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Minihorror -  Barbi Markovi?

Minihorror (eBook)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
192 Seiten
Residenz Verlag
978-3-7017-4692-7 (ISBN)
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AUSGEZEICHNET MIT DEM PREIS DER LEIPZIGER BUCHMESSE 2024 In 'Minihorror' werden die ganz gewöhnlichen Albträume wahr - mit Humor, schräger Fantasie und dem Wissen um die Zerbrechlichkeit unserer Existenz. In 'Minihorror' erzählt Barbi Markovi? die Geschichten von Mini und Miki und ihren Abenteuern im städtischen Alltag. Mini und Miki sind nicht von hier, aber sie bemühen sich, dazuzugehören und alles richtig zu machen. Trotzdem - oder gerade deswegen - werden sie verfolgt von Gefahren und Monstern, von Katastrophen und Schwierigkeiten. Es geht um die großen und kleinen Albträume des Mittelstands, um den Horror des perfekten Familienfrühstücks, um Mobbing am Arbeitsplatz und gescheiterten Urlaub, um den Abgrund, der sich im Alltag öffnet und nicht mehr schließen will. In 'Minihorror' setzt Barbi Markovi? den Angstarbeiter*innen unserer Gesellschaft ein Denkmal aus Perfidie und Mitgefühl, bei dessen Lektüre wir uns gleichermaßen ertappt und verstanden fühlen.

Barbi Markovi?, geboren 1980 in Belgrad, studierte Germanistik, lebt seit 2006 in Wien. 2009 machte Markovi? mit dem Thomas-Bernhard-Remix-Roman 'Ausgehen' Furore. 2016 erschien der Roman 'Superheldinnen', für den sie den Literaturpreis Alpha, den Förderpreis des Adelbert-von-Chamisso-Preises sowie 2019 den Priessnitz-Preis erhielt. 2017 las Barbi Markovi? beim Bachmann-Preis. 2023 erhielt Barbi Markovi? den Kunstpreis Berlin für Literatur. 2024 erhielt Barbi Markovi? für 'Minihorror' den Preis der Leipziger Buchmesse und den Carl-Amery-Literaturpreis für ihr literarisches Werk. Zuletzt im Residenz Verlag erschienen: 'Die verschissene Zeit' (2021) und 'Minihorror' (2023).

Barbi Marković, geboren 1980 in Belgrad, studierte Germanistik, lebt seit 2006 in Wien. 2009 machte Marković mit dem Thomas-Bernhard-Remix-Roman "Ausgehen" Furore. 2016 erschien der Roman "Superheldinnen", für den sie den Literaturpreis Alpha, den Förderpreis des Adelbert-von-Chamisso-Preises sowie 2019 den Priessnitz-Preis erhielt. 2017 las Barbi Marković beim Bachmann-Preis. Zahlreiche Kurzgeschichten, Theaterstücke und Hörspiele. 2023 erhielt Barbi Marković den Kunstpreis Berlin für Literatur. Zuletzt im Residenz Verlag erschienen: "Die verschissene Zeit" (2021) und "Minihorror" (2023).

COUSINE JENNIFER


Mini und Miki wollen nett sein, aber nichts ist einfach. Die Welt ist schrecklich, alles muss sterben. Die beiden müssen ziemlich viel erleiden, und genau dafür lieben wir sie.

Mini erzählt ungern über ihre Familie.

»Warum bist du so geheimnisvoll, wenn es um deine Verwandten geht?«, fragt Miki an einem langweiligen Regentag, während Mini gerade mit einer Packung Linsenchips an ihm vorbeihuscht, um zu der Serie zurückzukehren, die sie schon seit sechs Stunden schaut.

»Sind sie Kriegsverbrecher?«, fragt Miki.

»Nein, ich glaube nicht«, sagt Mini.

Mini und Miki lachen unsicher, weil solche Scherzfragen leicht daherkommen, aber zu unangenehmen Situationen führen können, wenn die Antwort Ja ist. Mini ist heute schlecht drauf, deshalb muss sie den ganzen Tag Serien schauen. Der Regen tropft in den Schlamm, aber wenn es nicht regnen würde, dann wäre da gar kein Schlamm: Minis Stimmung funktioniert ähnlich, und heute ist der Boden ihres Geistes einfach Gatsch, in dem man kaum Halt findet und nach einer Weile auf jeden Fall ausrutschen und hinfallen muss. Auch wenn man es dann irgendwie schafft, aufzustehen, sind die geistigen Beine verdreckt, nass und kalt, also insgesamt ist alles kontaminiert und die Existenz eine einzige Mühsal. Das geht aber vorbei, und Mini wird nach der Serie weitermachen wie zuvor.

Am nächsten Tag… Das Wetter ist schön, und Mini und Miki entscheiden sich, zum Supermarkt zu gehen. Ihnen fehlen einige häusliche Produkte. Sie brauchen unbedingt Küchenrollen, außerdem Hafermilch, Gemüse, Rotwein, Brot und Eier. Sie versichern einander, dass sie fokussiert einkaufen werden, damit sie nicht das halbe Leben im Supermarkt verbringen, aber sobald sie den Laden betreten, vergessen sie auf die Küchenrollen. Auf Küchenrollen zu vergessen ist normalerweise kein Drama, nur in dieser Geschichte werden sie später gebraucht. Miki geht zum Weinregal, um Rotweine zu studieren, und Mini wird von verschiedenen bunten Trash- und Fertigprodukten aus der Gefriertruhe verführt. Sie hat den Traum von einem nie da gewesenen, unfassbaren Fertiggericht-Mix, der ihre Sinne umhauen wird, noch nicht verworfen. Ein glitzernder, im Mund explodierender Pizzaburger würde sie auf jeden Fall neugierig machen. Im Glas der Vitrine, in der Mini ihre Traumprodukte sucht, spiegelt sich Mikis Weinregal. Mini beobachtet den gespiegelten Miki, wie er die Rotweinetiketten sorgfältig liest. Die beiden haben ein sehr unterschiedliches Kaufverhalten. Er versucht, seine Impulse zu rechtfertigen und als trotzdem-sparsam zu rationalisieren, mit Qualität zu argumentieren. Mini nicht. Mini erfüllt sich Wünsche, von denen sie nicht wusste, dass sie sie hatte.

Im Vitrinenglas sieht Mini, wie Miki auf einmal den Wein stehen lässt und zu einer kleinen Person mit langen Haaren geht. Von der unbekannten Person sieht man aus Minis Perspektive nur die blonden, langen Haare und zwei dünne Beine in engen Jeans. Die Person wirkt gebrechlich, sie steht in der Ecke mit der Nase zum Proteinbrot.

»Warum würde jemand so nahe beim Regal stehen«, fragt sich Mini, »außer…«

Mini realisiert, wer das sein könnte, sie stopft die Pizza zurück in die Vitrine und läuft zum Weinregal:

»Achtung, Miki! Komm ihr nicht näher!«

Zu der Person, die immer noch mit dem Rücken zu ihnen gedreht da steht, sagt sie mit einer ungewöhnlich tiefen Stimme:

»Jennifer. Odlazi.«

Die Person zittert ein wenig, entweder weint sie oder kichert, dreht sich aber nicht um.

Mini sagt: »Nemaš šta da tražiš ovde. Znam da ne živiš u ovom becirku.«

Miki mit seinem A2-Level BKS versteht nicht, was los ist. Er hat gerade einen Wein in der Hand gehalten, hat versucht, durchs Glas hindurch den Geschmack zu eruieren, während er gleichzeitig gerechnet hat, ob das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt, als er dieses Wesen in der Ecke zittern gesehen hat und nachfragen wollte, ob er helfen kann.

»Mini«, sagt Miki, »was machst du?«

»Miki«, sagt Mini, »du musst aufpassen.«

Mini schiebt Jennifer zum Ausgang und droht ihr, dass sie nächstes Mal nicht so einfach davonkommen und dass sie, Mini, die Polizei rufen werde. Jennifer ist von der Drohung wenig beeindruckt.

Dann schreit Mini nur noch einen schroffen Befehl: »Odlazi, Jennifer, odlazi!«

Jennifer geht, und Mini und Miki treffen einander bei der Kassa und zahlen die Produkte, die sie vor dem Vorfall gesammelt haben.

Auf dem Rückweg fragt Miki, was zum Teufel passiert sei, warum Mini diese kleine Frau aus dem Supermarkt geschmissen habe.

Mini sagt: »Jennifer ist meine Cousine. Ich weiß, dass du mir das nicht glauben wirst, aber sie ist gefährlich. Sie hat schon Dutzende… konsumiert.«

»Häh?«, sagt Miki.

»Bitte, halte dich einfach fern von ihr. Wenn du leben willst.«

»Was hat sie getan?«

»Sie ist leider ein fleischfressendes Monster. Aber das glauben die Leute erst, wenn es zu spät ist.«

Miki denkt, dass Mini wieder mal zu wenig über ihre Familie erzählt. Er vermutet, dass die Beschreibung »fleischfressendes Monster« eine Metapher ist, weil wir doch in einer Stadt leben und im 21. Jahrhundert und in Europa, also im Westen, hier in Österreich, und nicht anderswo, das heißt im Mittelalter oder auf dem Balkan oder irgendwo hinter allen Bergen in Rumänien, wo schwarze Magie zu anderen Problemen hinzukommt. Miki ist genervt. Er hinterfragt seine Beziehung zu Mini.

Zwei Straßen weiter bleibt Jennifer stehen und schnüffelt die Luft.

»Miki«, sagt sie sehr leise.

Am nächsten Tag in Mikis Großraumbüro… Schüchtern steht jemand in der Ecke neben der Kaffeemaschine, Kopf zur Wand, Haare vorm Gesicht. Miki bemerkt die Gestalt erst nach ein paar Stunden, als ihn eine Kollegin darauf aufmerksam macht. Er erkennt sie sofort, geht zur Kaffeemaschine und fragt:

»Warum bist du hier? Ist dein Name Jennifer? Kannst du nirgendwo anders hingehen?«

Nur bei der letzten Frage winselt Jennifer und zittert stärker, und es bleibt unklar, ob sie weint oder lacht. Miki weiß nicht, was er tun soll. Seine Kolleg:innen überlegen, welche Notrufnummer sie rufen sollen, um das zittrige Wesen zu entsorgen, aber sie können sich nicht entscheiden, ob Jennifer ein Fall für die Rettung oder die Polizei ist. Sie stört nicht, scheint nicht krank zu sein und auch nicht an Berufsgeheimnissen interessiert, sie steht nur in der Ecke. Als Mikis Schicht zu Ende ist und Jennifer immer noch bei der Kaffeemaschine hockt, nimmt er sie mit nach Hause. Eigentlich folgt sie ihm ohne Absprache und er tut nichts dagegen, nicht nur, weil er nicht weiß, wie er sie loswerden kann, sondern auch, weil sie Minis Cousine ist. Er will sich nicht einmischen, Minis Familie scheint anders zu funktionieren als seine.

»Aber Jennifer zu verjagen wäre trotzdem respektlos«, denkt er.

Später… Mini kommt nach Hause und wirft ihre Jacke auf den Boden.

»Ich bin müde«, sagt sie.

Die Wohnung riecht nach Suppe, die Miki in seiner Verlegenheit die ganze Zeit zubereitet hat, um nicht mit Jennifer reden zu müssen. Mini ist froh, dass es etwas zu essen gibt. Sie geht ins Wohnzimmer, um ihr Handy anzustecken, dort legt sie ihren Rucksack ab.

Plötzlich… Mini erblickt Jennifer und friert auf der Stelle ein.

»Miki, du Idiot«, sagt sie und sieht sich vorsichtig um, ob es nicht schon zu spät ist.

Sie hört Toilettenspülgeräusche.

»Oh, Gott sei Dank«, flüstert sie, die Luft einsaugend.

Aus dem WC kommt der noch unverletzte Miki und versucht sich zu erklären:

»Ich konnte sie nicht bei der Kaffeemaschine im Großraumbüro stehen lassen.«

Mini spuckt auf den Boden:

»Jetzt wirst du alles sehen müssen.«

Mini nimmt den Stock, der die riesige Zimmerpflanze stützt, streckt ihn aus sicherer Entfernung zu Jennifers Kopf und schiebt vorsichtig die langen Haare weg. Das rote Fleisch. Und die Augen… Jennifers Gesicht.

»Oh Mini, was ist das?«, fragt der arme Miki, der das, was er gerade erblickt hat, nie wird vergessen können und der keine Ahnung hatte, dass es auf der Welt so etwas Schreckliches gibt.

Jennifer bleibt ruhig stehen, als hätte sie nicht bemerkt, dass ihre Camouflage aufgeflogen ist, aber Minis Körpersprache zeigt, dass es gleich heikel werden könnte. Von der Hüfte hinunter ist Minis Körper schon in die andere Richtung gedreht und bereit zur Flucht. Das, was sich unter Jennifers Haaren versteckt, ist gar kein Gesicht, sondern eine Ansammlung von triefendem Fleisch, mit Löchern an den Stellen, wo Augen und Nase wären. Zwei Fleischhemisphären bewegen sich auseinander, und die abgerissenen Fetzen trennen sich in der Mitte. Ein Maul...

Erscheint lt. Verlag 6.10.2023
Verlagsort Salzburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7017-4692-3 / 3701746923
ISBN-13 978-3-7017-4692-7 / 9783701746927
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