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Wirbeltanz im Wartesaal der Ewigkeit (eBook)

Im Dialog mit Rumi und der Sufi-Mystik
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
240 Seiten
Echter Verlag
978-3-429-06629-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wirbeltanz im Wartesaal der Ewigkeit -  Michael Gmelch
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Der Sufi-Mystiker Rumi ist einer der bedeutendsten persischen Dichter. In diesem Jahr erinnern sich seine Anhänger weltweit an seinen 750. Todestag. Bekannt geworden ist er insbesondere durch seine sinnlich-erotische Liebeslyrik und die wirbeln-den Derwische. Die Faszination für ihn ist bis heute ungebrochen. Seine eingängigen Verse sprechen das Elementare des Menschlichen an: die Fragen nach dem Sinn des Daseins und die Erfüllung von tiefen Sehnsüchten. Viele spirituell Suchende finden heutzutage bei ihm Antworten, die sie ermutigen und weiterführen. Michael Gmelch hat Sufi-Mystiker in verschiedenen Ländern besucht. Dabei fragt er: Welchen Beitrag können sie im Sinne eines interreligiösen Dialogs nicht nur für die Kir-chen, sondern auch für spirituell Interessierte leisten, die Gotteserfahrungen woanders suchen?

Dr. theol. Michael Gmelch, Jahrgang 1959, Priester und Buchautor. Tätigkeiten als Seelsorger in Pfarreien, Kliniken, Hochschule und als Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Auslandsgemeinde in Indien. Militärdekan an der Mari-neschule in Flensburg und an der Universität der Bundeswehr in München. Psychologi-scher Berater und Heilpraktiker für Psychotherapie und Psychotraumatologie.

Dr. theol. Michael Gmelch, Jahrgang 1959, Priester und Buchautor. Tätigkeiten als Seelsorger in Pfarreien, Kliniken, Hochschule und als Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Auslandsgemeinde in Indien. Militärdekan an der Mari-neschule in Flensburg und an der Universität der Bundeswehr in München. Psychologi-scher Berater und Heilpraktiker für Psychotherapie und Psychotraumatologie.

Vor der Begegnung mit dem Sufismus: Theologie an einem „Anders-Ort“


Bevor wir uns dem Kosmos von Rumi, des Sufismus und der tanzenden Derwische zuwenden, ist eine Reflexionsschleife hinsichtlich des damit verbundenen theologischen wie tatsächlichen Ortswechsels einzulegen. Diese Überlegungen sind deshalb notwendig, um nicht naiv, unvorbereitet und unbedacht ins Fremde, ins „Neuland“ hineinzustolpern. Ein Symbol für eine solche bedarfsfreie Haltung sind die bei Touristen beliebten „Hop-on-hop-off-Busse“ in vielen Städten dieser Welt. Sie sind ein typisches Phänomen für die Nicht-Begegnung mit dem Anderen an fremden Orten. Im bequemen Vorbeifahren schießt man ein paar Fotos, die irgendwann einmal als Erinnerungsstütze herhalten müssen, damit man später noch weiß, dass man überhaupt dort gewesen ist. Weil man sich nicht die Mühe macht, sich intensiver darauf einzulassen und damit auseinanderzusetzen, bleibt das Andere bestenfalls ein ästhetisches oder exotisches Objekt in der privaten Sammlung. Man begibt sich der Chance, dass das Fremde eine Dynamik entfaltet, die einem etwas sagen, möglicherweise verändern und innerlich weiterbringen kann. Die hier dargelegten Gedanken verstehe ich als Vorzeichen vor der Klammer, mit der ich die folgenden Kapitel eröffne und sie am Ende des Buches schließe.

Warum es theologisch nicht reicht, nur im Eigenen zu bleiben


In einer nachchristentümlichen Zeit, in der aktive Christinnen und Christen längst eine gesellschaftliche Minderheit darstellen, lautet eine entscheidende Frage: Wie hältst du’s theologisch mit der kirchlichen Außengrenze, dem Außen der anderen Religionen und Weltanschauungen? Stellt sie für dich eher eine dogmatische Schmerzgrenze dar, eine No-go-Area, ein Tabu, ein möglicherweise zwar interessantes, aber letztendlich entbehrliches Betätigungsfeld oder eine Reizschwelle für ein neues interspirituelles Lernen? Schließlich gibt es doch noch ganz andere Orte, an denen Gott zur Sprache gebracht wird, als in unseren Kirchen! Gleichzeitig ist es ja nicht so, dass die Anderen uns so sehr bräuchten, sondern vielmehr wir die anderen. Der andere wird nach der paradigmatischen Wende des letzten Konzils zu einem konstitutiven Element der Theologie. Er fehlt im eigenen System und macht damit einen Mangel deutlich. Aufgabe der Theologie ist es, sich auf den Weg zu diesem anderen zu machen. Und zwar um des Christseins und ihrer selbst willen, und nicht etwa, um ihn als Betreuungsobjekt kirchlicher Praxis erreichen zu wollen. Die anderen mit ihren kulturellen Traditionen, mit ihren Religionen und auch mit ihren Gotteserfahrungen können dabei helfen, den eigenen Glauben zu klären, zu vertiefen und zu stärken. Jürgen Habermas spricht von „beißenden“ Fragen im Sinne einer „bewusst machenden und rettenden Kritik“. Die Bereitschaft, sich selbst zum anderen hin zu transzendieren, gehört jedenfalls zu den Fähigkeiten einer genuinen Mystik, denn wir alle empfangen uns selbst entscheidend von anderen und vom Anderen her.

„Anders-Orte“


In diesem Zusammenhang hat sich der Begriff des „Anders-Orts“ unter anderem im fundamtentaltheologischen1 und pastoraltheologischen Diskurs eingebürgert.2 Mit „Anders-Orten“3 („Heterotopien“) beschreibt der französische Philosoph Michel Foucault (1926–1984) Orte, die es als soziale, gesellschaftliche, religiöse oder kulturelle Tatsachen inmitten der Realitäten des Gewohnten gibt und an denen zugleich eine andere Ordnung der Dinge herrscht. „Anders-Orte“ sind gleichsam „Gegenplatzierungen“ zu unseren Alltags-Orten. Sie haben vor allem eines gemeinsam: Sie sind für uns emotions-basiert und verunmöglichen deshalb ein abstraktes Räsonnement. Da gibt es nicht einfach nur „Geburt“ und „Tod“, sondern den Kreißsaal mit den Presswehen einer Gebärenden und das Bett im Hospiz, in dem ein Mensch seine letzten Atemzüge macht. Da gibt es nicht „Neuropathie“ und „Strafvollzug“, sondern Patienten und Patientinnen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses und den zu lebenslänglicher Haft verurteilten Mörder in seiner Zelle. Da gibt es nicht „Allah“ und „den Islam“, sondern konkrete gläubige Menschen beim Beten in einer Moschee und Sufi-Derwische, die sich im Rundtanz drehen. Weil kein Ort und keine Gelegenheit Gott fremd sind, ist auch dort die Möglichkeit der Erfahrung von Transzendenz gegeben. Dies gilt um so mehr, wenn es sich um religiöse „Anders-Orte“ handelt: wo Menschen mit elementaren und existentiellen Fragen konfrontiert werden und den Sinn und das Glück ihres Lebens finden. Sie bieten Metaphern, Riten und Praktiken, die für die Lebensbewältigung grundlegend sind.

Einseitige ekklesiale Codierungen des Glaubens überschreiten


Eine Theologie, die sich am „Anders-Ort“ weiterentwickelt, braucht das Fremde und das unbekannte Gegenüber, um etwas Neues über ihre eigene sich je und je neu konstituierende Identität zu erfahren. Das Fremde begegnet uns u. a. in einer anderen Kultur, Mentalität oder Religion. Oder auch an unserer „Peripherie“ (Papst Franziskus). Einzig die persönliche Begegnung gibt der Faszination oder auch der Ungewissheit, die das Fremde in uns auslösen können, einen Ort. Sie macht jedoch auch neugierig auf jene Anteile, die das Fremde für uns als Gegenüber in unserer Ergänzungsbedürftigkeit bereithält. Es gilt, die Wirklichkeit Gottes aus mehr als einer Perspektive zu betrachten und ihn am „locus alienus theologicus“4 tatsächlich als „den ganz anderen“ zu entdecken. Das setzt voraus, dass man den Wandel einer einseitigen ekklesialen Codierung des Glaubens zu einer Vielzahl von Orten – eben auch in anderen Religionen – anerkennt.

Explorative Theologie auf unbekanntem Terrain


Viele haben nicht selten das Gefühl, dass sie die Präsenz Gottes im herkömmlichen kirchlichen Routinebetrieb vermissen. Die Rede von ihm ist zunehmend bedroht und in Gefahr, zu einer leeren Hülse zu verkommen. Dies mag uns einen Anlass dazu geben, die Gottes-Suche über die etablierten Orte und Räume hinaus auszuweiten. Wer eine Theologie am „Anders-Ort“ betreiben will, muss sich im Sinne einer explorativen Recherche ins wirkliche Leben von andern trauen. Das kann mühsam sein und herausfordernd! Denn wer aus der angestammten Ekklesiosphäre hinaustritt, wagt sich auf unbekanntes Terrain. Und zwar dorthin, wo im „Horizont des Unbekannten“ (Karl Rahner) zwar Gott, aber nicht die Kirche ist. Er muss sich auf die religiösen Sprachspiele (z. B. in Poesie und Mystik) der anderen einlassen. Aufzugeben ist dabei eine epistemisch-klerikalistische Einstellung, ein „olympischer Metastandpunkt“ (Jürgen Habermas) sowie eine hegemonial-theologische Milieuabschottung (im Sinne von: „Wir sind ja im Besitz der vollen Wahrheit und brauchen deshalb die anderen nicht“) zugunsten von religionssensiblen pluriformen Redeversuchen von Gott. Die Zukunft der Theologie wird sich daran entscheiden, ob sie eine kontextsensible, offene und selbstkritische Reflexion betreibt, die den Diskus prinzipiell nach außen hin offen hält. Erkenntnistheoretisch bedeutet dies eine Selbstverpflichtung auf jene theologiekonstitutiven Anders-Orte, ohne die die Rede von Gott nicht nur ärmer, sondern auch gar nicht sie selbst wäre.5

Spirituelle Herausforderung: Fremde Orte Gottes im Heute


Wer sich „Anders-Orten“ in theologischer Neugier aussetzen will, braucht dafür eine spirituelle Kraft. Denn im Außen von anderen begegnen wir Gott nur, wenn wir ihn im eigenen Innern glauben. Dies ist die soziologische Implikation des Augustinischen Satzes: „Deus interior intimo meo“ (Gott ist mir innerlicher als ich mir selbst). Wer auf ihn treffen will, muss sich also auch zu jenen Menschen hinbegeben, die anders an Gott glauben. Sie sind im Sinne der „Zeichen der Zeit“ des Zweiten Vatikanischen Konzils „Orte Gottes im Heute“. Wer sich auf sie einlässt, dem kann möglicherweise die überraschende Erfahrung Jakobs zuteil werden, der nach einem Traum irgendwo in der Wüste aufwachte, den Stein, auf dem er schlief salbte und sagte: „Wirklich, der Herr ist an diesem Ort, und ich wusste es nicht. (…) Wie ehrfurchtgebietend ist doch dieser Ort! Er ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels.“ (Gen 28,16f).

Der „dritte Raum“: Jenseits von richtig oder falsch


In diesem Sinn möchte ich die „Anders-Orte“ des Sufismus verstehen, die ich in verschiedenen Ländern besucht habe und die ich im Folgenden beschreibe. Sie bildeten für mich eine weitere, mir bislang unbekannte Dimension theologischer Wirklichkeit. Wichtig geworden ist mir dabei eine Haltung, die ich theologisch als ein „Aus-sich-Heraustreten“ benenne. Diese Bewegung jenseits der Selbstbestätigung einer sich exklusiv wähnenden Kirche hat weitreichende Folgen. Es...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2023
Verlagsort Würzburg
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Islam
Schlagworte Derwisch • Kirche • Mystik • Rumi • Spiritualität
ISBN-10 3-429-06629-8 / 3429066298
ISBN-13 978-3-429-06629-1 / 9783429066291
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