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Das rote Adressbuch (eBook)

Spiegel-Bestseller
Hast du genug geliebt in deinem Leben? - Roman
eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
368 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-23015-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das rote Adressbuch -  Sofia Lundberg
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'Ein wunderbares Debut. Die Geschichte von Doris ist mit viel Liebe erzählt. Sie steckt voller Zärtlichkeit und Mitgefühl.' Jan-Philipp Sendker
Doris wächst in einfachen Verhältnissen im Stockholm der Zwanzigerjahre auf. Als sie zehn Jahre alt wird, macht ihr Vater ihr ein besonderes Geschenk: ein rotes Adressbuch, in dem sie all die Menschen verewigen soll, die ihr etwas bedeuten. Jahrzehnte später hütet Doris das kleine Buch noch immer wie einen Schatz. Und eines Tages beschließt sie, anhand der Einträge ihre Geschichte niederzuschreiben. So reist sie zurück in ihr bewegtes Leben, quer über Ozeane und Kontinente, vom mondänen Paris der Dreißigerjahre nach New York und England - zurück nach Schweden und zu dem Mann, den sie einst verlor, aber nie vergessen konnte.

Sofia Lundberg wurde 1974 geboren und arbeitete als Journalistin in Stockholm, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Büchern widmete. Mit ihrem Debütroman »Das rote Adressbuch« eroberte sie die schwedische Literatur- und Bloggerszene im Sturm, woraufhin die Rechte in über 30 Länder verkauft wurden.

Das rote Adressbuch

S. SERAFIN, DOMINIQUE

Die nächtlichen Tränen waren nicht meine, aber sie gingen mir so nahe, dass ich manchmal nachts davon wach wurde und dachte, ich hätte im Schlaf geweint. Meine Mutter saß immer im Schaukelstuhl in der Küche, wenn wir ins Bett gegangen waren. Ich gewöhnte mich daran, in Begleitung ihrer Schluchzer einzuschlafen. Sie nähte und weinte; die Geräusche ihrer Trauer übertrugen sich in Wellen in unser Zimmer. Sie dachte, dass wir schlafen. Aber das taten wir nicht. Ich konnte hören, wie sie die Nase hochzog. Ich spürte ihre Verzweiflung darüber, plötzlich allein zu sein, nicht mehr geborgen zu sein im Schatten meines Vaters.

Ich vermisste ihn auch furchtbar. Nie wieder würde er versunken in ein Buch in seinem Lesesessel sitzen. Nie wieder würde ich auf seinen Schoß klettern können und ihn auf seiner Reise durch die Welt begleiten dürfen. Ich vermisste auch seine Nähe, denn in meiner Kindheit wurde ich nur von ihm umarmt.

Es waren schwere Monate. Der Brei, den wir morgens und mittags aßen, wurde immer dünner. Die Beeren, die wir im Wald gepflückt und getrocknet hatten, waren aufgebraucht. Einmal schoss meine Mutter eine Taube mit dem Gewehr meines Vaters und machte daraus einen Eintopf. Und zum ersten Mal seit dem Tod meines Vaters wurden wir alle satt, zum ersten Mal hatten wir rote Wangen und lachten zusammen. Aber das Lachen sollte schon bald für lange Zeit verstummen.

»Du bist die Älteste, du musst jetzt alleine zurechtkommen«, sagte meine Mutter und drückte mir einen Zettel in die Hand. Ich sah, wie sich ihre grünen Augen mit Tränen füllten, bevor sie sich umdrehte und wie besessen die Teller abwusch, von denen wir gerade gegessen hatten. Dieser Moment in der Küche hat sich in meine Erinnerung eingebrannt. Alles ist erhalten, wie in einem Museum. Ich erinnere mich an jedes Detail. Der blaue Rock, an dem sie gerade arbeitete, der auf einem Hocker lag. Der getrocknete Schaum am Topf mit den Kartoffeln, der beim Kochen übergelaufen war. Die eine Kerze, die dem Raum Licht spendete und dunkle Schatten erzeugte. Die Bewegungen meiner Mutter, die zwischen der Spüle und dem Esstisch hin und her lief. Ihr Kleid, das ihre Beine umspielte.

»Was meinst du damit?«, stieß ich hervor.

Sie unterbrach für einen Moment ihr geschäftiges Treiben, sah mir aber nicht in die Augen.

»Wirfst du mich raus?«

Wieder keine Antwort.

»Jetzt sag doch endlich was! Setzt du mich vor die Tür?«

Sie stand an der Spüle, den Blick gesenkt. »Du bist jetzt groß, Doris. Und das ist eine gute Arbeit, die ich dir besorgt habe. Auf dem Zettel steht die Adresse, du siehst, das ist auch gar nicht weit weg von uns. Wir werden uns sehen können.«

»Und was ist mit der Schule?«

Mama hob den Kopf und starrte ins Leere.

»Vater hätte das niemals zugelassen, dass du mich aus der Schule nimmst. Jetzt noch nicht! Ich bin noch nicht so weit!«, schrie ich.

Agnes rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.

Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen und brach in Tränen aus. Meine Mutter setzte sich neben mich und legte mir eine Hand auf die Stirn. Sie war kühl und feucht vom Spülwasser.

»Bitte, nicht weinen, mein Herz«, flüsterte sie und lehnte ihren Kopf an meinen. Es war so still im Raum, dass ich fast hören konnte, wie ihr die dicken Tränen über die Wangen liefen und sich mit meinen vermischten. »Du kannst immer an deinem freien Tag nach Hause kommen. Jeden Sonntag.«

Der geflüsterte Trost wurde zu einem Murmeln, das mich in ihren Armen in den Schlaf wiegte.

Aber am nächsten Morgen wachte ich auf und sah der brutalen und unleugbaren Wahrheit ins Gesicht, dass ich gezwungen war, die Geborgenheit meines Zuhauses für eine ungewisse Zukunft zu verlassen. Ohne Protest nahm ich die Tasche mit meinen Sachen, die mir meine Mutter gab. Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen, als wir uns verabschiedeten. Ich umarmte meine kleine Schwester und ging. Ohne ein Wort. In der einen Hand trug ich die Tasche, in der anderen drei Bücher meines Vaters, die ich mit einer dicken Schnur zusammengebunden hatte. Auf dem Zettel in meiner Jackentasche stand ein Name, den meine Mutter mit zierlichen Buchstaben aufgeschrieben hatte: Dominique Serafin. Darunter standen ein paar Instruktionen: Mach einen ordentlichen Knicks. Sprich deutlich. Ich ging durch die Straßen von Södermalm auf mein neues Zuhause zu: Bastugatan 5.

Als ich die Adresse erreicht hatte, blieb ich eine Weile vor dem modernen Gebäude stehen. Die großen schönen Fenster waren von roten Holzrahmen eingefasst. Die Fassade war aus Stein, und ein schönes Kopfsteinpflaster führte in den Innenhof. Kein Vergleich zu dem einfachen Holzhaus, das bis dahin mein Zuhause gewesen war. Da kam eine Frau aus der Eingangstür. Sie trug glänzende Lederschuhe und ein weißes Kleid, ohne Taille. Auf ihrem Kopf saß ein beiger Glockenhut, den sie sich tief ins Gesicht gezogen hatte, und am Arm baumelte eine kleine Ledertasche in der gleichen Farbe. Ich strich beschämt über mein schlichtes, knielanges Wollkleid und war gespannt, wer mir die Tür öffnen würde. War Dominique ein Mann oder eine Frau? Ich wusste es nicht, diesen Namen hatte ich noch nie gehört.

Langsam ging ich die Marmortreppe in den zweiten Stock hoch, blieb auf jeder Stufe stehen. Die Flügeltür aus dunklem Eichenholz war größer als alle Türen, die ich je gesehen hatte. Der Türklopfer war ein großer Löwenkopf. Es hallte dumpf durch das Treppenhaus, und ich starrte dem Löwen ängstlich in die Augen. Eine Frau öffnete die Tür und nickte mir zu, sie war ganz in Schwarz gekleidet und trug eine weiße Schürze. Ich faltete meinen Zettel auf und wollte ihn ihr zeigen, als dahinter eine zweite Frau erschien. Die Schwarzgekleidete wich zur Seite und stellte sich mit geradem Rücken an die Wand.

Die andere Frau hatte rotbraunes Haar, das in zwei langen Zöpfen geflochten zu einem dicken Knoten im Nacken gewickelt war. Um ihren Hals hingen mehrere Reihen aus weißen, ungleich großen Perlen. Ihr Kleid war aus glänzender grüner Seide, reichte ihr bis zur Wade und hatte einen plissierten Rock, der raschelte, wenn sie sich bewegte. Sie war wohlhabend, das sah ich sofort. Sie musterte mich von oben bis unten, nahm dann einen Zug von ihrer Zigarette, die in einem langen schwarzen Mundstück steckte, und blies den Rauch zur Decke.

»Sieh mal einer an«, ihr französischer Akzent war deutlich zu hören, ihre Stimme ganz heiser vom Rauchen, »so ein hübsches Mädchen. Du darfst bleiben. Na komm, komm rein jetzt.«

Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwand in der Wohnung. Ich blieb auf der Fußmatte im Treppenhaus stehen und klammerte mich an meine Tasche. Die Schwarzgekleidete gab mir mit einem Nicken zu verstehen, dass ich ihr folgen sollte. Wir liefen durch die Küche zu der dahinterliegenden Dienstmädchenkammer, die ich mit zwei anderen teilen würde. Ich legte meine Tasche auf mein Bett. Ohne eine Aufforderung nahm ich das Kleid, das dort lag, und zog es mir an. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich das jüngste der Dienstmädchen war und ich darum mit allen Aufgaben betraut werden würde, die keine der beiden anderen ausführen wollte.

Danach setzte ich mich auf mein Bett und wartete. Die Füße hatte ich dicht nebeneinander gestellt, die Hände gefaltet in den Schoß gelegt. Ich erinnere mich gut an die Einsamkeit, die mich in der kleinen Kammer überkam, weil ich nicht wusste, wo ich war und was mich erwartete. Die Wände waren kahl, die Tapete vergilbt. Neben jedem der drei Betten stand ein kleiner Nachttisch mit einem Kerzenständer. Zwei der Kerzen waren schon fast heruntergebrannt, meine noch ganz neu, mit gewachstem Docht.

Es dauerte nicht lange, da hörte ich Schritte auf den Dielen und das Rascheln ihres Rockes. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Sie blieb in der Tür stehen, aber ich wagte nicht, den Blick zu heben.

»Stell dich hin, wenn ich komme. Na, los. Gerader Rücken.«

Ich sprang auf, und sie griff sofort in meine Haare. Ihre kalten, schmalen Finger glitten über meine Kopfhaut, sie untersuchte jeden Millimeter meiner Haut.

»Sauber und fein. Sehr gut. Du hast doch keine Läuse, Mädchen?«

Ich schüttelte den Kopf. Sie setzte ihre Untersuchung fort, hob eine Haarsträhne nach der anderen hoch und zog an meinen Ohren. Sie kratzte mit ihren langen Fingernägeln über meine Haut.

»Hier sitzen sie am liebsten, hier hinter den Ohren. Ich hasse diese Viecher«, murmelte sie, und ein kleiner Schauer lief durch ihren Körper. In dem Sonnenstrahl, der durchs Fenster fiel, konnte ich den zarten Flaum auf ihren Wangen sehen, der sich aufstellte und der Schicht aus hellem Puder trotzte.

Die Wohnung war groß und voller Kunstgegenstände, Skulpturen und wunderschönen Möbeln aus dunklem Holz. Es roch nach Rauch und nach etwas anderem, das ich nicht zuordnen konnte. Tagsüber war es immer ruhig und still. Sie war eine der Glücklichen, die niemals arbeiten musste und trotzdem vermögend war. Woher sie das Geld hatte, wusste ich nicht. Manchmal stellte ich mir vor, dass sie ihren Mann irgendwo in einem Verschlag auf dem Dachboden eingesperrt hatte.

Abends hatte sie sehr oft Gäste. Frauen in wunderschönen Kleidern und mit Diamanten behangen. Die Männer trugen Anzug und Hut. Sie behielten ihre Schuhe an und liefen damit unbekümmert durch den Salon, als wäre es ein Restaurant. Die Luft war verraucht, und es wurde sich auf Englisch, Französisch und Schwedisch unterhalten.

In diesen Nächten kam ich mit Gedanken und Themen...

Erscheint lt. Verlag 20.8.2018
Übersetzer Kerstin Schöps
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Den röda Adressboken
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alter • Älterwerden • book club • Die Mondschwester • Doris • eBooks • Erinnerungen • Familiensaga • Frankreich • Fredrik Backman • Geschenkbuch • Lebensgeschichte • Maja Lunde • New York • Paris • Roman • Romane • Schweden • Stockholm • Weihnachtsgeschenk
ISBN-10 3-641-23015-2 / 3641230152
ISBN-13 978-3-641-23015-9 / 9783641230159
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