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In der Tiefe der Wüste (eBook)

Perspektiven für Gottes Volk heute
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
128 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-83263-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

In der Tiefe der Wüste -  Michael Gerber
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Anstößig-steinig und zum großen Teil selbstverschuldet: Nachdem die Kundschafter des Neuen nicht gehört wurden, ist das Gottesvolk viele Jahrzehnte in der Wüste unterwegs. Was die Bibel beschreibt, kennzeichnet in gewisser Weise auch den Zustand der Kirche. Damals wie heute gibt es jedoch die Erfahrung: Gott kann gerade durch Wüstenwege sein Volk formen und neu ausrichten. Diese Neuausrichtung zielt sowohl auf strukturelle Elemente als auch auf eine erneuerte Kultur und eine dafür notwendige Haltung der einzelnen Akteure. Die Notwendigkeit von Strukturreformen voraussetzend ist der Autor mit unterschiedlichen Menschen und Verantwortungsträgern der Frage nachgegangen: Wo zeigen sich - gerade im 'Sand und Staub' und in manchem 'Schutt der Jahrzehnte' - kleine Pflänzchen, die auf eine künftige Kultur verweisen? Wie kann das Evangelium die gemeinsame Suche und Ausrichtung auf den Auftrag des Herrn für seine Kirche im Jetzt durchdringen und wie führt es zugleich Menschen in eine innere Freiheit? Der Autor stellt Prinzipien vor, die im Bistum Fulda die Basis für zukünftige Entscheidungen bilden werden und weit über Fulda hinaus anregend und hilfreich sind. Persönliche Praxisreflexionen von Bischof Gerber regen dazu an, eigenen Erfahrungen auf die Spur zu kommen und sich auf Wüstenwegen nicht entmutigen zu lassen.

Michael Gerber, geb. 1970 in Oberkirch, Dr. theol., Priesterweihe 1997, lange Jahre tätig in der Priesterausbildung und in der Hochschulpastoral, 2013-2019 Weihbischof im Erzbistum Freiburg, seit 2019 Bischof von Fulda, seit 2023 stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.

Michael Gerber, geb. 1970 in Oberkirch, Dr. theol., Priesterweihe 1997, lange Jahre tätig in der Priesterausbildung und in der Hochschulpastoral, 2013-2019 Weihbischof im Erzbistum Freiburg, seit 2019 Bischof von Fulda, seit 2023 stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.

Prolog: Ein Halleluja in dunklen Zeiten

Zitternd nehme ich das Mobiltelefon in die Hand und wähle die Nummer meiner Schwester. »Papas Gesundheitszustand hat sich rapide verschlechtert!« – Das war ihre Botschaft am Vorabend. Gut zwei Jahre ist es her, dass bei unserem Vater eine Krebserkrankung ausgebrochen ist. Eine Zeit voller Herausforderungen mit vielen Höhen und Tiefen liegt hinter uns. Nachdem meine Schwester mir am Vorabend die Lage geschildert hat, haben wir für den Sonntagmorgen nach der heiligen Messe einen erneuten Kontakt vereinbart.

Nach nur wenigen Klingelzeichen nimmt meine Schwester den Hörer ab. Unvermittelt schildert sie mir die Situation: »Du kommst gerade zum Sterben von Papa dazu. Einen Moment – ich gebe ihn Dir noch mal.« Was dann folgt, ist eines der wohl eindrucksvollsten Telefonate meines Lebens. Am anderen Ende der Leitung höre ich die Stimme meines Vaters – schwächer werdend, aber noch deutlich vernehmbar. Bei dem wenigen, was er mir noch sagen kann, kommt kein Zweifel auf, dass es meinem Vater sehr bewusst ist, in welcher Situation er sich befindet und dass er in diesem Moment Abschied von seinem Sohn nimmt. »Jetzt ist es vollbracht – Halleluja«, beschließt er unser Telefonat. Trotz aller Schwäche klingt das »Halleluja« fast freudig, in jedem Fall aber kraftvoll und zuversichtlich. Keine 40 Minuten später klingelt erneut das Telefon: »Papa ist jetzt gerade gestorben.«

Wir vereinbaren, dass ich mich sogleich auf den Weg in die Heimat mache. Während ich meine Sachen packe, klingt in mir bei allem Schmerz jenes letzte Halleluja meines Vaters sehr intensiv nach. Mein Eindruck: In diesem Halleluja im Angesicht des Todes kam das große Gottvertrauen zum Klingen, das meinen Vater sein Leben lang geprägt hatte. Sein Lebensweg kannte insbesondere in den letzten Jahrzehnten manch steinige Passage. Mitte der 80er Jahre war unsere Mutter schwer an Rheuma erkrankt. Es folgten unzählige Operationen, Klinikaufenthalte und insbesondere eine ständige Anspannung, welcher Entzündungsschub als nächstes anstehen würde. Wir Kinder haben unsere Eltern sehr bewundert, wie sie diese Herausforderungen annehmen konnten. Dabei hatten wir den Eindruck, sie selbst und damit auch ihre Beziehung waren in dieser Zeit der Bewährung weiter gereift. Schließlich war mein Vater nach dem frühen Tod unserer Mutter mehr als 20 Jahre Witwer. In dieser Lebensphase habe ich nie erlebt, dass er mit seinem Schicksal haderte. So dankbar, wie er auf die gemeinsame Zeit mit unserer Mutter zurückschaute, so entschlossen ging er die neue Lebensphase an. Er brachte sich so gut es ging in unterschiedliche Projekte ein und gestaltete seinen Lebensalltag.

Gut eine Stunde nach Erhalt der Todesnachricht lenke ich mein vollbepacktes Auto auf die Autobahn. Die ersten 100 Kilometer nach Süden bis Hanau führen durch das Bistum Fulda. Auch an diesem Sonntag mache ich die kleine Übung, die ich gerne praktiziere, wenn ich mit dem Auto oder mit der Bahn durch das Bistum fahre. Dabei vergegenwärtige ich mir, durch welche Pfarrei ich gerade fahre, und versuche, mich in einem kurzen Stoßgebet mit den Menschen dort zu verbinden. Jetzt, um diese Uhrzeit, werden in etlichen Pfarrkirchen gerade die Sonntagsgottesdienste gefeiert. Unwillkürlich geht mir durch den Kopf: »Heute weißt du sogar, was die Pfarrer predigen – nämlich dein eigenes bischöfliches Hirtenwort.« Traditionell wird im Bistum Fulda – wie in vielen Bistümern – am Ersten Fastensonntag ein Predigttext verlesen, den der Bischof verfasst hat.

Impulsgeber für mein Hirtenwort ist in jenem Jahr das Jubiläum der Michaelskirche. Die bedeutende Rundkirche unweit des Fuldaer Doms wurde im Jahr 822 eingeweiht. Dieses älteste Kirchengebäude des Bistums Fulda ist für mich zu einem Sinnbild für unsere Kirche geworden. Es wurde in den vergangenen 1200 Jahren mehrfach zerstört. Der Wiederaufbau geschah zwar so, dass der ursprüngliche Plan erkennbar blieb. Jedoch handelte es sich in der Regel nie um eine exakte Rekonstruktion. Immer wieder wurden zeitgenössische Elemente mit aufgenommen. Doch bei allen Erschütterungen ist ein bestimmter Teil der Kirche tatsächlich seit 1200 Jahren unverändert geblieben: Die Krypta mit ihrer eindrucksvoll archaisch wirkenden Säule unterhalb der Rotunde hat alle Zerstörungen unbeschadet überstanden. Sie ist weiter das Fundament für die Kirche geblieben.

Bei meiner Fahrt nach Süden schießt mir durch den Kopf: »Diese Krypta erzählt auch etwas von deinem Vater.« Erschütterungen hat mein Vater viele erlebt, angefangen von der Kindheit und Jugend im Zweiten Weltkrieg. Aber – und das haben gerade die letzten Wochen seines Lebens sehr eindrücklich gezeigt – in seinem Leben, auf dem Grund seiner Seele, muss es so einen Ort wie jene Krypta in der Michaelskirche gegeben haben. Die Art und Weise, wie er gerade in Krisenmomenten reagiert hat, zeigte deutlich: Da gibt es ein festes Fundament, das trägt und Orientierung gibt angesichts zahlreicher Erschütterungen.

Auf der Fahrt kommt mir jene Situation in den Sinn, die mir meine Schwester kurz zuvor geschildert hat. Gut drei Wochen vor dem Tod war der Moment gekommen, dass der behandelnde Arzt meinem Vater eröffnete, dass nun wohl eine sehr späte und womöglich letzte Phase der Krankheit angebrochen sei. Mein Vater hat darauf mit einer ungewöhnlichen Gelassenheit reagiert. Er, der sehr gerne gelebt hat, der sich auch bei fortschreitender Krankheit und damit verbundenen Einschränkungen an vielen kleinen Dingen des Lebens erfreuen konnte, er reagierte auf diese Nachricht mit einer bewussten Annahme dessen, was ihm bevorstand, und zugleich voller Zuversicht. Diese Haltung zeigte sich auch in den folgenden Wochen– bis hin zu seinem Halleluja am Telefon.

Auf der gut dreistündigen Fahrt zu meinem toten Vater fügen sich in mir mehrere Erfahrungslinien und Gedankengänge zusammen. Ich komme zu der Überzeugung, in meiner Biografie auf etwas gestoßen zu sein, was zum integralen Auftrag der Kirche gehört. Mein Leben ist geprägt von Menschen, angefangen bei meinen Eltern, die manch existenzielle Erschütterung erlebt haben und die zugleich erleben durften: Da gibt es – bildlich ausgedrückt – eine Krypta, ein Fundament, einen Raum des Heiligen. Dieser Raum trägt gerade auch in Situationen, die mit Grenzerfahrungen verbunden sind. Diese Erschütterungen hinterlassen deutliche Spuren. So waren meine Eltern im Laufe der Jahre mehr und mehr von ihrer jeweiligen Krankheit gezeichnet. Und doch – was da geworden ist, war zugleich Ergebnis eines neuen Prozesses des Wachsens und des Reifens. Darin zeigt sich verborgen die Bedeutung einer solchen »Krypta«.

Schauen wir auf die ersten Jahre der Kirche. Die Apostelgeschichte zeichnet uns wesentliche Linien. Wir stoßen auf Menschen, in denen sich eine solche »Krypta« geformt hat: Maria, die Mutter Jesu, Maria von Magdala, Petrus, Paulus, Stephanus und viele andere. Sie werden vor große Herausforderungen gestellt. Und doch – sie wachsen an diesen Herausforderungen, werden mehr und mehr sie selbst. Sie werden mehr und mehr diejenigen, die das Evangelium verkünden und es vor allem mit der Art und Weise bezeugen, wie sie leben.

In der Schilderung der Mutter Jesu zeigt sich das für mich besonders deutlich. Die »Ankündigung der Geburt Jesu« (vgl. Lk 1,26–38) enthält aus meiner Sicht wesentliche Elemente einer solchen Krypta-Erfahrung. Es geht um ein existenzielles, lebensprägendes Ereignis. Maria soll Mutter werden, ohne ganz zu begreifen, wie das in diesem Falle zu verstehen ist. Zugleich ist sie in diesem Vorgang als nachdenkende und kritisch nachfragende Person ernst genommen. Schließlich geht es um ihre freie Zustimmung. Eine Krypta-Erfahrung ist eben nicht eine »einfach nur schöne« Erfahrung, sondern kann sehr wohl mit existenziellen Herausforderungen verbunden sein. In jedem Fall ist sie aber eine Erfahrung, als Subjekt ernst genommen zu sein. Sie ist zugleich eine Erfahrung der Fülle, des Beschenktwerdens, wie es in dem Wort des Engels zum Ausdruck kommt, Maria habe bei Gott Gnade gefunden.

An diese Krypta-Erfahrung kann Maria später in weiteren existenziell herausfordernden Situationen anknüpfen. Die Geburt Jesu und später die Suche des Zwölfjährigen im Tempel werden von Maria nicht nur einfach »irgendwie durchgestanden«. In beiden Fällen heißt es, Maria habe das, was sie erlebt und vor allem, was sie gehört hat, in ihrem Herzen erwogen. Es zeigt sich hier die Fähigkeit, ein herausforderndes Erlebnis schließlich zu einem wertvollen und prägenden Erfahrungsschatz werden zu lassen.

Auch wenn der historische Kern der Kindheitsgeschichten Jesu immer wieder wissenschaftlich angefragt wird, so zeigt sich meines Erachtens in den Schilderungen der Evangelien ein Charakterzug, den die Christinnen und Christen der ersten Jahrzehnte zu Lebzeiten Marias bei ihr wahrgenommen haben. Bei der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1–11) wird dies sehr deutlich. Im Raum ist eine große Spannung. Der Wein ist ausgegangen. Maria selbst erlebt in der unvermittelten Reaktion Jesu auf ihren Hinweis eine weitere und sehr persönliche Spannung. »Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.« (Joh 2,4) Doch...

Erscheint lt. Verlag 12.2.2024
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Bistum Fulda • Christliche Lebensführung • Christsein • Ermutigung • Glaube • Pastoral
ISBN-10 3-451-83263-1 / 3451832631
ISBN-13 978-3-451-83263-5 / 9783451832635
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