Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de
Vererbte Geschichte -  Barbara Couvert

Vererbte Geschichte (eBook)

Wie psychische Erfahrungen an nachfolgende Generationen weitergegeben werden
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
192 Seiten
Carl-Auer Verlag
978-3-8497-8479-9 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
37,99 inkl. MwSt
(CHF 37,10)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
'Das Innovative an Barbara Couverts Arbeit ist die Erweiterung der Psychogenealogie durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Ein interessanter Beitrag zur Diskussion, zwischen Geisteswissenschaft und Neurowissenschaft.' Pour la science Belastendes Erbe überwinden Ereignisse, die sich über Generationen fortsetzen; Jahrestage, die auf unerklärliche Weise zusammenfallen; Krankheiten, die zutage fördern, was Vorfahren erlebt haben: Familiengeschichte kann voller Wiederholungen stecken. Erinnerungen, die eigentlich nicht unsere eigenen sind, erscheinen manchmal so präsent, dass sich das Wort Schicksal aufdrängt. Wie ist das möglich? Barbara Couvert findet den Ursprung von geerbter Familiengeschichte in der Intensität der Emotionen, die ein Vorfahre angesichts eines traumatisierenden Ereignisses durchlebte. Diese Emotionen prägen sich in das Gedächtnis des Betroffenen ein, werden gespeichert und anschließend auf unsichtbare, jedoch sehr effiziente Weise weitergegeben. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse zu Epigenetik, Traumafolgen und Spiegelneuronen beschreiben physiologische Prozesse, die verstehen lassen, inwieweit uns die Geschichte einer Vorfahr:in betreffen und prägen kann. Diese Erkenntnisse zeigen auch, dass sich dieses Erbe verändern lässt, und sie liefern Hinweise, wie das geschehen kann. Couvert illustriert ihre Thesen an eindrücklichen Beispielen, unter anderem von Vincent und Théo Van Gogh, Arthur Rimbaud und Sigmund Freud wie auch von Patient:innen, Straftäter:innen und Überlebenden eines Völkermords. Die Autorin: Barbara Couvert, Psychosoziologin, Gestaltherapeutin; Studium der Soziologie; Weiterbildungen in Gestalttherapie, Psychodrama und Psychogenealogie (bei Anne Ancelin Schützenberger); langjährige Sonderbeauftragte für Berufseingliederung.

Barbara Couvert, Psychosoziologin, Gestaltherapeutin; Studium der Soziologie; Weiterbildungen in Gestalttherapie, Psychodrama und Psychogenealogie (bei Anne Ancelin Schützenberger); langjährige Sonderbeauftragte für Berufseingliederung.

2 Emotionen und Gedächtnis


»Das unermessliche Gebäude der Erinnerung«

Marcel Proust, À la recherche du temps perdu

Gewiss, wir sind Vernunftwesen. Aber was wären wir ohne Emotionen und Gedächtnis? Ein leerer Körper? Eine Software? Emotionen und Gedächtnis, die zusammen mit dem Verstand unsere Psyche bilden, beruhen auf komplexen Mechanismen und sind das Ergebnis körperlicher Erfahrungen. Sie sind ein Produkt unserer individuellen Physiologie und werden durch die Art und Weise, wie wir die Welt mittels unserer Gefühle und geistigen Fähigkeiten wahrnehmen, interpretiert und angepasst. Körper und Psyche sind untrennbar miteinander verknüpft.

Unser individuelles Gleichgewicht hängt jeweils davon ab, wie Emotionen und Gedächtnis miteinander interagieren. Normalerweise klingt eine Emotion ab. Sie hinterlässt eine Spur in unserem Gedächtnis, aber unser Körper gewinnt sein physiologisches Gleichgewicht zurück. Erfährt ein Mensch jedoch über einen längeren Zeitraum Stress oder erlebt ein Trauma, ist diese Wiederherstellung des Gleichgewichts nicht möglich. Die Erinnerung bleibt präsent wie ein Kratzer auf einer Schallplatte, oder sie verschwindet, taucht aber – scheinbar zufällig – irgendwann wieder auf.

Diese Beeinträchtigungen des Gedächtnisses, die mit psychischen Schwierigkeiten verbunden sind, bilden den Ausgangspunkt der transgenerationalen Weitergabe. Daher ist es notwendig, sie einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.

Emotionen


Die Liste möglicher Emotionen ist lang. Sie reicht von Bewunderung über Niedergeschlagenheit oder Begeisterung bis hin zu Trauer. Der US-amerikanische Psychologe Paul Ekman hat untersucht, welchen Gesichtsausdruck eine bestimmte Emotion jeweils auslöst. Er gilt als Pionier auf diesem Forschungsgebiet und hat sechs sogenannte Grundemotionen definiert, die universell seien: Alle Menschen weltweit stimmten – ungeachtet aller sonstigen Unterschiede – darin überein. Diese Grundemotionen sind: Freude, Trauer, Ärger, Ekel, Angst und Überraschung. Aus diesen Basiselementen setzten sich alle Emotionen zusammen.

Im Gegensatz zu Gefühlen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie beständig sind und der Gegenstand, auf den sie sich beziehen, nicht präsent sein muss, um sie zu aktivieren, sind Emotionen nicht von Dauer: Sie werden durch einen Reiz ausgelöst, entfalten sich, klingen dann ab und machen Platz für Ruhe oder eine neue Emotion. Die damit verbundene körperliche Erregung – Zittern, beschleunigter Herzschlag Schweißausbrüche etc. – nimmt ab und verschwindet schließlich. So jedenfalls verläuft dieser Vorgang in normalen Situationen.

Vom Stimulus zu Emotionen


In einer gewohnten Umgebung, in der wir uns geborgen fühlen, laufen unsere Körperfunktionen ab, ohne dass wir ihnen Aufmerksamkeit schenken, sowohl wenn wir uns ausruhen, als auch, wenn wir aktiv sind: Wir atmen, verdauen, gehen, sprechen, denken und lieben, ohne uns der außergewöhnlichen Komplexität unseres Organismus bewusst zu sein, der all dies ermöglicht. Wahrnehmungen, Nervenbahnen, Nahrung, Luft und Hormone – sie alle kommunizieren miteinander und arbeiten zusammen, damit wir im Austausch mit unserer Umgebung leben können. Und wir bekommen nichts davon mit. Unser Körper ist ein lebendiger Organismus, der darauf ausgerichtet ist, das eigene Überleben und das der menschlichen Spezies zu gewährleisten.

Unser Leben besteht aus einem permanenten und unverzichtbaren Austausch mit Luft, Wasser, Nahrung und mit anderen Menschen. Diese Umgebung kann sich jedoch als gefährlich erweisen: Luft und Wasser können verunreinigt, andere Menschen uns feindlich gesinnt sein. Wir müssen unser Umfeld also ständig bewerten, um herauszufinden, ob es gut oder schlecht oder sogar gefährlich ist. Dies tun wir, ohne uns dessen bewusst zu sein.

Unser Gehirn stützt sich dabei auf unsere fünf Sinne (Sehen, Riechen, Hören, Tasten, Schmecken) und die jeweiligen Organe. Diese kleinen Sensoren sind in ständiger Alarmbereitschaft und die ersten Schaltstellen des außergewöhnlichen Parcours, über den in wenigen Tausendstelsekunden Wahrnehmungen in Emotionen und Gedanken umgewandelt werden. Denn in diesem unendlich kleinen Zeitraum werden das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark), das periphere Nervensystem (motorische Nerven, die auf die Muskeln einwirken), das autonome Nervensystem und das Hormonsystem aktiv und kommunizieren miteinander, um unseren Körper der Situation anzupassen.

Die Informationen, die unsere Sinne aufgenommen haben, werden durch die sensorischen Nerven über Nervenbahnen an das zentrale Nervensystem übermittelt, wo sie erneut verarbeitet und durch die motorischen Nerven in Handlungen umgesetzt werden (Annäherung, Flucht, Reflex).

Gleichzeitig sendet das autonome Nervensystem Befehle an die inneren Körperfunktionen, die wir – abgesehen von unserer Atmung3 – nicht willkürlich beeinflussen können, etwa unsere Verdauung, die Erweiterung der Bronchien oder die Herztätigkeit. Das autonome Nervensystem gliedert sich in zwei Bestandteile: das sympathische Nervensystem und das parasympathische Nervensystem. Ersteres tritt in Aktion, sobald der Stimulus auftaucht: Die Herztätigkeit wird gesteigert, die Bronchien werden erweitert und unsere sensorischen Fähigkeiten intensiviert, gleichzeitig wird die Aktivität unseres Verdauungssystems eingestellt. Das parasympathische Nervensystem greift ein, sobald sich die Situation, die die Emotion ausgelöst hat, beruhigt. Es führt unseren Organismus wieder zurück zur normalen Funktion und versetzt ihn in einen Ruhezustand.

Parallel zur Aktivität der Nervensysteme spielt der Hypothalamus eine Rolle als Schaltstelle zwischen dem autonomen Nervensystem und dem Hormonsystem. Über die Hypophyse setzt er das Hormonsystem in Gang. Die endokrinen Drüsen produzieren daraufhin Hormone, kleine Botenstoffe, die über das Blut transportiert werden, dem Hypothalamus Informationen über den Zustand unseres Körpers vermitteln und unseren Stoffwechsel durch Rückkopplung regulieren. Die Hormone regeln sowohl Wachstum also auch Schlaf und Fortpflanzung. Einige spielen eine wesentliche Rolle, wenn es um unsere Reaktion auf die verschiedenen Situationen geht, mit denen wir konfrontiert werden. Adrenalin beispielsweise, das sogenannte Stresshormon, bereitet uns auf Angriff oder Flucht vor, indem es unseren Herzschlag beschleunigt, den Blutdruck erhöht und die Bronchien erweitert, wodurch die Funktion des sympathischen Nervensystems zum Erhalt der aufrechten Körperhaltung (Orthostase) unterstützt wird. Cortisol und Endorphine übernehmen diese Aufgabe, wenn die Situation länger andauert.

Das autonome Nervensystem und das Hormonsystem sind zuständig für das Gleichgewicht unserer physiologischen Körperfunktionen (Homöostase): Sie können Abweichungen wahrnehmen und korrigieren.

Die Übermittlung all dieser Informationen erfolgt in einer Rekordzeit von wenigen Tausendstelsekunden, die Rückkehr zum normalen Ruhezustand aber dauert länger: Manchmal brauchen wir mehrere Minuten, ehe wir aufhören zu zittern oder unser Herz wieder langsamer schlägt.

Emotionen sind also eine vorübergehende körperliche Reaktion des Wohlbefindens oder Unbehagens auf eine Situation, die unsere Sinne wahrgenommen haben, die unser Körper empfunden und unser Gehirn gedeutet hat. Selbstverständlich sind manche Emotionen angenehmer als andere. Zweifellos empfinden wir lieber Freude als Ärger und zittern lieber vor Verlangen als aus Angst.

Diese Empfindungen hinterlassen Spuren in uns, wir bewahren sie in unserem Gedächtnis und erweitern so unsere Erfahrung der Umwelt. Unsere Psyche beeinflusst also unsere Wahrnehmung der Umwelt, was dazu führt, dass manche das Leben durch eine rosarote Brille betrachten, während andere eher schwarzsehen. Daher fügt die buddhistische Wissenschaft beispielsweise den physiologischen Sinnen der westlichen Wissenschaft einen sechsten Sinn hinzu – das geistige Bewusstsein. Dieses ermöglicht uns, von einer Situation mehr zu erfassen als die rein physiologischen Reaktionen. Es deutet sie auf der Basis bereits erworbenen Wissens und fügt sie unserem Erfahrungsschatz hinzu. Außerdem zeichnet es sich durch eine ganz besondere Fähigkeit aus: Es kann abstrakte Objekte erfassen.

Ein abstraktes Objekt? Wie der Name sagt, existiert es nicht in der physischen Realität. Es handelt sich um Ideen, Gedanken oder etwas, das erdacht werden muss, um zu existieren. Zum Beispiel kann man ein Fußballspiel nur verstehen, wenn man die Regeln kennt. Andernfalls sieht man Menschen, die hinter einem Ball herlaufen oder davor anhalten, aber das ergibt überhaupt keinen Sinn. Für einen solchen Zuschauer existiert kein Spiel. Es hat nur eine Bedeutung für denjenigen, der die Regeln kennt, und diese Regeln – abstrakte Objekte also – sind es, die aus dem Ganzen ein Fußballspiel machen. Man...

Erscheint lt. Verlag 5.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
ISBN-10 3-8497-8479-7 / 3849784797
ISBN-13 978-3-8497-8479-9 / 9783849784799
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,5 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Mit Online-Material

von Wolfgang Schneider; Ulman Lindenberger

eBook Download (2018)
Beltz (Verlag)
CHF 57,60