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Spuren (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2025 | 1. Auflage
220 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-75267-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Spuren - Ernst Bloch
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Für den in der Gesamtausgabe erschienenen Band »Spuren« hatte Ernst Bloch 21 Texte neu geschrieben. Diese erweiterte Ausgabe erscheint jetzt in der Bibliothek Suhrkamp. »Wie nun? Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.« Dieser Text aus den »Spuren« steht als Motto über Blochs Gesamtwerk, er ist auch das Thema der »Spuren«. Es sind »Spuren«, die hinführen zu Sinn und Deutung des Daseins, »im Erzählen merkend, im Merken das Erzählte meinend«. Es sind Spuren, die auch von der Geschichte der eigenen Jugend Blochs berichten. Diese Parabeln, die zu den Glücksfällen deutschen Denkens und deutscher Prosa gehören, sind heute so fabelhaft und wahr wie vor siebzig Jahren, als sie gesammelt, gedacht und geschrieben wurden.



<p>Ernst Simon Bloch wurde am 8. Juli 1885 in Ludwigshafen am Rhein geboren und starb am 4. August 1977 in T&uuml;bingen. Er entstammte einer j&uuml;dischen Familie aus der Pfalz. Von 1905 bis 1908 studierte er Philosophie bei Theodor Lipps in M&uuml;nchen und Oswald K&uuml;lpe in W&uuml;rzburg und wurde im Jahr 1908 promoviert. 1913 heiratete er die aus Riga stammende Bildhauerin Else von Stritzky. Als engagierter Gegner des Krieges ging er von 1917 bis 1919 mit seiner Frau in die Schweiz und war in Bern f&uuml;r das Archiv f&uuml;r Sozialwissenschaften t&auml;tig. 1917 beendete er in Locarno sein Werk <em>Geist der Utopie</em>. Ein Jahr nach dem Tod seiner Frau heiratete er 1922 die Malerin Linda Oppenheimer. Die Ehe hielt bis 1928. In der Zwischenzeit kehrte Bloch zur&uuml;ck nach Berlin. Zu seinen damaligen Freunden geh&ouml;rten Bertolt Brecht, Kurt Weill, Theodor W. Adorno und Walter Benjamin. Politisch war Bloch sehr aktiv und bek&auml;mpfte schon fr&uuml;h die aufstrebende NSDAP. Nach Hitlers Macht&uuml;bernahme wurde er ausgeb&uuml;rgert und emigrierte mit seiner ebenfalls j&uuml;dischen Lebensgef&auml;hrtin Karola Piotrowska in die Schweiz. Nachdem sie von der Z&uuml;richer Fremdenpolizei des Landes verwiesen wurden, heirateten beide 1934 in Wien. Von 1934 bis 1937 lebten sie in Paris, Sanary und Prag und emigrierten anschlie&szlig;end in die USA, wo sie zehn Jahre blieben. Dort schrieb Bloch an seinen Werken <em>Das Prinzip Hoffnung, Subjekt - Objekt. Erl&auml;uterungen zu Hegel und Naturrecht und menschliche W&uuml;rde</em>. Nach dem Krieg, 1948, erhielt er einen Ruf nach Leipzig auf den Lehrstuhl f&uuml;r Philosophie. Trotz langj&auml;hriger Konflikte mit der SED blieb er bis 1961 dort. Kurz vor dem Bau der Mauer befand sich Bloch f&uuml;r einen Vortrag in T&uuml;bingen. Angesichts der neuen politischen Situation beschlossen er und seine Frau, in Westdeutschland zu bleiben. Unter anderem aufgrund des gro&szlig;en Einsatzes von Freunden konnte Bloch eine Gastprofessur in T&uuml;bingen antreten, wo er bis zu seinem Tod 1977 blieb.</p>

ZU WENIG


Man ist mit sich allein. Mit den anderen zusammen sind es die meisten auch ohne sich. Aus beidem muß man heraus.

SCHLAFEN


An uns selbst sind wir noch leer. So schlafen wir leicht ein, wenn die äußeren Reize fehlen. Weiche Kissen, Dunkel, Stille lassen uns einschlafen, der Leib verdunkelt sich. Liegt man nachts wach, so ist das gar kein Wachsein, sondern zähes, verzehrendes Schleichen an Ort und Stelle. Man merkt dann, wie ungemütliches mit nichts als mit sich selber ist.

LANG GEZOGEN


Warten macht gleichfalls öde. Aber es macht auch trunken. Wer lange auf die Tür starrt, durch die er eine, einen erwartet, kann berauscht werden. Wie von eintönigem Singen, das zieht und zieht. Dunkel, wohin es zieht; wahrscheinlich in nichts Gutes. Kommt der Mann, die Frau nicht, die man erwartete, so hebt die klare Enttäuschung den Rausch nicht etwa auf. Sie mischt sich nur mit seiner Folge, einem Kater eigner Art, den es auch hier gibt. Gegen das Warten hilft das Hoffen, an dem man nicht nur zu trinken, sondern auch etwas zu kochen hat.

IMMER DARIN


Wir können nicht lange allein sein. Man langt damit nicht aus, in der allzu eignen Bude ist es nicht geheuer. Trotzdem nimt man sie überall mit, besonders wenn man jung ist. Viele werden dann sonderbar in sich zurückgeholt, sie machen sich stumm. Das rasselt wie mit Ketten hinunter und gräbt die ein, die nur in sich sind. Grade weil sie nicht aus sich herausgehen können, ängstigen sie sich, nämlich in der Enge, wo sie sind. In die sie getrieben werden, auch ohne daß sie etwas andres dahin brächte. Es gibt auch sonst nur vor dem Angst, was man nicht sieht. Was uns sichtbar bedrängt, vor dem gibt es Fürchten, sofern man schwächer ist, oder man tritt an. Aber gegen die Angst, weil sie aus uns allein kommt, wenn wir allein sind, hilft nur, sich zu lieben oder sich zu vergessen. Wer das nicht zulänglich kann, langweilt sich. Wer es kann, nimmt entweder sich wichtig oder das, was er außerhalb seiner tut, gleich wie es ist. Beides ist nicht so weit voneinander weg, wechselt auch bei den meisten ab. Läßt sie morgens aufstehen, auch wenn sie nicht müßten, und tagsüber löst sich beides erst halb.

SICH MISCHEN


Ists gut? fragte ich. Dem Kind schmeckt es bei andern am besten. Sie merken nur bald, was dort auch nicht recht ist. Und wäre es zuhause so schön, dann gingen sie nicht so gern weg. Sie spüren oft früh, hier wie dort könnte viel anders sein.

SINGSANG


Merkwürdig, wie das manche halten, sieht sie niemand. Die einen schneiden morgens Gesichter, noch andre tanzen sich eins, die meisten summen sinnlos vor sich hin. Auch in Pausen, beim Zahlen etwa, summen manche etwas, das man nicht versteht, das sie selber nicht hören, in dem aber viel darin sein mag. Da fallen Masken ab oder ziehen neue auf, je nachdem, närrisch genug ist die Sache. Allein sind viele etwas irr, sie singen ein Stück von dem, was früher mit ihnen los war und nicht fest geworden ist. Sie sind schief und geträumte Puppen, weil man sie gezwungen hat, noch schiefer und öder erwachsen zu werden.

KLEINER WECHSEL


Ich kannte einen, der machte nicht viel von sich her. Zwar als Kind, sagte er, sei er recht stolz gewesen, beim Spiel mußte er der erste sein. Wer nicht parierte, wurde gehauen und meistens blieb der zarte Herr oben, schon weil der andre nicht recht zuschlug.

Aber danach war das freilich weg, mit einem Schlag, wie verschluckt. Wir aus seinen unteren Klassen erinnerten uns noch: er war damals ein recht jämmerlicher Junge gewesen. Die Flegeljahre der andern tobten sich an dem neuen Feigling aus, tauchten ihn ins Bad, banden auf dem Spielplatz einen Strick an sein Bein, und er mußte hüpfen. Einem Jungen, der ihm am wenigsten getan hatte, nahm er das Heft weg, wonach der andre bestraft wurde; kurz, es war ein armseliger Bursche geworden, schlecht und haltlos. Aber nun geschah etwas Merkwürdiges: mit vierzehn Jahren oder etwas später, so im ersten Schuß der Pubertät, kam eben das stolze Kind wieder, der erbärmliche Junge fiel ab, seine Art schlug zum zweiten Mal um, er wuchs kräftig und wurde bald der Führer in der gleichen Klasse. Er hatte Sprüche am Leib, mit ziemlich echtem Kraftgefühl, frecher Überzeugung und wenig Pose; in Wirtschaften ging er mit dem Ruf: Hut ab, Fritz Klein kommt; die Bürger saßen sowieso ohne Hut. Ein andrer, auch etwas späterer Spruch war: wer mich ablehnt, ist gerichtet; doch so dummes Zeug hätte er gar nicht zu sagen brauchen, es war jetzt um den Jungen ohnehin etwas, was ganz merkwürdig und eigentlich schwer erklärlich ist und was er mit manchen teilt, denen ich später begegnet bin und die, übrigens, nicht immer die Besten waren: er strahlte Macht aus, man konnte sich ihr kaum entziehen.

Doch der gleiche Mann erzählte nun weiter: als er sich, natürlich lange Jahre später, er saß in guter Assiette und war in Amt und Würde, ein Haus einrichtete, hatten die Handwerker plötzlich ein Gefühl, vielmehr einen alten, längst vergessenen Spaß an ihm, den er gar nicht näher beschreiben könne, aber die eine Seite von früher war wieder da, wenigstens verhielten sich die Kerle danach und grinsten. Also etwas in ihm, meinte er, mußte nicht gestimmt haben, mindestens aus der schlechten Zeit weich geblieben sein. Wenn Hunde das Geschlecht von Menschen riechen, so hatten die Handwerker in der kleinen Stadt (und was für welche) eine andre Witterung, die doch ebenso genau war. Eine ferne Erinnerung wurde ihm selber frisch, und er wollte an ihr gelernt haben, daß über innere Untaten kein Gras wächst, ja daß man immer wieder ein Feiges, das man war, sein, und ein Schlechtes, das man getan hat, tun kann, wenn es die nachgeborenen Brüder der alten Zeit so deutlichmerken.

Einer unter uns, der überhaupt nicht an das eine Ich glaubte, suchte hier freundlicher zu deuten. Aber es kommt freilich auf die Lage an, in der der Mensch ist; je nachdem werden die kümmerlichen oder die wohlwollenden Airs, die schwachen oder starken Handlungen Luft bekommen. Hätte der ehrliche Mann für das neue oder vielmehr Kinder-Ich, das da mit vierzehn Jahren wieder anrollte, kein Geleise gehabt, so hätte er das lehrreiche Zeug gar nicht erzählen können. Sondern die Handwerker hätten ihn im Leibblatt gefunden, dort, wo die kleinen Schufte unter die Räder kommen oder gehängt werden, besonders die haltlosen und rückfälligen.

LAMPE UND SCHRANK


Einer meinte, das Einzige, was heute noch lebt, hat man nur zu zweit, höchstens zu dritt. Er dachte an Liebe, Freundschaft, Gespräch; es war ein gütiger, verzweifelter Mann, der im Betrieb fror und nicht sah, was da allgemein herauskommen könnte. Er machte sich, bei alldem, gar nichts aus individuellen oder großkopfigen Menschen, sondern war ganz auf Seiten der Masse, freilich einer rechten, lebendigen, jetzt nicht seienden. So zog er sich, so unbürgerlich wie möglich, auf die kleine bürgerliche Seite zurück, nicht ins Haus, aber dorthin, wo noch eine Lampe auf dem Tisch stand.

Doch ein andrer erzählte: als ich mir ein Zimmer einrichtete und es recht gesellig meinte, ist etwas Sonderbares geschehen.Alte Möbel hatte ich eingekauft, doch wie ich fertig war, merkte ich, vielmehr Frauen und Freunde merkten, daß sozusagen alle Stühle fehlten. An den Wänden standen Truhen, Kredenzen, mittlere Schränke und vor allem große, in der Mitte lag ein Teppich, der den Raum füllte; doch freilich: die Gelegenheit zum Sitzen, zum Gespräch, das ich zu lieben glaubte, hatte ich vergessen. Selbst die Lampen, die freilich nicht vergessenen, standen weniger gesprächsbereit, lesegerecht als bestrahlend und auswendig; wie herabgestiegene Wandarme. Was der Mann ist, sagte eine kluge Frau, sieht er vor sich ziehen; doch so sehr Mann, meinte der Erzähler, sollte man auch nicht sein oder so sehr einer, der alles bloß an der objektiven Wand ziehen und stehen hat. Der in diesem Fall auch so wenig objektiv war, möglicherweise, daß sein Zimmer doch nur schöne, schwere, stolze Schaudinge trug, fast wie eine Frau. Es war mir eine Lehre, schloß der erstaunte Einridtter, und er besuchte seinen Freund, eben den, von dem oben erzählt wurde, und der so menschlidt war, daß er selbst noch die dicken Krawatten haßte.

GUT GEWÖHNEN


Denen es bloß etwas schlecht geht, die spüren das ziemlich genau. Wenigstens in ihrem Gefühl; in ihrem Wissen sieht es trüber aus, da lassen sie sich leimt ablenken. Aber wie ihr Leib macht ihr Gefühl das Stampfen und Schaukeln des Wagens genau mit, der sie morgens in die Fabrik oder die Schreibstuben fährt. Höchstens die Gewöhnung hilft da etwas, als ein sehr leichtes Rauschmittel, das man kaum als solches erkennt. Denn das ganze bürgerliche Leben ist davon durchsetzt und erträgt sich nur daraus. Wird dagegen die Lage ganz verzweifelt, nicht nur eintönig, sondern vernichtend schlecht, so bildet sich ein viel stärkeres Gegengift, eines aus uns selbst. Schon Knaben haben einen sonderbaren Rausch wenn die Noten...

Erscheint lt. Verlag 20.8.2025
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte 20. Jahrhundert • 68er • Bibliothek Suhrkamp 54 • BS 54 • BS54 • Dasein • Diskurs • Ehrendoktorwürde der Pariser Sorbonne 1975 • Ehrendoktorwürde der Universität Tübingen 1975 • Ehrendoktorwürde der Universität Tübingen 1975 • Ernst Bloch • Ethik • Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1967 • Handeln • Ontologie • Politische Philosophie • Sozialphilosophie • Spuren
ISBN-10 3-518-75267-7 / 3518752677
ISBN-13 978-3-518-75267-8 / 9783518752678
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