatsbesuchen, zur Aufnahme von Verfolgten, mitunter sogar zu Sanktionen, denn die immer engeren politischen und ökonomischen Verflechtungen erleichterten Interventionen.[5] Die Proteste trugen dazu bei, die in Deutschland gängigen Vorstellungen von Politik und Moral zu verändern und die Werte in der Außenpolitik zu verschieben. Wertebasiert war allerdings bereits die frühe Politik in der Ära Adenauer, die sozialistische Staaten sanktionierte und antikommunistische Autokratien tolerierte oder gar akzeptierte.

Wie Demokratien mit Diktaturen umgehen, ist kein spezifisch deutsches Thema. Auch andere Demokratien standen vor der Frage, welches Gewicht sie ökonomischen, strategischen und moralischen Zielen beimessen sollen. Diktaturen fordern viele Demokratien durch ihre nationalistische Machtpolitik heraus, die dazu führt, dass sie Absprachen und in der UN fixierte Rechte brechen. Ihre zentralistische Lenkung, Zensur und Korruption sind eine Herausforderung für den wirtschaftlichen und kulturellen Austausch. Sie greifen zudem direkt in Demokratien ein, indem sie Oppositionelle im Ausland bedrohen und damit Reaktionen erzwingen.

Obwohl alle Demokratien vor diesen Herausforderungen stehen, war der bundesdeutsche Umgang mit Diktaturen von Beginn an durch einige Besonderheiten geprägt. Eine erste ist die nationalsozialistische Vergangenheit. Viele Deutsche sahen sich seit den 1950er Jahren erneut mit Regimen konfrontiert, die Oppositionelle verfolgten und die Meinungsfreiheit unterdrückten. Die Erfahrung des Nationalsozialismus führte dabei zu unterschiedlichen Reaktionen auf Diktaturen: Sie konnte das antikommunistische Verständnis für autoritäre Ordnungen fördern, ebenso aber auch den Einsatz für Menschenrechte oder eine scheinbar unpolitische Neutralität. Noch 1977 argumentierte etwa das Auswärtige Amt: «Nicht zuletzt wegen unserer eigenen Geschichte sollten wir uns etwas zurückhalten, wenn es darum geht, Menschenrechtsverletzungen in anderen Staaten anzuprangern.»[6] Mit Verweis auf ihre Vergangenheit hielt sich die Bundesrepublik machtpolitisch und militärisch eher zurück. Stattdessen suchte sie vor allem ökonomisch und kulturell nach Anerkennung, Vertrauen und Einfluss. Die Bundesrepublik galt zwar selbst als ein Paradebeispiel dafür, dass aus einer Diktatur eine erfolgreiche Demokratie entstehen konnte, aber aufgrund ihrer Vergangenheit stand sie unter besonderer internationaler Beobachtung und war darum fortlaufend um ihr Ansehen im Ausland besorgt.[7] Engere Kooperationen mit geächteten Diktaturen waren für die Deutschen riskanter als für andere Länder. Angesichts der NS-Vergangenheit hatte etwa die deutsche Zusammenarbeit mit Franco-Spanien, Griechenlands Militärdiktatur oder mit israelfeindlichen Staaten wie Libyen einen besonderen Beigeschmack.

Zweitens sorgte die starke Exportorientierung der Bundesrepublik dafür, dass der deutsche Austausch mit nicht-demokratischen Staaten besonders intensiv war. Die Bundesrepublik liberalisierte gezielt ihren Außenhandel, und ihr Aufstieg zum «Exportweltmeister» ging mit vielfältigen engen Verbindungen zu Autokratien einher. Vom Umfang her war der bundesdeutsche Handel mit den westlichen Demokratien zwar größer, aber insgesamt profitierten die Deutschen von ihren weltweiten Geschäften. Vor allem für Diktaturen war diese Kooperation zentral, da die Bundesrepublik seit den 1960er Jahren zumeist zu ihren größten Handelspartnern zählte. Die Bundesregierung unterstützte dies mit ihrer Handelsförderung. Die Frage, wie sich diese Handelspolitik zu den Ansprüchen an Demokratie und Menschenrechte verhielt, stellte sich vor allem für Güter wie Waffen und Atomkraftwerke, deren Export in Diktaturen als besonders heikel galt.

Eine dritte prägende Besonderheit war die deutsche Teilung. Die bundesdeutsche Abgrenzung zur DDR prägte auch den Umgang mit anderen Diktaturen. Dass die Bonner Regierung bis Anfang der 1970er Jahre eine alleinige Anerkennung verlangte, erleichterte vielen Diktaturen eine privilegierte Partnerschaft mit der Bundesrepublik. Der «Global Cold War» wertete selbst wirtschaftsschwache Autokratien wie Zaire oder Äthiopien auf, die taktisch um Förderung warben und drohten, sonst mit der DDR zu kooperieren.[8] Beide deutsche Teilstaaten konkurrierten zunehmend im Süden...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2024
Zusatzinfo mit 10 Abbildungen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft Geld / Bank / Börse
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Reisen Reiseführer Europa
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Staat / Verwaltung
Schlagworte Bundesrepublik • Deals • Demokratie • Diktatoren • Diplomatie • Dritte Welt • Geschichte • Interessen • Nachkriegszeit • Politik • Werte • Wirtschaft
ISBN-10 3-406-81340-2 / 3406813402
ISBN-13 978-3-406-81340-5 / 9783406813405
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