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Ein Bulle im Zug (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
347 Seiten
Tropen (Verlag)
978-3-608-10722-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Bulle im Zug -  Franz Dobler
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Deutscher Krimi Preis 2015 Kriminalhauptkommissar Fallner hat bei einem Einsatz einen jungen Kriminellen erschossen. Jetzt ist er dienstunfähig. Fallner nimmt den Rat seiner Therapeutin an und verwirklicht seinen Jugendtraum: Mit einer Bahncard100 so lange Zug fahren, wie er Lust hat. Auf die Tour will er auch endlich den toten Jungen aus dem Kopf kriegen. Deutschen Krimi Preis 2015 Was an dem Abend, an dem der Junge erschossen wurde, genau passiert ist, kann keiner mehr sagen. War es Notwehr? Wo ist die Waffe des Jungen? Und warum kann sich keiner mehr an etwas erinnern? Fallner muss einfach mal raus aus München. Weg von dem toten Jungen, der ihn permanent in seinen Gedanken verfolgt. Es beginnt eine ziellose Reise durch Deutschland. Franz Dobler schafft es mit einem ihm eigenen Sound, das Porträt eines Polizisten im Zug nach nirgendwo zu zeichnen. Spannend, humorvoll und angenehm unangestrengt.

Franz Dobler lebt in Bayern und hat seit 1988 neben Romanen und Gedichtbänden, für die er u. a. mit dem Bayerischen Literaturförderpreis ausgezeichnet wurde, auch Erzählungen und Musikbücher veröffentlicht. Für seine Kriminalromane Ein Bulle im Zug und Ein Schlag ins Gesicht erhielt er jeweils den Deutschen Krimi Preis. Letzterer wurde von Nina Grosse als Nicht tot zu kriegen mit Iris Berben und Murathan Muslu verfilmt.

Franz Dobler, lebt in Bayern und hat seit 1988 neben Romanen und Gedichtbänden, für die er u. a. mit dem Bayerischen Literaturförderpreis ausgezeichnet wurde, auch Erzählungen und Musikbücher veröffentlicht. Für seine Kriminalromane Ein Bulle im Zug und Ein Schlag ins Gesicht erhielt er jeweils den Deutschen Krimi Preis. Letzterer wurde von Nina Grosse als Nicht tot zu kriegen mit Iris Berben und Murathan Muslu verfilmt.

Fuck off, Albträume


Vor dreiundvierzig Jahren war er auf die Welt gekommen, vor zweiundzwanzig Jahren in die Stadt, vor acht Jahren zum ersten Mal in Jaqueline, vor drei Monaten hatte er bei einem Einsatz den achtzehnjährigen libanesischen Gangster Maarouf in der Wohnung seiner Eltern erschossen, und es musste geklärt werden, ob er in Notwehr gehandelt oder eine fahrlässige Tötung begangen hatte, vor einem Monat hatte er sich eine 2. Klasse-Bahncard100 für viertausendneunzig Euro gekauft, und seitdem stand er fast jeden Tag am Balkon über den Gleisen des Münchner Hauptbahnhofs oder kurvte irgendwo dort unten herum mit Rollkoffer und Umhängetasche und dem festen Vorsatz, sich irgendeinen Zug von der Anzeigetafel zu picken und loszufahren. Ziel unbekannt. Dauer der Reise ungewiss.

Einschränkungen: Deutschland verlassen verboten; die Fahrkarte war nur ein Jahr gültig.

Die Details sollten die Götter des Zufalls und des Schicksals regeln, falls diese Märchenonkel die Güte hatten, sich ausnahmsweise um einen problembeladenen Gesetzeshüter zu kümmern. Er hatte sich nur vorgenommen, mit der Fahrt nach Hamburg zu starten. Ob er dort in den Zug nach Mückenkiller oder Rostock oder in den ICE-Heimathafen stieg, würde sich ergeben.

Denn das war die Tür in der Wand vor ihm – er würde so lange fahren, umsteigen und weiterfahren, bis er seine Problemzone verlassen hatte. Ein Reinigungsritual: Heilung durch Bewegung, Perspektive durch Mobilität! Diese Dummheiten, die man aus einem Wartezimmer mitgenommen hatte, und dann war man zu schwach, um sie nicht mit Hoffnungen aufzutanken. Aber sein Instinkt sagte ihm, dass das seine Chance war. Und seine Albträume sagten, dass es seine einzige Chance war, und wenn er sie nicht nutzte, würde er nie wieder eine andere bekommen.

Fuck off, sagte er zu den Albträumen.

Fuck off mit deiner Schnapsidee, sagte Jaqueline.

Es war wie immer nicht ausgeschlossen, dass sie richtig lag. Denn seit einem Monat schaffte er es nicht loszugehen, einzusteigen, abzufahren und den guten Plan in Angriff zu nehmen, obwohl sie ihn sein halbes Leben trainiert hatten, Entscheidungen schnell zu treffen und umzusetzen. Er hatte die Sehnsucht, endlich loszufahren, den Glauben, dass es ihm guttun würde, und stand dann am Bahnsteig und schaffte es nicht. Wusste nicht, warum, und konnte mit niemandem darüber sprechen, außer mit dem Doc, dem nichts dazu einfiel, außer ihn zu fragen, warum er sich damit unter Druck setze.

In diesem Verlierermonat war die Wut auf sich selbst so groß geworden wie die Wut auf den Jungen, der ihn gezwungen hatte, auf ihn zu schießen. Der am Tisch gesessen hatte und seine Waffe ziehen wollte. Dämlich genug zu glauben, die Bullen hätten Schiss vor ihm.

Dieser kaputte Drecksack, ohne den die Welt besser geworden war, brach jederzeit in seine Tag- und Nachtträume ein. Lachte sich kaputt, weil die Bullen die Waffe, die er angeblich ziehen wollte, nicht finden konnten – »damit sieht das aber nicht so günstig aus für deine tolle Notwehr-Geschichte, Herr Superoberkommissar«, zischte Maarouf in Fallners Träumen –, und arbeitete daran, den Mann, der ihn erschossen hatte, ebenfalls aus der Welt zu schaffen.

Und jetzt hatte er es fast geschafft.

Heute, hatte sich Fallner auf seinem Balkon geschworen, nachdem ihn seine Ehefrau, Kriminalhauptkommissarin Jaqueline Hosnicz, siebenunddreißig, verhöhnt hatte, musste es endgültig losgehen oder er würde seinen Kindheitstraum abhaken und alles aufgeben – und jetzt stand er wieder seit einer Stunde auf diesem Bahnhofsbalkon oder saß am Tisch mit einer Tasse Kaffee. Kotzte sich selbst an und betrachtete den Tumult unten am zentralen Platz im Bahnhof, wo die von drei Eingängen und den Gleisen kommenden Ströme aufeinandertrafen, begleitet von den Durchsagen, die sie zu dirigieren schienen, die Männer, an denen Frau und Kind zerrten, während es um Sekunden ging, und die Mädchen, die immer kleiner und dünner wurden, während ein Junge endlos lange auf sie zukam. Dazwischen Gestalten, die wie zu ihrer Hinrichtung schlichen, und andere, die vor der Anzeigetafel verharrten, als stünden sie in tiefster Einsamkeit auf einem Berggipfel. Und dort zwei Männer, die inmitten des Getümmels Mund an Ohr diskutierten. Waren garantiert nicht hier, um einen Zug zu nehmen, so wie die diskutierten und dabei mit Suchscheinwerfern ihre Umgebung beobachteten. Sondern möglicherweise, um jemanden abzuholen, der noch nicht wusste, dass er abgeholt wurde. Ein Kindersportwagen fuhr an ihnen vorbei, aus dem ein brüllendes Kind zu klettern versuchte, was nicht klappen konnte, weil die Mutter den Wagen nach hinten kippte und das Kind zurückfiel, ohne zu bemerken, dass die beiden Männer seine Mutter und ihre blauen Hotpants und die hohen roten Cowboystiefel und die nackten Beine begutachteten, die an einem Koffer vorbeistolzierten, dessen Besitzer Fallner nicht ausmachen konnte und den er jetzt sofort bei den Kollegen melden sollte – ein unbeaufsichtigtes Gepäckstück.

Er sollte sofort losrennen. Jetzt.

Um als Erster das verdächtige Stück zu erreichen und mit fast durchgedrehter, nicht den geringsten Protest duldender Stimme den Passanten zu befehlen, die Umgebung sofort zu räumen. Hatte er gelernt, wie man das machte und oft genug vorgeführt. Diese Arschkriecher hätten vor ihm mehr Schiss als vor diesem Scheißkoffer. Mit etwas Glück würde sich sein Verdacht als berechtigt erweisen und er hätte sich einen Bonus verschafft, wenn diese Obermeister von der Internen Ermittlung endlich den Gang einlegten, um seinen Fall abzuschließen. Sein Chef und dessen Chef, über dem es keinen Chef mehr gab, der mit echter Polizeiarbeit zu tun hatte, würden ihnen mit leiser Stimme erklären, dass sie diesem Kollegen, der Hunderten von Bürgerinnen und Bürgern das Leben gerettet hatte, ohne an sein eigenes zu denken, nicht mal den Schatten eines Haars krümmen sollten, falls sie nicht den Rest ihres Berufslebens mit Personenschutz verbringen wollten. Nur einen Seitenblick und eine Sekunde später sah Fallner, dass der Koffer weg war und dass die beiden Männer, die die blauen Hotpants der Mutter mit dem Kindersportwagen so wie er bewundert hatten, im Gang zur Gepäckaufbewahrung verschwanden, während das Kind, das schon wieder im gekippten Kinderwagen zurückfiel und brüllte, fast die Treppe zur S-Bahn erreicht hatte – dieses unfassbare Wimmelbild, das in einer permanenten Hin-und-Her-Bewegung flimmerte und in Zeitlupe zersplitterte und sich wieder neu aufbaute, ehe es sich dann am späten Abend immer mehr auflöste und nur noch selten zu sehen war, hatte ihn schon im Kleinen, in seiner Andeutung, als Kind am Kleinstadtbahnhof fasziniert.

Er fragte sich, ob diese Faszination der wahre Grund war, dass er es nicht schaffte, wie geplant loszufahren. Warum sollte er losfahren, wenn es ihm Freude bereitete, im Bahnhof zu sein und den Betrieb zu beobachten?

War denn jener kein hoffnungsloser Dummkopf, der ins Nichts fuhr, obwohl er auf einem guten Posten stand?

Die interessantere Frage war, warum ihn die Kollegen an den Überwachungskameras seit einem Monat in Ruhe ließen, obwohl er gelegentlich sogar eine Zigarette rauchte. Konnte nur bedeuten, dass ihn dort jemand kannte und die anderen informiert hatte … den Mann müsst ihr nicht, einer von uns, mit ’nem ganz großen Schatten, der Ihr-wisst-schon-wer-Typ.

Doch die eigentliche Frage, die ihn wie alle Verlierer beschäftigte, war, warum manche Menschen so leicht ihren Lebensunterhalt verdienten (und wann das Wort Lebensunterhalt endlich auf dem elektrischen Stuhl landete), während andere sich täglich die Finger schmutzig machen mussten. Er konnte sich, ohne die Fotos im Detail abzurufen, an einige Situationen erinnern, die er nur mit Glück überlebt hatte. Um sich danach anhören zu müssen, das gehöre eben zu seinem Job, falls die Bemerkung erlaubt sei. Die Bemerkung war eine verdammte Beleidigung – war er vielleicht einer dieser Idioten, denen das nicht klar war und die es erst dann kapierten, dass die Lebensgefahr zum Job gehörte, wenn ein Stahlgeschoss neben ihnen einschlug?

Im Bertls Eck, der Kneipe gegenüber seiner Wohnung, hatte ihm ein Held im Tarnanzug einmal geklagt, dass er bei seinem Dienst in Afghanistan immer wieder in Lebensgefahr sei. Ein Soldat, der sich freiwillig zum Einsatz dort gemeldet hatte – Jesus, Maria und Josef! Wenn die Sicherheit des Landes von derart intelligenten Helden abhing, sollte man es besser wieder teilen und dann verkaufen.

Er drehte sich um und ging ins Café an die Theke, um sich den nächsten Kaffee zu kaufen. Die junge Frau in der rotschwarzen Uniform lächelte ihn an. Sie waren schon fast alte Freunde. Er könnte langsam versuchen, sich nach Dienstschluss mit ihr zu verabreden. Sie würden sich in einem der Cafés an der Vorderseite des Bahnhofs treffen, er würde sie einladen, weil sie mies bezahlt wurde, und sie würde in ihrer Uniform zu ihm sagen, ja, schon richtig, sie könnte seine Tochter sein, aber sie könnte auch seine zukünftige Ex-Frau sein, der es dann bald zu langweilig mit ihm geworden war, weil’s ihm beim Heavy-Metal-Konzert immer zu laut war und pipapo.

Er hatte in der Zeitung gelesen, dass Heavy Metal jetzt das neue Ding war, und dann seinen Chef gefragt, ob er den Fall übernehmen könnte, den alten Langhaarschrott aus dem Weg zu ballern. Aber sie sah nicht nach Metal aus, sondern strahlend gesund wie Milchwerbung. Und eine Sensation: keine Tätowierung. Ob sie an einer Ferse ein Hakenkreuz hatte, konnte er nicht sehen. Seit sie sich besser kannten, redeten sie viel miteinander.

»Zweisiebzig wär ’n ’s dann,...

Erscheint lt. Verlag 25.8.2014
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 21. Jahrhundert • Bahncard 100 • Belletristik • Belletristische Darstellung • Deutsche Bahn • Deutsche Literatur • Deutschland • Gegenwartsliteratur • ICE • Junge • Krimi • Kriminalbeamter • Kriminalerzählung • Kriminalliteratur • München • Reise • Schuldgefühl • Therapie • Tod • Verantwortung
ISBN-10 3-608-10722-3 / 3608107223
ISBN-13 978-3-608-10722-7 / 9783608107227
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