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Selbstunterstützung für Psychotherapeuten (eBook)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
119 Seiten
Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG
978-3-8444-2565-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Selbstunterstützung für Psychotherapeuten -  Bettina Lohmann
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Psychotherapeuten sind in ihrem Beruf vielfältig gefordert. Sie sind es gewohnt, Patienten in schwierigen Situationen zu unterstützen. Sie müssen neben der fachlichen auch über eine sehr gute interaktionelle Kompetenz verfügen, um den verschiedenen Menschen gerecht zu werden, die zu ihnen in die Behandlung kommen. Der intensive Kontakt zu Patienten, der den Beruf einerseits reizvoll macht, birgt aber andererseits auch Belastungen. Mit Schicksalen umzugehen, auf die Patienten einzugehen und sich selbst gleichzeitig zu schützen, bedarf verschiedener Reflexionen und Techniken, die in diesem Buch vorgestellt werden. Das Buch beschreibt typische Situationen aus dem Therapiealltag, die für Psychotherapeuten herausfordernd sein können, z.B. der Umgang mit starken Emotionen in therapeutischen Sitzungen oder die mangelnde Abgrenzung danach, die Abwertung durch einen Patienten, der Patient hat sich in seine Therapeutin verliebt oder der Tod eines Patienten. Abhängig von der Person und der Berufsroutine werden solche Situationen unterschiedlich erlebt. Auch welche Selbstfürsorgemaßnahmen in der jeweiligen Situation angemessen sind, wird verschieden bewertet. Das Buch stellt für schwierige Situationen eine Auswahl an Möglichkeiten dar, die Therapeuten anwenden können, um sich selbst in ihrer Tätigkeit zu unterstützen. Hierbei geht es nicht nur um die Reduktion von Stress oder Arbeitsbelastung ganz allgemein, sondern um hilfreiche Einstellungen und unterschiedliche Strategien, die es Psychotherapeuten ermöglichen, in speziell beanspruchenden Situationen gelassener zu reagieren.

|17|2 Emotionale Überflutung in der Therapiestunde


Beispiel: „Ich war wie gelähmt.“

Frauke W. (43) sitzt in einer Therapiestunde mit einer traumatisierten Patientin. Die Patientin kam ursprünglich wegen einer Panikstörung, es zeigt sich aber rasch, dass sie schwer traumatisiert ist. Aufgewachsen in einem sehr reichen Elternhaus mit einem einflussreichen Vater wird sie jahrelang von dessen Freunden und Geschäftspartner sexuell missbraucht. Es gibt sogar einen besonderen Raum, die sogenannte Bar, in dem die Übergriffe stattfinden. Die Mutter wehrt sich genauso wenig gegen den einflussreichen Vater wie das Personal, das im Haus tätig ist, Geschwister gibt es nicht. Die Patientin starrt auf den Boden und schildert detailliert die verschiedenen Praktiken, die manchmal mehrere Männer an ihr ausgeübt haben. Frauke W. spürt ihr Entsetzen, während die Patientin äußerlich ruhig und mit monotoner Stimme von den Geschehnissen berichtet. Die Therapeutin kann nun sehr gut nachvollziehen, dass die Patientin mit elf Jahren ihren ersten Suizidversuch unternommen hat. Sie sieht das kleine, hilflose Mädchen vor sich, das den meist alkoholisierten Männern vollkommen ausgeliefert ist und keine Chance sieht, den Qualen zu entgehen. Ihr drängt sich die Frage auf, warum dem Kind niemand geholfen hat. Deshalb fragt sie, was die Patientin glaube, wie viel ihre Mutter von den regelmäßigen Vergewaltigungen mitbekommen habe. Die Patientin sagt: „Meine Mutter? Die hat die Männer ja immer zu mir geführt und ihnen meistens noch viel Spaß gewünscht.“ Als sie diese Worte hört, fühlt sich Frauke W. wie betäubt. Sie hat den Eindruck, dass sie wie gelähmt ist und nicht mehr therapeutisch reagieren kann. Gefangen in den Bildern, die sie sich von den Ereignissen macht, spürt sie keinen Zugriff mehr auf ihre professionellen Kompetenzen. Sie empfindet leichte Panik, da sie gern besonders gut auf die Patientin eingehen möchte, sich aber außerstande sieht, einen klaren Gedanken zu fassen. Außerdem bemerkt sie, dass sie so mit sich selbst beschäftigt ist, dass sie die letzten Sätze der Patientin gar nicht mehr gehört hat, was sie noch mehr verunsichert. Als sie später einer Kollegin von der Situation erzählt, sagt sie: „Ich war wie gelähmt.“

|18|Auch wenn Psychotherapeuten es gelernt haben, mit Trauer, Unglück und Tragik professionell umzugehen, gibt es immer wieder Situationen in Therapiesitzungen, in denen sie emotional überflutet werden. Die unerwartete Konfrontation mit Schicksalsschlägen, die Unfassbarkeit von Leid oder der unerwartete Kontakt zu eigenen Verletzlichkeiten bringen sie aus der Fassung. Es kann sein, dass ein Therapeut zu weinen oder zu zittern beginnt oder mit Starre auf die Überflutung reagiert. Das Einnehmen der professionellen Rolle gelingt nicht mehr verlässlich, was zusätzlich verunsichert. Das Auftreten der starken Emotionen wird als unprofessionell bewertet, sodass ein kognitiver Abwertungsprozess einsetzt, der zusätzlich belastet. Die Aufmerksamkeit liegt bei den eigenen Gedanken und Gefühlen, was nicht den Ansprüchen an einen guten Therapeuten entspricht. Es ist nicht einfach, aus dieser Abwärtsspirale innerhalb einer Therapiesitzung wieder herauszukommen.

Hilfreiche Einstellungen

  • Um langfristig professionell arbeiten zu können, ist es notwendig, menschlich berührbar zu bleiben. Die Alternative wäre eine vollkommene emotionale Abschottung, die mit einem Verlust von Offenheit einhergehen würde. Das könnte es Patienten erschweren, Vertrauen zu fassen und sich selbst zu öffnen.

  • Auch in einer Therapiestunde dürfen sich Psychotherapeuten eine normale Reaktion auf eine außergewöhnliche Situation zugestehen. Entsetzen, Abscheu und tiefe Betroffenheit sind vielleicht manchmal die einzige angemessene Reaktion, wenn Psychotherapeuten in die Abgründe des menschlichen Daseins schauen müssen.

Hilfreiche Strategien


Die eigene Reaktion radikal akzeptieren

Ist ein Therapeut emotional überflutet, ist es sinnvoll, diese Reaktion radikal zu akzeptieren. Es ist wenig hilfreich, die in diesem Zustand sowieso eingeschränkten kognitiven Kapazitäten dazu zu nutzen, sich selbst negativ zu bewerten, indem man sich vorwirft, dass das nicht hätte passieren dürften oder welche Auswirkungen das auf die weitere Therapie haben wird. Günstig sind Bewertungen, die die Situation akzeptieren: „Die Situation ist jetzt wirklich sehr schwierig und es gilt, jetzt wieder handlungsfähig zu werden.“

|19|Sich selbst zuerst helfen

Wenn man bemerkt, dass man stark überflutet wird, ist es das erste Gebot, sich um sich selbst zu kümmern. Erst danach ist es wieder möglich, hilfreich auf den Patienten einzugehen. Eine einprägsame Analogie ist die Sicherheitsansage in Flugzeugen: „Im unwahrscheinlichen Fall eines plötzlichen Druckverlustes in der Kabine fallen automatisch Atemmasken aus der Deckenöffnung. Ziehen Sie bitte die Maske schnell zu sich heran und setzen Sie die Maske fest auf Mund und Nase, atmen Sie normal weiter. Erst dann helfen Sie Kindern und hilfebedürftigen Menschen.“ Das Wichtigste bei einer emotionalen Überflutung ist es, wieder einen Zugriff auf die eigenen kognitiven Prozesse zu erlangen. Ist dieser Zugang wieder gegeben, kann die Situation professionell analysiert werden und die Handlungsfähigkeit erhöht sich.

Beenden der Erstarrung durch Bewegung

Falls sich die Überflutung in einer körperlichen Erstarrung ausdrückt, ist es wichtig, wieder in Bewegung zu kommen. Möglichkeiten sind: die Beine andersherum übereinanderschlagen, mit einem Fuß kreisen, die Armhaltung verändern, einen Stift vom Tisch aufnehmen oder ihn ablegen, ein paar Mal am Ohrläppchen reiben. Falls das nicht reicht, um aus der Erstarrung zu kommen, ist es auch eine Möglichkeit, kurz aufzustehen, sich ein neues Blatt Papier zu holen, das Fenster zu öffnen oder sich oder dem Gegenüber ein Glas Wasser zu holen.

Das Offensichtliche kommentieren

Falls ein Therapeut sichtbar zittert oder ihm Tränen die Wangen herunterlaufen, hat es keinen Sinn, das Offensichtliche vor dem Gegenüber verbergen zu wollen. Oft hilft es dem Therapeuten, den eigenen Zustand kurz zu benennen, um sich von ihm distanzieren zu können: „Sie sehen, das, was Sie berichten, nimmt mich auch sehr mit. Ich muss erst mal einen Schluck Wasser trinken, bevor wir weitermachen.“ Im Anschluss ist es wichtig, wieder aktiv die Führung des Gesprächs zu übernehmen und eine auf den Patienten bezogene Frage zu stellen. Geschieht das nicht, kann der Patient den Eindruck gewinnen, sich um seinen Therapeuten kümmern zu müssen.

Sich über eine Imagination distanzieren

Wenn man das Gefühl hat, von den eigenen Emotionen überflutet zu werden, kann es hilfreich sein, sich durch eine kurze Imagination von den Gefühlen zu distanzieren. Oft entsteht der Eindruck, dass man mitgerissen wird oder in einen emotionalen Strudel gerät, weshalb sich das folgende Bild gut eignet, um wieder eine professionelle Distanz zu bekommen:

|20|Imaginationsübung

Ich sitze am Ufer und schaue auf einen wilden Fluss. Es gibt Äste, Blätter und Treibgut, das wild durcheinanderwirbelt. Ich sitze am sicheren Ufer und schaue auf diese Dinge. Der Fluss ist aufgewühlt, es gibt Strudel. Ich sitze am Ufer und spüre unter mir den festen Boden. Ich bin außerhalb des Flusses. Ich atme ruhig und regelmäßig und beobachte das Geschehen.

Sich mit den Augen in der Gegenwart orientieren

Emotionale Überflutung ist mit Bildern und Gedanken verbunden, die sich in der Regel auf die Vergangenheit oder Zukunft beziehen („Das ist ja so schrecklich wie bei der Patientin, die ich damals in der Klinik hatte“, oder „Wie soll sie damit weiterleben? Sie ist doch geschädigt fürs Leben!“). Manchmal bleiben Therapeuten auch in einer Gedankenschleife hängen wie etwa: „Was soll ich jetzt bloß machen, was soll ich jetzt bloß machen …?“ Um sich schnell wieder in der...

Erscheint lt. Verlag 10.7.2017
Verlagsort Göttingen
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte Emotionale Überflutung • Psychotherapeut • Psychotherapie • Selbstfürsorge • Selbstmitgefühl • Selbstüberlastung • Selbstunterstützung • Soziale Ermüdung • Stressreduktion • Umgang mit Belastung
ISBN-10 3-8444-2565-9 / 3844425659
ISBN-13 978-3-8444-2565-9 / 9783844425659
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