Jupiter 10: Ganymed fällt (eBook)
64 Seiten
PERRY RHODAN digital (Verlag)
978-3-8453-5023-3 (ISBN)
1.
Ganymed
12. Februar 1461 NGZ
Mit schnellen Schritten durchquerte Reginald Bull den Laborkomplex. Eine neue Lieferung Roboterfragmente, Stahlröhren und einfacher Triebwerkselemente war eingetroffen, die Ganymedaner bauten die nächsten Funksonden zusammen. Einige schauten ihm erstaunt hinterher, er nahm nur flüchtig davon Notiz.
Bull versuchte, wenigstens überschlägig abzuschätzen, wie viel Zeit bis zu Ganymeds Ende blieb. Er verließ die Halle und hielt am Rand der leicht verwilderten Parkfläche inne.
Rund 10,9 Kilometer in der Sekunde, das war die Orbitalgeschwindigkeit des Eismonds, sein mittlerer Abstand zum Jupiter lag bei 1,07 Millionen Kilometern. Selbst wenn Ganymed von einem Moment zum nächsten vollständig aus seiner Umlaufbahn herausgerissen worden wäre ...
Das ist Unsinn. Die dann auf den Mond einwirkenden Kräfte hätten ihn sofort auseinanderbrechen lassen.
... selbst in dem theoretischen Fall würden an die dreißig Stunden ... Nein, unmöglich! Er glaubte den Wert nicht. Abgerundet zehn Kilometer in der Sekunde, das waren sechsunddreißigtausend in der Stunde. Wenn er dreißig Stunden ansetzte ...
Verdammt!
Es durchzuckte ihn wie ein heftiger Stromstoß. Er fragte sich, wie unter diesen Umständen überhaupt viel zu retten sein konnte.
Hatte es wirklich keine frühen Anzeichen gegeben, dass diese Katastrophe über das Solsystem hereinbrechen würde?
Nein!, gab er sich Antwort. Nicht einmal das überraschend aus dem Eis hervorgebrochene Artefakt hatte solche Befürchtungen nahegelegt. Diesmal hat es uns eiskalt erwischt.
Tief atmete Bull ein. Die Luft schmeckte nach Blüten, nach Frühling mit einem Hauch Zitrone. Ein warmer Windhauch wehte heran, und für einen Augenblick war ihm sogar, als bräche die Sonne mit wärmenden Strahlen hinter den langsam treibenden Wolkenschleiern hervor. Das ganymedanische Halblicht erweckte diesen Eindruck – die Albedo, mit der Jupiter seine Monde überschüttete.
Mächtig und drohend stand der Riesenplanet eine Handbreit über dem Horizont.
Er ist größer geworden!
Das war Einbildung. Undenkbar, dass der Ausbruch des Monds aus seiner Umlaufbahn schon binnen weniger Minuten mit bloßem Auge erkennbar sein konnte. Reginald Bull sah den Planeten größer, weil er genau das erwartete – ein Bild, das die Bedrohung greifbar machte.
Angespannt blickte er nach Süden.
Er fragte sich, ob Rhodan noch lebte. Und Mondra. Und mit ihnen die für ihren Schutz abgestellten drei TLD-Agenten. Er schüttelte den Kopf. Keine Leibwache half gegen Gewalten, wie sie seit Mitternacht in Jupiters Atmosphäre tobten. Am besten wäre es gewesen, sich herumzuwerfen und zu fliehen, egal wohin, nur fort.
Aber diese Blöße würde er sich niemals geben.
Bull verkrallte die Hände im Halsausschnitt seines SERUNS. Breitbeinig stand er da, als könnte nichts und niemand ihm etwas anhaben. Er taxierte die ineinander verlaufenden Wolkenbänder des Planeten. Gasströmungen im Äquatorbereich, einige Dutzend Mal so groß wie die Erde, dehnten sich wild mäandernd aus, wurden zu monströsen Schlieren, deren heller Farbton sich allmählich blutig rot färbte. Als steige Glut aus den tiefen Schichten der Atmosphäre an die Oberfläche empor.
Unübersehbar der gigantische, neue Wirbel, ein Mahlstrom, der den Großen Roten Fleck an Ausdehnung deutlich übertraf.
Wie eine tief klaffende Wunde erschien Bull der Gravo-Mahlstrom, ein goldfarbenes Monstrum, das sich unaufhaltsam durch Jupiters Atmosphäre fraß. Er glaubte nicht bloß, das Brodeln im Randbereich dieser furchteinflößenden Erscheinung zu sehen – er sah es wahrhaftig. Der Zyklon tobte mit Windgeschwindigkeiten, die wohl tausend und mehr Stundenkilometer erreichten.
Eine neue Bebenwelle durchlief Ganymed, begleitet von dem unheimlichen Knistern und Knacken, das hier draußen bedrohlicher klang als in den Laborhallen. Jupiter interessierte Bull in diesen Sekunden nicht mehr, sondern der Himmel über Galileo City. Suchend schaute er in die Höhe und griff zugleich in den Nackenwulst des SERUNS, um den Folienfalthelm schnell nach vorn ziehen zu können.
Nur falls der Himmel Risse bekommt und wie Glas zerspringt.
Ausschließen durfte er das keinesfalls. Die schweren Schäden würden unweigerlich kommen.
»Bislang haben wir nicht verloren«, sagte Bull trotzig. »Der Kampf ums Überleben beginnt erst!«
*
Immel Murkisch schaute den Verteidigungsminister der Liga Freier Terraner durchdringend an. Sein Schweigen wirkte bedrückend, und mit einer fahrigen Handbewegung wischte er sich die widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn. Erst Sekunden später besann er sich darauf, weshalb er Bull zu sich herangewinkt hatte.
»Ich dachte mir schon, dass es nicht leicht sein würde«, erkannte Bull die Stimmungslage des Wissenschaftlers. »Was zeigen die Messungen? Oder geht gar nichts mehr?«
Dass Ganymed in womöglich dreißig Stunden auf Jupiter stürzen würde, war nicht ihr einziges Problem. Der fortschreitende, extreme Massezuwachs, der den Gasriesen zu einer immer größeren Gefahr für das Solsystem machte, hatte weitere Nebenwirkungen. Die gewaltigen und vor allem unberechenbaren Schwerkraftanomalien machten die Raumfahrt in der Nähe Jupiters so gut wie unmöglich. Sie störten zudem Hyperfunk und Ortung.
Mit anderen Worten: Die Heimatflotte des Solsystems konnte Ganymeds Bevölkerung nicht zu Hilfe kommen. Die Bewohner des Monds mussten sich selbst retten. Sogar ein Normalfunkkontakt zur Erde war bisher unmöglich, lediglich auf kurze Distanz ließ sich funken – und das auch nur, wenn sie Dutzende Funksonden losschickten. Die meisten wurden von den Gravo-Anomalien zerstört, nur wenige hielten lange genug, um einige kurze Nachrichten auszutauschen.
Und um wenigstens grob zu erkennen, was um Ganymed herum vorging, mussten sie die Ortungsergebnisse zahlreicher Sonden übereinanderlegen und nach einem komplizierten Verfahren abgleichen.
»So schnell geben wir uns nicht geschlagen.« Murkisch deutete auf die Holos vor sich. »Wir bekommen die Überlappung der Ortungsbilder zunehmend besser in den Griff, lediglich die Filterprogramme müssen weiter verfeinert werden. Die hochspezifizierten Eingangsdaten werden in kleinste Bildelemente zerlegt, und die Positronik löscht alle lediglich in geringer Zahl sich überlappenden Elemente. Je öfter Punkte miteinander korrelieren, desto höher wird ihre Relevanz eingestuft, und sie werden als reale Ortung in die Ausgabe übertragen. Daraus ergibt sich eine zwar verzerrte, aber wenigstens einschätzbare Darstellung. Eine Serie ausgewerteter Einzelbilder lässt als zweiten Schritt erkennen, wo sich Fehler eingeschlichen haben.«
»Geeignet für die Navigation?«
Murkisch zuckte mit den Schultern. »Wir haben eine Ausgabeverzögerung zwischen zehn und fünfzehn Sekunden und leider nur einen Erfolgsquotienten, der bei simulierten Probemanövern fünfzig Prozent bislang nicht überschreitet.«
»Besser als gar nichts«, bemerkte Bull. »Was ist nun mit Ganymed? Sag nicht, dass uns weniger als dreißig Stunden bleiben.«
»Dreißig?« Murkisch riss die Augen auf. »Meine Güte, nein. Der voraussichtliche Einschlag auf Jupiter wird erst am Montag sein. Zwischen zweiundzwanzig und dreiundzwanzig Uhr. Exakt lässt sich der Zeitpunkt nicht festlegen. Die Schwerkraftschocks des Effektors könnten heftiger werden und Ganymed steiler ausbrechen lassen. Auch dass sich die Geschwindigkeit des Monds weiter erhöht ...«
»Also bleiben uns knapp sechzig Stunden«, stellte Bull unumwunden fest.
Murkisch stutzte, dann nickte er.
Montag, der 14. Februar 1461 NGZ, war der Tag, der über das Schicksal des Solsystems entscheiden sollte.
*
Reginald Bull fluchte leise. Der verdammte Gravitonen-Effektor, der vor gut einer Woche aus Ganymeds Eisozean hervorgebrochen war – zunächst hatte er nur wie ein unerklärlicher, uralter und vor allem inaktiver Turm aus fünf großen, unzerstörbaren Würfeln gewirkt.
Mittlerweile wussten sie mehr über das Artefakt. Es pumpte Gravitonen in den Jupiter, die sich dort mit hyperphysikalisch modifizierten Higgs-Teilchen verbanden und die Masse des Planeten steigerten. Da der Planet dabei nur schwerer wurde, aber nicht wuchs, würde er irgendwann – bald – unter seiner eigenen Masse kollabieren und zum Schwarzen Loch werden.
Als wäre das nicht genug, hatte der Würfelturm auf Ganymed massive, von Beben begleitete Gravo-Impulse ausgelöst, die den Mond aus seiner Bahn getrieben hatten. Er würde auf Jupiter hinabstürzen. Und dies zu einem bemerkenswerten Zeitpunkt.
»Auf perfide Weise scheint alles annähernd zeitgleich zusammenzulaufen«, eröffnete Bull kurz darauf Kaci Sofaer, der Bürgermeisterin von Galileo City, und Starbatty, dem Ersten Senator des Syndikats der Kristallfischer.
»Sag mir keiner, dass das nur Zufall sei. Übermorgen, ab 23.30 Uhr, wird der Prozess aus Gravitonen und Higgs-Teilchen unumkehrbar sein. Dass Ganymed ungefähr eine Stunde vorher in den goldenen Gravo-Mahlstrom stürzen wird, was macht das schon für einen Unterschied? Die Evakuierung des Monds müsste ohnehin sehr viel früher abgeschlossen werden.«
»Was könnte die TSUNAMI-X daran ändern?«, wollte Starbatty wissen. Der kleine, dickliche Mann trug noch immer Abendgarderobe, einschließlich affiger Lackschuhe. Aber sein überlegenes Getue hatte er weitgehend abgelegt, seit er begriffen hatte, dass Ganymed ernsthaft bedroht...
| Erscheint lt. Verlag | 10.11.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Perry Rhodan - Jupiter |
| Verlagsort | Rastatt |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
| Schlagworte | Gift • Jupiter • Perry Rhodan • PR Mini-Serie • Science Fiction • Tau-acht |
| ISBN-10 | 3-8453-5023-7 / 3845350237 |
| ISBN-13 | 978-3-8453-5023-3 / 9783845350233 |
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