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Die Kunst der Gegenwart (eBook)

1960 bis heute

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 4. Auflage
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75118-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Kunst der Gegenwart - Philip Ursprung
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Die Kunst der Gegenwart (1960 bis heute) erscheint oft als undurchdringlich und widersprüchlich. Philip Ursprung gibt einen klaren und aufschlussreichen Überblick, indem er den Wandel von Kunst und Architektur im Spannungsfeld zwischen Zeitgeschichte und Kunstbetrieb nachzeichnet. So kann er die wichtigsten Gegenwartskünstler mit ihren Arbeiten verorten und zugleich in ihrer Individualität vorstellen - von Andy Warhol, Robert Smithson und Carolee Schneemann über Joseph Beuys, Gerhard Richter und Herzog de Meuron bis hin zu Cindy Sherman, Olafur Eliasson und Pipilotti Rist.



Philip Ursprung ist Professor für Kunst- und Architekturgeschichte an der ETH Zürich.

I Einführung: Die «longue durée» der Gegenwartskunst


Eines Abends Anfang der 1970er Jahre – ich war damals etwa zehn Jahre alt – brachte mein Vater das Buch Die Grenzen des Wachstums nach Hause. Es war 1972 erschienen und bald zu einem internationalen Bestseller geworden. Die im Auftrag des Club of Rome verfasste Studie prognostizierte katastrophale Folgen für die Menschheit, falls diese ihr mit der Industrialisierung begonnenes Wachstum nicht drosseln und einen Zustand des ökologischen Gleichgewichts erreichen würde. Mein Vater erzählte uns, dass der gesamte Planet gefährdet war, dass die Menschheit zu viel Energie konsumierte, die Weltbevölkerung unaufhaltsam wuchs und die natürlichen Rohstoffe zu versiegen drohten. Die Erde, erfuhren wir, war keine unerschöpfliche Quelle von Ressourcen, sondern ein in sich geschlossenes System, das zerbrechlich und verwundbar war. Die ersten Anzeichen der Krise waren bereits spürbar. Die Preise für Erdöl explodierten, die Löhne sanken, viele Menschen verloren ihre Arbeit, und die prosperierende Weltwirtschaft verwandelte sich in eine unglückliche Mischung aus Inflation und Stagnation, die sogenannte Stagflation. Im Herbst 1973 verboten Deutschland und die Schweiz an einigen Sonntagen das Autofahren. Wir gingen auf der neuen, leeren Autobahn spazieren. Uns Kindern gefiel das. Aber die Erwachsenen konnten es nicht genießen. Sie waren ebenso besorgt über die Verteuerung des Öls wie über den Watergate-Skandal, über den Krieg in Vietnam und über die drohende Rezession. Etwas war zerbrochen. Der scheinbar unerschütterliche Fortschrittsglaube meiner Elterngeneration, also jener Generation, die vor dem Zweiten Weltkrieg geboren war und die am beispiellosen Aufschwung der Nachkriegszeit teilgehabt hatte, verwandelte sich in Angst vor der Zukunft. Die europäische und amerikanische Mittelklasse, der es seit drei Jahrzehnten stetig besser gegangen war, geriet unter Druck. Die Euphorie der Goldenen Sechziger, die Aufbruchsstimmung von 1968, die Begeisterung für die Mondlandung waren verflogen. Der Geist des Open-Air-Festivals von Woodstock zog sich zurück in die Spiegelwelten der Discos. Steven Spielbergs Der Weiße Hai (1975) sollte zum erfolgreichsten Film des Jahrzehnts werden und «No Future» zum Leitspruch einer neuen Generation.

Globalisierung


Meine Eindrücke als Kind waren Teil einer wirtschaftlichen Revolution, für die damals kein Begriff existierte. Erst Ende der 1990er Jahre wurde dafür die Bezeichnung «Globalisierung» gebräuchlich. Im Rückblick zeichnen sich die Zusammenhänge deutlich ab: Die Erhöhung der Ölpreise durch die OPEC stand am Beginn einer Umwälzung, deren Auswirkungen bis heute spürbar sind. Sie ging einher mit der Aufhebung der seit den Verträgen von Bretton Woods 1944 geltenden Vereinbarungen, welche das internationale Währungssystem stabilisiert und die Basis der westlichen Wohlfahrtsstaaten gebildet hatten. In kurzer Folge, zwischen 1971 und 1973, endeten die alten Spielregeln. Die westlichen Regierungen hoben die Fixierung der Wechselkurse und die Anbindung des Dollars an das Gold, den Goldstandard, auf und öffneten den Weg für die Finanzspekulation. Sie machten die staatlichen Grenzen durchlässig und deregulierten damit den Arbeitsmarkt. Die Industrieproduktion konnte in Länder mit billigeren Arbeitskräften verlagert werden, und Arbeitskräfte konnten je nach Bedarf eingeführt und wieder aus dem Lande geschafft werden. Mittels «Petrodollars» wurde in den Industrienationen die Automatisierung der Fabriken vorangetrieben, unter gleichzeitigem Abbau von Arbeitskräften. Computer beschleunigten die Finanztransaktionen. Normierte Schiffscontainer verbilligten den Frachtverkehr derart, dass Transportkosten kaum mehr ins Gewicht fielen und die Fabrikation irgendwo auf dem Globus stattfinden konnte. Der Kollaps der sozialistischen Regime 1989 verstärkte diese Tendenz.

Mit der Verkündung von Präsident George Bushs «Neuer Weltordnung» anlässlich des ersten Golfkriegs 1991 war eine neue Phase der Globalisierung erreicht. Die Expansion des Kapitalismus, den die Kritiker in den 1970er und 1980er Jahren als «Spätkapitalismus» bezeichnet hatten, erhielt nun den Namen «Empire», der von Theoretikern wie Michael Hardt und Antonio Negri geprägt wurde. In ihrem 2000 erschienenen Buch Empire skizzierten die Autoren das Bild eines weltumspannenden Reichs, in dem räumliche und zeitliche Grenzen aufgehoben waren, die Geschichte zu stagnieren und die Zeit stillzustehen schien. In ihren Augen bewegte sich der Trend der Globalisierung hin zu einer «geglätteten Welt» jenseits historischer und räumlicher Grenzen. Sie schlossen damit an Thesen an, die Francis Fukuyama in seinem Buch Das Ende der Geschichte (1992) formuliert hatte. Und sie bestätigten, was Thomas Pynchon in seinem Roman Die Enden der Parabel (Gravity’s Rainbow) (1973) als Frage formuliert hatte: «Wird die Nachkriegszeit nur noch aus Zufallsereignissen [‹events›] bestehen, isoliert, von einem Augenblick zum nächsten neu erschaffen? Ohne Verbindungsglieder? Ist dies das Ende von Geschichte?»

Was wir heute unter «Kunst der Gegenwart» verstehen, also die Kunst der Industrienationen zwischen etwa 1960 und heute, ist – so meine These – untrennbar mit der Globalisierung verbunden. Erst im Zusammenhang mit dem Phänomen der Globalisierung wird die paradoxe Situation besser verständlich, dass die Kunst der Gegenwart, die ja eigentlich ein flüchtiges Phänomen sein sollte – streng genommen ist «Gegenwart» ein Intervall von 1/18 Sekunde –, sich über eine Phase von ungefähr einem halben Jahrhundert erstreckt und sich von Jahr zu Jahr weiter ausdehnt. Die Rolling Stones sind noch immer als Verkörperung der «Jugendkultur» auf Tournee, die Minimal Art, eine Kunstströmung der 1960er Jahre, gilt als «aktuelle» Formensprache, und Andy Warhol fungiert noch immer als «heutiger» Künstler – obwohl er 1987 gestorben ist. Wir – das heißt die Menschen, die den Industrienationen angehören, die über Freizeit und Wohlstand verfügen, die Zugang haben zu den Produkten der kulturellen Industrie – befinden uns in einer Art von permanenter Gegenwart. Und wir – das heißt die Generationen, die nach dem Krieg geboren sind – scheinen noch immer im zeitlichen Regime der Generation davor befangen zu sein, als ob uns eine eigene Zukunft und eine eigene Vergangenheit abhandengekommen wären.

Ich will damit nicht behaupten, dass die Kunst der Gegenwart die Globalisierung «ausdrücke» oder «abbilde». Aber ich gehe davon aus, dass die Veränderung unserer Wahrnehmung, also die Tatsache, dass wir Raum und Zeit als etwas Diskontinuierliches erleben, historische und ökonomische Ursachen hat und kein natürlicher oder innerkünstlerischer Prozess ist. Ebenso gehe ich davon aus, dass die ökonomische Revolution der 1970er Jahre keine Folge der «natürlichen» Begrenzung von Ressourcen ist, sondern eine Folge von politischen und ökonomischen Entscheidungen. So soll Scheich Ahmed Zaki Yamani, der ehemalige Ölminister von Saudi-Arabien, gesagt haben: «Die Steinzeit endete nicht aus Mangel an Steinen, und das Ölzeitalter wird enden, lange bevor der Welt das Öl ausgeht.» Ich interessiere mich für das, was der Theoretiker David Harvey meint, wenn er sagt, dass mit der Aufhebung des Goldstandards, also mit dem Kollaps der traditionellen Darstellung von Wert, auch eine «grundsätzliche Krise der Repräsentation» einsetzte und wir mit einer «Raum-Zeit-Kompression» konfrontiert wurden. Und ich interessiere mich für die Frage, warum bestimmte Kunstwerke zu gewissen Zeiten als zeitgemäß empfunden werden und andere nicht.

Liegt die Aktualität der Minimal Art beispielsweise daran, dass die serielle Struktur der Skulpturen von Donald Judd oder der Musik von Phil Glass eine zeitliche und räumliche Ordnung sinnlich erfahrbar macht, für die noch keine Begriffe existieren? Liegt die Brisanz der Selbstporträts von Warhol darin, dass er die veränderte Rolle des Subjekts, das sich fortwährend der Umgebung anpassen und zugleich permanent zur Verfügung stehen muss, exemplarisch vorführt? Hängt der Erfolg des Loop, also der ewigen Wiederkehr des Gleichen, beispielsweise in Videoinstallationen von Eija-Liisa Ahtila, von Teresa Hubbard und Alexander Birchler oder von Stan Douglas oder etwa im Möbius-Haus (1998) von Ben van Berkel und Caroline Bos, damit zusammen, dass diese Struktur genau unsere unentrinnbare Befangenheit in einem zeitlichen Regime artikuliert? Warum scheint aus heutiger Perspektive ein bestimmtes Œuvre, zum Beispiel dasjenige von Anselm Kiefer oder Richard Serra, rascher zu altern als ein anderes, zum Beispiel das von Maria Lassnig oder Dan...

Erscheint lt. Verlag 8.2.2020
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Zusatzinfo mit 43 Abbildungen
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Kunstgeschichte / Kunststile
Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
Schlagworte 20. Jahrhundert • 21. Jahrhundert • Andy Warhol • Architektur • Avantgarde • Design • Expressionismus • Frank Gehry • Gegenwart • Gegenwartskunst • Gerhard Richter • Joseph Beuys • Kultur • Kunst • Kunstgeschichte • Künstler • Moderne • Museumsarchitektur • Pop Art • Postmoderne
ISBN-10 3-406-75118-0 / 3406751180
ISBN-13 978-3-406-75118-9 / 9783406751189
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