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Komplett Gänsehaut (eBook)

Spiegel-Bestseller
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
192 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32043-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Komplett Gänsehaut -  Sophie Passmann
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Nach ihrem vieldiskutierten Bestseller »Alte, weiße Männer« entlarvt Sophie Passmann in ihrem neuen Werk den unerträglichen Habitus einer Bürgerlichkeit, durch die sie selbst geprägt wurde. Eine Passmannsche Suada at its best. Bloß nicht so werden, wie alle anderen um sich herum. Bloß nicht so werden, wie man schon längst ist. Bloß schnell erwachsen werden, um in die transzendentale Form des Verklärens eintauchen zu dürfen, die Jugend als »die beste Zeit des Lebens« zu feiern. Sophie Passmann teilt aus gegen alle, am verheerendsten aber gegen sich selbst und ihresgleichen. Zornig und böse, sanft und lustig zugleich zieht sie uns mit rein ins tiefe Tal der bürgerlichen Langeweile im westdeutschen Mittelstand. Sie geht vehement vor gegen die hedonistische Haltung einer wohlgemerkt nicht homogenen Generation, die ihr selbst nur allzu bekannt ist. Dies ist kein Memoir, kein Roman, keine Biographie, es ist: literarischer Selbsthass. Das finden Sie anmaßend? Genau das ist es und genau das will Sophie Passmann: sich anmaßen, das zu tun, was sie tun möchte. Komplett Gänsehaut einfach!

Sophie Passmann, 1994 geboren, ist Autorin, Satirikerin und Moderatorin. Ihr Buch »Alte weiße Männer« stand wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste, »Komplett Gänsehaut« war Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Sie schreibt für das Feuilleton der Zeit, ist im Ensemble von Late Night Berlin und unterhält mehr als 300.000 Follower:innen auf Instagram.

Sophie Passmann, 1994 geboren, ist Autorin, Satirikerin und Moderatorin. Ihr Buch »Alte weiße Männer« stand wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste, »Komplett Gänsehaut« war Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Sie schreibt für das Feuilleton der Zeit, ist im Ensemble von Late Night Berlin und unterhält mehr als 300.000 Follower:innen auf Instagram.

Inhaltsverzeichnis

Die Wohnung


In Filmen wird ja behauptet, dass es wichtig sei zu erklären, was bisher geschah, also vor dem Moment, an dem eine Geschichte anfängt, ihr fragt euch sicher, wie es dazu kam, sagt die Hauptfigur dann, in diesem Fall hier ist es allerdings völlig egal, was gestern passiert ist und an den Tagen davor, wie es dazu kam, wäre am Ende nur eine Nacherzählung meines bisherigen Lebens, und dafür bin ich zu jung, und dafür war mein Leben zu langweilig, bestimmt stand ich schon mal irgendwo rum, und bestimmt war ich schon mal auf einer Party, die anders lief als gedacht, alles im Rahmen, alles im Lauf.

Das Wetter in meinem bisherigen Leben war durchwachsen, viel durchwachsener wohl als das Wetter im Leben von alten Leuten, denn auch wenn so ein kollektives Lebensgefühl-Narrativ von Nachkriegsdeutschen behaupten darf, wir, also junge Leute, würden weder richtigen Sommer noch bitterkalten Winter kennen, wird das Wetter insgesamt ja immer durchwachsener, und ja, das ist der Moment, in dem ein überambitionierter Meteorologie-Jonas darauf hinweisen könnte, dass es eigentlich nicht das Wetter, sondern das Klima sei, das sich ändert. Ich weiß das. Ich weiß die meisten Sachen, ich lege aber selten Wert darauf.

 

In diesem Moment sitze ich auf dem Boden meines Wohnzimmers und trinke lauwarmes Sprudelwasser aus einer 1,5-Liter-PET-Flasche von Aldi, ja, das Wasser der armen Leute, das in Plastik eingeschweißt zu sechst verkauft wird und neunzehn Cent pro Flasche kostet, ich schlage die Spitzen meiner Schuhe gegeneinander, ich höre immer dieselben zwanzig Sekunden desselben Songs, ich will nicht drei Minuten und dreißig Sekunden warten, skippe rechtzeitig zurück, weil ich doch nur wegen dieser einen Stelle da bin, ungefähr so, wie man manchmal glaubt, nur wegen der drei Wochen Jahresurlaubs zu leben. Ich wohne jetzt in einem neuen Kiez, so nennt man seinen Stadtteil, wenn man den Nationalsozialismus noch nicht überwunden hat, dazu später mehr, vielleicht, und auch das klingt schon zu absichtlich, zu sehr wie der Beginn einer Geschichte, dabei wird das hier keine Geschichte, wirklich nicht, es ist eher Zufall, dass das alles hier beginnt. Irgendwann beschließt man, endlich ein richtiger Mensch zu werden, man geht einmal samstags auf den Markt und will einer von diesen Leuten sein, die das immer machen, einer dieser Menschen, die am Wochenende schön mal ein Stück Lammfleisch schmoren oder einen Stamm-Italiener haben, man kommt garantiert an diesen Punkt, mit einer Mischung aus deutscher Kleinbürgerlichkeit und einem Amtsgerichtsstolz will man es jetzt durchziehen, genau da befinde ich mich gerade, zwar ohne Wochenmarktbesuch und Lammschulter im Ofen bei Niedrigtemperatur, aber dafür ist diese Wohnung hier leer und damit voller neuer Möglichkeiten. Ich könnte jetzt also einer dieser Menschen werden, die bei eBay-Kleinanzeigen Art-déco-Möbel kaufen oder Sukkulenten züchten, ich könnte so tun, als hätte ich das immer schon gemacht, das ist ein offenes Geheimnis unter Leuten in meinem Alter, dass wir Dinge sehr plötzlich beginnen und dennoch so tun, als hätten wir das immer schon so gemacht, ich könnte also jetzt in diesem Moment in dieser leeren Wohnung entscheiden, ein Mensch werden zu wollen, der verschiedene Koriandersorten anbaut, und wenn mich die ersten Menschen besuchen kommen, sage ich, du, das habe ich immer schon gemacht.

 

Leute sagen oft, soundso viele Umzüge seien wie ein Hausbrand, sie sagen das irgendwie mahnend, als würde ihr schönes Zeug verloren gehen im Zuge des Wohnortwechsels, das Emaille-Sieb, das aggressiv pittoresk an der Wand hängt, das so eine Blut-und-Boden-Hausfraulichkeit ausstrahlt, irgendein signiertes Buch von irgendeiner Lesung, zu der man aus irgendeinem Grund gegangen ist, ein besonderer Brief, sie sagen das, als wäre es etwas Schlechtes, im Laufe des Lebens Krempel zu verlieren, mir kommt es allerdings gerade eher wie ein Versprechen vor: im Zweifel bei jedem Umzug sicherheitshalber das ganze Haus abbrennen, wirklich nur die Dinge mitnehmen, auf die man auf keinen Fall verzichten kann, den Rest in unendlich vielen Kellern von mehr oder weniger Blutsverwandten unterstellen, Sideboards bei Exmännern lassen, Möbel ghosten, bis niemand mehr weiß, wem sie gehören, den Sperrmüll mit dem Hinweis zu verschenken irgendwo in die Großstadt stellen. Dann zählt man das Zeug, das übrig geblieben ist, und fragt sich, was der neue Mensch, der man ja jetzt geworden ist, in diese leeren Ecken in dieser neuen Wohnung stellen würde, denn im Grunde geht es dabei, ein neuer Mensch zu werden, immer eher um das Zeug, das fehlt, als um das Zeug, das man hat, meistens fehlt ein schöner Beistelltisch für die scheiß leere Ecke in der scheiß leeren Wohnung, das richtige Airbnb für das lange Wochenende in Porto, das richtige Tonic zu diesem guten Gin, den man geschenkt bekommen hat, für das Gefühl, dass etwas fehlt, hört man erst auf, sich zu schämen, wenn man insgeheim im Glauben groß geworden ist, dass es eine Lücke gibt, deren Füllung das Leben einem noch schuldig ist, klar, das könnte jetzt gut und gerne Kapitalismus-Kritik werden, das Nichtkaufen ist ja viel absichtlicher und anstrengender als das Kaufen und so weiter, im Grunde geht es aber viel mehr um Kindergeburtstage. Das ganze verdammte Leben lang spricht man von den tollen Kindergeburtstagen, an denen der eigene Vater für alle Freunde gegrillt hat, dabei denkt man in Wahrheit ja immer nur an den einen, an dem er nicht da war, weil er länger arbeiten musste. Es geht immer um das, was fehlt, alles andere haben wir immer da. Es geht auch viel mehr um die Dinge, die man nicht mehr macht, als um die Dinge, die man sich gerade erst angewöhnt hat. Ich koche zum Beispiel kein Risotto mehr. Ich war früher so ein Mensch, der mit dem Partner nach Feierabend Risotto gemacht hat, was nichts anderes bedeutet, als in einer Altbauwohnung Italien spielen, es ist quasi Bildungsbürgertum-Cosplay, Menschen rühren so lange in Reis herum, bis sie glauben, sich wieder zu spüren, dabei hört man diese Spotify-Playlists, die fast schon beklemmend genau ein Lebensgefühl im Titel tragen, das man gerne hätte, ich mache mittlerweile kein Risotto mehr, und den Partner gibt es, relativ gesprochen, auch nicht mehr, weil ich an einem dieser Risotto-Abende despektierlich über die Beatles gesprochen habe, irgendwann liefen nämlich die Beatles, und ich seufzte beim Risottorühren laut, ich sagte wirklich: Hach, man darf die Beatles auch einfach nicht überbewerten, woraufhin wir uns fürchterlich stritten, noch bevor wir den Parmesan beigeben konnten, ging es um Respekt und Wertschätzung und all solche Themen, im Nachhinein betrachtet hätte die Tatsache, dass wir an diesem Abend nicht mal mehr den Friséesalat mit Orangenfilets zubereiteten – wir hatten das Rezept wie so Arschlöcher aus dem SZ-Magazin abfotografiert –, mich wissen lassen müssen, dass das alles nicht gut gehen konnte. An diesem Abend streute er keine Kräuter auf das fertige Risotto, normalerweise machte er das und sagte: für die Farbe. Wir saßen oft am Küchentisch, er machte immer diese eine Sache mit seinen Haaren, die ich hier beschreiben könnte, die aber nur für mich besonders wäre. Wir fuhren auch ab und zu mal ans Wasser, das war nicht immer besonders, wir hatten diesen einen Song und diese eine besondere Art, dieses eine Wort zu betonen, wir platzierten es manchmal heimlich in Gesprächen mit anderen und warfen uns dann Blicke zu, die die anderen nicht verstanden, ganz schön arrogant, so im Nachhinein betrachtet.

 

Liebeskummer ist das emotionale Äquivalent zu einem verlängerten Wochenende in Zürich, extrem teuer und am Ende den Aufwand nicht wert, man sieht sich ja so schnell satt an blauen Seen wie man von interessanten Emotionen genug hat, ich werde nicht über gemeinsame Erlebnisse sprechen, über schöne Erinnerungen, hier wird nicht geschwelgt, auf keinen Fall, ich habe nicht vor, nachdenklich auf Bürgersteigen zu sitzen und mir von interessierten Passanten Zigaretten anbieten zu lassen, die ich dann natürlich einfühlsam und distanziert beschreiben würde. Sie alle, die Passanten, hätten gute Hosen und Pullover mit ironischen Drucken an, sie mögen diese eine Platte von Mumford & Sons ganz gerne, würden es heute aber nicht mehr zugeben, niemand von denen trinkt gerne Bier, es schmeckt einfach komisch bitter, wenn sie auf der Straße zufällig Bekannte treffen, beenden sie den Small Talk mit einer Telefonhörergeste und dem Satz Wir sprechen, ja?, wir kennen die ja alle, wieso sollte man das aufschreiben. Egal. Das auf alle Fälle ist, was bisher geschah.

Die Leute, die das mit der Anzahl der Umzüge und den Bränden sagen, legen auch besonderen Wert auf die erste Nacht in einer neuen Wohnung, irgendwas mit Träumen und Wünschen, die wahr werden. Die erste Nacht ist auch die beste, weil dann der ganze Krempel, der einen erst zu der Person macht, die man selbst ist und die auch jede andere Person ist, die da herkommt, wo man selbst herkommt, noch nicht in den Räumen aufgebahrt ist, das Instrument, das man früher mal gespielt hat nämlich, die eine Monstera auf dem Hocker, eine Fotografie von Helmut Newton, diese Tischuntersetzer für nette Abendessen mit Freunden, bei denen immer irgendjemand aggressiv Auberginen im Ofen röstet, als hinge sein Leben davon ab, das Lammfell von...

Erscheint lt. Verlag 4.3.2021
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Alte weiße Männer • Autofiktion • Bestseller-Autorin • Coming of Age • Damaged Goods • Erwachsenwerden • Feminimus • Feministische Literatur • @fraupassmann • Generationen-Geschichte • Generationen-Roman • Generation Y • Inas Nacht • Instagram • Jugend • Late Night Berlin • Lena Dunham • Männerwelten • Margarete Stokowski • Millenials • Podcast Jubel & Krawall • Prime-Serie Passmann • Romanhafte Biografie • Serie Passmann
ISBN-10 3-462-32043-2 / 3462320432
ISBN-13 978-3-462-32043-5 / 9783462320435
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