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Ein Sommer in Niendorf (eBook)

Spiegel-Bestseller
SPIEGEL Bestseller Platz 1

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
240 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01305-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Sommer in Niendorf -  Heinz Strunk
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'Mir stand beim Lesen oft der Mund offen, und jetzt, wo ich fertig bin, steht er mir immer noch offen. Das ist wie ein Mythos der Alten Griechen, in die Moderne gebeamt (und nach Niendorf).' Ulrich Matthes Das neue Buch von Heinz Strunk erzählt eine Art norddeutsches «Tod in Venedig», nur sind die Verlockungen weniger feiner Art als seinerzeit beim Kollegen aus Lübeck. Ein bürgerlicher Held, ein Jurist und Schriftsteller namens Roth, begibt sich für eine längere Auszeit nach Niendorf: Er will ein wichtiges Buch schreiben, eine Abrechnung mit seiner Familie. Am mit Bedacht gewählten Ort - im kleinbürgerlichen Ostseebad wird er seinesgleichen nicht so leicht über den Weg laufen - gerät er aber bald in die Fänge eines trotz seiner penetranten Banalität dämonischen Geists: ein Strandkorbverleiher, der Mann ist außerdem Besitzer des örtlichen Spirituosengeschäfts. Aus Befremden und Belästigtsein wird nach und nach Zufallsgemeinschaft und irgendwann Notwendigkeit. Als Dritte stößt die Freundin des Schnapshändlers hinzu, in jeder Hinsicht eine Nicht-Traumfrau - eigentlich. Und am Ende dieser Sommergeschichte ist Roth seiner alten Welt komplett abhandengekommen, ist er ein ganz anderer ... Seine Romane «Es ist immer so schön mit dir» und «Ein Sommer in Niendorf» waren für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk wurde 1962 in Bevensen geboren. Seit seinem ersten Roman Fleisch ist mein Gemüse hat er 14 weitere Bücher veröffentlicht. Der goldene Handschuh stand monatelang auf der Bestsellerliste; die Verfilmung durch Fatih Akin lief im Wettbewerb der Berlinale. 2016 wurde der Autor mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis geehrt. Seine Romane Es ist immer so schön mit dir und Ein Sommer in Niendorf waren für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Der Schriftsteller, Musiker und Schauspieler Heinz Strunk wurde 1962 in Bevensen geboren. Seit seinem ersten Roman «Fleisch ist mein Gemüse» hat er 14 weitere Bücher veröffentlicht. «Der goldene Handschuh» stand monatelang auf der Bestsellerliste; die Verfilmung durch Fatih Akin lief im Wettbewerb der Berlinale. 2016 wurde der Autor mit dem Wilhelm Raabe-Literaturpreis geehrt. Seine Romane «Es ist immer so schön mit dir» und «Ein Sommer in Niendorf» waren für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Kabuff


Der ganze lange und hoffentlich schöne Sommer liegt vor ihm. Ohne Arbeit, Verpflichtungen, Aufgaben; sage und schreibe keine einzige Eintragung im Terminkalender, das gab’s seit zwanzig Jahren nicht mehr. Oder fünfundzwanzig, oder dreißig. Bevor Roth im Oktober seinen neuen Posten antritt, kann er tun und lassen, was er will. Auf eine Kreuzfahrt gehen, in die Berge fahren, einen Abenteuerurlaub machen, ein Apartment am Meer mieten. Er entscheidet sich für Letzteres.

Nach endlosen Recherchen fällt die Wahl schließlich auf «Ostsee-Apartments» in Niendorf, einem Ortsteil von Timmendorfer Strand. Als Kind ist er mal an der Lübecker Bucht gewesen, aber daran hat er keine Erinnerung mehr. Ganz bewusst hat er sich für dieses nicht sonderlich exklusive Seebad entschieden; hier wird ihn nun wirklich niemand kennen.

Anfang Juni, höchste Eisenbahn, die ins Auge gefasste Anlage ist praktisch ausgebucht, nur Wohnung Nr. 15 (26 m2, 1,5 Zimmer, zweites OG, Meerblick) ist noch frei. Eigentlich zu klein, aber er hat keine Lust, noch länger zu suchen. Wer weiß, wenn er zögert, ist alles weg. Also macht er Nägel mit Köpfen.

 

Als er vor Ort aus dem Auto steigt, schlägt ihm sengende Hitze entgegen. Die Sonne steht wie ein Glutstück am Himmel und strahlt, als wolle sie weit und breit alles in Brand stecken. Im Verlaufe des Tages soll die Temperatur sogar noch steigen, für den späten Nachmittag sind 33 Grad prognostiziert.

Der Verwalter, ein Herr Breda, hatte ihm einen Lageplan gemailt, auf dem auch das Büro verzeichnet ist; auf einem unbebauten Grundstück gegenüber vom Apartmenthaus, etwa fünfzig Meter nach hinten versetzt, findense schon. Schlüsselübergabe täglich 11 bis 14 Uhr.

Büro ist geprahlt, denkt Roth, Bretterbude, Verschlag, Kabuff trifft es eher. WE ARE OPEN. Roth klopft. «Ja?» Als er das Kabäuschen betritt, lässt der Mann am Schreibtisch (Breda?) hastig etwas in einer Schublade verschwinden. Flachmann, Porno, Falschgeld? Die Luft ist zum Schneiden, Zigarettenrauch (Reval ohne Filter, Roth kennt den Geruch), Essensmief, menschliche Ausdünstungen und irgendetwas stechend Chemisches. Auf allen Oberflächen liegen Kleidungsstücke, zerfledderte Zeitschriften, Rubbellose, zerknüllte Papiertaschentücher, leere Flaschen. Bredas Schreibtisch ist von einer Ascheschicht bedeckt.

«Sie müssen der Herr Dr. Roth sein.»

«Ja. Aber bitte ohne Doktor, einfach nur Roth. Herr Breda, nehme ich an.»

Breda, Typ krummer, langer Lulatsch mit Plauze, strohiges Haar, pergamenthäutig, dünne Ärmchen und Beinchen, hat das Äußere eines chronischen Alkoholikers. Unter seinem engen T-Shirt zeichnen sich ein halbes Dutzend Speckrollen und zwei auf den Sauf-Spitzbauch herabhängende Titten ab.

Zur Begrüßung schraubt er sich aus seinem Chefsessel und kommt Roth mit unsicheren Tippelschritten entgegen. Irgendwas stimmt mit der Koordination nicht. Wenn der sich den Oberschenkelhals bricht, denkt Roth, ist es aus. Das Alter des Mannes? Schwer zu schätzen. Wahrscheinlich nicht viel älter als ich, denkt Roth. Roth ist 51.

«Ich führ Sie gleich in Ihre neue Behausung. Wenn Sie die Sachen eben ausfüllen würden.»

Während Roth den Papierkram erledigt, lässt Breda nervös den Blick schweifen. Er positioniert die Aschenbecher auf dem Schreibtisch (drei Stück) um, und als er auch dem Locher einen neuen Platz geben will, löst sich die Konfettiklappe, und gleich ist der Schreibtisch bedeckt mit kleinen, weißen Fitzelchen. Unzähligen kleinen, weißen Fitzelchen. Es wird Jahre brauchen, bis sich auch das letzte in Luft aufgelöst hat.

Sie gehen zum Apartmenthaus, Roth seinen Rimowa Cabin Twist schiebend, Breda Roths Reisetasche tragend und dabei das Gewicht komödiantisch übertreibend, immer wieder in den Knien einsackend, als würde er gleich zusammenbrechen.

«Was ist dadrin?», ächzt er grinsend. «Steine, haha?»

Dann informiert er Roth, dass er von den insgesamt sechsundzwanzig Apartments lediglich neun betreue, gehören würden sie ihm leider alle nicht, er sei lediglich für Vermietung und Instandhaltung zuständig.

Wohnung Nr. 15 sieht genauso aus wie auf den Bildern im Netz; die Ausstattung etwas in die Jahre gekommen, aber absolut sauber, auch in Küche und Bad keine Spur von Siff, Kalk, Drecksatollen, Haaren, Schmutzrändern, käsigen Gerinnseln. Die Aussicht ist einmalig, weniger als hundert Meter zur Ostsee, vom Strand ist das Apartmenthaus lediglich durch eine schmale Fußgängerpromenade getrennt, und nicht durch eine Autostraße wie an den anderen Strandabschnitten. Roth sieht sich schon stundenlang auf dem Balkon sitzen und den Blick zum Horizont genießen. Vormittags Balkon, tagsüber Strandkorb, abends wieder Balkon, man wird sehen, es wird sich einspielen. Müßiggang, muss er sich erst noch dran gewöhnen.

«Wenn was ist, die Nummer haben Sie ja. Oder Sie kommen direkt im Büro vorbei. Und jetzt wünsch ich schon mal einen schönen Aufenthalt.»

Breda beugt sich vor und neigt gleichzeitig den Kopf zur Seite, wie ein Vogel, der ein Wurmloch beäugt. Im Profil gleicht er einem Ausgusshahn. Und weg ist er. Scheenen Ofenthalt. Der ist nicht von hier, denkt Roth. Was ist das bloß für ein Dialekt? Er kommt nicht drauf.

 

Nach dem Auspacken Ortsbegehung. Viel zu erkunden gibt es in Niendorf (achttausend Einwohner) nicht: paar Hundert Meter nach links, paar Hundert Meter nach rechts, fertig ist die Laube. Das Meerwasserhallenbad markiert das östliche Ende, der Hafen das westliche. Attraktion weiter landeinwärts ist ein Vogelpark. Die Münze (Zahl) schickt ihn zum Hafen. Wahrscheinlich ist er der Einzige an der Lübecker Bucht, der im Maßanzug urlaubt. Lediglich seiner Krawatte hat er sich entledigt.

Auf der Promenade reiht sich Ladengeschäft an Shop an Lokalität: Fischereibetrieb Schupp den Fisch – Touristenzentrum – Brutzelhütte (auch zum Mitnehmen) – Strandcoiffeur Runge – Strandlädchen – Seaside Lounge (Crêpes, Croques und MEER) und so weiter, bis die Promenade nach etwa fünfhundert Metern am kleinen Hafen endet. Idyllisches Fleckchen, urig, romantisch, wie auf der Homepage beschrieben. Bei Klüvers Hafenräucherei bestellt er ein Lachsbrötchen. Ein Mitarbeiter in blauem Fischerhemd bringt zwei Kisten voll zappelndem, sich windendem Nachschub. Zum Glück haben Meeresgeschöpfe keine Stimmen, denkt Roth, sonst würden von diesen Kisten entsetzliche Schmerzensschreie ausgehen.

Klüver hat es drauf: Das Brötchen knackig, der Lachs taufrisch, der Meerrettich-Dip schön scharf, ein Zwiebelring rundet das Ganze ab; mehr braucht es wirklich nicht für ein vorzügliches Fischbrötchen. Roth setzt sich auf einen der überall herumstehenden uniformen Plastikstühle und beobachtet die Leute: in der Mehrheit Alte, Uralte und Superalte. Ein paar Familien und Paare im Erwerbsalter. Feierwütige Partypeople Fehlanzeige, für die ist es hier entschieden zu öde und außerdem zu teuer. Ein Mann um die achtzig läuft trotz Unterschenkelprothese mit federndem Gang vorbei. Bravo, denkt Roth. Überall entspannte, fröhliche Gesichter, allerbeste Stimmung, Urlaubslaune eben; bis auf die Spaßbremse im noblen Zwirn. Ihn überkommt das Gefühl beschämender Andersartigkeit, eine diffuse Beklemmung wächst in ihm, er weiß nicht, warum. Nicht Bange machen lassen. Jetzt andere Richtung. Er nimmt den Weg über die Strandstraße. Alle Ferienorte an der Küstenlinie haben eine Strandstraße. Einen Möwenweg. Einen Taubenstieg. Hafenstraße. Gartenweg. Uferweg. Und so weiter.

Er spürt die Hitze des Bürgersteigs durch die Schuhsohlen, schon nach wenigen Schritten prickelt der Schweiß wie Nadeln auf der Stirn. Wo könnte er denn heute zu Abend essen? Zur Auswahl stehen Da Antonio (Italiener), Akropolis (Grieche), Hafenblick, Schipper-Stuv, Scholle (Fisch) oder das Istanbul Döner Haus (Neueröffnung). Noch nie in seinem Leben hat Roth Döner gegessen. Ein Schützenfest oder einen Freizeitpark besucht. Seit ungefähr zwanzig Jahren hat er keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzt, Sonderangebote interessieren ihn ebenso wenig wie Frühbucherrabatte. Vielleicht, denkt er, zählt zum Abenteuer Niendorf auch das Abenteuer Döner.

Landeinwärts gehen kleinere Straßen ab. Brookredder, Dr.-Karl-Krause-Straße, Meinsweg. Wohngebiete. Rechter Hand der Fahrradverleih Niendorf Ostsee. Es wäre ratsam, gleich eins für die gesamte Zeit zu mieten. Bald beginnen in Nordrhein-Westfalen, Bayern und noch ein paar anderen Bundesländern die großen Ferien, dann sind alle weg. Er entscheidet sich dagegen. Fahrräder sind genauso wenig etwas für ihn wie Fast Food, Lotto-Toto oder Schnäppchenjagd.

Arzt, Kur-Apotheke, Bank, Pushba-Fashion, Stadtbäckerei Junge. Endlich, das Meerwasserschwimmbad. In der Luft liegt ein schwacher Geruch von Chlor auf Kinderhaut. Wer geht bei den Temperaturen denn in eine Schwimmhalle? Über das Brodtener Steilufer könnte er jetzt weiterlaufen bis ins sechs Kilometer entfernte Travemünde. Ein anderes Mal. Ist diese Seite nun der Ortseingang? Oder ist der Hafen der Ortseingang? Beides möglich. Und ist dies der Ortskern? Beides möglich: zwei Eingänge, zwei Kerne. Niendorf ist ein unstrukturierter Ort ohne jegliche Vibes, keinerlei sexuelle Spannung existiert.

Auch Rühmlings Ostseeräucherei bietet frisch belegte Fischbrötchen an. Coffee to go in der einen Hand und Krabbenbrötchen in der anderen setzt er sich auf eine Bank mit...

Erscheint lt. Verlag 14.6.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abrechnung mit der Familie • Anspruchsvolle Literatur • Autor • Bestseller-Autor • bücher literatur • Bücher Neuerscheinungen 2024 • Deutsche Literatur • Deutscher Buchpreis • Deutscher Buchpreis 2022 • Deutsche Romane • Es ist immer so schön mit dir • Familienroman • Fleisch ist mein Gemüse • Gegenwartsliteratur • Humor • Jurist • last minute geschenke • Moderne Literatur • Moderner Roman • Niendorf • Norddeutschland • Ostsee • romane neuerscheinungen 2024 • Schnapsladen • Sommer • spiegel bestseller • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Strandkorb • Strandkorbverleiher • Strandlektüre • Timmendorfer Strand • Zeitgenössische Literatur • Zufallsbegegnung
ISBN-10 3-644-01305-5 / 3644013055
ISBN-13 978-3-644-01305-6 / 9783644013056
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