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Das Mädchen und der Winterkönig (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
480 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-25862-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Mädchen und der Winterkönig -  Katherine Arden
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Die große Fortsetzung des internationalen Erfolgsromans »Der Bär und die Nachtigall«
Wasja hat es geschafft: Sie hat ihr Zuhause vor dem Untergang bewahrt, indem sie einen Pakt mit Väterchen Frost einging. Doch jeder Pakt hat seinen Preis, und nun muss Wasja bitter für die Hilfe des Winterdämons bezahlen. Als Hexe verschrien, wird sie aus dem Dorf gejagt und durchstreift fortan in Männerkleidung das riesige Zarenreich. Immer an ihrer Seite ist ihr geliebter Hengst Solowej, der schneller ist als der Wind. Als Wasja eines Tages eine berühmt-berüchtigte Räuberbande in die Flucht schlägt, ruft sie der Prinz an den Hof nach Moskau, wo sie als Held gefeiert wird. Schnell wird Wasja - dank der Ratschläge des Winterdämons - zur engsten Vertrauten des Prinzen. Doch niemand am Hof darf je erfahren, dass der tapfere Kämpfer aus dem klirrend kalten Norden eigentlich eine junge Frau ist ...

Katherine Arden, geboren in Austin, Texas, studierte Französische und Russische Literatur am Middlebury College in Vermont und verbrachte ein Auslandssemester in Moskau. Nach ihrem Abschluss lebte sie in Maui auf Hawaii und in Briançon in Frankreich. Während dieser Zeit nahm sie alle möglichen Jobs an, arbeitete auf einer Farm, unterrichtete , und begann ihren ersten Roman »Der Bär und die Nachtigall« zu schreiben. Zurzeit lebt sie in Vermont.

1

Der Tod der Schneemaid

Moskau, nach der Wintersonnenwende, der Nebel von zehntausend Feuerstellen stieg dem drückenden Himmel entgegen. Im Westen war noch etwas Licht, doch im Osten türmten sich die Wolken wie Blutergüsse in der bläulichen Abenddämmerung, ihre Bäuche wölbten sich schwer von Schnee.

Zwei Flüsse schnitten durch den russischen Wald, auf einem von Kiefern bedeckten Hügel, genau an der Stelle, wo sie sich vereinigten, lag Moskau. Seine gedrungenen weißen Mauern umschlossen ein Kunterbunt aus Hütten und Kirchen, die Türme seiner von Eis überzogenen Paläste streckten sich wie in Verzweiflung dem Himmel entgegen. Das Tageslicht schwand, in den hohen Fensterschlitzen der Türme wurden Lichter entzündet.

An einem dieser Fenster stand eine prunkvoll gekleidete Frau und beobachtete, wie der Feuerschein sich mit der stürmischen Dämmerung vermischte. Hinter ihr saßen zwei weitere Frauen neben einem Ofen und nähten.

»Das ist jetzt das dritte Mal, dass Olga innerhalb einer Stunde ans Fenster geht«, flüsterte eine der beiden. Die Ringe an ihren Händen glänzten im Schummerlicht, ihre prächtige Kopfbedeckung lenkte den Blick von den Furunkeln auf ihrer Nase ab.

Die ganz in der Nähe dicht beisammenstehenden Dienerinnen nickten wie Blütenkelche. Vor den kalten Wänden standen Sklaven, das strähnige Haar von Kopftüchern bedeckt.

»Aber natürlich tut sie das, Darinka!«, gab die andere Frau zurück. »Sie wartet auf ihren Bruder, den verrückten Mönch. Wie lange ist es jetzt schon her, dass Bruder Alexander nach Sarai aufgebrochen ist? Mein Mann wartet schon seit dem ersten Schneefall auf ihn. Und jetzt schmachtet die arme Olga am Fenster. Nun, Gott sei ihr gnädig. Bruder Alexander liegt wahrscheinlich tot in einer Schneewehe.« Die Sprecherin war Eudokia Dmitrijewa, die Großfürstin von Moskau. Ihre Robe war mit Juwelen bestickt, ihr rosiger Mund verbarg drei schwarze Zahnstümpfe. Sie hob ihre schrille Stimme. »Du wirst dir noch den Tod holen, wenn du so in diesem Wind stehen bleibst, Olja. Würde Bruder Alexander kommen, wäre er bereits hier.«

»Wie du meinst«, erwiderte Olga kühl vom Fenster aus. »Ich bin froh, dass du hier bist und mich Geduld lehrst. Vielleicht kann meine Tochter von dir lernen, wie sich eine Prinzessin benimmt.«

Eudokias Lippen wurden dünn. Sie hatte keine Kinder. Olga hatte zwei, und sie erwartete noch vor Ostern ein drittes.

»Was war das?«, fragte Darinka plötzlich. »Ich habe ein Geräusch gehört. Ihr nicht?«

Der Sturm draußen wurde stärker. »Das war der Wind«, antwortete Eudokia. »Nur der Wind. Was für eine Närrin du bist, Darinka.« Doch sie zitterte. »Olga, lass noch mehr Wein bringen. Es ist kalt in diesem zugigen Zimmer.«

In Wahrheit war das Nähzimmer warm – fensterlos bis auf den einen Schlitz und außerdem von einem Ofen und den vielen Anwesenden beheizt. Aber … »Nun gut«, erwiderte Olga. Sie nickte ihrer Dienerin zu, und die Frau ging über die Stufen hinunter in die eiskalte Nacht.

»Ich hasse Nächte wie diese«, sagte Darinka. Sie zog ihre Robe enger um sich und kratzte sich etwas Schorf von der Nase. Ihr Blick sprang von den Kerzen zu den Schatten und wieder zurück. »Sie kommt in Nächten wie diesen.«

»Sie?«, fragte Eudokia säuerlich. »Wer ist sie

»Wer ist sie?«, wiederholte Darinka. »Soll das heißen, du weißt es nicht?« Sie setzte einen überheblichen Gesichtsausdruck auf. »Sie ist das Gespenst.«

Olgas Kinder, die gerade noch neben dem Ofen gestritten hatten, hörten auf zu kreischen. Eudokia schniefte. Olga, die immer noch am Fenster stand, runzelte die Stirn.

»Da ist kein Gespenst«, erklärte Eudokia. Sie griff nach einer in Honig eingelegten Pflaume, biss hinein und kaute penibel, leckte sich die Süße von den Fingern. Ihrem Tonfall nach hielt sie diesen Palast eines Gespenstes nicht für würdig.

»Ich habe sie gesehen!«, protestierte Darinka verletzt. »Als ich das letzte Mal hier geschlafen habe, habe ich sie gesehen.«

Adlige Frauen, die in Türmen lebten und starben, besuchten einander gern. Hin und wieder, wenn ihre Gatten fort waren, blieben sie über Nacht, und Olgas Palast – sauber, ordentlich und blühend – erfreute sich großer Beliebtheit. Jetzt umso mehr, da Olga im achten Monat schwanger war und nicht mehr nach draußen ging.

Olga verzog missbilligend das Gesicht, doch Darinka, begierig nach Aufmerksamkeit, sprudelte weiter. »Es war kurz nach Mitternacht. Vor ein paar Tagen. Kurz vor der Wintersonnenwende.« Sie beugte sich nach vorn, und ihre Kopfbedeckung kippte bedrohlich. »Etwas hat mich geweckt – ich weiß nicht mehr, was. Ein Geräusch …«

Olga schnaubte kaum hörbar. Darinkas Miene verfinsterte sich. »Ich weiß nicht mehr, was«, wiederholte sie. »Ich bin aufgewacht, und alles war still. Durch die Fensterläden fiel kaltes Mondlicht herein. Ich glaubte, etwas in der Ecke zu hören. Eine Ratte vielleicht.« Sie senkte die Stimme. »Ich hielt mich ganz still, die Decke bis ans Kinn gezogen. Aber ich konnte nicht wieder einschlafen. Da hörte ich ein Wimmern. Ich öffnete die Augen und rüttelte Nastka wach, die neben mir lag. ›Nastka‹, sagte ich, ›Nastka, entzünde eine Laterne. Jemand weint.‹ Aber Nastka rührte sich nicht.«

Darinka hielt inne. Stille hatte sich über den Raum gesenkt.

»Dann«, sprach sie weiter, »sah ich einen Lichtschimmer. Es war ein unchristliches Leuchten, kälter als der Mond, ganz anders als ein angenehmer Feuerschein. Das Leuchten kam immer näher …«

Darinka hielt erneut inne. »Und dann habe ich sie gesehen«, flüsterte sie.

»Sie? Wen? Wie hat sie ausgesehen?«, schallte es aus einem Dutzend Kehlen.

»Weiß wie Knochen«, flüsterte Darinka. »Ein eingesunkener Mund und Augen so dunkel, als könnten sie die ganze Welt verschlingen. Das lippenlose Gesicht starrte mich an, und ich versuchte zu schreien, aber ich konnte nicht.«

Eine Zuhörerin stieß ein Quieken aus, andere rangen die Hände.

»Genug«, bellte Olga und drehte sich vom Fensterschlitz weg. Ihre Stimme schnitt durch die nur halb gespielte Hysterie, und ihre Gäste verstummten unbehaglich. »Du machst meinen Kindern Angst.«

Das stimmte nicht ganz. Maria, die Ältere, saß kerzengerade da, ihre Augen leuchteten. Doch ihr Bruder Daniil hielt sich zitternd an seiner Schwester fest.

»Und dann ist sie verschwunden«, versuchte Darinka, die Geschichte möglichst beiläufig zu Ende zu bringen, und scheiterte. »Ich sprach ein Gebet und schlief ein.«

Sie hob ihren Weinkelch an die Lippen. Die beiden Kinder starrten sie an.

»Das war eine gute Geschichte«, sagte Olga mit einer kaum wahrnehmbaren Strenge in der Stimme. »Aber jetzt ist sie zu Ende. Lasst uns andere Geschichten erzählen.«

Sie ging zu ihrem Platz am Ofen und setzte sich. Der Feuerschein spielte in ihrem doppelt geflochtenen Haar. Der Schneefall draußen wurde stärker. Olga blickte nicht noch einmal zum Fenster, doch ihre Schultern versteiften sich ein wenig, als die Sklaven die Läden schlossen.

Feuerholz wurde nachgelegt, und ein warmes Glühen erfüllte das Zimmer.

»Erzählst du uns eine Geschichte, Mutter?«, rief Olgas Tochter Maria. »Eine Geschichte mit Magie?«

Ein leises, zustimmendes Murmeln ging durch den Raum. Eudokia schaute finster drein, Olga lächelte. Obwohl sie die Prinzessin von Serpuchow war, war sie weit weg von Moskau am Rand der verwunschenen Wildnis aufgewachsen. Olga erzählte seltsame Geschichten aus dem Norden. Adlige Frauen, die ihr Leben zwischen Kapelle, Backhaus und Turm verbrachten, liebten diese Geschichten.

Die Prinzessin betrachtete ihr Publikum. Welche Trauer Olga auch verspürt haben mochte, als sie allein am Fenster gestanden hatte – sie war vollkommen aus ihrem Gesicht verschwunden. Die Hofdamen legten ihre Nadeln weg und rollten sich in freudiger Erwartung auf ihren Kissen zusammen.

Draußen vermischte sich das Rauschen des Windes mit der Stille des Schnees, die selbst ein Geräusch ist. Begleitet von einem Durcheinander aus Rufen und Schreien wurde das restliche Vieh in die Ställe getrieben, wo es sicher vor der Kälte war. Die Bettler krochen von den verschneiten Gassen in die Kirchen und beteten darum, den nächsten Morgen zu erleben. Die Männer auf der Mauer des Kreml rückten näher an ihre Feuerschalen und schlugen die Ohrenklappen an ihren Mützen herunter. Doch der warme Turm der Prinzessin war erfüllt von erwartungsvoller Stille.

»Dann hört zu«, sagte Olga und legte sich ihre Worte zurecht.

»In einem Fürstentum lebte ein Holzfäller mit seiner Frau in einem kleinen Dorf in einem großen Wald. Der Name des Mannes war Mischa, seine Frau hieß Alena, und sie waren sehr traurig. Denn obwohl sie eifrig beteten, die Ikonen küssten und anflehten, zeigte Gott sich nicht geneigt, ihnen ein Kind zu schenken. Es waren harte Zeiten, und sie hatten kein braves Kind, um ihnen über den kalten Winter zu helfen.«

Olga legte sich eine Hand auf den Bauch. Ihr drittes Kind – der namenlose Fremde – hatte gerade ausgetreten.

»Eines Morgens, es hatte stark geschneit, gingen Mann und Frau in den Wald, um Feuerholz zu schlagen. Und wie sie so schlugen und das Holz aufstapelten, schoben sie den frischen Schnee zur Seite, und, ohne sich etwas dabei zu denken, formte Alena den Schnee zu einer blassen Maid.«

»War sie so hübsch wie ich?«,...

Erscheint lt. Verlag 9.11.2020
Reihe/Serie Winternacht-Trilogie
Übersetzer Michael Pfingstl
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Girl in the Tower - Winternight Trilogy Book 2
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte Der Bär und die Nachtigall • eBooks • Fantasy • Magie • Märchen • Märchenbuch • Mittelalter • russische Fantastik • russische Sagen und Mythen • Väterchen Frost • Weihnachten
ISBN-10 3-641-25862-6 / 3641258626
ISBN-13 978-3-641-25862-7 / 9783641258627
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