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30 Women (eBook)

Spiegel-Bestseller
Von Girlpower, starken Frauen, schwachen Momenten und der Reise zu dir selbst

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
200 Seiten
Moon Notes (Verlag)
978-3-96981-001-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

30 Women -  Lina Mallon
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In ihrem neuen Buch schreibt Lina Mallon über die Freundinnen und Frauen, die ihr Leben geprägt haben. Sie erzählt offen und sehr persönlich über echten Support, unerwarteten Gegenwind, über Enttäuschungen in Freundschaften, über die Kraft und Stärke von Girlpower und über den Zwiespalt, in dem jede Frau von Zeit zu Zeit steckt: die Erwartungen unserer Gesellschaft auf der einen Seite - die eigenen Träume und Sehnsüchte auf der anderen. Dass Frauen sich gegenseitig unterstützen, aufrichtig zueinander sind und auch Kritik aneinander üben dürfen, um gemeinsam zu wachsen, statt sich als Konkurrentinnen zu empfinden, steht dabei an erster Stelle.

Lina Mallon ist Autorin, Kolumnistin und Fotografin. Ihr Blog ist einer der erfolgreichsten im deutschsprachigen Raum und unterstreicht ihre Leidenschaft für authentisches Storytelling und Fotografie.

Lina Mallon ist Autorin, Kolumnistin und Fotografin. Ihr Blog ist einer der erfolgreichsten im deutschsprachigen Raum und unterstreicht ihre Leidenschaft für authentisches Storytelling und Fotografie.

#2 Die, von der ich Stärke lernte


Ich nehme die letzten zwei Stufen mit einem Schritt, knalle den Rucksack auf den Stuhl, der gleich links neben der offenen Tür steht. Ich muss nicht mal hinsehen, die Bewegung funktioniert automatisch, Muskelgedächtnis nennt man das. Es gibt Tage, da landet er ungeachtet auf dem Kissen, ich frage dann zuerst, was es zu essen gibt, verziehe das Gesicht, falls es Linseneintopf ist (oder noch schlimmer: Gulasch), oder reagiere strahlend, wenn Pasta auf dem Speiseplan steht. Während ich den Parmesan über der Tomatensoße verteile und den ersten Bissen auf meiner Gabel aufrolle und mir in den Mund schiebe, ist mir die Welt egal. Nichts macht so glücklich wie Spaghetti all’arrabbiata, nachdem du dich durch die letzten zwei Stunden Mathe gequält hast.

Heute schmeiße ich meine Sachen fast schon von mir, zwei Bücher rutschen aus der Innentasche und fallen polternd zu Boden, ich stehe daneben und weiß nicht, was ich mit dem Rest von mir machen soll.

»Na, Kind, wie war dein Tag?«, fragt sie mit ruhiger, beschwingter Stimme, auf die ich anspringe wie ein Schießhund, der sonst kein Ziel hat. »Wie er war? Ätzend …«

Und wie ätzend er wirklich war, erzähle ich dann zwanzig Minuten lang in einem ausführlichen Monolog, führe aus, was mich so wütend macht, steigere mich in meine Emotionen hinein und finde in meiner Oma eine geduldige Zuhörerin. Es ist meine Art, den Stress loszulassen, mit Frustration umzugehen, ausgelöst durch Streit mit Freunden, mit meinen Eltern oder einfach mit Lehrern. Ich werfe mit Worten um mich, bis sie mir ausgehen – und meine Oma hört zu, nickt manchmal, zuckt manchmal mit den Schultern.

Häufig machte mich genau das nur noch wütender. Ich fand es stoisch, ich unterstellte ihr mangelnde Anteilnahme an den kleinen oder großen Themen, die mich gerade beschäftigten. Heute weiß ich, dass sie einfach nur das Kissen war, in das ich brüllte, das ich brauchte, wenn mir die Welt für einen Moment zu viel war, wenn ich sie nicht verstand, wenn sie mich nicht verstand.

Meine Oma dämpfte einfach die Wut oder den Knall für den Moment, in dem alles zu groß war, und füllte mir ganz nebenbei mein Mittagessen auf. »Na, na – das wird schon wieder«, sagte sie dann und fragte im gleichen Atemzug, ob ich noch mehr Soße haben wollte.

Natürlich wurde es wieder, aber das willst du nicht hören, wenn du gerade mittendrin steckst, wenn du dich ungerecht behandelt oder von einem Streit verunsichert fühlst, wenn du dich in eine Ecke gedrängt fühlst, wenn du hilflos bist – oder aufgebracht, weil du das Gefühl hast, dich nicht wehren zu können, wenn sich alles groß und schwer oder einfach nur überfordernd oder ermüdend anfühlt.

Da »werden« die Dinge nicht irgendwann wieder – sie sind. Deine Emotionen flüstern dir nicht zu, dass sie dich jetzt kurz aufwühlen und dann in fünf Minuten schon wieder viel leichter sind. Nein, in diesem Moment nehmen sie dich ein. Und zwar vollkommen.

Sicher, mit der Zeit lernen wir, unsere Gefühle nicht mehr einfach nur ausbrechen zu lassen, sondern begegnen ihnen mit Achtsamkeit; wir lernen, dass wir uns mit ihnen manchmal im Moment verlieren, dass wir nicht klar sehen können, wenn wir so viel fühlen, dass jede einzelne Zelle vibriert. Aber um ehrlich zu sein: Das passiert nicht nur, wenn du zwölf bist, sondern auch noch mit 24.

Was früher das Mittagessen mit meiner Oma war, sind heute Voice Notes an meine Freundinnen. Wenn ich aus der U-Bahn steige, nehme ich nicht selten den längeren Weg nach Hause, gehe lieber noch ein bisschen entlang der Eimsbütteler Häuserfassaden spazieren und erzähle von meinem Tag, von Gefühlen, von mir. In diesen Sprachnachrichten bin ich zu hundert Prozent ich selbst: Alle Emotionen, die guten, die aufgewühlten, manchmal auch die negativen, haben hier Platz, werden nicht bewertet, nur ausgesprochen. Das hier ist ein sicherer, virtueller Ort, an dem ich für zehn Minuten auch all die Gefühle zulassen, rauslassen kann, die vielleicht morgen schon nicht mehr wichtig sind – aber eben genau in diesem Moment.

Und genau das ist manchmal alles, was ich brauche, um mit Situationen umzugehen, die in fünf Jahren bestimmt nicht mehr wichtig sind, aber eben jetzt gerade. Ich habe von meiner Oma gelernt, dass es okay ist, emotional zu sein, dass es besser ist, über Emotionen zu sprechen, sie herauszulassen, loszulassen, ehrlich zu sich selbst zu sein, als Ballast anzusammeln.

Es ist okay, manchmal mit Worten um sich zu werfen (und dabei trotzdem aufzupassen, dass sie niemanden absichtlich treffen), bis sie weniger schwer wiegen, bis wir uns wieder leichter fühlen oder die negative Energie aufgebraucht ist, damit wir wieder klar sehen, zu uns selbst finden, durchatmen können. Auch um dann, wenn sich die Gefühle gelegt haben, mal selbst dieser Ort für einen anderen Menschen, für die eigenen Freunde zu sein. Anderen zuhören, sich selbst aus dem Mittelpunkt nehmen, einfach da sein und manchmal schon allein damit – Mut machen.

***

Überhaupt ist Mut etwas, das meiner Oma auch heute, mit 82 Jahren, noch immer wichtig ist. Obwohl sie zum Beispiel kein Englisch spricht, reist sie noch immer gern, steigt ins Flugzeug oder in den Bus und sieht sich die Welt an: »Wenn ich etwas nicht verstehe oder mich verlaufe, dann frage ich andere nach Hilfe. Du findest immer jemanden, der Bescheid weiß, wenn du nur offen auf die Menschen zugehst. So einfach ist das.«

Einfach – meine Oma versteht es schon seit jeher, die Dinge, die andere kompliziert diskutieren, zu entwirren, auf einen simplen Punkt zu bringen. Das fängt bei der Frage nach dem richtigen Kofferband an und hört bei Themen wie Gleichberechtigung oder Feminismus noch lange nicht auf.

Ich erinnere mich noch genau daran, ich war vielleicht acht Jahre alt, wie ich an einem Nachmittag im Sommer allein auf einer Bank vor unserem Haus saß. Ich hatte die Knie an meinen Oberkörper gezogen und starrte auf meine Schuhspitzen, mein Fahrrad lag achtlos neben mir, meine Freunde, mit denen ich in dieselbe Grundschule ging, waren gerade losgezogen, mich hatten sie absichtlich hier zurückgelassen. Zehn Minuten wartete ich, dass sie ihre Meinung änderten, dann schob ich das Rad zurück auf den Hof.

»Wolltest du dich nicht mit Fabi und Tobias treffen?«, fragt meine Oma.

»Nee«, sage ich, schüttle den Kopf und versuche, nicht zu weinen. Es klappt nicht. Als ich gerade: »Heute darf ich nicht mit«, sagen will, versagt meine Stimme, der Kloß im Hals wird zu groß.

»Und warum nicht?«

»Weil sie heute ein Baumhaus bauen wollen. Und ich ein Mädchen bin.«

Ich verschränke wütend die Arme und wische mir die Tränen aus dem Gesicht.

»Na hör mal, du hast denen doch hoffentlich gesagt, dass Mädchen genauso Baumhäuser bauen können – und dürfen!«

Ich zucke mit den Schultern, bis eben ist mir der Gedanke noch gar nicht gekommen.

»Hier.« Meine Oma greift nach meinen Händen. »Du hast zwei starke Arme, du hast zwei schnelle Beine, du hast einen klugen Kopf, was braucht man noch, um ein Baumhaus zu bauen, was Jungs haben – aber Mädchen nicht?«

Mir fällt nichts ein.

»Ganz genau! Jetzt setzt du dich aufs Fahrrad und fährst den Jungs hinterher. Alles, was Jungs dürfen, dürfen Mädchen auch. Punkt.«

»Fabi sagt, Mädchen haben keine Kraft, sind nur im Weg und können eh keine großen Äste anheben.«

»Dann trägst du eben kleinere, oder ihr tragt den Ast zu zweit. Niemand ist im Weg, wenn man als Team arbeitet.«

»Ich kann aber auch nicht so gut klettern wie die anderen«, gebe ich zu und schaue meine Oma unsicher an.

»Na, dann lernst du es. Dann fragst du Tobias, ob er es dir zeigen kann, und machst es einfach genau so nach.«

Ich kann darauf nur noch »Okay« antworten, setze mich aufs Fahrrad, halte den Jungs genau die gleiche Ansprache, die ich gerade gehört habe, und als wir zu dritt um sechs Uhr abends wieder zurück an der weißen Bank ankommen, steht das Baumhaus fast.

»Morgen wieder hier, ja?«, fragt Tobias, und ich nicke, bevor ich unser Hoftor aufziehe. »Sorry übrigens wegen heute Morgen. Das war echt mutig, dass du trotzdem noch gekommen bist und so.«

Auf einmal war es ganz einfach.

***

Das ist noch heute so. Auch jetzt, während ich schon lange nicht mehr Fahrrad fahre und keine Baumhäuser mehr baue, sondern über die Kontinente reise und dort nach meinen Träumen greife, rufe ich meine Oma an, wenn die Dinge wieder einfach sein sollen, wenn ich jemanden brauche, der aus hundert Fragen nur eine einzige macht oder auf »Ich kann das nicht …« immer zuverlässig mit »›Kann ich nicht‹ gibt es nicht. Es gibt nur ›Kann ich noch nicht‹« antwortet.

Für meine Oma gibt es drei Dinge, die eine Frau braucht, um selbstständig zu sein um sich gleichberechtigt zu fühlen. Drei Dinge, die wir uns selbst erarbeiten können und für die wir Verantwortung übernehmen müssen: ein guter Schulabschluss, ein Führerschein, eine sichere Verhütung.

»Du musst für dich selbst denken und selbst entscheiden können, immer. Wer du sein willst, wo du sein willst und ob du bleiben willst. Du entscheidest, welchen Beruf du ergreifst, wohin du reist oder wann du eine Familie gründen willst. Du allein! Das heißt aber nicht, dass du immer gleich alles allein können oder wissen oder schaffen musst. Du musst nur wissen, wo oder wen du fragen kannst.«

Es ist das Mantra, mit dem ich durch mein eigenes Leben gehe. Das sich eingeprägt hat. Es gibt nichts, wovor du Angst...

Erscheint lt. Verlag 5.5.2022
Reihe/Serie 30 Thoughts
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte ab 14 • Achtsamkeit • Beziehungen • Blog • Booktok • Dating • Diary • female empowerment • Feminismus • Freundinnen • Freundschaft • Generation Y • Instagram • Jugendbuch • Liebe • Mädchen • Magazin • Meditation • Ratgeber • Respekt • Schreiben • Selbstliebe • Selbstwert • selbswert • Social Media • Twentysomething
ISBN-10 3-96981-001-9 / 3969810019
ISBN-13 978-3-96981-001-9 / 9783969810019
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