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Sozialismus statt Marktwirtschaft (eBook)

Eine Auseinandersetzung mit Sahra Wagenknechts Ideen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
78 Seiten
Manifest Verlag
978-3-7521-4118-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sozialismus statt Marktwirtschaft -  Lucy Redler
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2011 erschien Sahra Wagenknechts Buch Freiheit statt Kapitalismus. Darin legte sie ihre grundlegende Analyse des heutigen Kapitalismus und Lösungsansätze dar. Auf wirtschaftspolitischer Ebene bedeutete dies eine Abkehr vom Klassenkampf und der Idee des Interessensgegensatzes der Beschäftigten und Kapitalistenklasse insgesamt. Statt eine Vision von einer demokratisch geplanten Wirtschaft zu formulieren, erweckt sie ordoliberale und konservative Wirtschaftstheoretiker wie Ludwig Erhard wieder zum Leben. Heute ist sie, die als prominenteste Figur des linken Flügels in der Partei DIE LINKE gilt, Fraktionsvorsitzende im Bundestag und fällt immer wieder mit Aussagen zu Flucht und Migration auf, die auf große Kritik in linken und antirassistischen Bewegungen stoßen. In diesem Buch befinden sich neben Lucy Redlers Antwort auf das ökonomische Programm Wagenknechts ausführliche Stellungnahmen von SozialistInnen, die sich mit ihren politischen Aussagen zur Migrations- und Sicherheitspolitik aus der jüngeren Vergangenheit auseinandersetzen und diesen einer marxistischen Kritik unterziehen.

ehem. Mitglied im Parteivorstand DIE LINKE, aktiv im Bezirksverband Berlin Neukölln, ehemalige WASG-Berlin Spitzenkandidatin und Autorin mehrerer Bücher (z.B. Der politische Streik in Deutschland nach 1945.)

ehem. Mitglied im Parteivorstand DIE LINKE, aktiv im Bezirksverband Berlin Neukölln, ehemalige WASG-Berlin Spitzenkandidatin und Autorin mehrerer Bücher (z.B. Der politische Streik in Deutschland nach 1945.)

1. Marktwirtschaft ohne Kapitalismus


Wagenknechts Anspruch ist der folgende: »Es wird Zeit, den typischen FDPlern, die von Ökonomie nicht mehr verstehen als die auswendig gelernten Sprüche aus ihren eigenen Wahlwerbungsprospekten, entgegen zu halten, wie Marktwirtschaft tatsächlich funktioniert. Und es wird Zeit zu zeigen, wie man, wenn man die originären marktwirtschaftlichen Ideen zu Ende denkt, direkt in den Sozialismus gelangt, einen Sozialismus, der nicht Zentralismus, sondern Leistung und Wettbewerb hochhält.«1

Man kann sich schon fragen, ob Sahra Wagenknecht diesen Unsinn selbst glaubt. Sie fordert folgendes: »Voraussetzung sind also andere Eigentumsverhältnisse überall dort, wo nicht mehr Unternehmer im Schumpeterschen Sinne, sondern Kapitalisten das Wirtschaftsgeschehen dominieren.«2 Wagenknecht macht also einen Unterschied zwischen dem »echten Unternehmer«, der noch echte Ideen hat und innovativ etwas entwickeln will und den Kapitalisten, die heute den Kapitalismus in Großkonzernen, Banken, Hedge Fonds und Private Equity Fonds dominieren. Erstere sollen weiter gefördert werden, letzteren soll ihr Eigentum entzogen werden.

Haifische und Karpfen

Wagenknecht schreibt: »Wer im Haifischbecken schwimmen will, muss selbst Hai sein. Oder er wird gefressen. Der Ausweg besteht nicht in der Zähmung der Haie durch Moral und gutes Zureden. Der Ausweg besteht darin, an ihrer Stelle Karpfen zu züchten.«3 Wagenknecht bezieht sich in ihren Ausführungen positiv auf den konservativen Management-Theoretiker Fredmund Malik, demzufolge Gewinn niemals das oberste Ziel der Unternehmensführung sein dürfe. »Echte Unternehmer« maximieren Malik zufolge »die wohlstandsproduzierende Kapazität des Unternehmens durch die bestmögliche Erbringung ihrer Marktleistung für den Kunden. (…) Sie maximieren ihre Marktstellung und nicht ihr Wachstum. Sie maximieren den Kundennutzen und nicht die Eigenkapitalrendite. Sie maximieren ihre Innovationskraft und nicht den Gewinn.«4

Natürlich gibt es sie, die Wagenknecht‘schen Karpfen - also die kleinen und mittleren Unternehmer, die gern mehr investieren würden, sich mit ihrem Betrieb identifizieren und denen die Zufriedenheit von MitarbeiterInnen und KundInnen wichtig ist. Nur: Sie haben keine dauerhafte Chance im Kapitalismus. Sie führen ihre Betriebe auch unter kapitalistischen Bedingungen und sind genauso den Prinzipien von Kapitalakkumulation, Profit und Wettbewerb ausgesetzt. Sie müssen Gewinne machen, wenn sie das nicht tun, gehen sie unter. Karl Marx betonte, dass jeder einzelne Kapitalist bei »Strafe des Untergangs« gezwungen sei, sein Kapital immer so profitabel wie möglich anzulegen. »Die Entwicklung der kapitalistischen Produktion macht eine fortwährende Steigerung des in einem industriellen Unternehmen angelegten Kapitals zur Notwendigkeit, und die Konkurrenz (…) erlaubt ihm nicht, dass er sein Kapital hält, ohne es auszudehnen, und ausdehnen kann er es nur durch fortsetzte Akkumulation.«5 Marx zufolge gibt es im Kapitalismus eine zwangsläufige Entwicklung zu marktbeherrschenden Oligopolen und Monopolen, also zu einer Zentralisation des Kapitals. Bei fortschreitender Zentralisation des Kapitals werden die Karpfen von den Haien gefressen. Das Großkapital zerquetscht die kleineren und mittleren Unternehmen – was ihre Eigentümer aber nicht automatisch zu Vorkämpfern einer sozialistischen Gesellschaftsordnung, sondern in der Geschichte auch zu Anhängern reaktionärer, also rückwärtsgewandter Ideologien gemacht hat.

Es gibt keine Unternehmer, die - wenn sie von der Lohnarbeit Anderer profitieren - nicht gleichzeitig auch Kapitalisten sind. Alles andere wäre eine moralische Kategorie von Unternehmern, die nichts mit der ökonomischen Wirklichkeit zu tun hat. Oftmals gibt es gerade in Großkonzernen Tarifverträge und bessere Arbeitsbedingungen. Das liegt nicht etwa darin begründet, dass der Unternehmer in einem Großbetrieb arbeiterfreundlicher ist, sondern hängt mit der Durchsetzungskraft gewerkschaftlich besser organisierter Belegschaften in Großbetrieben zusammen. In kleinen Betrieben sind die ArbeiterInnen dagegen viel eher der Willkür der Arbeitgeber ausgesetzt. So unterscheiden sich auch die Ausbildungsbedingungen zwischen einem Auszubildenden in der Autoindustrie oder eines Bäckerlehrlings erheblich. Das Bild der kleinen Betriebe, in denen der Unternehmer nett zu seinen Angestellten und Auszubildenden ist, hat mehr mit einer romantisch-verklärten Vorstellung der Vergangenheit als mit den realen Verhältnissen zu tun. 

Der heutige finanzmarktgetriebene Kapitalismus ist keine falsche Strategie von zockenden Anlegern der Hedge Fonds und der Private Equity Fonds, die man beliebig rückgängig machen könnte, sondern ein systemimmanent unvermeidlicher Ausdruck davon, dass sich seit den siebziger Jahren die profitablen Anlagemöglichkeiten für das Kapital in der Realwirtschaft verschlechtert und auf den Finanzmärkten verbessert haben. War der Nachkriegsaufschwung aufgrund verschiedener Faktoren eine Ausnahmeerscheinung, so erleben wir seit Mitte der siebziger Jahre eine Rückkehr zum normalen Kapitalismus, der sich seit nun fast vierzig Jahren im Niedergang befindet. Die Krisen werden tiefer, während die Aufschwünge flacher werden. Die neoliberale Offensive war die Antwort der Kapitalisten auf das Ende des Nachkriegsaufschwungs. Aufgrund des Mangels profitabler Anlagemöglichkeiten für das Kapital wurden die Schranken für die Profitmaximierung beseitigt (Deregulierung von Kapitalverkehrskontrollen, Liberalisierung des Arbeitsmarktes, Privatisierung öffentlicher Unternehmen etc.). Diese Maßnahmen haben die Widersprüche aber nicht aufgehoben, sondern sie weiter verschärft. Es kam zu überbewerteten Aktienmärkten, einer auf Schulden basierten Wirtschaft, Spekulationsblasen. Diese Widersprüche entladen sich derzeit in der tiefsten Krise des Kapitalismus seit Jahrzehnten. Im Jahr 2008 platzte die Immobilienblase in den USA und die gesamte Weltwirtschaft geriet bis heute ins Wanken. 

An manchen Stellen sagt das Wagenknecht auch so ähnlich: Deshalb ist ihr Rückgriff auf den (angeblich) »echten« Unternehmertypus der Vergangenheit widersprüchlich, ahistorisch, illusionär und voluntaristisch.6

Soziale Marktwirtschaft 

Sahra Wagenknechts Leitmotiv ist nicht eine demokratisch geplante Wirtschaft, sondern die »Soziale Marktwirtschaft«, auf die sich nicht umsonst auch alle anderen Parteien im Bundestag berufen. Im vorigen Abschnitt wurde erklärt, dass es keine Unternehmer gibt, die nicht zugleich Kapitalisten sind. Wenden wir uns nun der nächsten Idee Sahra Wagenknechts zu, nach der es Marktwirtschaft ohne Kapitalismus geben könne. Wagenknecht greift dabei in ihrer Argumentation zu einer künstlichen Trennung zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft. Soziale Marktwirtschaft basiere ihr zufolge auf vier Säulen: erstens auf ordentlichen Sozialgesetzen, zweitens auf Verhinderung wirtschaftlicher Macht, drittens auf persönlicher Haftung und viertens auf einer gemischten Wirtschaft.

Diese Definition übernimmt sie von den Ordoliberalen, von denen weiter unten noch die Rede sein soll. Es überrascht, welche Merkmale einer Wirtschaft sich Wagenknecht zu eigen macht, zum Beispiel die individuelle Haftung: »Haftung ist nicht nur eine Voraussetzung für die Wirtschaftsordnung des Wettbewerbs, sondern überhaupt für eine Gesellschaftsordnung, in der Freiheit und Selbstverantwortung herrschen.«7 Und ausgerechnet die Hauptsäule der heutigen Marktwirtschaft – das Privateigentum an Produktionsmitteln –  klammert Wagenknecht in ihrer Aufzählung aus. Sie behauptet damit, dass die Marktwirtschaft der ökonomischen Basis übergeordnet oder zumindest äußerlich sei und dass sie daher sowohl im Kapitalismus als auch im Sozialismus vorherrschend sein könne. 

Sahra Wagenknecht verwechselt hier etwas Grundlegendes: Natürlich kann es im Kapitalismus staatliche Elemente geben, die sogar weitreichend sein können (zum Beispiel in Ägypten unter Staatspräsident Gamal Abdel Nasser), genauso wie es in einer Planwirtschaft Marktelemente geben kann. Die Frage ist jedoch immer, ob und wann quantitative Veränderungen in qualitative umschlagen: Was ist die vorherrschende Produktionsweise? Was ist die Triebfeder der Produktion: Konkurrenz und Profit und der Verkauf von Waren und damit die Realisierung des Mehrwerts über den Markt  - oder die Befriedigung gesamtgesellschaftlicher Bedürfnisse durch demokratische Planung? Im Kapitalismus wird mit dem Ziel der Profitmaximierung produziert. Der Markt ist das Mittel im Kapitalismus, um die produzierten Waren in Konkurrenz zueinander auszutauschen. Mehrwert bezeichnet den Wert einer Ware, der durch menschliche Arbeit an Rohstoffen und Vorprodukten diesen hinzugefügt wird und über die Materialkosten sowie den Lohn hinausgeht, den der/die ArbeiterIn für seine/ihre Arbeit erhält. Um diesen Mehrwert in Profit zu verwandeln, muss der Kapitalist den Tauschwert der produzierten Waren auf dem Markt realisieren.

Markt damals und Marktwirtschaft heute

Natürlich gab es auch schon in der einfachen Warenproduktion Produkte, die nicht zum eigenen Verbrauch, sondern für ihren Austausch hergestellt wurden. Diese einfache Warenproduktion (und damit »Marktwirtschaft« in weitesten Sinne) tauchte bereits vor ca. zwölftausend Jahren im mittleren Osten auf und erfuhr ihre bedeutendste Entwicklung zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert in Nord- und Mittelitalien und in Teilen der Niederlande. In diesen Gebieten ging die Leibeigenschaft zurück und...

Erscheint lt. Verlag 13.4.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Deutschland • Die Linke • Sahra Wagenknecht • Wagenknecht
ISBN-10 3-7521-4118-2 / 3752141182
ISBN-13 978-3-7521-4118-4 / 9783752141184
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