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Das Gras auf unserer Seite (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31203-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Gras auf unserer Seite -  Stefanie de Velasco
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Mit unverwechselbarem Sound und großem Witz erzählt Stefanie de Velasco in ihrem neuen Roman von drei Frauen, die keine Lust auf das Lebensmodell haben, das für sie vorgesehen ist. Kessie, Grit und Charly haben den Fortpflanzungsdrang ihrer Altersgenoss:innen seit jeher mit amüsierter Verwunderung beobachtet. Einen Kinderwunsch hat keine von ihnen je verspürt. Auch nicht das Bedürfnis, sich in eine monogame Paarbeziehung zurückzuziehen und nur noch als Wir durch die Welt zu laufen. Doch einige überraschende Ereignisse stellen nun, mit Mitte vierzig, noch einmal alles infrage: Charly, eine erfolglose Schauspielerin, bekommt ein Rollenangebot in einer anderen Stadt. Und stellt fest, dass sie schwanger ist - von wem, weiß sie nicht so genau. Grit fliegt aus ihrer WG und muss zu ihrem Freund ziehen, der sich das schon lang wünscht. Doch sie will ein Zimmer für sich allein, besser noch eine ganze Wohnung. Während ihr Freund auf der Suche nach ihrem zukünftigen Nest am Berliner Wohnungsmarkt verzweifelt, findet sie Zuflucht in einem Schrebergarten. Kessie kommt derweil ihrer Jugendliebe Nazim näher, als sie in die alte Heimat fährt, um ihre kranke Mutter im Pflegeheim einzugewöhnen. Der einzige Partner, der in den letzten Jahren an ihrer Seite war, war ihr Hund Pan. Jede der drei Frauen steht vor einer Entscheidung. Und die Gesellschaft scheint sehr genau zu wissen, wie sie ausfallen sollte.

Stefanie de Velasco, geboren 1978 im Rheinland, studierte Europäische Ethnologie und Politikwissenschaft. Sie schreibt regelmäßig für das Berliner Stadtmagazin Zitty, für die FAS und ZEIT Online. 2013 erschien ihr Debütroman »Tigermilch«, der in zahlreiche Sprachen übersetzt und für das Kino verfilmt wurde.

Stefanie de Velasco, geboren 1978 im Rheinland, studierte Europäische Ethnologie und Politikwissenschaft. Sie schreibt regelmäßig für das Berliner Stadtmagazin Zitty, für die FAS und ZEIT Online. 2013 erschien ihr Debütroman »Tigermilch«, der in zahlreiche Sprachen übersetzt und für das Kino verfilmt wurde.

In der Nacht kommt die Hitze. Sie kann nicht schlafen, das T-Shirt klebt an ihr, obwohl sie draußen unterm Birnbaum liegt. Grit hat ein Moskitonetz um die Matratze gespannt – wieder eine dieser Tropennächte, selbst der Garten verschafft kaum Abkühlung, aber diese Hitze hier ist keine Sommerhitze. Wie bei schwerer Migräne kündigt sie sich mit Aura an, gleitet vom Magen hoch bis hinters Gesicht und kriecht dann in jede einzelne Pore, wo sie eine Art Kopfleuchten erzeugt, sodass an Schlaf nicht mehr zu denken ist. Perimenopause. Die Wechseljahre beginnen, meinte die Gynäkologin, als Grit wissen wollte, was zur Hölle das bedeuten soll – Perimenopause. Sie wollte ihr Hormone verschreiben, aber Grit hat die durchwachten Nächte inzwischen lieb gewonnen, und den Schlaf holt sie tagsüber nach. Niemand zwingt sie, morgens aufzustehen. Eine Weile liegt sie einfach nur da und lauscht der Nachtigall im Holunderbusch, diesem elektronischen Sound, der so gar nicht nach Natur klingt, sondern nach Minimal Techno oder dem MRT letztes Jahr, als sie in die Röhre musste wegen des Lipoms in der Brust.

Das Bettgestell wankt, als sie ihre Hose anzieht, die Füße auf den Rasen setzt und in die Crocs schlüpft. Grit hat es mit Gurten an den Birnbaum hängen müssen, weil Anno nicht wollte, dass sich die Metallbeine in den Boden bohren und der Rasen darunter gelb wird, aber in die Hütte hat es auch nicht mehr gepasst. Bis an die Decke stapeln sich dort Umzugskisten, ineinander verkeilte Möbel, obenauf ihr Wäschekorb, noch voll mit dreckigen Klamotten. Einmal noch wird sie ihre Unterhosen auf links tragen, dann muss sie endlich waschen – sobald die Verwandtschaft weg ist. Ihre Schwester und ihr zukünftiger Schwager. Die Zwillinge. Otto und Wilhelm, diese Terrorneffen, die mit ihrem Geschrei, ihrem Getrampel und dem unstillbaren Verlangen nach Eis und Endgeräten seit einer Woche die Ruhe in Annos Wohnung stören – eine Woche, in der nur beige Nahrung aufgetischt wurde: Nudeln, Apfelmus, Pommes frites, Vanilleeis. Sie weiß, man darf vom Nachwuchs nicht genervt sein, schon gar nicht als kinderlose Frau Ende 40 mit einer fetten Rosazea im Gesicht von zu viel Eierlikör und Smarties, aber warum Alice die Kinder nicht bei den Eltern gelassen hat, versteht Grit nicht.

Zum Glück ist ihr der Garten eingefallen, als sie in der zweiten Nacht mit Bauchweh neben Anno auf dem Klappsofa im Wohnzimmer lag, während Alice nebenan so laut schnarchte, als wäre sie ein alter Sack mit Schlafapnoe.

Schwaches Mondlicht fällt auf das Fenster der Hütte, Grit betrachtet ihr Gesicht, das sich darin spiegelt – ein Werwolf mit ungewaschenen Haaren in einem alten Dirty-Dancing-Shirt –, fummelt sich das Gummi vom Handgelenk, ordnet die Haare, zieht den Pferdeschwanz fest, sodass er ihr ein natürliches Facelifting verpasst. Irgendetwas klemmt ihr zwischen den Zehen im Schuh. Ein Samen? Hier liegen überall Samen herum, manche groß wie Flummis, aber es ist nur ein Smartie.

Vorbei an wuchernden Himbeeren und verkrauteten Beeten bahnt sie sich den Weg zu der kleinen Wiese hinter der Hütte, auf der ihr Fahrrad steht. Nebenan in der Parzelle brennt Licht, schwach rot scheint es durch die Hecke. Noch so eine Schlaflose vielleicht, jedenfalls ist Grit nicht die Einzige, die hier auf dem alten Niemandsland zwischen Yorckbrücken und Potsdamer Platz übernachtet, obwohl das gegen die Kleingartenordnung verstößt.

In der letzten Saison haben Annos Eltern hier noch alles in Schuss gehalten, die Hecke gestutzt, den Rasen gemäht. Seitdem ist der Garten verwildert. Grit schiebt ihr Fahrrad auf den Schotterweg, legt drei Ikeataschen hinten in den Anhänger und beschwert sie mit dem Fahrradschloss. Im Park am Gleisdreieck übertönen die stumpfen Beats der Bluetoothboxen den Gesang der Nachtigallen. Auf der Brücke donnert die U1 in Richtung Westen, BERLIN IS GAIAS CLITORIS, hat jemand an die Pfeiler geschmiert, Mädchen in Croptops und Cargohosen tanzen darunter, es sind die gleichen Klamotten, die Grit getragen hat, als sie in ihrem Alter gewesen ist. Seltsam, dass sich so vieles wiederholt. Was meinte die Gynäkologin gestern? Pubertät, nur rückwärts – das erwartet Sie in den kommenden Jahren. Grit biegt an den Volleyballfeldern rechts ab, lässt sich am Baumarkt die Rampe runterrollen und überquert die Yorckstraße. Vor Hisar sitzt Partyvolk bei einem Gute-Nacht-Döner, in der neu gebauten öffentlichen Toilette verschanzen sich die Junkies, hocken eng beieinander, Grit hört sie kichern und husten, als sie an ihnen vorbeifährt. Da ist er wieder. Herr Trott – sie sieht den Schatten ihres Hundes neben sich herlaufen, die fliegenden Ohren, sie meint das Klackern der Krallen zu hören, als hätte er sich seine Pfoten mit Rosenkränzen beschlagen lassen. Sie hat ihn eine Weile nicht mehr gespürt – wie lange wird er noch bleiben? Sie rollt auf die Straße, stemmt sich aus dem Sattel und schaut über die Autos hinweg in die Hauseingänge. Neben der Bäckerei steht eine Umzugskiste. Grit parkt das Fahrrad und schaltet die Taschenlampe an ihrem Handy ein. Im Sperrbildschirm leuchtet eine Nachricht.

DOGVILLE

Kessie: Kurz vor Köln hat sich jemand vor die Gleise geworfen. Stehen im Bergischen Land.

Grit: O no …

Kessie: Überall huschen Taschenlampen im Dunkeln. Schaffner meinte, wir sollen nicht aus dem Fenster schauen. Glaube, sie sammeln Leichenteile auf.

Grit: lol Du hast natürlich aus dem Fenster geschaut

Kessie: Nein, meinte der Typ neben mir. Ihm sei das schon auf der Strecke von Hamburg nach Hannover passiert. Wegen Muttertag, sagt er. So ein redseliger Eieresser.

Grit: Eieresser?

Kessie: Jemand, der auf Reisen Eier isst.

Grit: Oha…mache ich auch.

Kessie: Finde das grenzt an Belästigung.

Grit: Du meinst, Blähstigung? lol

Kessie: Hehe

Grit: Ich war vorhin bei dir. Du meintest den Heftstapel auf dem Schreibtisch, richtig? Nen anderen habe ich nicht gesehen. Schick ich dir montag … die Hefte liegen schon verpackt im garten

Kessie: Danke. Hätte ich niemals mehr in den Koffer gekriegt. Wollte die Hefte schon am WE korrigieren. Jetzt sind sie liegen geblieben.

Grit: War ja auch sehr plötzlich…dein aufbruch. Sag bescheid wenn du noch was brauchst oder wir sonst irgendwas für dich tun können …

Kessie: Ja, danke. Sag, welcher Garten eigentlich?

Grit: Von Annos eltern….die nutzen den nicht mehr und ich penne da seit Alice + Söhne da sind….das ging gar nicht mit so vielen Leuten in der kleinen Wohnung von anno…. bin fast durchgedreht.

Kessie: Ein Schrebergarten?

Grit: Ja der wird demnächst verkauft. Solange bleibe ich hier! Ha!

Grit beugt sich über die Kiste und leuchtet hinein. Hauptsächlich liegt Kleidung darin. Ein Paar Asos-Mokassins, darunter ein originalverpackter Spiralschneider und ein paar DVDs. Grit scannt den Barcode der Videos in der Momox-App ein. Alles, was mehr als 50 Cent wert ist, legt sie in den Fahrradanhänger. Die Kleidung ist nass und riecht nach Wein, Grit tastet den Stoff ab, dreht die Taschen einer kaputten Jeans auf links und findet einen Fünf-Euro-Schein. Einmal im Marie-Kondō-Wahn, nehmen sich Wegschmeißer im Rausch nicht mehr die Zeit, Hosentaschen zu leeren. Unter der Kleidung liegen Bücher, alle trocken. Rich Dad, Poor Dad – Was die Reichen ihren Kindern über Geld beibringen. Ratgeber bringen kein Geld, außer harte Esoterik. Engel und Außerirdische gehen immer – und natürlich Buddhismus. Rich Dad, Poor Dad bringt acht Euro, sagt die App. Sie legt das Buch in den Fahrradanhänger. Ist vielleicht was für ihren Schwager, als Versöhnungsgeschenk. Der liest so einen Blödsinn.

DOGVILLE

Kessie: Feuerwehr ist gekommen. Wird heute bestimmt nichts mehr mit einem Anschlusszug nach Ihrscheid. Feuerwehr spritzt jetzt den Zug ab.

Grit: Warum das??

Kessie: Eieresser meinte, die machen das Blut weg. So könne der Zug nicht in den nächsten Bahnhof fahren.

Grit: ok, krass!

Kessie: Werde mir in Köln ein Taxi nehmen müssen. Ärgerlich.

Grit: Weißt du schon, wie lange du in ihrscheid bleiben wirst?

Kessie: Habe absolut keine Ahnung.

Unten an der Hauptstraße hat vor Kurzem ein Biomarkt eröffnet, der sperrt seine Tonnen noch nicht ab. Grit fährt auf den Hof und rüttelt an der Klinke des Gitterkäfigs. Abgeschlossen, die haben schnell gelernt. Sie klemmt sich die Ikeataschen zwischen die Zähne und klettert über den Zaun. Ein Schwall Fliegen kommt ihr aus der ersten Tonne entgegen, es riecht nach vergammelten Molkereiprodukten, schnell wirft Grit den Deckel wieder zu. In der zweiten Tonne liegen Bananen, darunter Salatkartoffeln und Karotten. Die Bananen sind nicht einmal braun. Kohlrabi und Orangen, Äpfel und noch mehr Karotten liegen in der dritten, alles ein wenig runzlig, aber zu schade für die Tonne. Grit packt ein, hievt die Tasche über das Gitter, eine Karotte rollt dabei auf den Boden.

Herr Trott hätte sie sich sofort geschnappt, weggekaut und sich dann in seiner Bettlerpose vor sie hingestellt. Das schwarze Fell, der weiße Fleck auf der Brust, die liebsten Augen der Welt – kurz fühlt es sich an, als würde...

Erscheint lt. Verlag 7.3.2024
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Biologische Uhr • Elternschaft • Empowerment • Feminismus • Frauen-Freundschaft • Frauenschicksal • Gegenwartsliteratur • Geschlechterrollen • kein Kinderwunsch • Kinderlosigkeit • Kinderwunsch • Körperbilder • Liebe • Linn Strømsborg • lisa taddeo • Magarete Stokowski • Mütter • Mutterschaft • Muttersein • Nadine Pungs • nicht-muttersein • Patriarchat • Rachel Cusk • Rollenklischees • Schwangerschafft • Schwangerschaftsabbruch • Selbstbestimmung • Selbstermächtigung • Sexismus • Tigermilch • Weibliche Identität
ISBN-10 3-462-31203-0 / 3462312030
ISBN-13 978-3-462-31203-4 / 9783462312034
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