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Der falsche Vermeer (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
520 Seiten
Pendragon Verlag
978-3-86532-875-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der falsche Vermeer -  Patrick van Odijk
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Ein unbekanntes Gemälde Vermeers und eine junge Reporterin auf der Jagd nach der Story ihres Lebens Nach der Befreiung der Niederlande 1945 herrscht ein Klima des Aufbruchs. Jetzt sind neue Stimmen gefragt: So wie die der Reporterin Meg van Hettema, die ihren Mut schon im Untergrund unter Beweis gestellt hat und sich jetzt keineswegs mit dem Schreiben von harmlosen Alltagsgeschichten zufrieden geben will. Bei Recherchen stößt sie auf den brisanten Fall des Malers Jan van Aelst, dem vorgeworfen wird, niederländische Kunst an Nazis verkauft zu haben. Doch van Aelst besteht darauf, die Nazis in Wahrheit raffiniert ausgetrickst zu haben. Um sich in diesem Labyrinth aus Geheimnissen zurechtzufinden, braucht es einen unbestechlichen Blick, Hartnäckigkeit und keine Scheu vor Autoritäten - genau die  Qualitäten, für die Meg steht. Basierend auf einer wahren Begebenheit erzählt Patrick van Odijk nicht nur von einem der größten Kunstskandale der Nachkriegszeit, sondern vermittelt auch einen Einblick in die faszinierende Welt der Malerei, Fälscherwerkstätten und Zeitungsredaktionen. »In seinem Debütroman vermischt Patrick van Odijk äußerst klug und spannend Fakten und Fiktion über den Meisterfälscher Han van Meegeren, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in einem viel beachteten Prozess gestand, mehrere ?Vermeers? gemalt zu haben.« Jan Pieter Ekker | Het Parool Amsterdam (über die niederländische Ausgabe)

Patrick van Odijk ist als Niederländer in Deutschland zweisprachig aufgewachsen. Er studierte Politikwissenschaften, Geschichte und Germanistik an der Universität Konstanz. Anschließend arbeitete er als Radioreporter, Redakteur und Moderator für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland.

Patrick van Odijk ist als Niederländer in Deutschland zweisprachig aufgewachsen. Er studierte Politikwissenschaften, Geschichte und Germanistik an der Universität Konstanz. Anschließend arbeitete er als Radioreporter, Redakteur und Moderator für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland.

1. Jan van Aelst


Jan van Aelst hatte sich Schuhe und Socken ausgezogen. Seine Füße juckten. Sie brannten. Als ob er durch einen Ameisenhaufen gelaufen wäre. Manchmal kribbelten auch die Handgelenke oder die Wirbelsäule. Dann wieder die gesamte Kopfhaut oder ein Ellbogen. Gerade eben hatte er sich bei einem Schweißausbruch Jacke, Pullover und Hose vom Leib gerissen, obwohl es kalt und feucht in der Zelle war. Kaum saß er aber nur noch in Hemd und Unterhose auf der Pritsche, begann er zu frieren. Also zog er sich langsam wieder an. Er wusste nicht, wie lange er es noch aushalten würde. Ohne Zigaretten, Schnaps und Morphium war jeder Tag die Hölle. Aber er musste durchhalten. Sie konnten ihm nichts beweisen. Als er wieder in die Jacke schlüpfte, entdeckte er ein Loch in der rechten Tasche. Er bohrte mit einem Finger darin herum und entdeckte einen Bleistiftstummel. Schnell kramte er ihn hervor. Jetzt müsste er nur noch Papier auftreiben. Aber das war aussichtslos. Sie würden ihm keines geben. Van Aelsts kurze Freude verwandelte sich wieder in Trübsinn. Dass er hier nicht zeichnen konnte, traf ihn ebenso schwer wie der Entzug von Zigaretten, Schnaps und Morphium. Er starrte an die Wand. Er könnte auf den Putz malen. Aber das würden sie entdecken und ihm den Stift wegnehmen. Wie zu Hause als kleines Kind, wenn sein Vater ihn beim Zeichnen erwischt hatte. Dem lieben Gott die Zeit stehlen, hatte es der Vater genannt. Da bemerkte er, dass die Wand mit dicker, leinölhaltiger Farbe gestrichen war, die an manchen Stellen abblätterte. Vorsichtig schob er den Fingernagel unter eine der Platten und schaffte es, ein handtellergroßes Stück zu lösen. Es war stabil genug, um darauf zeichnen zu können. Während er sofort mit eiligen Strichen ein Selbstporträt skizzierte, lachte er leise vor sich hin. Er würde sie ebenso betrügen wie einstmals seinen Vater. Er betrachtete die Zeichnung.

Ein ausgemergelter, alter Mann mit traurigen Augen. Die rechte Hand kratzte an der Schläfe. Sah er derzeit wirklich so aus? Er hatte keinen Spiegel und brauchte auch keinen. Er kannte sein Gesicht auswendig und hatte seinen Gram mit hineingemalt. Das Bild würde stimmen. Eine schnelle Zeichnung. Aus dem Kopf, aus der Vorstellung heraus. Das war schon immer sein größtes Talent gewesen.

Vorsichtig wickelte er die bröckelige Putzplatte in sein Taschentuch und steckte sie in die Brusttasche seines Jacketts. Er legte sich wieder auf die Pritsche und starrte zu dem vergitterten Fenster hoch oben unter der Zellendecke. Eine Luke, hinter der man nicht viel entdecken konnte. Keine Häuser. Keine Straßen. Keine Grachten und Bäume. Keine Menschen. Nur Schwarz, Grau, Blau. Nein, auch kein Blau. Der Himmel über Holland ist nie wirklich blau, dachte van Aelst. Höchstens blau-grau, und es gibt immer ein paar Wolken. Keiner würde in diesem Loch jemals zum Maler werden. Nicht einmal der große Wolkenkünstler Jacob van Ruisdael hätte hier eine Inspiration erlebt. Zwei Drittel Himmel, ein Drittel Horizont. Sein Patentrezept. Jan van Aelst lachte bitter. Vorsichtig holte er wieder das kleine Selbstporträt aus seiner Brusttasche hervor.

Er sah schrecklich aus. Ihm standen die Haare zu Berge. Müde Augen. Ein herunterhängendes Lid. Falten auf der Stirn und tiefe Kerben neben der Nase über dem schiefen Mund. Jan van Aelst war mit der Zeichnung zufrieden. Wie lange halte ich das noch aus, fragte er sich. Zwei mal drei Meter maß die Zelle. Gegenüber dem Gitterfenster war die verschlossene Tür. Was soll er ihnen sagen, damit sie ihn endlich rausließen? Seine Geschichte war gut. Warum glaubten sie ihm nicht? Er war verzweifelt. Auch die Wahrheit würde ihm nichts nützen. Sie war unvorstellbar. Er saß in der Falle.

Dabei hatte der Tag seiner Verhaftung so gut begonnen. Es war ein kalter, verregneter Morgen im Mai 1945. Er hatte den Kamin angezündet. Er war allein und nüchtern. Er hatte einen Plan. Einen Wunsch. Er wollte seine frühere Frau Josephine zurückgewinnen. Sie teilten sich das Haus in der Keizersgracht, lebten aber in getrennten Wohnungen. Bei einer ihrer flüchtigen Begegnungen in der Eingangshalle hatte sie ihm gesagt, dass er doch ihretwegen nicht auf seine gepflegten Hausabende mit Champagner und nackten Mädchen verzichten müsse. Immerhin seien sie ja geschieden. Ihr Spott und ihr Stolz hatten ihn verletzt. Aber er glaubte ihr nicht. Er deutete ihren Sarkasmus als Zeichen der Verletzung und vermutete, dass auch sie unter der Trennung litt. Er hatte geantwortet, man müsse abwarten, wie sich die neuen Zeiten entwickelten. Dann hatte er ein paar furchtbar lange und einsame Tage vergehen lassen, bis er endlich den Mut aufbrachte, sie zu einem Dinner bei sich einzuladen. Sie hatte zugesagt. Genau für den Tag, an dem dieser Kapitein Rosendahl an der Haustür klopfte.

„Jan van Aelst, der Kunstmaler?“ Vor ihm stand ein kleiner Mann mit einem viel zu großen, abgegriffenen Borsalino auf dem Kopf. Neben ihm ein junger, kräftiger Adjutant mit geschultertem Karabiner.

„Ja, der bin ich.“ Van Aelst fühlte sich ertappt. Er trug einen Bademantel und schmale Lederpantoffeln und war nur zur Tür gegangen, weil er dachte, es wäre der Lieferant mit ein paar Leckereien.

„Kapitein Rosendahl, im Auftrag der Militärverwaltung. Dürfen wir reinkommen?“

„Nein, lieber nicht. Warum?“

„Unsere Einheit sucht jetzt, wo der Krieg vorbei ist, nach niederländischem Vermögen und allen möglichen Sachen, die während der Nazi-Besatzung geraubt und meist ins Ausland gebracht worden sind. Also Geld, Diamanten, Gold, Schmuck, Antiquitäten und Kunst. Da haben wir ein paar Fragen an Sie.“

„An mich? Ich bin Niederländer und habe nichts geklaut. Aber bitte. Dann kommen Sie, hier entlang.“ Van Aelst führte sie durch eine große Halle in seinen Salon. „Bitte entschuldigen Sie mich kurz, ich möchte mir schnell etwas anziehen. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Einen Genever?“

Der kleine Mann nickte.

Van Aelst eilte in sein Schlafzimmer und schlüpfte in eine feine graue Gabardinehose. Er zog einen dünnen dunkelblauen Pullover über sein beiges Hemd und schob ein seidenes Halstuch mit Paisleymuster in den Kragen. Was wollte dieser Polizist? Er zitterte. Ruhig bleiben. Lass dir nichts anmerken, sagte er sich. Es würde ihm nicht leichtfallen, denn er litt unter Verfolgungswahn. Eine Folge seiner Trinkerei und der Drogen hatte der Hausarzt gesagt. Er ging in die Küche und stellte eine Flasche Genever und kleine Gläser auf ein Tablett. Schnell kippte er zwei Schnäpse, um sich zu beruhigen.

Kapitein Rosendahl hatte sich derweil im Wohnzimmer umgesehen. Die hohen Wände des Salons hingen voller Bilder, meist düster wirkende Ölgemälde. Rosendahl erkannte etliche alte Meister darunter.

Van Aelst stellte das Tablett auf einen zierlichen Jugendstiltisch, dessen Marmorplatte auf geschmiedeten Lilien ruhte. Er schenkte ein und reichte Rosendahl ein Glas.

„Zum Wohl.“ Der Maler kippte den Schnaps in einem Zug hinunter. „Darf ich Ihnen noch einen einschenken?“

Rosendahl nickte, streckte ihm das Glas entgegen und zeigte mit der anderen Hand auf die Wände. „Eine schöne Sammlung haben Sie da. Muss ein Vermögen wert sein.“

„Wenn man Künstler ist, ergibt sich das von selbst. Man stößt immer wieder auf das eine oder andere Bild.“

„Sie handeln auch mit Kunst?“

„Gelegentlich.“

„Sind Sie deshalb so reich?“

„Ich komme zurecht.“

„Sie sind gut durch den Krieg gekommen.“

„Ich habe vor der Besatzung lange in Frankreich gelebt und dort viele Aufträge von reichen Amerikanern und Briten bekommen. Ich hatte auch etwas Glück beim Lotteriespiel. Ein gutes Händchen, wie man so sagt.“ Van Aelst versuchte zu lächeln. „Sie haben mir noch nicht verraten, weshalb Sie gekommen sind?“

Kapitein Rosendahl betrachtete ein Ölgemälde. Es war das dunkle Porträt eines reichen Mannes im typischen Stil des 17. Jahrhunderts. Ein Pfeffersack. Das rosige Gesicht eingezwängt zwischen Hut und steifem weißen Stehkragen. Sein Blick war streng und selbstverliebt.

„Ein Terborgh. Terborgh, der große Maler meiner Heimatstadt Deventer. Deshalb musste ich es haben. Aber viele solcher Bilder kann ich mir natürlich nicht leisten.“

„Aber Sie haben schon mehr solche wertvollen Gemälde entdeckt?“

„Ja sicher.“

„Und genau deshalb sind wir hier. Uns interessiert Ihr Kunsthandel.“

„Es ist lange her, dass ich Bilder verkauft habe. Der Krieg war schlecht fürs Geschäft.“

„Nicht, wenn man mit Nazis Geschäfte machte. Der Führer und sein Reichsmarschall Göring waren doch ganz verrückt nach Kunst, speziell alten Meistern aus den Niederlanden.“

„Ich habe davon gehört. Aber das meiste haben...

Erscheint lt. Verlag 6.3.2024
Verlagsort Bielefeld
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amsterdam • Beltracci • Fälschungen • Han van Meegeren • Hermann Göring • Jan Vermeer • Kollaborateuer • Kollaborateur • Kriegsgewinnler • Kunstfälscher • Kunstszene • Malerei • Nazis • Niederlande • Reporterin • Widerstand in den Niederlanden • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-86532-875-X / 386532875X
ISBN-13 978-3-86532-875-5 / 9783865328755
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