Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de
Sehnsucht nach Lebendigkeit -  Brigitte Spillmann

Sehnsucht nach Lebendigkeit (eBook)

Symbole als transformierende Kraft in der Psychotherapie
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
134 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-043536-0 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
25,99 inkl. MwSt
(CHF 25,35)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Wie kann das Leben trotz seiner Verwundbarkeit und Begrenztheit lebendig gelebt werden? Diese Frage treibt Menschen um, die - blockiert in Leiden und Selbstentfremdung - den Weg in eine Therapie finden, von der sie sich ein befreites Leben erhoffen. Im Therapieprozess spielen Symbole eine hilfreiche Rolle: Sie stoßen gleichsam ein Fenster auf ins Hintergründige und Unbewusste, in dem die selbstheilenden und schöpferischen Kräfte wurzeln. So vermögen Symbole - zum Beispiel in Träumen und Märchen - die engen vom Bewusstsein und der konkreten Realität gesetzten Grenzen zu überwinden und einen Zugang zur Lebendigkeit zu eröffnen. Im Buch wird anhand von zahlreichen Beispielen aus der psychotherapeutischen Praxis gezeigt, wie dies gelingen kann; theoretische Überlegungen sollen dabei zur Orientierung beitragen.

Brigitte Spillmann, Dr. phil. Ausbildung zur Volksschullehrerin. Studium der Geschichte und der Deutschen Literaturgeschichte. Promotion in Geschichte; Dipl. Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin (C.G. Jung). Lehranalytikerin, Supervisorin, Dozentin. Präsidentin des Zürcher C.G. Jung-Instituts (1997-2007). Langjährige eigene Praxis in Zürich. Vortragstätigkeit und Workshops im In- und Ausland.

Brigitte Spillmann, Dr. phil. Ausbildung zur Volksschullehrerin. Studium der Geschichte und der Deutschen Literaturgeschichte. Promotion in Geschichte; Dipl. Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin (C.G. Jung). Lehranalytikerin, Supervisorin, Dozentin. Präsidentin des Zürcher C.G. Jung-Instituts (1997-2007). Langjährige eigene Praxis in Zürich. Vortragstätigkeit und Workshops im In- und Ausland.

Einleitung


Zur Entstehung dieses Buches1


Das wechselhafte Geschick des Menschen setzt ihn gegensätzlichsten Emotionen aus; Lachen und Weinen, Glück und Trauer gehören ebenso dazu wie Liebe und Hass. Was immer auch Menschen zustößt, es löst Gefühle aus, treibt sie um oder lässt sie innehalten. Und dies alles »hat seine Zeit«, hält bereits das bekannte Predigerwort fest. Ein Gefühl allerdings ist, das alle andern prägt und überdauert: die Sehnsucht. Sie färbt unser Lachen und Weinen mit ihrem ganz eigenen Gefühlston ein. Sie erfasst uns als nie endendes Streben nach Lebendigkeit, als inniges Verlangen nach Liebe und Zärtlichkeit, als tiefes Sehnen nach der unerreichbaren Heimat, nach Gerechtigkeit und Frieden, als oft verzehrende Suche nach dem verlorenen Paradies, dem Sinn des Lebens und vielem sonst, was wir schmerzlich entbehren. Sie lässt uns nicht zur Ruhe kommen, treibt uns immer weiter, denn »das Wesen des Menschlichen besteht – in der Sehnsucht nach Lebendigkeit« (Strasser, 2016, S. 121). Und es ist oft gerade die Lebendigkeit, die Vielen heute fehlt, die Psychotherapie suchen.

Seelisch unlebendig, dem Leben und sich selbst entfremdet, so begegnen uns die Menschen in der Praxis oft zu Beginn – dennoch schon da mehr oder weniger bewusst kräftig am »Sehnsuchtsseil« (Sachs, 1971) ziehend, das ihnen endlich ein selbstbestimmtes, erfülltes Leben bringen soll. Dieses ist allerdings nicht zu haben ohne leidvolle Tränen, denn es gibt keinen Zauberstab, der die Erfüllung dieser tiefsten Sehnsucht so einfach vermitteln könnte.

Die folgenden Überlegungen zur Sehnsucht nach Lebendigkeit werden darum nicht ohne ein Nachdenken über Begrenzung und Vergänglichkeit auskommen. Der Mensch, das »Wesen«, das »mit endlicher Lebenszeit unendliche Wünsche hat« (Blumenberg, 2001, S. 71), steht von Anfang an im Spannungsfeld von Leben und Tod, das ihn von der Erfahrung der Begrenztheit seiner Möglichkeiten nicht verschont. Daran ändern auch die heute vielfältigen Gelegenheiten nichts, die Welt zu erobern – der Massentourismus ist nur eines der unzähligen Phänomene, die, getrieben von unersättlicher Lebensgier, nicht nur uns, sondern auch unseren Planeten zu zerstören drohen, denn nicht nur unser individuelles Leben, auch unsere kollektiven Ressourcen sind endlich, wie wir heute immer bedrängender erfahren. Die Lebenswirklichkeit, wie wir sie vorfinden, ist letztlich also nie gut genug. Dennoch kann sich das Leben trotz aller Versagungen und leidvollen Erfahrungen als erfüllt und lebendig erweisen, wenn es gelingt, die Welt und sich selbst als beseelt zu erleben. Dazu bedarf es allerdings einer Offenheit jenen unbewussten Seiten unserer Seele gegenüber, die nicht nur bedrohlich Dunkles bergen, sondern auch eine Quelle des Trostes und selbstheilender Kräfte sind. Sie erschließen sich uns in Symbolen, die »bis in die geheimsten Tiefen der Seele« ihre Wurzeln treiben (Bachofen, 1859, zitiert nach Beit von, 1971, S. 15) und uns ein Jenseits zu unserer bewussten Welt eröffnen. Ein Beispiel mag das einleitend etwas konkretisieren:

Im Oktober 2016 wurde in der Semperoper in Dresden wieder einmal Mozarts »Zauberflöte« gegeben. Dieser Aufführung waren Tage heftiger Demonstrationen mit übelsten Auswüchsen politischer Unkultur vorausgegangen. War in diesem Umfeld das von Mozart vorgesehene Finale im Weisheitstempel mit seinem Sieg der Menschlichkeit über die finsteren Mächte nicht vollkommen illusionär? Das Ende der Aufführung nahte und mit ihm der erwartete Triumph Sarastros über die Truppen der Königin der Nacht; doch die traditionell vertraute Szenerie war überraschend anders: Schüsse, Pulverdampf und rauchende Trümmer waren auf der Bühne zu sehen und zu hören; aus dem stark beschädigten Weisheitstempel ragte einsam eine Kanone, und Sarastros Kopf tauchte kurz aus dem Untergrund auf – auf seinem Kopf ein arg mitgenommener Strahlenkranz, der allen Glanz eingebüßt hatte –, um dann sogleich wieder in der Tiefe zu verschwinden. Kein Mensch war auf diesem Schlachtfeld vor tiefschwarzem Bühnenhintergrund zu sehen, schließlich herrschte gespenstische Stille. Da erklang aus der hintergründigen Dunkelheit unvermittelt der strahlende Jubelchor, der vom Sieg der Weisheit und Liebe über die Mächte der Finsternis kündete. Gleichzeitig aber war überdeutlich klar: Dieser Sieg fand nicht in der realen Wirklichkeit statt, er war als eine unerreichbare, aber lebensnotwendige Utopie in eine jenseitige Welt verwiesen und half gerade dadurch, die Zumutungen und Unzulänglichkeiten unserer Welt zu ertragen.

Wir Menschen werden zeitlebens als »jenseitsgrundierte Wesen« (Strasser, 2016, S. 34) immer wieder – und nicht nur in der Oper! – angerührt von solchen Idealen, die bei allem klaren Realitätssinn vermitteln: die konkrete Wirklichkeit, so elend und voller Not sie auch sein mag, umfasst nie den ganzen Erfahrungshorizont für lebendig gelebtes Leben. Soll unser Leben sich aber als lebendig gelebt, oder anders ausgedrückt: als beseelt erweisen, sind wir auf diesen Jenseitsgrund angewiesen, in dem wir uns verbunden wissen mit allem, was die Schöpfung und menschliches Leben ausmachen. Als Tiefenpsychologen sprechen wir hier gerne vom Unbewussten, dem wir in unserem Leben ebenso Raum geben müssen wie der konkreten Bewusstseinswelt, wenn das Leben nicht einseitig verkümmern soll. Wohin dagegen die Sehnsucht nach einer idealen Welt führt, wenn deren bedingungslose und einseitige Umsetzung in der konkreten Realität eingefordert wird, erleben wir in der heutigen Zeit wieder einmal mehr mit zunehmendem Schrecken. Fanatiker jeder Couleur verbreiten mit ihren rigiden Idealvorstellungen Angst und Terror.

In den langen Jahren meiner beruflichen Tätigkeit hat sich mein Respekt vor dem Unbewussten und damit auch vor dem Unverfügbaren immer mehr vertieft. Wo wir uns darauf einlassen – selbstverständlich immer im Dialog mit dem Bewusstsein! – erleben wir oft staunend, wie sehr sich blockierende Abwehr oder gar Versteinerungen zu lösen vermögen und die Sehnsucht nach lebendig gelebtem Leben sich trotz vielfacher Einschränkungen zu erfüllen vermag, denn aus dieser »Lebensquelle des Instinktes [...] fließt auch alles Schöpferische« (Jung, 1931, § 339), das »Keime von noch unabsehbaren Möglichkeiten enthält« (Jung, 1926, § 644). Hilfreich ist uns darum alles, was oft unvermutet aus dieser unbewussten, aber schöpferischen Keimschicht auftaucht: Träume, Phantasien, Märchen, Mythen, Literatur, Bilder, Musik, Philosophie, ja auch Wissenschaft und vieles mehr – kurz alles, was sich der ganzen Wirklichkeit des menschlichen Lebens zuwendet.

So will ich denn – durchaus auch im erwähnten Respekt vor dem Unbewussten – die folgenden Kapitel nicht mit der Darstellung theoretischer Konzepte beginnen, sondern den Weg gleichsam über den Hintereingang wählen. Ich lasse mich dabei vom folgenden Traum leiten, der mir zufiel, während ich mit den Vorarbeiten zu diesem Buch beschäftigt war. Er sei hier in seinen wesentlichen Aspekten kurz angeführt:

Auf meinem Heimweg ins Stadtinnere lege ich einen Halt an »meiner« Buchhandlung ein. Ich blicke ins Schaufenster, will danach den Laden betreten, der im zurückversetzten, geschützten Eingangsbereich gleich um die Ecke liegt. Zu meiner Verblüffung ist der Eingang aber vollkommen zugemauert: Eine Wand ist da hochgezogen worden, wie wenn nie eine Türe dagewesen wäre. Ungläubig taste ich mit meinen Händen an der Wand entlang, klopfe sie ab, wie wenn ich dadurch Zugang erhalten könnte – vergeblich. Ich erinnere mich schließlich, dass es durch den großen Hinterhof noch einen Eingang in die Buchhandlung gibt; dazu muss ich allerdings um den ganzen weiträumigen Häuserblock herumgehen.

Da taucht die Buchhändlerin auf – es ist »meine Blumenfrau«, bei der ich alle meine Blumen beziehe; sie ist jetzt aber ganz selbstverständlich die Buchhändlerin dieses Geschäfts, als sei sie nie etwas anderes gewesen. Ich gebe meiner Verwunderung über den verschwundenen Ladeneingang Ausdruck, und sie erklärt mir, dass die Hausverwaltung diesen Eingang im Rahmen der laufenden Bauarbeiten verschlossen habe.

Ich träumte diesen Traum, nachdem ich seit Tagen versucht hatte, ein klares Konzept für mein Schreiben zu finden, das meine Überlegungen in ein stimmiges Ganzes einbinden und sie gleichzeitig auch mit einigem theoretischen Material anreichern würde – ohne dass die angeführten Literatur- und Traumbeispiele wie die Fallvignetten in ihrem emotionalen Zugang »zerredet« oder verdeckt würden. Wollte mir der Traum nun zeigen, dass ich mich der Sehnsuchts-Thematik von einer ganz anderen als der klar strukturierten theoretischen Seite her annähern musste?

Der direkte Zugang zur Buchhandlung ist zugemauert. Ich muss den Weg über den Hinterhof finden, soll also nicht direkt auf das...

Erscheint lt. Verlag 17.1.2024
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Psychoanalyse / Tiefenpsychologie
Schlagworte Symbole • Therapeutischer Prozess • Transformation • Unbewusste
ISBN-10 3-17-043536-1 / 3170435361
ISBN-13 978-3-17-043536-0 / 9783170435360
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Wie bewerten Sie den Artikel?
Bitte geben Sie Ihre Bewertung ein:
Bitte geben Sie Daten ein:
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 3,0 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Grundlagen, Behandlungstechnik und Anwendung

von Wolfgang Mertens

eBook Download (2022)
Kohlhammer Verlag
CHF 31,25