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Mein Name ist Lilith (eBook)

Was uns verschwiegen wurde: die rebellische Erzählung des christlichen Mythos
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
464 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491737-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein Name ist Lilith -  Nikki Marmery
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Ungezähmt, ungebrochen, unwiderstehlich: die wahre Schöpfungsgeschichte, erzählt von Lilith, der ersten Frau. Im Paradies, am Anfang der Zeit, beginnt die große Lüge: Frauen sind Männern untergeordnet.  Lilith und Adam leben gemeinsam im Garten Eden. Als Adam verlangt, dass Lilith als seine Frau seinem Willen gehorchen soll, weigert sie sich - und wird aus dem Paradies vertrieben. Zornig sieht Lilith, wie Gott Eva erschafft, die Frau, die nur Unterordnung kennt. Denn Lilith erinnert sich noch an Asherah, die einst mächtige Ur-Göttin. Doch sie ist verschwunden. Zusammen mit dem Erzengel Samuel bricht Lilith auf, die Göttin zu finden und die Frauen aus der Unsichtbarkeit zurück ins Licht der wahren Geschichte zu führen. Marmerys 'Lilith' ist die elektrisierende Neuerzählung des christlichen Mythos.

Schon als Journalistin interessierte sich Nikki Marmery bei ihren Recherchen für die Geschichten hinter der Geschichte.  Für ihren Roman »Mein Name ist Lilith« ging sie in Archive und entwickelte aus der Forschungsliteratur zum christlichen Mythos ein neues Bild  von Lilith, der ersten Frau Adams. Die Autorin lebt mit ihrem Mann im englischen Amersham.

Sabine Herting lebt in München, übersetzt aus dem Englischen und Französischen und vertieft sich begeistert in literarische Welten. Übersetzt hat sie u. a. Salman Rushdie, Kasuo Ishiguro, Jamaica Kincaid, Elizabeth Fremantle, Nikky Marmery und Olivier Rolin.  Schon als Journalistin interessierte sich Nikki Marmery bei ihren Recherchen für die Geschichten hinter der Geschichte.  Für ihren Roman »Mein Name ist Lilith« ging sie in Archive und entwickelte aus der Forschungsliteratur zum christlichen Mythos ein neues Bild  von Lilith, der ersten Frau Adams. Die Autorin lebt mit ihrem Mann im englischen Amersham.

Die Schlange


Es heißt, Er habe mich zur Strafe in einen Dämon verwandelt. Aber sollte ich ein Dämon sein, dann bin ich ein unvergleichlicher. Nein. Ich glaube nicht, dass Er die Macht hatte, Asherahs Plan zu vereiteln. Denn meine Flügel waren Ihr Geschenk. Ich hatte Freiheit gewollt, mich dringlich nach ihr gesehnt – und siehe da, habe ich sie nicht?

Ich schwang mich in den rauschenden Ostwind und flog zu dem wellenumtosten Alashiya. Eine süßlich duftende Insel mitten im smaragdgrünen Meer, reich an Kupfer, mit uralten Eichen, schattenspendenden Platanen und Zypressen, die bis zum Himmel hinauf reichten. Ein Eiland der Fischer und Weinbauern.

Im Garten unseres Paradieses stand die Zeit still, doch hier hatte die Jahreszeit des neu keimenden Wachstums begonnen. Goldene Wolfsmilch setzte die Hügel in Flammen. Den Boden des Olivenhains zierte ein Teppich aus zarten Narzissen und blassen Anemonen. Auf den Wiesen blühten kräftige Orchideen.

Eva hatte mir widerstanden. Sie hatte mir nicht zugehört. Wenn ich mir die Hoffnung bewahren wollte, ihr die Weisheit weiterzugeben, die Asherah mir anvertraut hatte, dann müsste ich eine andere Gestalt annehmen. Ich übte zwischen hohen Kiefern an einem Berghang. Ich stellte mir vor, ich könnte mich wandeln, so wie ich an die Flügel gedacht hatte, ehe sie mir wuchsen.

Anfangs konnte ich nur verschiedene Teile meines Körpers beschwören. Gespaltene Hufe, die meine Hände ersetzten. Ein Eselsschwanz – er gefiel mir –, der mir hinten wuchs und als Rute diente, um Fliegen zu verscheuchen. Doch das reichte noch nicht. Ich müsste das, was ich werden wollte, sehen, so wie ich die fliegenden Engel gesehen hatte. Ich dachte mir meine Flügel weg und wanderte den Hügel hinauf.

Kiebitzjunge piepsten von den Zweigen und verlangten nach Futter. Zartes Kraut drängte sich durch die Erde. Der süßlich berauschende Duft der Mandelblüte lockte die Bienen aus ihren Stöcken. Im Garten Eden hatten wir keine Bienen. Wir brauchten sie nicht.

Neben den blühenden Obstbäumen plätscherte ein Bach, der das Schmelzwasser von den Bergen zum Meer trug. Welches Empfinden das in mir auslöste? Das des Wandels und des Voranschreitens; des gesetzmäßigen Verlaufs der Zeit. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich, die ich niemals zuvor eine Honigbiene gesehen, nie den Wechsel der Jahreszeiten erlebt hatte, geschweige denn die ganze Pracht eines heranreifenden Frühlings, von alldem überwältigt war.

Die Bäume lichteten sich. Ich trat auf eine Wiese mit vereinzelten Johannesbrotbäumen. Dahinter funkelte das Meer. In den sanften Wellen schaukelte ein Boot: ein einfacher Kahn, mit weiß-blauem Zickzack bemalt, das die Wellen spiegelte. Ein schöner Mann saß am Ruder, bis zur Hüfte nackt, mit glattem Haar, das ihm über den Rücken fiel. Mein Blut geriet in Wallung. Welch ein Betrug, mir zu erzählen, Adam sei der einzige Mann! Dieser Mann hier war tausendmal hübscher als er!

Ich beobachtete, wie er silbrige, zappelnde Fische über die Schulter auf einen wachsenden Haufen im Heck warf. Seine breiten Schultern glitzerten. Als er aufstand, um ein Netz einzuholen, spannte sich der Stoff um seine Lenden. Ich war noch immer nackt. Fraglos herrlich. Prall und stark. Aber so würde es nicht gehen. Ich brauchte ein Kleid, so eines, wie ich es seit meiner Flucht aus dem Garten oft gesehen hatte.

Mein Blick folgte einem Ziegenpfad bis zu einer rosa blühenden Tamariske neben einer Holzhütte am Meer. Leinentücher, die in den Ästen hingen, flatterten im Wind. Ich stahl eines, schlang es um mich, wie ich es bei anderen Frauen gesehen hatte, und knotete es an den Schultern. Um die Taille band ich mir eine Schärpe aus rot gefärbter Wolle.

Ich strich mein neues Gewand glatt und rief dem Mann etwas zu. Er zupfte noch immer die kleinen Fische aus dem Netz. Alle winzigen, zappelnden Fische warf er zurück ins Meer.

»Sei gegrüßt, Bootsmann!«, rief ich noch einmal.

Das war vor Babel, du verstehst. Da gab es noch keine fremden Sprachen. Doch es nutzte nichts, denn er antwortete nicht. Er fuhr mit seiner Arbeit fort und betrachtete stirnrunzelnd einen Riss in den Maschen.

Endlich sah er auf, wendete den Kopf von dem zerrissenen Netz zu mir, und schon warf er es ins Boot und ruderte zum Strand. Welch ein Anblick! Die Muskeln seiner starken Arme hüpften, sein langes Haar tanzte. Die Jahreszeit des neuen Lebens schoss in mir empor, versetzte meine Hüften in Freude und flutete durch meinen ganzen kribbelnden Körper. Als er das seichte Wasser erreichte, sprang er vom Boot und band es an den nächsten Baumstamm, aber noch immer grüßte er mich nicht.

Ich versuchte es ein weiteres Mal. »Wie heißt du?«

Er grunzte. Egal. Es war ja nicht so, dass ich von Adam nichts gelernt hätte.

»Ich werde dich Yem nennen«, sagte ich. »Und ich bin Lilith.«

Mit noch immer gerunzelter Stirn hob er einen Schilfkorb mit seinem Fang aus dem Boot. Das gefiel mir. Es bedeutete, er hatte viel zu tun und keine Zeit, mit Fremden freundlich zu plaudern. Adam hatte dauernd gegrinst, so zufrieden war er mit seinen Leistungen. Das hatte ihn wie einen Einfaltspinsel wirken lassen.

Yem ging über den Strand zu einem Pfad, der zu einer Senke zwischen zwei Hügeln führte. Ich eilte hinter ihm her und musste mir Mühe geben, mit ihm Schritt zu halten. Gespräche schienen ihm nicht allzu sehr zu liegen.

»Was hast du heute gefangen?«

»Fische.«

»Welche Fische?«

»Große Fische.«

Ich gab auf.

Der Weg schlängelte sich zwischen niedrigem stacheligen Ginster und sonnengewärmten Felsen hindurch. Der kühle Wind vom Meer wehte mir auf den Rücken. Ich wusste nicht genau, warum ich Yem folgte, außer dass ich ihm so nahe wie möglich sein wollte. Er würde mir etwas von der Welt zeigen, da war ich mir sicher. Und sollte er mir dann auch noch sein Bett zeigen, umso besser.

Wir kamen zu einem Dorf aus zehn, zwölf Hütten, die um einen steinernen Altar herumstanden. Rauch kräuselte sich aus einer glänzenden Metallschale empor, in der Weihrauch verglühte. Eine große Frau mit einem Kopfputz aus Mondsicheln stand vor einem jungen Paar. Um sie herum vielleicht zwei Dutzend Dorfbewohner. Yem stellte seinen Fischkorb ab und sah ehrfürchtig zu. Er legte die Faust auf die Brust und stimmte in den Gesang ein.

Seit meiner Flucht aus Eden hatte ich viele Zeremonien und Rituale miterlebt, doch niemals aus so großer Nähe. Aus der Ferne hatten sie unverständlich gewirkt, denn ihre Bedeutung verlor sich in Symbolen, die ich nicht verstanden hatte. Doch nun spürte ich die Kraft der dicht beieinanderstehenden Menschen, ihre gemeinsame Absicht und ihr Ziel. Der Trommelschlag durchpulste mich ebenso wie sie. Der Weihrauch betörte meine Sinne; meine Glieder und meine Stimme wurden eins mit der Menge. Wir wiegten uns und nickten im Rhythmus unseres gemeinsamen Herzschlags.

Die Priesterin winkte einen Helfer herbei und hob zwei schlanke grüne Schlangen aus ihrem Korb. Sie hielt sie hoch über die Köpfe des jungen Paars. Sie sang, die beiden verneigten sich, und die Schlangen wanden sich und zischten. Die Dorfbewohner senkten andächtig den Blick und schlugen sich mit der Faust auf die Brust.

In diesem Moment kam es mir. Ja, natürlich! Ich würde Eva die Weisheit in Gestalt einer Schlange nahebringen. Sind Asherah die Schlangen nicht heilig? Sind sie nicht die Boten der Weisheit? Entsprechend Asherahs Gesetz leben sie ihr Leben in Zyklen. Sie streifen ihre Haut ab und werden neu geboren – so wie Eva ihre Unwissenheit abstreifen und in das Licht der Erkenntnis treten wird. Sie würde mir endlich zuhören und den Sinn meiner Worte verstehen, noch ehe ich sie überhaupt ausgesprochen hätte.

Am Ende des Rituals wurde das junge Paar mit duftender Stephanotis gekrönt und von jedem Mann und jeder Frau des Dorfs geküsst. Alle schwärmten aus zu den Feldern mit den knospenden Weinstöcken, hin zu einer langen, festlich gedeckten Tafel.

Yem und ich standen allein im kräuselig aufsteigenden Weihrauch. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Er sah mich mit neuen Augen an, streckte seine Hand nach meiner aus und führte mich zum Festmahl. Nachdem er seinen Korb neben das Feuer gestellt hatte, wo schwitzende Männer Fleisch am Spieß brieten, setzten wir uns an den Tisch.

Ich hatte niemals zuvor Wein getrunken. Er schmeckte köstlich. Mit Honig gesüßt, mit Kräutern gewürzt und mit Wasser gemischt in hölzernen Schalen. Ich genoss ihn. Vielleicht allzu sehr.

Die Dorfbewohner begannen, zu tanzen und zu singen. Zuerst das junge Paar, dann alle. Die Männer hüpften und kickten, sprangen und drehten sich. Die Frauen rafften ihre Tuniken hoch bis zu den Knien und wirbelten zur Antwort hüpfend herum.

Fleisch wurde gebracht: gesalzen, vorzüglich und vor Fett glänzend. Yems Fisch wurde serviert: auf Holzkohle gegart und mit Zitrone und Thymianöl angerichtet. Fladenbrot, viel lockerer und köstlicher als meine erbärmlichen Versuche in Eden. Früchte, die ich nie zuvor gesehen hatte. Mit Honig gerührte Kuchen. Mit Nüssen angereicherte Desserts. Der Wein floss immerzu aus verzierten Tonkrügen.

Rötliche Wolken schwebten am Horizont, als die Dorfbewohner lachten und sangen. Tänzer schlängelten sich unter den Weinranken hindurch, Kinder spielten unter alten Feigenbäumen. Ein älterer Mann stimmte, begleitet von Leier,...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2024
Übersetzer Sabine Herting
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Adam und Eva • Ariadne • Bibelroman • Circe • eintauchen • Ferministische Neuerzählung • Frauenpower • Heldinnen • Historischer Roman • Ich • Judentum • Kulturerbe • Madeline Miller • metoo • Mythos • Paradies • Retelling • unterhaltsamer Frauenroman • Ur-Göttin • Ursprungsmythos Neuinterpretation • Weibliches_Empowerment
ISBN-10 3-10-491737-X / 310491737X
ISBN-13 978-3-10-491737-5 / 9783104917375
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