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Das Kunstwerk der Zukunft -  Richard Wagner

Das Kunstwerk der Zukunft (eBook)

Neu bearbeitete Ausgabe (Klassiker der ofd edition)

(Autor)

ofd edition (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
225 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7412-7484-8 (ISBN)
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Ob Wagnerianer oder Nicht-Wagnerianer: Vor allem die musik-dramatischen Werke von Richard Wagner haben bis heute nichts von ihrer Anziehungskraft auf Opernfreunde verloren. "Der Ring des Nibelungen", "Der fliegende Holländer" oder "Parsifal" gehören immer noch zu den meist gespielten Opern weltweit. Obwohl Wagner schon zu Lebzeiten ein gefeierter Vertreter der Hochkultur war, speist sich seine frühe Kunsttheorie aus einer revolutionären Ablehnung des herkömmlichen Kunstbetriebs. Seine Auffassungen als radikaler Erneuerer der Kunst beschreibt er in "Das Kunstwerk der Zukunft". Die Schrift ist nicht nur für ein vertieftes Wagner-Verständnis wichtig. Sie enthält auch nachdenkenswerte Anregungen für eine Zustandsdiagnose des aktuellen Kultur- und Konsumbetriebs, der sich in seinem endlosen und ständig unbefriedigten Begehren nur um sich selbst zu drehen scheint. Die kunsttheoretische Abhandlung Wagners liegt hier in einer neu bearbeiteten Fassung vor, die, wie alle Werke der ofd edition, nicht automatisiert kopiert, sondern sorgfältig editiert und der aktuellen Rechtschreibung angepasst wurde. Die bessere Lesbarkeit und Gestaltung verhelfen so zu einem ungetrübten Lesefluss.

Richard Wagner (1813 - 1883) war ein deutscher Komponist, Schriftsteller, Theaterregisseur und Dirigent, der vor allem durch seine Opern die Entwicklung der europäischen Musik maßgeblich beeinflusste.

4. Das Volk als die bedingende Kraft für das Kunstwerk



Alles Bestehende hängt von den Bedingungen ab, durch die es besteht: Nichts, weder in der Natur noch im Leben, steht vereinzelt da; alles hat seine Begründung in einem unendlichen Zusammenhang mit allem, somit auch das Willkürliche, Unnötige, Schädliche. Das Schädliche übt seine Kraft in der Verhinderung des Notwendigen, ja es verdankt seine Kraft, sein Dasein, einzig dieser Verhinderung, und ist somit in Wahrheit nichts anderes, als die Ohnmacht des Notwendigen. Wäre diese Ohnmacht eine fortwährende, so müsste die natürliche Ordnung der Welt aber eine andere sein, als sie ist; das Willkürliche wäre das Notwendige, das Notwendige aber das Unnötige. Jene Schwäche ist aber eine vorübergehende, daher nur anscheinende; denn die Kraft des Notwendigen lebt und waltet namentlich auch als, im Grunde einzige Bedingung des Bestehens des Willkürlichen. So besteht der Luxus der Reichen einzig durch die Notdurft der Armen; und gerade die Not der Armen ist es, welche unaufhörlich dem Luxus der Reichen neuen Verzehrungsstoff vorwirft, indem der Arme, aus Bedürfnis der Nahrung für seine Lebenskraft, diese eigene Lebenskraft dem Reichen opfert.

 

So hat auch einst die Lebenskraft, das Lebensbedürfnis der tellurischen Natur, diejenigen schädlichen Kräfte, oder vielmehr die Macht des Vorhandenseins derjenigen Elementarverbindungen und Erzeugungen genährt, welche sie daran verhinderten, die ihrer Lebenskraft und Fähigkeit wahrhaft entsprechende Äußerung von sich zu geben. Der Grund hiervon ist der in Wirklichkeit vorhandene Überfluss, die strotzende Überfülle vorhandener Zeugungskraft und Lebensstoffes, die unerschöpfliche Ergiebigkeit der Materie: Das Bedürfnis der Natur ist daher höchste Mannigfaltigkeit und Vielheit, und die Befriedigung dieses Bedürfnisses erreichte sie endlich dadurch oder vielmehr damit, dass sie – um so zu sagen – der Ausschließlichkeit, der massenhaften, durch sie selbst zuvor aber üppig genährten, Einzelheit ihre Kraft versagte, d. h. sie in die Vielheit auflöste. Das Ausschließliche, Einzelne, Egoistische, vermag nur zu nehmen, nicht aber zu geben: Es kann sich nur zeugen lassen, ist selbst aber zeugungsunfähig; Zur Zeugung gehört das Ich und das Du, das Aufgehen des Egoismus in den Kommunismus.

 

Die reichste Zeugungskraft ist daher in der größten Vielheit, und als die Erdnatur in ihrer Entäußerung zur mannigfaltigsten Vielheit sich befriedigt hatte, gelangte sie somit in den Zustand von Sättigung, Selbstzufriedenheit, Selbstgenuss, der sich in ihrer gegenwärtigen Harmonie kundgibt; sie wirkt jetzt nicht mehr in massenhafter, totaler Umgestaltung, ihre Periode der Revolution ist abgeschlossen, sie ist jetzt das, was sie sein kann, somit von jeher sein konnte und werden musste; sie hat ihre Lebenskraft nicht mehr an die Zeugungsunfähigkeit zu vergeuden, sie hat durch ihr ganzes, unendlich weites Gebiet die Vielheit, das Männliche und das Weibliche, das ewig sich selbst Erneuernde und Erzeugende, das ewig sich selbst Ergänzende, sich selbst Befriedigende, in das Leben gerufen – und in diesem unendlichen Zusammenhang ist sie nun beständig, unbedingt sie selbst geworden.

 

In der Darstellung dieses großen Entwicklungsprozesses der Natur am Menschen selbst ist nun das menschliche Geschlecht, seit seiner Selbstunterscheidung von der Natur, begriffen. Dieselbe Notwendigkeit ist die treibende Kraft in der großen Menschheitsrevolution, dieselbe Befriedigung wird diese Revolution abschließen.

 

Jene treibende Kraft, die eigentliche Lebenskraft, schlechtweg, wie sie sich im Lebensbedürfnis geltend macht, ist aber ihrer Natur nach eine unbewusste, unwillkürliche, und eben wo sie dies ist – im Volk – ist sie auch einzig die wahre, entscheidende. In großem Irrtum sind daher unsere Volksbelehrer, wenn sie wähnen, dass Volk müsse erst wissen, was es wolle, d. h. in ihrem Sinne wollen solle, ehe es auch fähig und berechtigt wäre, überhaupt zu wollen. Aus diesem Irrtum rühren alle unseligen Halbheiten, alles Unvermögen, alle schmachvolle Schwäche der letzten Weltbewegungen her.

 

Das wirklich Gewusste ist nichts anderes als das, durch das Denken zum erfassten, dargestellten Gegenstand gewordene, wirklich und sinnlich Vorhandene; das Denken ist so lange willkürlich, als es das sinnlich Gegenwärtige und das den Sinnen entrückte Abwesende oder Vergangene, nicht mit der unbedingtesten Anerkennung seines notwendigen Zusammenhanges sich vorzustellen vermag; denn das Bewusstsein dieser Vorstellung ist eben das vernünftige Wissen. Je wahrhafter aber das Wissen ist, desto aufrichtiger muss es sich wiederum als einzig durch seinen Zusammenhang mit dem, zur sinnlichen Erscheinung gelangten, wirklich Fertigen und Vollendeten bedingt erkennen, die Bedingung der Möglichkeit des Wissens somit als in der Wirklichkeit begründet sich eingestehen. Sobald das Denken aber, von der Wirklichkeit abstrahierend, das zukünftige Wirkliche konstruieren will, vermag es nicht das Wissen zu produzieren, sondern es äußert sich als Wähnen, das sich gewaltig unterscheidet vom Unbewusstsein: Erst wenn es sich in die Sinnlichkeit, in das wirklich sinnliche Bedürfnis sympathetisch und rückhaltslos zu versenken vermag, kann es an der Tätigkeit des Unbewusstseins teilnehmen, und erst das, durch das unwillkürliche, notwendige Bedürfnis zu Tage geförderte, die wirkliche sinnliche Tat, kann wieder befriedigender Gegenstand des Denkens und Wissens werden; denn der Gang der menschlichen Entwicklung ist der vernunftgemäße, natürliche, vom Unbewusstsein zum Bewusstsein, vom Unwissen zum Wissen, vom Bedürfnis zur Befriedigung, nicht von der Befriedigung zum Bedürfnisse – wenigstens nicht zu dem Bedürfnisse, dessen Ende jene Befriedigung war.

 

Nicht Ihr Intelligenten seid daher erfinderisch, sondern das Volk, weil es die Not zur Erfindung treibt: Alle großen Erfindungen sind die Taten des Volkes, wo gegen die Erfindungen der Intelligenz nur die Ausbeutungen, Ableitungen, ja Zersplitterungen, Verstümmelungen der großen Volkserfindungen sind. Nicht Ihr habt die Sprache erfunden, sondern das Volk; Ihr habt ihre sinnliche Schönheit nur verderben, ihre Kraft nur brechen, ihr inniges Verständnis nur verlieren, das Verlorene mühselig nur wieder erforschen können. Nicht Ihr seid die Erfinder der Religion, sondern das Volk; Ihr habt nur ihren innigen Ausdruck entstellen, den in ihr liegenden Himmel zur Hölle, die in ihr sich kundgebende Wahrheit zur Lüge machen können. Nicht Ihr seid die Erfinder des Staates, sondern das Volk; Ihr habt ihn nur aus der natürlichen Verbindung Gleichbedürftiger zum unnatürlichen Zusammenzwang Ungleichbedürftiger, aus einem wohltätigen Schutzvertrag aller zu einem übeltätigen Schutzmittel der Bevorrechteten, aus einem weichen, nachgiebigen Gewand am bewegungsfreudigen Leibe der Menschen zu einem starren, nur ausgestopften Eisenpanzer, der Zierde einer historischen Rüstkammer gemacht. Nicht Ihr gebt dem Volk zu leben, sondern es gibt Euch; nicht Ihr gebt dem Volk zu denken, sondern es gibt Euch; nicht Ihr sollt daher das Volk lehren wollen, sondern Ihr sollt Euch vom Volk lehren lassen: Und an Euch wende ich mich somit, nicht an das Volk, – denn dem sind nur wenige Worte zu sagen, und selbst der Zuruf: „Tu' wie Du musst!“ ist ihm überflüssig, weil es von selbst tut wie es muss; sondern ich wende mich im Sinne des Volkes –  notwendig aber in Eurer Ausdrucksweise – an Euch, Ihr Intelligenten und Klugen, um Euch mit aller Gutherzigkeit des Volkes die Erlösung aus Eurer egoistischen Verzauberung an dem klaren Quell der Natur, in der liebevollen Umarmung des Volkes – da wo ich sie fand, wo sie mir als Künstler ward, wo ich, nach langem Kampf zwischen Hoffnung aus Innen und Verzweiflung nach Außen, den kühnsten, zuversichtlichsten Glauben an die Zukunft gewann – ebenfalls anzubieten.


 Das Volk also wird die Erlösung vollbringen, in dem es sich genügt und zugleich seine eigenen Feinde erlöst. Sein Verfahren wird das Unwillkürliche der Natur sein: Mit der Notwendigkeit elementarischen Waltens wird es den Zusammenhang zerreißen, der einzig die Bedingungen der Herrschaft der Unnatur ausmacht. So lange diese Bedingungen bestehen, so lange sie ihren Lebenssaft aus der vergeudeten Kraft des Volkes saugen, so lange sie – selbst zeugungsunfähig – die Zeugungsfähigkeit des Volkes nutzlos in ihrem egoistischen Bestehen aufzehren,– so lange ist auch alles Deuten, Schaffen, Ändern, Bessern, Reformieren1 in diesen Zuständen nur willkürlich, zweck- und fruchtlos. Das Volk braucht aber nur das durch die Tat zu verneinen, was in der Tat nichts – nämlich unnötig, überflüssig, nichtig – ist; es braucht dabei nur zu wissen, was es nicht will, und dieses lehrt ihm sein unwillkürlicher Lebenstrieb; es braucht dieses Nichtige wollte durch die Kraft seiner Not nur zu einem Nichtseienden zu machen, das Vernichtungswerte zu vernichten, so steht das Etwas der enträtselten Zukunft auch schon von selbst da.


Sind die Bedingungen aufgehoben, die dem Überflüssigen gestatten vom Mark des Notwendigen zu zehren, so stehen von selbst die Bedingungen da, welche das Notwendige, das Wahre, das Unvergängliche in das Leben rufen: Sind die Bedingungen aufgehoben, die das Bedürfnis des Luxus bestehen lassen, so sind von selbst die Bedingungen gegeben, welche das notwendige Bedürfnis des Menschen durch den üppigsten Überfluss der Natur und der eignen menschlichen Erzeugungsfähigkeit im undenklich reichsten, dennoch aber entsprechendsten Maße zu befriedigen vermögen. Sind die Bedingungen der Herrschaft der Mode aufgehoben, so sind aber auch die Bedingungen der wahren...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2016
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
ISBN-10 3-7412-7484-4 / 3741274844
ISBN-13 978-3-7412-7484-8 / 9783741274848
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