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Ich bin zum Schweigen verdammt (eBook)

Tagebücher und Briefe
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
352 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-15488-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich bin zum Schweigen verdammt -  Michail Bulgakow
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Michail Bulgakow - 75. Todestag am 10. März 2015
Der Name Bulgakow wird in der Geschichte der Literatur unvergessen bleiben«, prophezeite Maxim Gorki um 1930, eine Prophezeiung, die zu dieser Zeit absurd erschien. Die schriftstellerische Karriere von Michail Bulgakow, dem Autor des epochalen Romans »Meister und Margarita«, der heute längst als eines der Meisterwerke der Literatur des 20. Jahrhunderts anerkannt ist, war zu seinen Lebzeiten ein immerwährender und meist vergeblicher Kampf gegen die staatliche Zensur. 1926 wurden seine Tagebücher von den Behörden beschlagnahmt. Von diesem Moment an beschränkte Bulgakow seine Gedanken auf Briefe an seine Freunde und Familienangehörigen und an öffentliche Persönlichkeiten wie Stalin oder seinen Schriftstellerkollegen Maxim Gorki.

»In meiner Schwermut und meiner Sehnsucht nach der Vergangenheit kommt es manchmal zu Explosionen von Kraft und Zuversicht«, notierte Bulgakow vor der Beschlagnahmung seiner Tagebücher. »Ich spüre, wie sich meine Gedanken emporschwingen, wie jetzt in der absurden Situation zeitweiliger Enge in dem scheußlichen Zimmer des scheußlichen Hauses, und ich weiß, dass ich als Schriftsteller unermesslich stärker bin als alle, die ich kenne. Aber unter meinen jetzigen Umständen gehe ich womöglich in die Knie.« Seine Briefe und Tagebuchaufzeichnungen - meisterhaft übersetzt von Thomas und Renate Reschke - erzählen eindrucksvoll von dem beständigen Ringen des Schriftstellers mit der Zensur. Von seinem gescheiterten Versuch, die UdSSR zu verlassen, der materiellen Not und der Krankheit, die zu seinem frühen Tod führte. »Alles ist verboten, ich bin ruiniert, ich werde gehetzt, ich bin völlig einsam. Wozu einen Schriftsteller in einem Land festhalten, in dem seine Werke nicht existieren können?«

Michail Bulgakow wurde am 15. Mai 1891 in Kiew geboren und starb am 10. März 1940 in Moskau. Nach einem Medizinstudium arbeitete er zunächst als Landarzt und zog dann nach Moskau, um sich ganz der Literatur zu widmen. Er gilt als einer der größten russischen Satiriker und hatte zeitlebens unter der stalinistischen Zensur zu leiden. Seine zahlreichen Dramen durften nicht aufgeführt werden, seine bedeutendsten Prosawerke konnten erst nach seinem Tod veröffentlicht werden. Seine Werke liegen im Luchterhand Literaturverlag in der Übersetzung von Thomas und Renate Reschke vor.

1924

Bulgakows Tagebuch

8. Januar

Heute in den Zeitungen ein Bulletin über den Gesundheitszustand L. D. Trotzkis. Es beginnt mit den Worten: »L. D. Trotzki ist seit dem 5. November letzten Jahres krank«, und endet: »Urlaub mit völliger Befreiung von sämtlichen Amtsgeschäften von mindestens zwei Monaten.« Ein Kommentar zu diesem historischen Bulletin erübrigt sich.

Also, 8. Januar 1924. Trotzki ist gefeuert. Was aus Russland wird, weiß Gott allein. Möge er ihm helfen.

Heute Abend bei Boris73. Wir sind eben erst zurückgekehrt, meine Frau und ich. Es war sehr heiter. Ich habe Wein getrunken, und mein Herz schmerzt nicht.

Der Tscherwonez steht bei 36 Milliarden.

22. Januar 1924 (9. Januar 1924 nach altem Stil)

Soeben (halb sechs abends) teilte mir Sjoma mit, dass Lenin gestorben ist. Darüber gäbe es eine offizielle Meldung.

25. Februar 1924. Montag

Bekam heute von Pjotr Nikanorowitsch die neueste Nummer des Almanachs »Nedra«. Sie enthält meine »Teufeliade«.

Er gab sie mir während einer Lesung, ich las aus der »Weißen Garde« bei Vera Oskarowna S.

Offensichtlich habe ich auch in diesem Kreis Eindruck gemacht. Vera Oskarowna bat mich, die Lesung bei ihr fortzusetzen.

Also, zum ersten Mal bin ich nicht in einer Zeitung und nicht in einer dünnen Zeitschrift gedruckt, sondern in einem Buch, einem Almanach. Na bitte. Was hat das für Qualen gekostet! Die »Aufzeichnungen auf Manschetten« sind beerdigt.

15. April. Dienstag

Ärgernis des Tages ist nach wie vor das vor einer Woche eingegangene Telegramm Poincarés74 an die Sowjetregierung. Darin nimmt er sich heraus, sich in ein Gerichtsverfahren im Falle des Kiewer »Aktionszentrums« (eine konterrevolutionäre Organisation) einzumischen und allen Ernstes darum zu bitten, keine Todesurteile auszusprechen.75 In den Zeitungen stehen Antworten und Meinungen hierzu von Kiewer und anderen Professoren. Ihr Ton ist lakaienhaft, ihre Herkunft klar.

In den Zeitungen Hetzartikel gegen Professor Golowin (Ophtalmologe).

Heute wurden in der »Gudok« die Mitarbeiter photographiert. Ich ging, ich will nicht photographiert werden.

In Moskau zahlreiche Verhaftungen von Personen mit »guten« Namen. Wieder Verbannungen. Heute kam David Kisselgof. Wie immer steckte er voller phantastischer Gerüchte. Er erzählte, in Moskau kursiere ein Manifest von Nikolai Nikolajewitsch76. Zum Teufel mit sämtlichen Romanows! Die haben uns noch gefehlt.

Es läuft eine Wahlkampagne für die Leitung der Wohngenossenschaften (die Burshuis rausschmeißen, durch Arbeiter ersetzen). Das einzige Haus, wo das nicht geht, ist unsers. In der Leitung ist kein einziger Burshui. Niemand muss ausgewechselt werden.

Der Herbst ist kalt und unfreundlich. Wenig Sonne.

16. April. Mittwoch. Nacht

Soeben aus der Adelsversammlung (jetzt: Haus der Gewerkschaft) zurückgekehrt, wo der Eisenbahnerkongress eröffnet wurde. Die ganze Redaktion »Gudok« mit sehr wenigen Ausnahmen ist dort. Ich soll mit anderen die Kurznachrichten leiten.

Im runden Saal neben dem Säulensaal Schreibmaschinengeratter, Licht von den Lüstern, wo in weißen Mattglaskugeln Glühbirnen leuchten. Kalinin77 kam gebückt in einer dunkelblauen Bluse nach vorn und sagte etwas. Im Licht von blendend hellen Scheinwerfern wurden überall Filmaufnahmen gemacht.

Nach dem ersten Sitzungstag gab es ein Kulturprogramm. Es tanzten Mordkin und die Ballerina Kriger78. Mordkin ist schön und kokett. Es sangen Künstler vom Bolschoi-Theater. Es sang auch Viktorow79, ein dramatischer Tenor mit widerlicher, durchdringender, aber gewaltiger Stimme. Es sang auch Golowin80, ein Bariton vom Bolschoi-Theater. Wie ich höre, ist er ein ehemaliger Diakon aus Stawropol. Er meldete sich bei der dortigen Oper und sang drei Monate später den Dämon81, und anderthalb Jahre darauf war er schon am Bolschoi. Seine Stimme ist unvergleichlich.

17. April. Donnerstag

Um halb acht abends erschien auf dem Kongress Sinowjew82. Rasch durchschritt er mit gespielter Bescheidenheit den runden Saal, erkundigte sich, wo er ablegen könne, ging ins Präsidiumszimmer, legte dort ab und trat ans Rednerpult. Man empfing ihn mit Applaus, der seinen Vorredner unterbrach; dieser stammelte noch etwas. Wieder flammten die Jupiterlampen auf, und er wurde gefilmt. Möglicherweise war ich auch im Bild. Sinowjew sprach lange, ich hörte einen Teil seiner Rede. Er sprach über die internationale Lage, wobei er MacDonald83 beschimpfte, und bezeichnete die englischen Bankiers als Krämer. Er redete interessant und flocht Scherze ein, die auf den Geschmack dieses Auditoriums abgestimmt waren.

Er trug ein Jäckchen und sah aus wie ein Orchestergeiger. Seine Stimme ist hoch, er nuschelt, und man spürt kaum einen Akzent.

Aus seiner Rede lässt sich eines erkennen: Die Konferenz in London scheint zu scheitern. Die Engländer verlangen die Restitution des Privateigentums, das Ausländern abgenommen wurde, sie verlangen unabhängige Gerichte und Verzicht auf Propaganda.

21. Juli. Montag

Wir haben jetzt Fünfkopekenstücke aus Messing. Auch Fünfzigkopekenstücke. Ich habe sorgfältig versucht, sie zu »sparen«. Aber man gibt sie eben doch aus. Auffällig ist ein Zustrom von Silber, besonders in den Läden der Moskauer Landwirtschaftsindustrie, dort kriegt man oft Silber raus.

Gestern war ich nach meiner Gewohnheit bei Ljubow Jewgenjewna84 und »Dejinka«85. Heute wurde russisch gesprochen – über allen möglichen Unsinn. Ich ging im Regen, traurig und irgendwie unbekannt.

Aus Samara kamen Ilja Ilf und Juri Olescha86. In Samara gibt es zwei Straßenbahnlinien. Auf der einen steht »Platz der Revolution – Gefängnis«, auf der anderen »Sowjetplatz – Gefängnis«. Oder so ähnlich. Kurzum, alle Wege führen nach Rom!

In Odessa Frage an ein Fräulein: »Wurden Sie einer Säuberung unterzogen?« Sie antwortet: »Ich bin Jungfrau.«

Mit Olescha lässt sich’s interessant plaudern. Er ist bissig und witzig.

25. Juli. Freitag

War das ein Tag! Vormittag zu Hause gesessen und ein Feuilleton für den »Roten Pfeffer«87 geschrieben, dann begann das, was Tag für Tag erledigt werden muss, ohne einen Hoffnungsschimmer – die Redaktionen abklappern auf der Suche nach Geld. Ich war bei dem überaus frechen Furman88, Vertreter der Zeitung »Morgenröte des Ostens«89. Da bekam ich mühsam zwei Feuilletons zurück, er wollte nicht damit rausrücken, weil ich mit 20 Rubeln in der Kreide stehe. Ich musste ihm schriftlich geben, dass ich dieses Geld spätestens am 30. zurückerstatte. Weiter: Eines dieser Feuilletons und das am Vormittag geschriebene gab ich dem »Roten Pfeffer«. Ich bin sicher, sie nehmen sie nicht. Weiter: Am Abend gab ich das andere ausgemusterte Feuilleton … Ich war bei ihm in der Wohnung, und es gelang mir irgendwie, eine Anweisung auf 20 Rubel für morgen zu bekommen, ein grauenhaftes Dasein. Zu allem Überfluss hatte ich am Tag Leshnew angerufen und erfahren, ich bräuchte einstweilen nicht mit Kaganski90 über die Buchausgabe der »Weißen Garde« zu verhandeln, da er vorerst kein Geld habe. Schon wieder eine Überraschung. Neulich habe ich die 30 Tscherwonzen nicht genommen, das bereue ich jetzt. Ich bin überzeugt, ich werde auf der »Weißen Garde« sitzen bleiben.91 Da soll sich der Teufel auskennen. Es ist spät, fast Mitternacht, ich war bei Ljubow Jewgenjewna.

2. August. Sonnabend

Gestern kam die Nachricht, in Kalinins Kutsche (er war irgendwo in der Provinz) habe der Blitz eingeschlagen. Sein Kutscher wurde getötet, er selber blieb unverletzt.

Heute gab es eine Demonstration anlässlich des zehnten Jahrestags des »imperialistischen« Kriegs. Ich war nicht dort. Als ich aus der »Gudok« zurückkam, sah ich auf dem Strastnaja-Platz Milizangestellte in Uniform und Zivil. An der Spitze marschierte ein Orchester. Berittene mit Schirmmütze und roter Armbinde sorgten für Ordnung. Bei zweien sah ich unter den Hosenbeinen die Schnürbänder der Unterhosen.

Der Händler Jaroslawzew hat endlich seinen Almanach »Wosroshdenije« (Auferstehung) herausgebracht. Er enthält den ersten Teil der »Aufzeichnungen auf Manschetten«, von der Zensur verstümmelt.

S. erzählte, ein Regiment der GPU92 sei zur Demonstration gezogen mit einem Orchester, das »Ja, das haben die Mädchen so gerne« spielte.

4. August. Montag

Die berühmte satirische Zeitschrift »Roter Pfeffer« hat sich schon mehrmals hervorgetan. Besonders in der vorletzten Nummer, in der sie eine Zeichnung mit der Überschrift »Bilanz des XIII. Parteitags« druckte. (Eine dicke NÖPmannfrau wird von ihrem Stubenmädchen geschnürt, und sie sagt ungefähr dies: »Was schnürst du mir die Luft ab, der XIII. Parteitag hat uns doch eben erst eingeengt.« Oder so ähnlich.) Das Moskauer Parteikomitee schlug Krach. Das Ganze endete damit, dass der »Rote Pfeffer« und sein Schwesterblatt »Der Splitter«93 verboten wurden. Statt ihrer soll ein dünnes Blatt erscheinen. Den Auftrag dazu erhielt ein gewisser Werchoturski (ich glaube, Redakteur der »Rabotschaja...

Erscheint lt. Verlag 2.3.2015
Übersetzer Thomas Reschke, Renate Reschke, Sabine Baumann
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Diaries and Selected Letters
Themenwelt Literatur Briefe / Tagebücher
Schlagworte Arztgeschichten • Aufzeichnungen eines Toten • Biografie • Biographien • Briefe • Der Meister und Margarita • Die weiße Garde • eBooks • Michail Bulgakow • Tagebuch • Tagebücher • Teufeliaden • UdSSR • UdSSR, Tagebücher • Zensur
ISBN-10 3-641-15488-X / 364115488X
ISBN-13 978-3-641-15488-2 / 9783641154882
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