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Tod in der Wüste (eBook)

Der Völkermord an den Armeniern

(Autor)

eBook Download: PDF | EPUB
2015 | 1. Auflage
288 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-67452-5 (ISBN)

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Tod in der Wüste -  Rolf Hosfeld
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Aghet - Katastrophe - so nennen die Armenier jene grauenvollen Ereignisse, die im Frühjahr 1915 begannen. Sie sind als der erste Genozid des 20. Jahrhunderts in die Geschichte eingegangen. Rolf Hosfeld, Deutschlands bester Kenner der Ereignisse, schildert eindringlich und historisch genau den Völkermord an den Armeniern, erläutert die Hintergründe und klärt auf über ein Thema, das immer noch zu den Tabus der Geschichtsschreibung gehört. Unter den Augen der Weltöffentlichkeit werden im Frühjahr und Sommer 1915 - mitten im Ersten Weltkrieg - die osmanischen Armenier von der Regierung in einer Weise selektiert und zusammengetrieben, die unübersehbar 'den Zweck verfolgt, die armenische Rasse im türkischen Reiche zu vernichten'. So kabelt es der deutsche Botschafter in Konstantinopel im Juli 1915 nach Berlin. Zwischen 300.000 und 1,5 Millionen Menschen (die Schätzungen schwanken) sterben, viele von ihnen, Männer, Frauen und Kinder, weil man sie in die Wüste deportiert und dort verdursten lässt. Rolf Hosfeld hat den Opfern dieses Völkermords, der von der Türkei bis heute bestritten wird, mit seinem Buch ein erschütterndes Denkmal gesetzt.

Rolf Hosfeld ist Kulturhistoriker und wissenschaftlicher Leiter des Lepsiushauses in Potsdam. Sein Buch Operation Nemesis (2005) über die Türkei, Deutschland und den Völkermord an den Armeniern ist stark beachtet worden.

Rolf Hosfeld ist Kulturhistoriker und wissenschaftlicher Leiter des Lepsiushauses in Potsdam. Sein Buch Operation Nemesis (2005) über die Türkei, Deutschland und den Völkermord an den Armeniern ist stark beachtet worden.

2.
Krise und Gewalt


Am 29. Dezember 1894 bekam die Kirche der Gemeinde Hawarden im Nordosten von Wales von einer armenischen Delegation aus London und Paris einen silbernen Kelch geschenkt. Anlass dafür gab ein Besuch der Delegation auf Hawarden Castle, dem Landsitz des ehemaligen britischen Premierministers Gladstone. Er feierte an diesem Tag seinen 85. Geburtstag, und hatte Anfang Juli verkündet, nicht mehr für das Parlament zu kandidieren. Doch das bedeutete keinen vollständigen Rückzug aus der Politik. Seit Anfang November meldete die britische Presse beunruhigende Nachrichten über Massaker an Armeniern im Osten Anatoliens, die eine Welle öffentlicher Sympathien für die Opfer hervorriefen. Besonders der Spectator und die Contemporary Review beschuldigten die Regierung, diese Nachrichten bewusst zu unterdrücken.[1] Am 6. August 1895 hielt Gladstone in der Town Hall von Chester eine seiner letzten großen Reden, und es ging dabei um die jüngsten Ereignisse in den armenischen Provinzen des Osmanischen Reichs.

Bei Massakern im Gebiet von Sassun in der Provinz Bitlis waren zwischen dem 12. August und dem 10. September 1894 Tausende von Armeniern jeden Alters und Geschlechts umgebracht worden. Der französische Botschafter sprach von 7000, britische Quellen von 10.000 bis 20.000 Toten. Die Hohe Pforte in Istanbul leugnete die Vorkommnisse auch noch, als der britische Botschafter Philip Currie am 2. November ein Memorandum vorlegte, das die Vorkommnisse auf der Basis von Berichten des Vizekonsuls in Van, C. M. Hallward, eindeutig dokumentierte. Der Großwesir wies das Memorandum als unglaubwürdig zurück. Sultan Abdul Hamid II. zog sogar eine Parallele zu den Ereignissen in Bulgarien 1876, als William Gladstone nach Massakern mit etwa 15.000 Opfern durch irreguläre Bashi-Bazouks in Batak und verschiedenen anderen Orten öffentlich von Bulgarian Horrors sprach.

Der Palast in Istanbul reagierte, wie 1894, mit einem Leugnungsdiskurs. Damals wie heute, so der Sultan, wurden erfundene Gräuelgeschichten verbreitet, um in Europa Sympathien für die jeweiligen Rebellen zu erzeugen. Am 24. November 1894 kündigte die Pforte die Einsetzung einer Untersuchungskommission an, um die «grausamen Aktionen armenischer Briganten» im Sassun zu untersuchen. Die britische Regierung bestand daraufhin unter Verweis auf den Artikel 61 des Berliner Vertrags vom 13. Juli 1878, in dem sich das Osmanische Reich zu Reformen in seinen armenischen Provinzen verpflichtet hatte, auf einer unabhängigen Paralleluntersuchung. Ihre Ergebnisse, beruhend auf den Berichten von fast zweihundert Augenzeugen, lagen am 16. Juli 1895 vor. Demnach hatte im Sassun ein großflächiges Massaker an der armenischen Bevölkerung stattgefunden. Auch Armeeeinheiten waren beteiligt. Der Bericht ging außerdem davon aus, dass weitere Massaker zu befürchten wären, wenn die Großmächte nicht intervenierten. Das war jedoch zu dieser Zeit wegen der wachsenden gegensätzlichen Interessenlagen kaum vorstellbar. Aus diesem Grund, so der alte Gladstone, musste vorrangig die europäische Öffentlichkeit mobilisiert werden.[2] Das war der Hintergrund seines Auftritts in der Town Hall von Chester.

Gladstone, so der Spectator vom 10. August, sprach dort mit der ihm eigenen Leidenschaft und Eloquenz, gleichwohl moderat und staatsmännisch davon, man müsse nach den vorliegenden Erkenntnissen eigentlich darüber nachdenken, die türkische Regierung ihres Amtes zu entheben, nicht wegen ihrer islamischen Grundlagen, sondern weil sie «vermutlich die schlechteste Regierung auf der ganzen Erde» sei. «Die Leugnung der türkischen Regierung in Bezug auf diese Verbrechen», paraphrasierte der Spectator die Rede, «muss die öffentliche Meinung nicht irritieren. Sie tat dasselbe 1878. Nach den bulgarischen Ausschreitungen, die im Nachhinein durch einen Lord Cromer vorgelegten authentischen Bericht bestätigt wurden, ließ der türkische Botschafter im Namen seiner Regierung ein formales Statement zirkulieren, in dem die Ausschreitungen vollkommen geleugnet wurden, mit dem Argument, es sei notwendig gewesen, ein paar aufsässige Personen in Bulgarien zur Ordnung zu rufen, aber die Art und Weise, wie die Sache behandelt werde, sei eine Fälschung.» Gladstone schloss mit den Worten: «Tatsache ist, dass die türkische Regierung Fälschungen als Waffe benutzt, und dass Fälschung eine Waffe ist, die sie nur allzu gut kennt.»[3]

William Ewart Gladstone war ein früher Repräsentant ethisch begründeter Außenpolitik. Als Mitglied des britischen Kabinetts hatte er 1854 für den Eintritt Großbritanniens in den Krimkrieg gegen Russland an der Seite des Osmanischen Reichs votiert. Im Ergebnis dieses Kriegs, der nach der Kapitulation von Sewastopol, das ein ganzes Jahr belagert wurde, 1856 mit dem Frieden von Paris endete, wurde das Osmanische Reich in das europäische Staatensystem und damit in den Bereich des Ius Publicum Europaeum aufgenommen. Gleichzeitig wurde seine Integrität garantiert. Artikel sieben des Pariser Vertrags legte fest, dass sich die osmanische Pforte damit einverstanden erklärte, an den Fortschritten des öffentlichen Rechts und des politischen Systems in Europa teilzuhaben.[4] Gladstone, der das Europäische Konzert immer als «das wichtigste Ergebnis des Krimkrieges»[5] bezeichnete, fühlte sich deshalb in gewisser Weise verantwortlich für das, was im Innern des Osmanischen Reichs geschah. Im Zweifelsfall war es die Aufgabe des «Vereinigten Europa», die Türkei zu radikalen rechtsstaatlichen Reformen und zur Einhaltung der Menschenrechte zu zwingen.[6]

Grundsätzlich war er der Ansicht, es sei das Recht des Europäischen Konzerts, in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzugreifen, schon deshalb, weil es die unter realpolitischen Gesichtspunkten bestmögliche Vertretungsinstanz der universalen Moral in internationalen Angelegenheiten darstellte, was umgekehrt bedeutete, dass Macht allein kein Interventionsgrund sein konnte. Seine «Insistenz auf Moralität», meint der Politikwissenschaftler Martin Ceadel, «bildete eine Brücke, auf der die konservative und im militärischen Sinn defensive Idee des Europäischen Konzerts sich in eine liberale und pazifistische Idee internationaler Organisation» und internationalen Rechts verwandeln konnte. Gladstone, so Ceadel, «trug so zur Verwandlung des Systems des Konzerts aus einem Klub von Monarchien (…) zu einem System mit größerer öffentlicher Legitimationsbasis bei».[7] Doch spätestens seit sich Großbritannien noch vor dem Berliner Kongress 1878 hinter dem Rücken der europäischen Mächte mit dem Osmanischen Reich über die Abtretung Zyperns geeinigt hatte, konnte von einem funktionierenden Konzert keine Rede mehr sein. Erst recht nicht in Zeiten zunehmender Großmachtrivalitäten Mitte der neunziger Jahre.

Der Liberale und ehemalige britische Premier William Gladstone war eine der wichtigsten Stimmen der proarmenischen Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts.

Die europäische öffentliche Meinung sollte in dieser Situation wenigstens teilweise das bewirken, was der Politik der Kabinette zunehmend weniger gelang. Bereits 1877 hatte die Eastern Question Association eine erste Broschüre über die Lage der Armenier im Osmanischen Reich veröffentlicht. James Bryce gründete 1893 die Anglo-Armenian Association, und auf konservativer Seite setzte sich der Duke of Westminster für die armenische Sache ein. Die Friends of Armenia unterhielten ein Informationsbüro und formulierten es als ihre erklärte Absicht, zur Wiedergeburt der armenischen Nation beizutragen. Die französische Presse veröffentlichte engagierte Beiträge von erklärten Philarméniens, darunter Anatole France, Jean Jaurès und des jungen Georges Clemenceau, der Sprachwendungen Gladstones über das leidende Volk unter der Knute einer inhumanen Regierung fast wörtlich zitierte. Büros von Pro Armenia entstanden in London, Paris und Rom und waren miteinander vernetzt. Russische Intellektuelle wie Tschechow meldeten sich zu Wort. In der Schweiz war Armenien ein großes Thema. Überall sprach man eine neue Sprache der Menschenrechte, deren Gültigkeit universal zu sein hatte, auch in erst halbwegs «zivilisierten» Ländern wie dem Osmanischen Reich.[8] Am 24. September 1896 bezeichnete Gladstone bei seinem letzten öffentlichen Auftritt in Hengler’s Circus in Liverpool Sultan Abdul Hamid II. als «großen Mörder».[9] Zu dieser Zeit betrug die Zahl der Opfer der Massaker, die erst nach den Ereignissen im Sassun ihren Höhepunkt erreichte, bereits um die 90.000. 646 Dörfer waren zwangsweise zum Islam konvertiert, 568 Kirchen und 77 Klöster zerstört, 328 Kirchen in Moscheen verwandelt worden. Eine halbe Million Menschen hatten durch die Verwüstungen ihre Lebensgrundlage verloren.[10]

Die Zahlen stammen aus detaillierten Statistiken von Johannes Lepsius, die ihrerseits auf einem gemeinsamen Bericht der Botschafter der europäischen Mächte beruhten....

Erscheint lt. Verlag 16.4.2015
Zusatzinfo mit 18 Abbildungen und 1 Karte
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte 1915 • 20. Jahrhundert • Aghet • Armenien • Armenier • Denkmal • Deportation • Genozid • Geschichte • Gewalt • Katastrophe • Öffentlichkeit • Opfer • Repression • Tabu • Türkei • Völkermord • Widerstand
ISBN-10 3-406-67452-6 / 3406674526
ISBN-13 978-3-406-67452-5 / 9783406674525
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