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Psychotherapie in der Klimakrise -  Beatrice Jost,  Christine R. Steinmetz

Psychotherapie in der Klimakrise (eBook)

Gefühle anerkennen, regulieren und Klimaresilienz fördern
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
149 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-043243-7 (ISBN)
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Im Zuge der Klimakrise entstehen viele Emotionen wie Angst, Trauer, Hilflosigkeit und Wut, die nicht nur PatientInnen, sondern ebenso PsychotherapeutInnen bedrücken und die zunehmend eine gesamtgesellschaftliche Relevanz bekommen. So belegen Studien deutliche Zusammenhänge zwischen Klimaveränderungen und psychischen Belastungen, wobei die Bewältigungsversuche ein Verleugnen der Klimakrise sowie Überaktionismus bis zur Erschöpfung oder auch Resignation umfassen. Dieses Buch gibt einen inhaltlichen Überblick über die Auswirkungen der Klimakrise auf das psychische Wohlbefinden. Der Fokus liegt dabei auf der Emotionsbewältigung und dem psychischen Umgang mit der aktuellen Bedrohung. Ziel ist es, PsychotherapeutInnen bezüglich dieser Thematik zu sensibilisieren und Selbstreflexionsprozesse anzuregen. Die ExpertInnen erhalten Handwerkszeug für ihre therapeutische Arbeit zur Förderung einer selbstfürsorglichen Emotionsbewältigung und daraus resultierendem konstruktiven sowie resilienten Handeln.

Beatrice Jost, M. Sc. Psych., arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin (VT) in einer Gemeinschaftspraxis. Sie hat in Jena und Freiburg studiert und die Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin in Dresden absolviert. Parallel engagiert sie sich bei den Psychologists/Psychotherapists for Future, einer Initiative von PsychologInnen und PsychotherapeutInnen, die die Klimabewegung unterstützt und psychologisches Fachwissen zur Förderung einer nachhaltigen Zukunft einbringt. Christine R. Steinmetz, M. Sc. Psych., studierte Psychologie in Gießen, Nancy (Frankreich) und Boston (USA). Sie arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin (VT) in der ambulanten Versorgung. Seit 2020 engagiert sie sich u. a. mit Vorträgen und Workshops bei den Psychologists/Psychotherapists for Future und ist dort im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

Beatrice Jost, M. Sc. Psych., arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin (VT) in einer Gemeinschaftspraxis. Sie hat in Jena und Freiburg studiert und die Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin in Dresden absolviert. Parallel engagiert sie sich bei den Psychologists/Psychotherapists for Future, einer Initiative von PsychologInnen und PsychotherapeutInnen, die die Klimabewegung unterstützt und psychologisches Fachwissen zur Förderung einer nachhaltigen Zukunft einbringt. Christine R. Steinmetz, M. Sc. Psych., studierte Psychologie in Gießen, Nancy (Frankreich) und Boston (USA). Sie arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin (VT) in der ambulanten Versorgung. Seit 2020 engagiert sie sich u. a. mit Vorträgen und Workshops bei den Psychologists/Psychotherapists for Future und ist dort im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

1 Die Klimakrise und unser psychotherapeutischer Arbeitsauftrag


Zusammenfassung

Die Klimakrise hat bereits jetzt global massive Auswirkungen, so wie eine Zunahme von Naturkatastrophen und Nahrungsmittelknappheit. Und obwohl die verheerenden Folgen der steigenden Treibhausgasemissionen schon so lange bekannt sind, ist bisher nicht genug passiert, um die Katastrophe abzuwenden. Bedrohlich ist vor allem die Aussicht auf die kommenden Jahrzehnte. Viele beschreiben dementsprechend die Klimakrise als die größte Gefahr für die Menschheit und erleben dadurch existenzielle Ängste. Psychotherapeutisch Klimaresilienz zu fördern bedeutet, Menschen dabei zu unterstützen, mit diesen Gefühlen angemessen umzugehen sowie aus der Vermeidung heraus und ins Handeln zu kommen.

Die Klimakrise ist schon lange in unserem Alltag angekommen. Sie ist medial omnipräsent, und auch wir hier in Deutschland spüren inzwischen ganz reale Auswirkungen wie Hitzesommer, Flutkatastrophen und ausgedörrte Flussläufe. Was früher weit entfernt und für uns nicht relevant erschien, nimmt jährlich immer gewaltigere Formen an. Gleichzeitig, und das erscheint paradox, leben wir unseren oft klimaschädlichen Alltag weiter und verdrängen die Konsequenzen unseres Verhaltens.

In einem kürzlichen Gespräch mit Freundinnen kamen wir auf die Klimakrise zu sprechen. Wir teilten unsere starken Ängste und Sorgen und waren emotional deutlich aktiviert. Dann jedoch fuhr auf der Straße ein Oldtimer an uns vorbei und auf einmal waren Autos das Thema. Nicht etwa die verheerenden Folgen der Nutzung fossiler Brennstoffe im Individualverkehr, sondern die Ästhetik von bestimmten Automodellen und wer welches Auto schon immer mal ausprobieren wollte. Dabei wurde ein Gefühl von Entspannung und Leichtigkeit in Anbetracht des Themenwechsels deutlich spürbar – eine Erleichterung durch das emotional unbelastete neue Thema.

Ähnliche Szenen können wir oft beobachten: Sei es, dass Nachrichtensprecherinnen vom katastrophalen IPCC-Report (Pörtner et al., 2022) nahtlos in den lächelnd vorgetragenen Wetterbericht über sonnige Frühlingstemperaturen übergehen, oder dass in privaten Konversationen abrupt von der Klimakrise zu schönen Flugreisen und damit verbundenen lustigen Urlaubsanekdoten gewechselt wird. Eine Vermeidung der Thematik ist bei der aktuellen Omnipräsenz nur sehr schwer möglich, aber dennoch passiert paradoxerweise extrem wenig. Unser Verhalten und eben auch das Verhalten politischer Entscheidungsträgerinnen wird dadurch nicht nachhaltig beeinflusst. Wir bleiben in unseren alten klimaschädlichen Verhaltensmustern wie erstarrt. Es gibt offensichtlich psychologische Mechanismen, die eine intensivere Auseinandersetzung und somit das Fühlen der damit verbundenen aversiven Gefühle verhindern.

Zu einem gewissen Maß sind diese durchaus kurzfristig gesund: Sie erlauben uns, in Anbetracht der uns erwartenden Katastrophe, nicht in tiefe Verzweiflung zu stürzen. Immerhin kann die Angst in ihrer überwältigenden Intensität auch handlungsunfähig machen. Gleichzeitig verhindern die Abwehrmechanismen aber auch adäquates Handeln.

Dabei lässt die wissenschaftliche Forschung zum Thema Erderwärmung wenig Spielraum für Spekulationen: Mehr als 99 % der aktuellen Studien zeigen einen menschenverursachten Klimawandel (Lynas et al., 2021; Powell, 2017). Schon 1972 veröffentlichte der Club of Rome Die Grenzen des Wachstums und machte darin auf die begrenzten Ressourcen unseres Planeten aufmerksam. Auch der Mineralölkonzern Exxon, heute ExxonMobil, untersuchte schon 1982 den Treibhauseffekt. Die für die Studie engagierten Wissenschaftler:innen prognostizierten einen Anstieg des CO2-Gehalts der Atmosphäre und der Temperatur, der ungefähr den aktuellen Daten entspricht, und empfahlen gleichzeitig, diese Informationen nur intern weiterzugeben und nicht voreilig große Veränderungen in Energiegewinnung und -verbrauch vorzunehmen (Glaser, 1982). Im Verlauf der Jahre betonten die Führungskräfte des Konzerns, dass die Vorhersagen zu unsicher seien, um daraus relevante Entscheidungen abzuleiten und der Konzern engagierte sich zunehmend gegen klimaschützende Maßnahmen. Man kann vermuten, dass finanzielle Motive, genauer die Vermeidung von Einbußen in den Umsätzen durch die erwarteten negativen Konsequenzen, ausschlaggebend dabei gewesen sind.

Die Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln zieht sich durch die Thematik. Obwohl die relevanten Fakten seit den achtziger Jahren weitestgehend bekannt sind, hat sich die Lage in den letzten Jahrzehnten nicht verbessert. Im Gegenteil; sie hat sich deutlich verschlechtert. Die erste Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen über Klimaänderungen fand 1992 statt, das Kyoto-Protokoll der Vereinten Nationen wurde 1997 beschlossen, um den Klimaschutz völkerrechtlich verbindlich auszugestalten. Trotz dessen steigt der Ausstoß von Emissionen weiterhin an.

Relevante Studien zeigen recht einheitlich, dass der bisher erfolgte Temperaturanstieg um 1,1 °C auf die von Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen zurückzuführen ist (Wuebbles et al., 2017). Dementsprechend ist ein zügiges Senken der Emissionen dringend erforderlich, um eine weitere Erhöhung der Temperatur um mehr als die anvisierten 1,5 °C zu verhindern. Der bisherige Verlauf der Reaktionen lässt uns nicht optimistisch in die Zukunft schauen. Der US-Klimabeauftragte John Kerry spricht von einer erwarteten Erderwärmung von insgesamt 2,5 °C bis 3,5 °C. Die Spannbreite des geschätzten Temperaturanstiegs bis Ende des Jahrhunderts geht aber bei anderen Schätzungen bis zu 5 °C hoch, je nachdem wie konsequent wir jetzt den Klimaschutz verfolgen. Mit den aktuellen Plänen der Länder (Intended Nationally Determined Contributions) sind 2 °C nicht mehr zu erreichen (Rogelj et al., 2016). Auch der jährliche IPCC-Bericht warnt immer wieder vor den gravierenden Folgen, vor allem für vulnerable Menschen und gefährdete Ökosysteme, wenn nicht bis 2030 die Treibhausgasemissionen zumindest halbiert werden (Pörtner et al., 2022).

Der Global Risk Report 2021 des World Economic Forums schätzt umweltbezogene Risiken wie Verlust an Biodiversität, Extremwetterereignisse, menschengemachte Umweltschäden und »climate action failure« als wahrscheinlichste und zum Teil weitestreichende Risiken der nächsten Jahre ein. Das Versagen der Menschen in Anbetracht der Klimakrise hat neben Pandemien die stärkste Kombination von Wahrscheinlichkeit und Einfluss.

Spratt und Dunlop (2019) kreieren ein mögliches, und wie sie betonen, wenn auch nicht unabwendbares, so doch nicht unwahrscheinliches Szenario für 2050. Sie beschreiben die »Hothouse Earth«: der Meeresspiegel ist bereits um 0,5 Meter angestiegen und wird bis 2100 um zwei bis drei Meter ansteigen. 35 % der Erdoberfläche und 55 % der Weltbevölkerung sind mehr als 20 Tage im Jahr tödlicher Hitze ausgesetzt, die menschliches Überleben unmöglich macht. Ganze Ökosysteme wie das Great Barrier Reef und der Regenwald im Amazonas kollabieren. Großflächige Wüsten bilden sich vor allem in der Äquatorialregion, was wiederum drastische Einbußen in der Ernte von Grundnahrungsmitteln wie Weizen, Mais, Reis und Soja nach sich zieht. Die Folgen sind Nahrungsmittel- und Trinkwasserknappheit, die die ganze Welt betreffen. Eine Milliarde Menschen sind aufgrund der unbewohnbaren Gebiete und des steigenden Meeresspiegels auf der Flucht. Begrenzte Ressourcen und die Flüchtlingsbewegungen machen bewaffnete Kriege sehr wahrscheinlich. Gesellschaftsordnungen weltweit sind überwältigt von den Veränderungen und kollabieren, was globales Chaos nach sich zieht. Zusammengefasst lässt sich festhalten: Eine Erderwärmung um 4 °C wäre schlichtweg katastrophal für uns als Menschheit, ein Weiterleben wie bisher mit großer Wahrscheinlichkeit unmöglich. Die Vorhersagen reichen vom Sterben von bis zu 3 Milliarden Menschen bis zum Aussterben der gesamten menschlichen Art.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber bei mir löst ein solches Schreckensszenario sofort Beklemmung und Panik aus. Wenn ich mich mit den Fakten konfrontiere, bekomme ich Angst vor der Zukunft. Und damit bin ich nicht die Einzige: Eine groß angelegte weltweite Studie befragte 10.000 junge Menschen in zehn verschiedenen Ländern zur Klimaangst (Hickman et al., 2021). Beinah 60 % gaben an, sehr oder extrem besorgt angesichts der Klimakrise zu sein. Sie seien unter anderem ängstlich, verärgert, hilflos und traurig. Die Zukunft fühle sich bedrohlich an, die Menschheit sei dem Untergang geweiht und Regierungen täten nicht genug dagegen. Dies sind einige der Antworten, die über 50 % als zutreffende Gedanken ankreuzten. Diese Ängste zeigen sich unter anderem in drastisch formulierten Plakaten auf weltweiten Demonstrationen gegen die Klimakrise: »You will die of old age, I will die of climate change.«

Trotz aller Krisen der letzten Jahre, inklusive einer weltweiten Pandemie, dem Ukraine-Krieg und der globalen Inflation, schätzen die meisten Menschen die Klimakrise immer noch als die stärkste Bedrohung ein...

Erscheint lt. Verlag 10.1.2024
Zusatzinfo 10 Abb.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Emotionsbewältigung • Klimawandel • Psychotherapie
ISBN-10 3-17-043243-5 / 3170432435
ISBN-13 978-3-17-043243-7 / 9783170432437
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