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Fayvel der Chinese (eBook)

Aufzeichnungen eines wahnwitzigen Ganoven

Null (Herausgeber)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
264 Seiten
Liesmich Verlag UG
978-3-945491-03-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Fayvel der Chinese -  Philippe Smolarski
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Während die jüdische Bevölkerung Europas vor dem Terror der Nazis zu fliehen versucht, reist Fayvel, Gangsterboss und selbst polnischer Jude, aus China direkt ins Herz der Finsternis, um seine Familie aus dem Warschauer Ghetto zu befreien. Mit ihm kommen seine engsten Vertrauten: Walter, ein deutschjüdischer Ex-Boxer, und Meiling, eine skrupellose und hinreißend schöne Chinesin. Im Ghetto kreuzen sich dann die Wege von Fayvel und Maria, einer jungen Jüdin aus Wien, die Fayvel unter seinen Schutz stellt und schließlich in sein Herz schließt. Die Liebesgeschichte der beiden ist von wenigen Illusionen begleitet in einer Welt, die ums tägliche Überleben kämpft. Um schließlich dem faschistischen Grauen zu entkommen, fliehen Fayvel und seine Bande durch halb Europa, legen sich mit Spionage und Gegenspionage an und schlüpfen in immer neue Identitäten.'Fayvel der Chinese' ist ein fiktiv-dokumentarisches Gangster-Roadmovie, das nicht nur ungewohnte Einblicke in den Alltag des Warschauer Ghettos gibt, sondern vor allem von Liebe und Freundschaft handelt. Das Setting gerät dabei fast in den Hintergrund der Geschichte, die vielfachskurril-komisch daherkommt, derweil aber hervorragend recherchierte historische Details zu bieten hat.

Philippe Smolarski ist Historiker, Archäologe und Experte für asiatische Kunst. Er lebte in Russland, China und in Teilen Zentralasiens, und erhielt die Ehrendoktorwürde der Mongolischen Akademie der Wissenschaften. Als Direktor des Europäischen Instituts für Chinastudien in Brüssel organisierte er mehrere große Ausstellungen, etwa zu den Schätzen des Tianjin-Museums. Er wurde 1963 in Straßburg geboren und lebt heute in Brüssel. 'Fayvel der Chinese' ist sein literarisches Debüt.

Heimland

Nach einer langen Reise und ein paar Stationen in Indien, der Türkei und in Bulgarien kommen wir Mitte März 1941 in Berlin an. Von dort aus – wir haben keine Tickets nach Warschau bekommen – beschließen wir, ein Flugzeug nach Danzig zu nehmen. Trotz ihrer beeindruckenden Größe sitzen in der Maschine, einer Junker Ju 90, nur wenige Passagiere. Die Polizei überprüft unsere Pässe, unsere Missionsaufträge und die Einladungen von der deutschen Firma Astra-Werke in Chemnitz, die einen Teil ihrer Werkstätten im Warschauer Ghetto hat. Nichts zu bemängeln. Wir kommen mit typisch deutscher Pünktlichkeit um genau 10.20 Uhr in Danzig an.

Bei unserer Ankunft wartet auf dem Rollfeld ein Auto auf uns, um uns nach Warschau zu bringen. Was für ein Schock ist es, mein Land in diesem Zustand zu sehen! Deutsche Straßensperren, die Polizei allgegenwärtig, die Narben der Besetzung von 1939, die Gebäude in Schutt und Asche, die Häuser ausgeplündert  Und in Warschau ist es noch schlimmer. Ich sehe, wie meiner Stadt Gewalt angetan wurde. Der Todesengel hat das ganze Land mit einem grauen Mantel bedeckt und herrscht nun über dieses.

Der Boxer bleibt wie immer ungerührt – ein wahrer Golem, wie Moyshe der Narr sagen würde. Und Meiling schmollt, weil selbst Sofia, die Hauptstadt des kleinen Bulgariens, ein Paradies zu sein scheint im Vergleich zu diesem ausgeweideten Warschau. Wir kommen im Hotel Bristol in der Krakowskie Przedmieście an – Verzeihung, in der Krakauer Straße, wie auf den neuen Straßenschildern in gotischen Buchstaben zu lesen ist, die die Ecken jeder Straße schmücken. Das Hotel ist fast ausschließlich mit Offizieren, Beamten und Volksdeutschen* gefüllt.

Meiling und ich beziehen eine Suite. Der Boxer wohnt in dem angrenzenden Zimmer. Meiling nimmt ein ausgedehntes Bad und setzt sich dann ans Fenster, um eine Zigarette zu rauchen. Ich sehe sie an, sie trägt eine Kombination aus transparenten Stoffen. Diesmal denke ich nicht an ihren Körper und daran, was sie mit ihm alles anstellen kann. In diesem Augenblick denke ich an meine Eltern und an meine Brüder. So als ob sie mir dadurch näher wären. Ich erinnere mich, dass ich nie mehr so intensiv an sie gedacht habe seit dem Tag, an dem ich Polen verlassen habe – vor so langer Zeit …

Das laute, kehlige Lachen eines Offiziers im Flur bringt mich zurück in die Gegenwart. Heute werden wir mit den Deutschen zu Abend essen. Morgen werden wir so tun, als würden wir über Geschäftsbeziehungen sprechen. Nur keinen Verdacht erwecken. Einen kühlen Kopf bewahren und sich bedeckt halten.

Das Ghetto ist nur ein paar Hundert Meter vom Hotel entfernt, aber es kommt nicht infrage, übereilt dorthin zu gehen. Und doch kribbelt es mir in den Fingern. Meiling sitzt immer noch am Fenster, mit dem Rücken zu mir.

Sie kann mich nicht sehen, aber sie hat immer schon die Gabe gehabt, meine Gefühle wahrzunehmen. Daher sagt sie mit ihrer sanften Stimme: »Wenn du möchtest, geh heute Abend dorthin und such deine Eltern. Ich werde den Deutschen sagen, dass du krank bist und ein wenig mit ihnen spielen. Ich will, dass du sie bald findest. Diese Stadt, deine Stadt, ist weniger wert als Chungking … Ich möchte nach Rom reisen und nach Paris und nicht meine Zeit hier verschwenden.«

»Wir werden bald dorthin reisen.«

Sie bläst eine Rauchwolke aus, lang wie ein Seufzer. Sie weiß zweifellos, dass ich gerade eine fromme Lüge von mir gegeben habe. Ich würde gerne die Wahrheit sagen. Auch ich möchte am liebsten das Ghetto verlassen, das ich noch nicht einmal betreten habe. Aber die Aufgabe, die auf uns wartet, ist gewaltig. Meine Eltern, meine Brüder wiederfinden … Ich weiß nicht einmal, wo sie sich befinden. Oder wo sie wohnen. Noch weniger kann ich mir den täglichen Horror des Ghettos vorstellen. Nichts, oder fast nichts, dringt nach außen, außer dieser erdrückenden Atmosphäre. Die verschlossenen Münder, die entsetzten Augen derer, die von dort kommen. Bevor ich irgendetwas unternehme, muss ich meine Kontakte auffrischen. Zum Teil recht verjährte Kontakte. Sind sie erst einmal neu belebt, werden sie ihre Wirkung zeigen.

Zehn Minuten, bevor ich mit Meiling nach unten gehe zu unserer Verabredung mit den Direktoren der deutschen Firma, klopft Walter an unsere Tür. »Ich habe Kaplinsky in der Bar gesehen mit einer Nutte und zwei Volksdeutschen. Er hat mich nicht erkannt. Was soll ich tun? Ihn erledigen? Ich glaube, ich kann das sehr diskret tun in den Kellerräumen des Hotels.«

»Nein, warte noch, vielleicht kann er uns helfen.«

Kaplinsky ist ein kleiner polnischer Ganove ohne großes Format. Er befasst sich ein bisschen mit allem, was Geld einbringt. Vor dem Krieg hatte er ein paar Mädchen, die für ihn arbeiteten, und außerdem war er Informant für die Bullen. 1934 oder 35 habe ich ihm auf die Fresse gehauen, weil er versucht hat, mich in einer Geschichte zu erpressen. Für mich ist Kaplinsky ein kleiner Fisch. Eine Kakerlake ohne großen Ehrgeiz. Meine Sorge ist nur, dass er mich erkennt. Und damit auch meine wahre Identität. Es ist nie gut, wenn ein Informant so etwas weiß. Er kann mich in große Schwierigkeiten bringen. Darüber hinaus ist die Zeit nicht auf unserer Seite und unsere offiziellen Kontakte können jede Minute hier sein. Wir müssen das Problem schnell lösen. Die Vor- und Nachteile abwägen. Ich denke nur ein paar Sekunden nach, dann sage ich zu Walter: »Überrede sie, in dein Zimmer heraufzukommen und lass sie am Leben, bis ich zurückkomme.«

Walter verschwindet sofort. Zehn Minuten später, gerade als Meiling und ich im Begriff sind, das Zimmer zu verlassen, bringt der Zimmerservice mir einen versiegelten Umschlag mit einer Mitteilung: K. und seine Kurwa sind bei mir. Alles o. k. Die beiden Volksdeutschen sind eine Minute, bevor ich eingegriffen habe, gegangen. Schönen Abend!

Die Delegation, die ankommt, ist beeindruckend: die beiden Geschäftsführer des Unternehmens, zwei Offiziere der Wehrmacht und ein Vertreter des Gouverneurs Frank, der eigens aus Krakau gekommen ist. Der Abend verläuft ohne Zwischenfälle. Meiling ist natürlich eine Sensation in ihrem chinesischen Abendkleid, eng anliegend und tiefschwarz. Der offizielle Zweck unseres Besuchs ist, Rechenmaschinen und Helme für die chinesische Armee zu kaufen, aber auch, diverse Produkte an Deutschland zu verkaufen. Wir stoßen an auf das Dritte Reich, auf China und auf Adolf Hitler. Wir planen für den nächsten Morgen ein Treffen, um zu verhandeln.

Plötzlich schneidet Meiling ein ganz anderes Thema an: diese eigenartige Einrichtung, in der man die jüdische Minderheit vom Rest der Bevölkerung separiert hat. Und sie erzählt den Deutschen, dass sie gerne, rein aus Neugier, sich als Touristin ein wenig dort umsehen wolle.

Die Deutschen lachen über ihre Naivität und warnen uns vor dem Risiko einer Infektion. Dann erklären sie sich einverstanden, uns ihre Werkstätten im Ghetto nach den Verhandlungen am nächsten Tag zu zeigen. Natürlich zieht sich der Abend ewig lange hin, denn es bleiben wie immer diejenigen, die sich nicht von der Bar trennen können. Wir befinden uns eindeutig nicht in einer Machtposition und bleiben höflich sitzen, bis die letzten Mitglieder der Delegation aufstehen. Endlich gehen wir nach oben. Es wird Zeit, nach Walter und seinen Gästen zu sehen. Als wir sein Zimmer betreten, entdecken wir Walter, der auf seinem Bett liegt und liest, wie es seine Gewohnheit ist. Neben ihm eine Pistole mit Schalldämpfer. Kaplinsky und sein Mädchen sind jeder an einen Stuhl gefesselt.

Als er mich sieht, beginnt Kaplinsky zu reden, das Entsetzen ist ihm ins Gesicht geschrieben. »Paul der Pole! Du bist auch hier! Ich dachte, du wärst in China. Du musst wissen, das mit Ginzburg, das war nicht ich. Versteh doch, sie haben mich gezwungen. Du kennst mich. Die Gestapo hat mich gewaltsam …! Außerdem wusste ich ja nicht, dass er mit dir gearbeitet hat. Zu dumm!«

»Halt die Fresse, Kaplinsky, ich bin nicht für diesen Typen hier, sondern aus einem anderen Grund. Und möchte wissen, wie ich mich mit Chaim in Verbindung setzen kann. Ich muss ihn sehen. Es ist wichtig. Versteckt er sich in dem arischen Stadtteil? Ist er im Ghetto?«

»Man merkt, dass du gerade erst angekommen bist«, sagt Kaplinsky mit einem leichten Grinsen. »Ich bin schon ein paar Monate nicht mehr in diesem Geschäft. Ich habe einen ordentlichen Beruf. Ich bin Geschäftsführer eines Unternehmens, alles schön korrekt. Ich exportiere Holz nach Deutschland. Du siehst also, ich bin über nichts mehr auf dem Laufenden. Du hast den Falschen erwischt, Pavel. Ich kann dir nicht helfen.«

Als Reaktion auf den Unsinn, den er mit Mitleid heischender Stimme von sich gibt, schlage ich ihn ohne Vorwarnung ins Gesicht. Seine Freundin fängt an, voller Angst zu quieken wie ein Schwein auf dem Weg zum Schlachthof. Meiling knebelt sie sofort. Dann bittet mich Kaplinsky, dessen Nase blutet, aufzuhören. Er fängt an zu reden wie in einem Schnellsprechwettbewerb.

»Pavel, hör auf! Nun  Chaim, der ist im Ghetto, aber manchmal kommt er mit seinen Männern raus und handelt. Er kauft Lebensmittel, die er im Ghetto wieder verkauft. Das ist sein neues Geschäft. Und es läuft gut. Wenn du ihn sehen willst, sprich mit dem Bettler mit der Flöte,...

Erscheint lt. Verlag 1.8.2019
Mitarbeit Cover Design: Manja Schönerstedt
Karten von: Manja Schönerstedt
Anpassung von: Laura Hofmann
Assistent: Karsten Brandt
Übersetzer Gisela von Brunn
Sprache deutsch
Original-Titel Feivel le Chinois : Carnets du ghetto
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Deutschland • Drittes Reich • Faschismus • Gangster • Ganove • Gegenspionage • Ghetto • Juden • Nazi • Spionage • Warschau
ISBN-10 3-945491-03-7 / 3945491037
ISBN-13 978-3-945491-03-4 / 9783945491034
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