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Depression abzugeben (eBook)

Erfahrungen aus der Klapse

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 2. Auflage
432 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7325-3096-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Depression abzugeben -  Uwe Hauck
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Seelische Erkrankungen verschleppt man oft und das kann schiefgehen. Uwe Hauck möchte über das Tabuthema Depressionen aufklären, den Betroffenen die Angst vor Psychiatrien nehmen und einen Einblick in das geben, was einem in der Klapse erwartet.

Offen, schonungslos und unterhaltsam lässt er uns an seinem Therapieverlauf teilnehmen und spart nicht mit Anekdoten über Beschäftigungsmaßnahmen, wie Korbflechten, Maltherapien oder Ausdruckstänzen. Denn die Klapse ist nichts anderes als ein Krankenhaus für gebrochene Seelen, und eigentlich sind in der Klapse eher normale Menschen, die mit dem Wahnsinn da draußen nicht mehr fertig werden, so der Autor.



Uwe Hauck arbeitet als Softwareentwickler für einen IT-Dienstleister. Er betreibt ein Blog unter dem Titel "Living the Future" und hat zwei Bücher zur Zukunft unserer Gesellschaft veröffentlicht. Er engagiert sich in der Förderung des Verständnisses für psychische Krankheiten, insbesondere Depressionen. Über seine Tweets aus der Klapse berichteten verschiedene Medien von Vice bis Deutschlandradio.

SCHOTTEN DICHT


@bicyclist Wer von euch ohne Knall ist, werfe die erste Zwangsjacke.

Das Klinikum liegt etwas außerhalb der Stadt in einem schönen parkähnlichen Gelände. Verteilt auf das ganze Areal befinden sich verschiedene Gebäude, darunter auch die Stationen für die offene Therapie. Offene Therapie bedeutet hier, dass die Patienten regelmäßig zu ihren einzelnen Therapiestunden gehen. Dazwischen kann man sich auf dem Gelände der Klinik frei bewegen.

Bevor man auf eine offene Station kommt, landet die Mehrheit derer, die in die Klinik gebracht werden, aber auf der T5, der geschlossenen Station. Auch mir ergeht es so. T5 bezeichnet eigentlich nur die Station. Aber wer einmal auf der T5 war, verbindet damit deutlich mehr.

Am Lieferanteneingang – so nenne ich den Bereich, an dem die Krankenwagen halten, um Patienten zu bringen oder abzuholen – werde ich auf der Trage liegend aus dem Krankentransporter in einen dieser typisch deutschen Funktionsbauten gerollt. Grau, kalt, aber gut zu putzen. Das Ganze sieht auf jeden Fall sehr nach Klinik aus.

Station T5 befindet sich in einem der Flügel des Gebäudekomplexes, die sich über mehrere Etagen erstrecken. Das Erste, was mir auffällt, ist die große Tür, die sich nicht direkt öffnen lässt. Einer der Pfleger aus dem Krankentransporter muss zunächst eine Klingel betätigen, worauf ihm von innen durch einen Stationspfleger geöffnet wird. Das gleiche Prinzip funktioniert auch umgekehrt: Will jemand die Station verlassen, sei es Arzt, Pfleger, Patient oder Besucher, so muss dieser sich erst einmal im Stationszimmer melden, damit von dort aus die Tür geöffnet wird. Niemand, der vor der Tür steht, kann sie öffnen, egal von welcher Seite. Ist die Tür auf, gibt sie einen lauten Piepton von sich, zunächst in größeren Abständen. Je länger sie offen steht, desto schneller und eindringlicher piept es.

Zum ersten Mal habe ich das Gefühl des Weggesperrtwerdens. Der Gedanke, mich nicht mehr frei bewegen zu dürfen, ist einfach beklemmend.

Erste Zwischenstation meiner Aufnahme in die T5 ist der »Empfang« – eine Theke mit Glasfront, vielen Infomaterialien und immer einem Ansprechpartner, falls es Fragen oder Probleme gibt. Kommuniziert wird durch ein kleines Fenster, wie früher in der Post. Offenbar herrscht hier das Bedürfnis nach einer Barriere zwischen Patient und Personal. Außerdem kann so der Pfleger etwaige Dialoge durch das Schließen des Fensters beenden.

Während einer der Fahrer mich von der Trage befreit, regelt der zweite die Formalitäten. Dann verabschieden sich die beiden von mir. »Viel Erfolg«, wünscht mir der eine, »Keine Dummheiten mehr!«, fügt der andere nochmals hinzu.

»Sie sind also der Herr Hauck.« Ein Pfleger nimmt mich unter seine Fittiche. »Kommen Sie erst mal zu mir mit Ihrem ganzen Gepäck, wir müssen uns das genauer ansehen.« Er bedeutet mir, ihm in den Empfangsraum zu folgen, wo ich meine Taschen auf den Boden stellen soll, damit sie von ihm durchsucht werden können.

Da auf der T5 auch akut suizidgefährdete Patienten untergebracht sind – und dazu zähle ich zu diesem Zeitpunkt –, wird alles, was hier mit einem Patienten oder Gast ankommt, genau kontrolliert.

Weder das USB-Ladegerät (»Das können Sie sich hier auf Anfrage abholen«) noch den Nagelknipser darf ich behalten. Alles, womit man sich verletzen könnte, wird einem abgenommen. »Wir wollen nicht, dass Sie sich hier doch noch was antun«, erklärt der Pfleger.

Okay, das Argument ist nicht von der Hand zu weisen. »Aber sich mit einem Nagelknipser umbringen ist doch wohl ziemlich schwierig.« Jetzt will ich wissen, wie das gehen soll.

»Nein, es geht ja nicht nur um Suizid, wir haben hier auch einige Ritzer.«

»Ritzer?«, frage ich, weil ich mir darunter noch nichts vorstellen kann.

»Ja, es gibt Krankheitsbilder, bei denen sich der Patient an den Armen oder Beinen ritzt, bis Blut kommt. Das gibt ihm ein Gefühl der Kontrolle.«

Das wird mir jetzt doch zu viel. Ich frage lieber nicht weiter, aber es erklärt zumindest das rabiate Aussortieren.

Danach folgt ein Termin beim Oberarzt Dr. Karst, der mich gemeinsam mit dem später für mich zuständigen Stationsarzt der Geschlossenen, Dr. Libor, ausfragt. Die beiden wirken wie Schüler und Lehrer. Dr. Karsts Gesicht ist streng, die Augenbrauen stehen in einem »Na, was haben Sie denn verbrochen«-Winkel, und die Mundwinkel hängen nach unten. In der Tasche seines Arztkittels sind mehrere Stifte sauber aufgereiht. Dr. Libor, der versetzt hinter ihm sitzt, hat eine fast demütige Haltung, er streift sich regelmäßig mit den Händen durch die lockigen braunen Haare, beobachtet, was Dr. Karst tut, und macht sich Notizen.

»So, Herr Hauck, sagen Sie mir Ihren Namen und Ihr Geburtsdatum«, begrüßt Dr. Karst mich. Aha, denke ich, man will also wissen, ob ich klar bin im Kopf.

»Uwe Hauck, 19.11.1967«, antworte ich wahrheitsgemäß. Prüfung bestanden. Ja, ich bin’s wirklich.

»Wie fühlen Sie sich jetzt?« Er blickt mich prüfend an.

»Gut soweit, erstaunlich gut. Nur fassungslos über das, was ich da getan habe …«

»Das klären wir später«, unterbricht Dr. Karst mich. »Viel wichtiger ist, ob Sie akut Selbstmordgedanken haben?«

»Nein, gar keine«, sage ich. Was für eine Lüge. Aber ich kann mir ganz gut vorstellen, was hier passieren wird, wenn ich die Frage bejahe. Wenn ich zugebe, dass ich mich insgeheim frage, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn mein Suizidversuch geklappt hätte. Eigentlich bin ich noch kräftig auf der Fehlersuche, warum alles so schiefgegangen ist. Wenn man einmal den Tod als Ausweg gesehen hat, wird dieser Pfad einen nie mehr ganz verlassen. Nur die Schlösser für das Tor werden dicker.

Ich warte auf die Fortsetzung des Verhörs. Wie, das war es schon? Na, und wo bleiben jetzt die restlichen Fragen über mich? Was haben Sie für Hobbys? Was sind Ihre hervorstechendsten Begabungen? – Meine Hobbys sind: Drin bleiben, dunkel machen, Decke übern Kopf. Begabungen? Miserabel drauf sein, supergelaunt aussehen.

»Die Medikation besteht ab jetzt aus Tavor und Venlafaxin. Aber in einer anderen Dosierung und dreimal täglich. Die Tavor bekommen Sie, damit Sie sich etwas beruhigen, Sie scheinen mir noch recht aufgewühlt.« Oberarzt und Stationsarzt nicken, als wollten sie mir bestätigen, dass alles seine Richtigkeit hat.

Soll mir recht sein, denke ich. Hauptsache, meine Depression lässt mich ein wenig in Ruhe.

Nach dieser kurzen Aufnahme werde ich in mein Zimmer gebracht. Ein Raum mit drei Krankenhausbetten, meines ist das hintere an der Außenwand. Das Zimmer teile ich mir mit zwei weiteren Insassen, einem offenbar starken Raucher und einem älteren Mann, der so gut wie gar nichts sagt und augenscheinlich Probleme mit der Balance hat. Er geht nicht normal, sondern hangelt sich in kurzen Schritten an Wänden und Möbeln entlang, weshalb er in Gedanken bei mir bald »der Trippler« heißt. Da er nicht wirklich ansprechbar ist, schenke ich mir weitere Nachforschungen, was er genau hat, zumal mir auch mein zweiter Zimmergenosse dazu nichts sagen kann, außer dass er »eine ziemlich schräge Type« sei. Überhaupt erscheint es nicht sinnvoll, sich von allen Mitpatienten die Namen zu merken, das erkenne ich bald. Auf der Geschlossenen ist die Fluktuation einfach zu groß.

Der erwähnte zweite Zimmergenosse ist deutlich gesprächiger, stellt sich als Matthias vor und erklärt, er sei wegen Depressionen in der Klinik.

»Du wirst merken«, grinst er, »das ist hier eine der häufigsten Diagnosen.« Seine braunen Augen funkeln und beobachten mich, als warteten sie auf eine Reaktion.

»Na, dann bin ich hier ja genau richtig«, antworte ich trocken.

Die T5 ist so etwas wie die Auffangstation für akute Fälle. Nicht jeder kann gleich auf eine offene Station verlegt werden, weshalb die T5 auch als Warteschleife für die offenen Stationen dient. Und in genau so einer Warteschleife bin ich jetzt gefangen. »Bitte bleiben Sie am Apparat, der nächste Therapeut wird sich bald um Sie kümmern.«

Mein Zimmer wirkt wie ein klassisches Krankenhauszimmer, inklusive passender Betten auf Rollen. Die Wände sind in diesem Farbton gehalten, wie man ihn aus Krankenhäusern überall kennt.

Neben Bett und Nachttisch steht mir ein Teil eines Schrankes zu, in den ich meine Sachen stopfe. Zudem haben wir eine der luxuriöseren Varianten eines Krankenzimmers, denn bei uns gibt es eine eigene Toilette und ein Waschbecken. Andere Zimmer teilen sich eine Waschgelegenheit und eine Dusche. Da mein Bett hinten im Zimmer steht, kann ich durch das große Fenster nach draußen auf die Weinberge sehen. Das ist das einzige Highlight, ansonsten sieht das Unterhaltungsprogramm spärlich aus. Es beschränkt sich auf das, was der Aufenthaltsraum zu bieten hat; im Zimmer selbst gibt es weder Fernseher noch Telefon.

Also beschließe ich, mir die Station genauer anzusehen. Das Erste, was mir auffällt, ist die Form. Die gesamte Station ist in der Form eines Rechtecks angelegt. In der Mitte befindet sich ein Innenhof, der zum einen von den Rauchern genutzt wird, zum anderen die einzige Möglichkeit für die länger hier betreuten Patienten darstellt, sich an der frischen Luft die Beine zu vertreten. Ein paar Pflanzen versuchen zaghaft, dem Ganzen einen sympathischeren Eindruck zu verleihen. Um diesen Innenhof herum sind die Zimmer der Patienten angeordnet, außerdem ein Aufenthalts- und Fernsehraum, der Speisesaal und natürlich die sanitären Einrichtungen. An den Enden der Flure befinden sich kleine Sitzgruppen, die mit...

Erscheint lt. Verlag 13.1.2017
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geisteswissenschaften Psychologie Angst / Depression / Zwang
Medizin / Pharmazie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte aktuell • Aktuelles Zeitgeschehen • Altenpflege • Angst • angstzustände • Anthroposophie • Argumente • #ausderklapse • ausderklapse • aussichtslos • Autobiographien • Belletristik • besiegen • bewältigen • bezwingen • Biografie • blonde Haare • Bundeskanzler • Culture Clash • Debatte • Depression • Depressionen • depressiv • Diskussion • entmutigt • Ereignisse • Erfahrung • Erfahrungsbericht • Erlebnisse • ertragen • Eskalation • Esoterik • Familie • fertig werden • frische Luft • Gegenwart • Genesen • geschehen • Geschichte • Gesellschaft • gewachsen sein • Glück • Hamburger Modell • Hoffnungslos • Humor • IT • Klan • Klapse • Kontroverse • Krankheit • Leben • Lebenshilfe • Lebenswert • Licht • Liebe • lösen • Medikamente • Memoiren • Mensch • Mitte Vierzig • müde • Muffe • Nordic Walking • Not • Panik • Panikattacke • Panikattacken • Patientenverfügung • Pflegefall • Politik • Politik und Gesellschaft • Politikwissenschaft • politisch • Problem • Programmierer • pro und contra • Psyche • Psychiater • Psychiatrie • Psychiatrische Klinik • Psychologie • Psychotherapeut • Psychotherapie • Resignation • Sachbücher • Satire • Schwarze Gedanken • Schwarzer Humor • Seelische Erkrankung • Softwareentwickler • Sonnenschein • Stärke • Tabuthema • Tagesklinik • Tatsachenbericht • Teufelskreis • Therapie • Twitter • überwinden • Wahre GEschichte • Wirtschaft • Zeitgeschehen
ISBN-10 3-7325-3096-5 / 3732530965
ISBN-13 978-3-7325-3096-0 / 9783732530960
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