Eine Gondelfahrt durch Venedig (eBook)
103 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-4316-9 (ISBN)
Dr. Donatella Chiancone-Schneider ist promovierte Kunsthistorikerin, freie Kuratorin und populärwissenschaftliche Kunstvermittlerin. In multimedialen, oft interdisziplinären Kursen, Vorträgen, Publikationen, Ausstellungen und selbst organisierten Festivals erklärt sie breitgefächerte, auch anspruchsvollere kunsthistorische Themen zeitgemäß und unterhaltsam. Ihre Vortragstourneen der letzten Jahre haben sie bereits in unzählige Städte bundesweit sowie nach Italien, Österreich, Polen, Dänemark und in die Schweiz geführt. Seit 2020 ist sie zusätzlich mit ortsübergreifenden Webinaren u.a. Online-Formaten unterwegs. Website www.donatella.chiancone.eu Projektportal www.kunstco.de
Barock-Bauten am Canal Grande
Rund 350 historische Gebäude entstanden an den Ufern des Canal Grande, davon lässt sich rund ein Drittel stilistisch der Renaissance oder dem Barock (und manchmal einem weichen Übergang zwischen den beiden) zuordnen, wobei einige Adelshäuser durch lange Errichtungszeiten den Geschmackwechsel vom Mittelalter zur frühen Neuzeit registrierten. Unsere dritte Gondelfahrt geht an einigen der herausragendsten Paläste und Sakralbauten vorbei, die im 17. Jahrhundert rechts und links des S-förmigen Kanals errichtet wurden. In der venezianischen Architektur hatte die Renaissance zwar mit einer bemerkenswerten Verzögerung im italienischen Vergleich Eingang erhalten, seitdem aber die Klassizismus-Welle sich auch in der Lagune etabliert hatte, wurden Immobilien nahtlos nach der neuen Stilrichtung des Barock gebaut – diesmal nicht nur zeitgleich zum Festland, sondern manchmal sogar richtungsweisend für ganz Europa.
Im Rahmen unserer dritten Gondelfahrt werden wir ein Dutzend Barock-Gebäude am Canal Grande, davon drei Kirchen und acht Paläste bewundern. Historisch korrekt wäre übrigens die Bezeichnung eines Patrizierhauses als Casa (venezianisch abgekürzt: Ca’) statt Palazzo, da dieser Name früher nach einer ungeschriebenen Regel nur dem Dogenpalast (italienisch: Palazzo Ducale, s. das erste eBook der vorliegenden Reihe) vorbehalten war. Neu im 17. Jahrhundert war die zunehmend repräsentative Rolle des Piano Nobile (d.h. des 1. und manchmal auch 2. OG) und die davon bedingte Nutzung der Mezzanine, welche im Spätmittelalter eingeführt worden waren und ursprünglich nur zur Aufbewahrung wertvoller Gegenstände bestimmt waren, inzwischen auch als Wohn- und Schlafräume.
Wir beginnen unsere Runde am Anfang des Canal Grande in der Nähe des Bahnhofs Santa Lucia und beenden sie an der Mündung des Kanals im Bacino di San Marco, von wo aus wir zu Fuß weitere barocke Objekte im Zentrum Venedigs erkunden werden (s. nächstes Kapitel). Da wir mit unserer Gondel diese Strecke praktisch genauso wie die Vaporetti (die venezianischen Wasserbusse) zurücklegen, werden im Folgenden zur Orientierung die entsprechenden Haltestellen genannt; größere Abschnitte werden von zwei der größten Brücken über den Canal Grande markiert.
Vom Bahnhof bis zur Rialto-Brücke
Wir starten am großen Ponte degli Scalzi (Barfüßerbrücke, Haltestelle Ferrovia): Die Zugstation im Lagunenteil Venedigs ist nach einer früheren Kirche benannt, Santa Lucia, welche im 19. Jahrhundert abgerissen wurde, um dem Bahnhofsvorplatz Raum zu bieten. Sie ist in einigen Gemälden des 18. Jahrhunderts und in frühen Fotografien in ihrer letztmaligen Gestaltung aus dem späten 16. Jahrhundert zu sehen (hier leicht rechts von der Mitte, erkennbar an den zwei Türmchen). Solche alten Bilder zeigen den Canal Grande an dieser Stelle noch ohne die Scalzi-Brücke, da diese erst gebaut wurde, um einen bequemen Übergang zum Bahnhof zu erlauben (s. sechstes eBook der vorliegenden Reihe).
Noch erhalten ist aber die namensgebende Scalzi-Kirche (ganz rechts im obigen Bild), welche 1656 von Baldassarre Longhena für die Karmeliter gebaut wurde. Diese Barfüßerkirche, an der man oft achtlos vorbei geht, um über die gleichnamige Brücke den Kanal zu überqueren, präsentiert sich zunächst mit einer typischen Barock-Fassade, die von oben nach unten von einem Giebel, korinthischen Säulen und statuenbesetzten Nischen geprägt wird. Die vom Architekten eingesetzten klassizistischen Elementen wurden allerdings einfallsreich variiert: Das Dach wird von freistehenden Figuren geschmückt, die Stützen sind überall gedoppelt und stehen jeweils auf einem vorspringenden Teil ihres Sockels, die Nischen sind nicht nur mit der charakteristischen Halbkuppel überfangen, sondern auch mit eigenen kleinen Säulen eingerahmt, das krönende Tympanon umfasst mit der traditionellen eckigen Form eine runde Lünette und der seitliche Übergang von der schmaleren oberen zur breiteren unteren Hälfte löst sich in eine ornamentale Gestaltung auf, die an schäumendes Wasser erinnert. Insgesamt entsteht also ein Eindruck von Individualität der Formen sowie Üppigkeit der Dekoration und eines damit einhergehenden, drängenden Repräsentationsbedürfnisses.
Kurz vor der Haltestelle Biasio sehen wir links Palazzo Flangini, welcher von einem Schüler von Longhena (Giuseppe Sardi) gebaut wurde und durch seine Asymmetrie so wirkt, als wäre er unvollendet – nämlich ohne den linken Flügel; ungeachtet der Tatsache, dass etliche berühmte venezianische Patrizierhäuser sich durch eine ähnliche Abweichung von der Norm auszeichnen (s. u.a. Ca’ d’Oro im ersten und Ca’ Dario im zweiten eBook der vorliegenden Reihe), entstanden für dieses Gebäude fantasievolle Legenden zur Erklärung der optisch mißlungenen Konstruktion: Mehr als von einem nachträglichen Abriß in Folge eines Familienstreits ist aber davon auszugehen, dass der fehlende Teil zwar ursprünglich geplant war, aber aus unbekannten Gründen nie gebaut wurde. Interessanter als das ist die Tatsache, dass der Palast zwar mitten in der barocken Stilepoche errichtet, aber so zurückhaltend konzipiert wurde, dass er auf dem ersten Blick mit einem aus der Renaissance verwechselt werden könnte, zumal seine Fassade hauptsächlich von großen Rundbogenfenstern und eher flachen tragenden Elementen gegliedert wird. Typischer für das 17. Jahrhundert sind vor allem die stark plastischen Dekorationen, die besonders als Ausschmückung an den und um die Bögen vorhanden sind: die steinernen Köpfe über den Fenstern der beiden OG sowie das Kolossalhaupt über dem Portal der Wasserseite und die ihm flankierenden männlichen Figuren.
Kurz nach der Haltestelle San Marcuola steht rechts Palazzo Belloni-Battagia, eins der mindestens fünf venezianischen Adelshäuser am Canal Grande, deren oberster Abschluss von zwei seitlichen Obelisken (oder ähnlichen, spitz zulaufenden Strukturen) gebildet wird. Nachdem dieses ausgefallene Element bereits zweimal in der Renaissance eingesetzt worden war (s. Palazzo Papadopoli und Palazzo Balbi im zweiten eBook der vorliegenden Reihe), wurde es offenbar eine Mode und so zierten sich weitere Gebäude mit genau denselben, Ewigheit verheißenden Elementen aus dem alten Ägypten (s. unten auch Palazzo Giustinian-Lolin). Für das hier abgebildete Haus zeichnete wieder Longhena verantwortlich, der hier auf Säulen zugunsten von flachen Lisenen ganz verzichtete, aber durch auskragende Giebel (welche im OG durchbrochen sind) einen charakteristisch barocken Akzent setzte. Der Auftrag kam ihm vom namensgebenden Herrn Bortolo Belloni, der vor 1647 eigentlich noch kein Patrizier war, aber daraufhin dank einer erheblichen Zahlung in den venezianischen Adel aufgenommen wurde; schließlich war ein weiteres Mitglied seiner Familie Generalkapitän der Flotte der Serenissima und die pragmatische Republik konnte sich gegenüber spendablen und sonst für die Sache des Lagunenstaats verdienten Bürgern sehr dankbar zeigen. Alles in allem ist in dieser eigenwilligen Fassade eine Sünde nicht vorhanden, die bei Prunkobjekten von Neureichen bzw. Emporkömmlingen zu erwarten ist: nämlich die übermäßige Dekoration und der schlechte Geschmack; stattdessen präsentiert sich das Haus souverän und würdig mit wenigen, prägnanten Höhepunkten, auf die der Blick ruhig gelenkt wird, und einer bemerkenswerten Balance mit einem angedeuteten Aufwärtsstreben – zu dem schließlich die frisch gebackenen Familienwappen als Zierde des Piano Nobile gut passen.
Kurz nach der Haltestelle San Stae (venezianische Abkürzung der Kirche Hl. Eustachius) erhebt sich auf derselben Seite – vergleichsweise mit starkem Gebrüll – Ca’ Pesaro, die von Baldassarre Longhena 1652 begonnen und 1710 von Antonio Gaspari (weitestegehend nach dem Originalprojekt) vollendet wurde. Im Gegensatz zum vorigen Palast gibt sich dieser nicht mit der dezenten Betonung nur eines Obergeschosses zufrieden, sondern scheint jedes Stockwerk mit dem nächsten übertrumpfen zu wollen, so dass die damit vermittelte Theatralik sich atemlos steigert und die Fassade schließlich mehr als nur eine detailreiche Kulisse wie eine bevölkerte Bühne vorkommt.
Das hohe EG bildet einen mächtigen Sockel mit den in Venedig ungewöhnlichen Diamantquadern, welche mit ihren scharfen Kanten den Vorwärtsdrang der Fassade in den Kanal unterstreichen (s. auch nächstes Bild, ganz rechts); die beiden OG nehmen...
Erscheint lt. Verlag | 9.12.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Malerei / Plastik |
ISBN-10 | 3-7568-4316-5 / 3756843165 |
ISBN-13 | 978-3-7568-4316-9 / 9783756843169 |
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Größe: 40,1 MB
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