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Die Nazis nannten sie »Asoziale« und »Berufsverbrecher« (eBook)

Geschichten der Verfolgung vor und nach 1945

Frank Nonnenmacher (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
372 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45664-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Nazis nannten sie »Asoziale« und »Berufsverbrecher« -
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Viele Menschen wissen heute von den jüdischen und politischen Opfern des Nationalsozialismus, eventuell auch von der NS-Verfolgung der Homosexuellen sowie der Sinti und Roma. Weithin unbekannt ist aber die sozialrassistische Verfolgung derer, die die Nationalsozialisten für genetisch verdorbene und deshalb »auszumerzende« Menschen, für »Asoziale« und »Berufsverbrecher« hielten und sie deshalb als Häftlinge mit dem grünen oder schwarzen Winkel, einem Stoffdreieck auf der linken Brustseite der gestreiften Häftlingskleidung, in die Konzentrationslager sperrten. Dieses Buch beschreibt nicht nur eindringlich die historischen und politischen Hintergründe sowie die Verfolgung dieser Menschen im Nationalsozialismus, sondern stellt auch dar, warum sie in der Bundesrepublik Deutschland jahrzehntelang von jeder moralischen und rechtlichen Anerkennung ausgeschlossen wurden - bis der Deutsche Bundestag sie 2020 mit 70jähriger Verspätung als Verfolgte des Nationalsozialismus anerkannte. In bewegenden Darstellungen von mehr als zwanzig Nachkommen, die die Geschichte ihres jeweiligen Vorfahren erzählen, werden erstmals in der erinnerungskulturellen Publikationsgeschichte die Biografien einzelner Verfolgter vorgestellt - es zeigt sich, wie das Trauma der verleugneten Opfer bis heute in den Familien wirkt.

Frank Nonnenmacher ist emeritierter Professor für Didaktik der politischen Bildung an der Universität Frankfurt am Main. Er ist Nachkomme eines KZ-Häftlings mit dem grünen Winkel und 1. Vorsitzender des 2023 gegründeten Vereins »vevon - Verband für das Erinnern an die verleugneten Opfer des Nationalsozialismus«.

Frank Nonnenmacher ist emeritierter Professor für Didaktik der politischen Bildung an der Universität Frankfurt am Main. Er ist Nachkomme eines KZ-Häftlings mit dem grünen Winkel und 1. Vorsitzender des 2023 gegründeten Vereins »vevon - Verband für das Erinnern an die verleugneten Opfer des Nationalsozialismus«.

Geleitwort


Bärbel Bas

Am 13. Februar 2020 beschloss der Deutsche Bundestag: »Niemand wurde zu Recht in einem Konzentrationslager inhaftiert, gequält oder ermordet.«1 So unfassbar es klingt: Dieser Satz war nicht selbstverständlich. Zum Teil sogar bis heute hat sich die Vorstellung gehalten, dass manche Häftlinge zu Recht im Konzentrationslager waren. Besonders hartnäckig haftete dieser Verdacht an all den Menschen, die von den Nationalsozialisten als vermeintliche »Berufsverbrecher« und vermeintliche »Asoziale« stigmatisiert und deportiert wurden. In den Konzentrationslagern mussten sie den grünen beziehungsweise schwarzen Winkel tragen.

Mit dem Beschluss des Antrages »Anerkennung der von den Nationalsozialisten als ›Asoziale‹ und ›Berufsverbrecher‹ Verfolgten« hat der Deutsche Bundestag am 13. Februar 2020 klargestellt: Auch diese Menschen waren Opfer des nationalsozialistischen Unrechts. Ausnahmslos. Sie verdienen einen angemessenen Platz in unserer Erinnerungskultur. Dieses Buch trägt dazu bei, ihnen diesen Platz zu geben. Angehörige stellen die Verfolgungsschicksale ihrer verstorbenen Vorfahren vor und berichten vom Umgang damit in ihren Familien.

Ich danke Frank Nonnenmacher für die Initiative zu diesem wichtigen Projekt. Ebenso danke ich allen, die Texte zu diesem Buch beigetragen haben. Für ihre aufwändigen Recherchen. Und vor allem für ihren Mut, über dieses noch immer tabuisierte Thema zu schreiben. Sie haben damit unserer Erinnerungskultur einen bedeutenden Dienst erwiesen.

Die Beiträge machen deutlich, dass die Häftlinge mit dem grünen und schwarzen Winkel wenig gemein hatten – außer dass die Nationalsozialisten ihnen ein gemeinsames Stigma anhefteten. Die Texte handeln von sehr unterschiedlichen Lebensgeschichten: von angeblichen »Arbeitsscheuen« und von Kleinkriminellen, die Kohlen gestohlen oder Urkunden gefälscht haben. Sie enthalten Berichte von Menschen in großer Armut, zum Beispiel von kinderreichen Familien, die sich durchgeschlagen hatten – bis die Eltern deportiert und die Kinder in Heime eingewiesen wurden. Die Beträge erzählen auch von Mädchen, die früh schwanger wurden, und von Frauen, die sich nicht in das enge Korsett der bürgerlichen Sexualmoral zwängen ließen.

So verschieden diese Menschen waren: Für sie gab es keinen Platz in der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft«. Sie wichen ab. Aus Sicht der Nationalsozialisten genügte das für die Deportation. Sie wurden ohne jedes rechtsstaatliche Verfahren verfolgt – aufgrund von Vorstrafen, Denunziationen oder einfach aus Verdacht. Der perfide Euphemismus der Behörden lautete dafür »Vorbeugungshaft«. In vielen Fällen bedeutete sie ein Todesurteil.

Die Verfolgung von Menschen aus sozialen Gründen überschnitt sich mitunter mit der Verfolgung anderer Opfergruppen: der Sinti und Roma oder der sexuellen Minderheiten. In der Gedenkstunde des Deutschen Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2023 wurde zum Beispiel das Schicksal der Jüdin Mary Pünjer vorgestellt, die unter dem Vorwand der »Asozialität« in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert wurde. Tatsächlich war sie als Homosexuelle ins Visier der Behörden geraten. 1942 wurde sie in der Gas-Tötungsanstalt Bernburg ermordet. Dieses Schicksal teilte sie mit vielen der als angebliche »Asoziale« Verfolgten.

Mir ist es wichtig, dass unsere Erinnerungskultur auch die lange vernachlässigten Opfergruppen in den Blick nimmt. Unsere Gesellschaft ist es allen Opfern des Nationalsozialismus schuldig, ihr Leid anzuerkennen und ihre Geschichten zu hören. Insbesondere die Häftlinge mit dem grünen und schwarzen Winkel wurden als Opfergruppe bewusst verleugnet – weil weite Teile der Nachkriegsgesellschaft die Verfolgung im Grunde für gerechtfertigt hielten. Die Ideologie der Nationalsozialisten wirkte noch nach.

Die Betroffenen schwiegen über ihre Verfolgung – aus Scham und aus Furcht vor erneuter Diskriminierung. Anders als andere Häftlingsgruppen hinterließen sie kaum Erinnerungsliteratur. Auch in den Familien war ihre Zeit im Konzentrationslager oft ein Tabu, über Generationen hinweg.

Die Anerkennung der aus sozialen Gründen Verfolgten als Opfer des Nationalsozialismus kommt spät – aber nicht zu spät. Auch die nachfolgenden Generationen leiden oft unter der verdrängten Verfolgungsgeschichte ihrer Eltern, Großeltern und Verwandten. Ihnen stärkt der Bundestagsbeschluss aus dem Jahr 2020 den Rücken: »Niemand wurde zu Recht in einem Konzentrationslager inhaftiert, gequält oder ermordet.«

In diesem Buch lassen Nachfahren erkennen, wie viel ihnen die Rehabilitierung ihrer Familienmitglieder bedeutet. Sie wollen das Schweigen brechen. Endlich! Sie führen damit vor, was unsere Erinnerungskultur lebendig hält: Menschen, die die Geschichte nicht auf sich beruhen lassen, die nachforschen und auch das Familiengedächtnis kritisch hinterfragen – und bereit sind, dafür auch Konflikte in ihrem persönlichen Umfeld zu riskieren.

Die Beiträge sparen die amivalenten Seiten der Opfer nicht aus. Über einen Häftling im Konzentrationslager erfahren wir, dass die Ausweglosigkeit seiner Lage ihn in die Zusammenarbeit mit den eigenen Verfolgern trieb. Ein Opfer war er dennoch. Häftlinge gegeneinander auszuspielen – das war Teil des perfiden Lagersystems. Die zersetzende Wirkung dieser Strategie überdauerte das Ende der Lager. Nach ihrer Befreiung sahen sich die Häftlinge mit dem grünen und schwarzen Winkel dem Verdacht ausgesetzt, die SS hätte besonders sie als »Kapos« geworben. Die Forschung hält dagegen: Diese Gruppe war nicht privilegiert, sondern oftmals einer besonders brutalen Behandlung ausgesetzt. Dieses Buch wird helfen, solche Vorurteile abzubauen.

Die hier vorgestellten Schicksale zeigen, warum sich Deutschland auch mehr als 75 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus seiner Vergangenheit stellen muss. Noch immer gibt es Lücken in der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen; Unrecht, das nicht anerkannt wurde; Opfer, deren Geschichten bis heute beschwiegen werden. Untersuchungen weisen darauf hin, dass ein großer Teil der Bevölkerung viele Opfergruppen des nationalsozialistischen Terrors nicht kennt. Es muss uns zu denken geben, dass »asozial« nach wie vor ein verbreitetes Schimpfwort ist.

Es ist weiterhin viel Aufklärungsarbeit nötig, gerade was die Häftlinge mit dem grünen und schwarzen Winkel betrifft. Dazu wird auch die Wanderausstellung beitragen, die der Deutsche Bundestag beschlossen hat und die die Stiftung »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« gemeinsam mit der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg konzipiert. Ihre Eröffnung im Laufe des Jahres 2024 wird ein wichtiger Schritt hin zu mehr gesellschaftlichem Bewusstsein sein.

Darüber hinaus hat sich auf Initiative von Frank Nonnenmacher ein »Verband für das Erinnern an die Verleugneten Opfer des Nationalsozialismus« gegründet, der viele Nachkommen der Verfolgten zusammenbringt. Die fehlende Anerkennung hatte es über Jahrzehnte verhindert, dass sich die Verfolgten organisieren. Ich bin dankbar, dass endlich auch diese Opfergruppe eine Stimme hat.

Dieses Buch schärft das Bewusstsein für die Mechanismen gesellschaftlicher Ausgrenzung. Auch darum ist es mit Blick auf unsere Gegenwart ebenfalls relevant. Die Beiträge laden zu einem Gedankenexperiment ein: Wie würden wir heute über einige der vorgestellten Menschen urteilen? Nehmen wir ihre Geschichten zum Anlass, unsere eigenen Vorurteile zu hinterfragen! Wir müssen uns immer wieder die fundamentale Lehre aus den Verbrechen des Nationalsozialismus vergegenwärtigen: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Jeder Mensch hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit.

Unser Land ist liberal und tolerant geworden. Unsere Demokratie ist gefestigt, aber sie ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist gefährlich zu glauben, wir hätten ein für alle Mal aus der Geschichte gelernt. Was Soziologen »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« nennen, kennen wir bis heute. Umfragen zeigen: Auch in der Mitte unserer Gesellschaft gibt es die Bereitschaft, Minderheiten abzuwerten und Mitmenschen einzuteilen in die, die dazugehören – und die, die außenvor bleiben. Weil sie anders aussehen, anders denken oder anders leben.

...

Erscheint lt. Verlag 6.3.2024
Co-Autor Bärbel Bas, Marie-Luise Conen, Ines Eichmüller, Daniel Engel, Siegrid Fahrecker, Eva Fischer, Irmi Fuchs, André Glöckner, Daniel Haberlah, Alfons Ims, Nicole Kaczmarek, Mascha Krink, Joachim Kowollik, Liane Lieske, Ellen Lortzing, Frank Nonnenmacher, Anke Schulte, Carola Sendel, Barbara Stellbrink-Kesy, Christopher Strunz, Holger Tilicki, Petra Wilfert
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte 1918 bis 1945
Schlagworte Alltagsgeschichte • Biografien • Bundesentschädigungsgesetz • Bundesrepublik Deutschland • Deutscher Bundestag • Erinnerungskultur • Familien • Geschichte • grüner Winkel • Häftlingshierarchien im KZ • Kategorien von KZ-Häftlingen • Konzentrationslager • Nachfahren • Nationalsozialismus • Oral History • schwarzer Winkel • Verfolgung • vergessene KZ-Häftlinge • verleugnete Opfer des Nationalsozialismus • Zeitgeschichte • Zeitzeugen
ISBN-10 3-593-45664-8 / 3593456648
ISBN-13 978-3-593-45664-5 / 9783593456645
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